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Angriffskrieg – Eine neue Realität?

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock rief den Delegierten der Notstandssondertagung der VN-Generalversammlung in New York am 1. März 2022 zu: „Heute sind wir mit einer neuen Realität konfrontiert“. Sie bezog sich damit auf den vom russischen Präsidenten losgetretenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das mag aus ihrer Sicht stimmen, aber diese neue Realität setzt nicht geltendes Völkerrecht außer Kraft. Zugleich trifft dies ebenso für die Grundlagen einer katholischen Friedensethik zu, die grundsätzlich auch die evangelische Kirche in Deutschland teilt.

Streit schlichten hat Vorrang

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine verstößt eindeutig gegen die Charta der Vereinten Nationen und somit gegen geltendes Völkerrecht. In Kapitel VI, Artikel 33, Ziffer eins heißt es unmissverständlich: „Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.“ 

Das Recht auf Selbstverteidigung

Sollte dies jedoch nicht gelingen, wie dies jetzt der Fall ist, gibt es unter Einbeziehung des VN-Sicherheitsrates mehrere Wege, um einen Streit beizulegen. Aber ebenso eindeutig ist Kapitel VII, Artikel 51. Er definiert „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen (ist) keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ (the inherent right of individual or collective self-defence) beeinträchtigt. Das bedeutet, die Ukraine nimmt ihr naturgegebenes Recht auf Selbstverteidigung wahr, und zwar unter Einsatz von Waffen. Das haben auch die katholischen deutschen Bischöfe auf ihrer Vollversammlung in Vierzehnheiligen unterstrichen. 

Staatliches Recht und ethisches Problem

Denn es ist unstrittig, dass die Ukraine hinsichtlich des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ihr „völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann“ und dies ist „grundsätzlich legitim“. Ein Blick in die entsprechenden kirchlichen Verlautbarungen „Gerechter Friede“ vom September 2000 (katholisch) Nummer 152 und „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ (evangelisch) aus dem Jahr 2007 Nummer 104 bestätigt diese Sichtweise. Jedoch ist es unverständlich, dass bei aller begreiflicher Emotion auch im kirchlichen Kontext wieder vom Gerechten Krieg gesprochen wird. Folgt man nur kurz der Argumentation des russischen Präsidenten, so könnte auch er aus seiner Sicht von einem Gerechten Krieg sprechen (bellum iustum ex utraque parte). Hier zeigt sich eindeutig die Schwachstelle dieser hinfällig gewordenen, aber immer wieder gern reanimierten Lehre des Gerechten Krieges. Es reicht ganz nüchtern auch aus friedensethischer Sicht festzustellen: Die Ukraine nimmt ihr vom Völkerrecht verbrieftes Selbstverteidigungsrecht legitim und völkerrechtskonform wahr. 

Soldatinnen und Soldaten im Dilemma

Nicht zuletzt macht sich zudem eine Schwachstelle einiger deutschsprachiger Bibelübersetzungen der Zehn Gebote bemerkbar: An Stelle „Du sollst nicht morden“ (Ex 20,13 / Dtn 5,17) schreiben sie „Du sollst nicht töten“. So auch in der überarbeiteten Einheitsübersetzung von 2016. Ein Soldat ist aufgrund seines Status als Soldat berechtigt, von seiner Waffe im Verteidigungsfall legitim Gebrauch zu machen. Dass er dabei Leben töten kann, ist ein Übel, aber vom Völkerrecht gedeckt. Soldaten sprechen hier vom „scharfen Ende ihres Berufes“. Eine ganz andere, und zwar dornige Frage ist, ob und wie den Menschen in der Ukraine, die der militärischen Übermacht der russischen Armee ausgesetzt sind, militärisch aktiv zur Hilfe gekommen werden könnte. Das Bischofswort „Gerechter Friede“ hält eine „Nothilfe“ unter bestimmten Bedingungen nicht für ganz ausgeschlossen (Nr. 152).
Was können Christinnen und Christen tun? Zum einen auf die fürsprechende Kraft des Gebetes vertrauen und zum anderen aktive Flüchtlingshilfe leisten (Nr. 158). Das ist nicht wenig. 

„(152) Das Völkerrecht ächtet jeden Angriffskrieg und verpflichtet auf den Gewaltverzicht. Als einzige Ausnahme kennt die traditionelle Auslegung den Fall der Notwehr eines Staates gegenüber einem militärischen Angriff von außen und die Abwehr des Angreifers durch Dritte („Nothilfe“). Dahinter steht die Überzeugung, dass ein gewaltsamer Bruch des Völkerrechts weder vom angegriffenen Staat noch von der Staatengemeinschaft einfach hingenommen werden darf. Jeder, der mit dem Gedanken an einen Angriff spielt, muss wissen, dass sich Aggression für ihn nicht lohnt. Davon sind jene Fälle zu unterscheiden, in denen sich die internationale Gemeinschaft entschließt, den schutzlosen Opfern schwerwiegender und systematischer Verletzung der Menschenrechte innerhalb eines Staates durch eine gewaltsame Intervention zu Hilfe zu kommen. Vor allem auf dem Hintergrund der UN-Aktionen im Nordirak 1991, in Somalia 1992 und im Kosovo 1999 steht die Frage der völkerrechtlichen Legitimität solcher humanitär begründeter Interventionen verstärkt auf der Tagesordnung. “

Gerechter Friede / hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 4. Aufl., Bonn 2013

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Kommentare

Was wir in diesen Tagen in Osteuropa erleben ist nur eine weiterer Mosaikbaustein im Rahmen der Machtpolitik, hier der Krieg als eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (nach Carl v. Clausewitz). Dabei stellt sich immer wieder die Frage: wer kann verhindern, dass Kriege geführt werden? Anders ausgedrückt: wer kann den Frieden (Nicht-Ausüben von Gewalt) erzwingen?

Dies führt zum jahrtausendalten Streit, wer die letzte Instanz ist: der Staat oder die Kirche. In den letzten Jahrhunderten – spätestens seit der Französischen Revolution – wird diese Frage immer mehr zugunsten des Staates beantwortet. Kein Staat will sich heute seine Souveränität mehr absprechen lassen, selbst zu entscheiden, wie er nach innen und außen sein Machtmonopol ausüben will. Ethik und Moral als Entscheidungskriterien müssen vielfach hinter Machtinteressen, wirtschaftlichen Notwendigkeiten oder Überlebensängsten zurückstehen.

Bei allen Ähnlichkeiten von Religionen sind auch sie nur bedingt geeignet, die Politik zu disziplinieren. Vielmehr werden sie seitens der Politik immer wieder gerne herangezogen, um die eigenen Entscheidungen zu rechtfertigen. Und wenn das nicht geht, dann werden sie auch schon einmal ignoriert.

Auch die UNO ist in letzter Konsequenz nur ein Bündnis zwischen Staaten, bei dem man sich bei allem ehrlichen Bemühen um Frieden in der Zukunft lediglich auf einen Minimalkonsens geeinigt hat. Die Souveränität eines Unterzeichnerstaates bleibt unberührt. Mit anderen Worten: die UNO ist keine Weltregierung, sondern lediglich ein zwischenstaatliches Abkommen. So kämen die USA niemals auf die Idee, nur eines ihrer souveränen Rechte an die UNO abzutreten. Vielmehr treten die USA aus UNO-Organisationen aus, wenn es nicht in ihr politisches Konzept passt (z.B. Austritt aus der UNESCO zum 1.1.2019). Vergleichbares gilt auch für das Verständnis, wie das Vereinigte Königreich oder die Republik Frankreich die UNO versteht.

Dies zu begreifen ist besonders in Deutschland wichtig, wo im allgemeinen Verständnis die UNO immer noch gerne als eine überstaatliche letzte Instanz angesehen wird. Das ist eben der Irrtum!

Für den Krieg in der Ukraine gilt somit, was schon vor Jahrtausenden galt: Das Recht des Stärkeren. Das mag einem sicher nicht gefallen. Aber den Aggressor aus dem Kreml wird man nach irdischen Maßstäben nur dann zur Rechenschaft ziehen können, wenn man am Ende stärker ist.

Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

Gaudium et Spes. Die Kirche in der Welt von heute. 1965

"Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist." (80)

Oftmals war und ist von Kollateralschäden die Rede, sofern bei der Bekämpfung legitimer militärischer Ziele Nichtkombattanten, also Zivilisten, zu Tode kommen. Davon kann bei der jetzigen Kriegsführung der Streitkräfte der Russischen Föderation in der Ukraine nicht die Rede sein. Es ist die Bekämpfung und Vernichtung ganzer Städte und ihrer Bevölkerung an sich, also direktes Ziel. Wer unterschiedslos darauf abstellt, begeht ein Verbrechen. Klarer und eindeutiger kann die kirchliche Position in diesem Zusammenhang nicht sein.

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, wird sich von dem Spruch des Internationalen Gerichtshof (Den Haag) nicht beeindrucken lassen. Rechtsstaat und unabhängige Gerichte sind seinem Denken eher fremd. Trotzdem, hier das Dokument, mit dem es gilt zu argumentieren, wenn es um den Angriffskrieg der Russischen Streitkräfte auf die Ukraine geht.

Hier der Wortlaut https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/182/182-20220316-ORD-01-00-EN.pdf?fbclid=IwAR1fSFwehs22GeTsyfGNBQ-e_lUFLEu2wvHJU6qAM1DKhX6WzkL0-MoH7Xw


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