Lebenskundlicher Unterricht – Teil der soldatischen Ausbildung
Für „den Staatsbürger / die Staatsbürgerin in Uniform” stehen Lebens- und Weltverantwortung in einer besonderen Beziehung zu den militärischen Pflichten. Die Meinungsvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft fordert gerade Soldatinnen und Soldaten heraus, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und die eigene Lebensorientierung zu reflektieren, um moralisch urteilen und handeln zu können. Bei Einsätzen in Krisen- und Bürgerkriegsregionen geraten sie mitunter in lebensgefährliche Lagen und machen entsprechende Grenzerfahrungen.
Insoweit gewinnt der Lebenskundliche Unterricht (LKU) als Teil der Gesamterziehung der Soldatinnen und Soldaten und als übertragene Sonderaufgabe für die Militärseelsorge zusätzlich an Bedeutung. LKU ist kein Religionsunterricht, wird aber in der Regel von Militärseelsorgerinnen und -seelsorgern und besonders qualifizierten Lehrkräften während der Dienstzeit erteilt.
77 Leitbegriffe
Unsere Handlungen haben weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf unsere unmittelbaren Mitmenschen, sondern auch auf Menschen in fernen Ländern und zukünftige Generationen. Selbst beim simplen Einkaufen werden die komplexen Zusammenhänge offensichtlich. Doch wie sollen wir uns verhalten? Hier bietet der Ethik-Kompass Orientierung. In anschaulicher und praxisnaher Weise erklären die Autoren 77 der wichtigsten Grundbegriffe für ein ethisch verantwortungsvolles Handeln in der heutigen Zeit.
Das „Lexikon der Ethik“ war von Mai 2007 bis April 2014 eine Rubrik des Kompass. Soldat in Welt und Kirche. Jeden Monat wurde ein neuer Begriff aus dem alltäglichen Leben, vor allem aber aus den Spezialgebieten der (Friedens-)Ethik, erläutert.
Die verschiedenen Autoren veranschaulichen anhand von Beispielen und unter Einbeziehung von Bibeltexten oder philosophischen Gedanken verschiedener Epochen den jeweiligen Sachverhalt und verdeutlichen, welche Bedeutung er für die Leserinnen und Leser haben kann.
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A - E
"Anerkennung", Autor: Ebeling, Klaus, aus: Kompass 12/2011
Das Thema Anerkennung ist in allen Bereichen sozialen Lebens seit jeher präsent. Vor allem dort, wo Einzelne, Gemeinschaften oder Gesellschaften ihnen berechtigt erscheinende Ansprüche auf Anerkennung bzw. Respekt, Achtung, Ehre und Würde missachtet sehen.
Anders als in den traditional definierten Anerkennungsverhältnissen vormoderner Gesellschaften mit ihren rollengebundenen Identitätskonzepten berühren solche Anerkennungskonflikte unter den Bedingungen einer pluralistisch und individualistisch geprägten, zudem hochgradig dynamischen Moderne zunehmend auch den Kern unseres kulturellen und moralischen Selbstverständnisses. Auch da, wo sie – wie im Trash-TV – auf der Schwundstufe einer Konkurrenz um Aufmerksamkeitswerte ausgetragen werden.
Moral der Anerkennung
In Anknüpfung an die Versuche von Fichte (1762–1814) und Hegel (1770–1831), die Anerkennung freier Personen mit der ihrer sittlichen Verantwortung zusammenzuschließen und diese Anerkennungsstruktur durch geeignete Institutionen zu sichern, hat der Habermas-Schüler Axel Honneth zahlreiche Studien zur Anerkennungstheorie entwickelt (u. a.1992: Kampf um Anerkennung; 2000: Das Andere der Gerechtigkeit; 2010: Das Ich im Wir). In ihnen bemüht er sich, beidem gerecht zu werden: dem vernünftigen Interesse an allgemein verbindlichen Handlungsnormen und dem existenziellen Interesse am eigenen guten Leben. Anerkennung zielt sonach auf eine „wechselseitige Respektierung zugleich der Besonderheit und der Gleichheit aller anderen Personen" (2000: 175). Damit deren Maximen sowohl zur kritischen Beurteilung bestehender Anerkennungspraktiken taugen, als auch real mögliche Selbstverwirklichungsperspektiven umreißen können, dürfen sie weder zu abstrakt noch zu konkret definiert werden. Dies „rechte Maß" auszuloten, ist freilich eine riskante Angelegenheit; sie fordert nicht zuletzt die transparente Organisation fortlaufend kritischer Verständigungsprozesse.
Hierzu leistet Honneths Bestimmung des „moral point of view" durch drei Formen der Anerkennung einen erhellenden Beitrag: Auf der ersten Stufe des praktischen Selbstverhältnisses geht es demnach um die Wahrnehmung des Menschen als bedürftige Kreatur, um die „konditionale, weil emotionsgebundene Sorge um das Wohlergehen des anderen um seiner oder ihrer selbst willen" (2000: 187) – d. h. um Gestalten der Liebe und Selbstvertrauen. Die zweite Stufe ist wesentlich auf den Gedanken moralischer Zurechnungsfähigkeit sowie Fragen der Vereinbarkeit von Selbstbestimmungsansprüchen fokussiert: Wie vor allem ist zu erreichen, dass auf die Selbstachtung von Personen als Zwecken in sich selbst gegründete, gleichberechtigte Ansprüche auch durch gesellschaftliche bzw. staatliche Institutionen verlässlich geschützt werden? Für Recht und Gesetz ist die Beantwortung dieser Frage vornehmste Aufgabe. Auf der dritten Stufe sind schließlich Solidarität und Selbstwertgefühl das Thema, d. h.: eine wiederum „konditionale, weil wertgebundene Sorge um das Wohlergehen des anderen um unserer gemeinsamen Ziele willen" (a. a. O.); Anerkennung verdient hier jemand also aufgrund seiner besonderen, für eine konkrete Gemeinschaft wertvollen Fähigkeiten.
Anerkannte (Un-)Abhängigkeit
Die umrissene Anerkennungstheorie lässt sich kritisch auch gegen eine „Politik der Differenz" wenden, insofern sie den Schutz kollektiver Identitäten (z. B. von ethnischen und kulturellen Minoritäten) in den Konflikt mit dem modernen Würdediskurs treibt, der individuelle Autonomie priorisiert (vgl. Ch. Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Mit einem Beitrag von J. Habermas, 1993).
Für eine ganz andere Art der „Störung" reziproker Anerkennung dagegen muss (auch im Blick auf Honneth) nachdrücklich geworben werden, weil lebendige Gemeinschaftsbeziehungen auf sie angewiesen sind. Gemeint sind „Tugenden der anerkannten Abhängigkeit", die über ausbalancierte Praktiken des Gebens und Nehmens hinausführen. Wo nämlich mit menschlichen Gebrechlichkeiten und Behinderungen und daraus sich ergebenden Abhängigkeiten umzugehen ist, sind auch Handlungsweisen dringend zu fordern, „die zugleich gerecht, großzügig und wohltätig sind sowie aus Mitleid heraus geschehen" (A. MacIntyre, Die Anerkennung der Abhängigkeit 2001: 144).
Über die Bedeutung zuvorkommender Liebe und Anerkennung gibt auch das Neue Testament vielfältig Auskunft. Mit dem (erneuten?) Studium des Gleichnisses vom verlorenen Sohn und von der zuvorkommenden Liebe des Vaters (Lk 15,11–32) könnte man anfangen.
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter für den Forschungsschwerpunkt Ethik und Innere Führung im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
"Armut", Autor: Gillner, Dr. Matthias, aus: Kompass 11/2010
Armut hat viele Gesichter: Hunger und Durst, Krankheit und Obdachlosigkeit gründen auf materieller Not, auf dem Fehlen von Nahrung und Kleidung, von Unterkunft und Geld. Erlitten wird sie oft in einem Umfeld brutaler Gewalt. Soziale Not zeigt sich in langfristiger Arbeitslosigkeit, in geringer Bildung oder in schlechten Wohnverhältnissen. Besonders Kinder verspüren die Auswirkungen von minderwertiger Kleidung, fehlendem Urlaub oder dem Ausschluss von sportlichen und kulturellen Freizeitaktivitäten. Eine andere Art von Armut ist die seelische Not, die auch wohlhabende Schichten erreicht. Sie äußert sich in emotionaler Verarmung und geistiger Verödung, in moralischer Verwahrlosung oder gar im Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins.
Erzwungene Armut
Armut ist nicht einfach ein naturgegebenes Schicksal, sie wird zumeist politisch und ökonomisch erzwungen. Absolute Armut bedroht die physische Existenz der Menschen unmittelbar. Ihr Begriff verweist auf das zum Leben unbedingt Nötige, auf die Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln, existenziellen Bedürfnisgütern und elementarer Gesundheitsfürsorge. Als Indikatoren werden vor allem ein sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen, eine geringe Lebenserwartung und eine hohe Kindersterblichkeit angeführt. Relative Armut beschränkt das persönliche Leben und die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen. Ihr Begriff bezieht sich auf eine große soziale Benachteiligung, auf die ungleiche Verteilung von Chancen zur beruflichen Qualifizierung oder zur Erreichung gesellschaftlicher Positionen. Als Indikator gilt meist ein Einkommen, das weniger als 50% (OECD-Skala) oder 60% (EU-Skala) des mittleren Einkommens der Bevölkerung des Landes beträgt. Da die Einkommensarmut den tatsächlichen Lebensstandard nur unzureichend wiedergibt, müssen andere Faktoren wie Vermögen, Integration in den Arbeitsmarkt, Bildungsstand oder Gesundheitsversorgung mitberechnet werden. Einschränkende materielle Ressourcen und sozio-kulturelle Bedingungen verstärken sich wechselseitig und führen in einen „Teufelskreis der Armut“.
Freiwillige Armut
Armut kann aber auch frei gewählt werden. In der Form von Askese (griech. Übung) kennzeichnet sie das Lebensideal mehrerer philosophischer Schulen (Kynismus, Stoa) und diverser Strömungen in den Religionen (z. B. die Bettelmönche im Hinduismus und Buddhismus oder der Derwisch-Orden im Islam). In der Geschichte des Christentums haben sich aus verschiedenen Gründen unterschiedliche Formen des Armutsideals entwickelt: Verzicht auf Besitz zugunsten der Armen (Urgemeinde), als Zeichen der Weltentsagung und Offenheit für Gott (erste Mönche) oder in der Nachfolge des armen und leidenden Christus (Bettelorden). Letztere kann besonders heute – um der Freiheit und der Spiritualität des Menschen, um des Erhalts der Schöpfung willen – zu einer Kultur des Konsumverzichts inspirieren.
Option für die Armen
Die erschreckende Not vieler Menschen innerhalb unserer Gesellschaft und das skandalöse Massenelend in zahlreichen Ländern und Regionen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens fordert moralisch eine Parteinahme zugunsten der Armen. Sie verlangt die Bekämpfung der strukturellen Ursachen und innerstaatlich wie international den Aufbau einer Wirtschaftsordnung, die sich an fairer Chancengleichheit und einer gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen orientiert. Sie erwartet aber auch von den privilegierten Personen, Schichten und Staaten tätige Solidarität und die Bereitschaft zum Teilen.
Für den Christen gründet die Option für die Armen auf der Gerichtsrede des Matthäus-Evangeliums (Mt 25,34–40), in der die gelebte Parteilichkeit für den Geringsten nicht nur zu einem Ort der Gottesbegegnung, sondern von Jesus Christus zum Kriterium für die „Entscheidung über die endgültige Gottesgemeinschaft der Menschen“ (Wort des Rates der EKD und der DBK: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, 1997, 106) erhoben wird.
Dr. Matthias Gillner ist Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
"Autonomie", Autor: Koch, Dr. Bernhard, aus: Kompass 03/2011
Wenn bei öffentlichen Demonstrationen „vermummte Autonome“ Polizisten angreifen, dann wird es sich wahrscheinlich nicht um genau die Art von Autonomie handeln, die der Philosoph im Sinn hat, wenn er über diesen Begriff spricht, und doch sind sie keineswegs völlig verschieden: Autos heißt selbst, wie in Automotor, dem Selbstbeweger, oder Autogramm, die eigene Unterschrift. Nomos heißt Gesetz, wie in Astronomie, die die Gesetze der Sternenbahnen untersucht. Autonomie bedeutet also Selbstgesetzgebung, der Gegenbegriff ist Heteronomie: Fremdgesetzgebung.
Eine Moralität, die sich von den Geboten anderer her speist, und seien es die Gebote Gottes oder des kirchlichen Lehramts, ist heteronomisch.
Autonomie und sittliche Bindung
Immanuel Kant lehnt mit vielen neuzeitlichen Philosophen eine außengesteuerte Lebensführung ab. Insofern berufen sich die „Linksautonomen“ nicht ganz zu Unrecht auf diesen Begriff. Aber Autonomie heißt in der Lehre der Sittlichkeit nicht Willkür oder Anarchie (Herrschaftslosigkeit), sondern die freie Selbstbindung des Menschen, insofern er vernünftige Gesetze befolgen kann.
Deshalb kann auch für Kant Autonomie nicht unabhängig vom sittlichen Imperativ gedacht werden: „Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, also so, dass die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien“. Für Kant kommt die Autonomie dort zur Vollendung, wo eine Person am entschiedensten in Freiheit das Gebot der Sittlichkeit akzeptiert.
Diese Autonomie ist „der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“ Die erste Autonome der abendländischen Geistesgeschichte ist Sophokles‘ Tragödienheldin Antigon: Entgegen dem heteronomen Verbot des Königs, ihren Bruder zu bestatten, tut sie es trotzdem, weil sie damit dem höheren Gesetz der Götter folgt, das ihr eigenes ist, weil sie es „sich ganz zu eigen gemacht hat“ (vgl. Chr. Menke).
Autonomie und religiöse Bindung
Autonomie verlangt also, dass „sittliche Bindung den Charakter von Selbstbindung annimmt“ (L. Honnefelder). Für die Philosophen der antiken Schule der Stoiker, von denen Kant gelernt hat, ist Autonomie daher die Akzeptanz der Vernunftgebote. Aber das Vernünftige gilt in dieser Sicht als etwas, das dem Menschen voraus liegt, das er zwar erkennen kann, das er aber nicht selbst schafft. Insofern die Vernunft eine Art göttlicher Anteil am Menschen ist, sind die Vernunftgesetze selbst göttlich. Sie sind dann die eigentlichen Gebote Gottes, und Autonomie fällt mit der göttlichen Heteronomie zusammen. Aber diese Lehre ist für uns in mindestens einer Hinsicht problematisch geworden: in der Annahme einer‚ allgemeinen (material bestimmten) Vernunft‘. Philosophen des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass Vernunft und Sprache so eng beieinanderliegen, wie es das griechische Wort ‚logos‘, das beides bedeutet, von jeher ausgesagt hat. Sprachentwicklung ist daher auch Vernunftentwicklung, und da wir Sprache in einer Gemeinschaft erlernen, erlernen wir auch den Vernunftgebrauch in einer Gemeinschaft. Das Vernünftige liegt uns nicht mehr so voraus, dass wir es nur in autonomer Akzeptanz annehmen müssten, sondern wir verstehen mehr und mehr, dass wir auch selbst schöpferischen Anteil an den Prozessen haben, durch die sich Vernunft ausbildet. Autonomie bekommt also zusätzlichen Stellenwert als Notwendigkeit der Selbstsetzung, wie sie in der Renaissancephilosophie, z. B. bei Pico della Mirandola („Über die Würde des Menschen“), schon angedacht ist. Darin liegt auch eine Herausforderung für das Denken über Gott, das immer auch ein Denken über den Menschen ist. Häufi g verstehen sich Menschen in ihren Religionen als Befehlsempfänger Gottes, und es verwundert dann nicht, dass angesichts der überwältigenden Macht des Höchsten diese Befehle so aufgefasst werden, als müssten sie unbedingt, zu jeder Zeit, fanatisch durchgesetzt werden. Der Autonomiebegriff bringt aber ein anderes Selbstverständnis ins Spiel: das des Selbstschöpfers.
Und es darf schon gefragt werden, ob nicht Gott noch einmal höher gedacht wird, wenn wir ihn nicht von seiner Fähigkeit her, Befehle zu erteilen, verstehen, sondern als den, der den Menschen in diese Autonomie entlassen hat (können).
Dr. Bernhard Koch ist Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg
"Barmherzigkeit", Autor: Behnen, Judith, aus: Kompass 04/2011
Einmal angenommen, jemand überweist eine Spende an ein kirchliches Hilfswerk und erhält einen Brief, in dem steht: „Ganz herzlichen Dank für Ihre Barmherzigkeit mit den Hungernden und Notleidenden in Afrika.“ Wahrscheinlich würde er denken: „Mein Gott, das klingt ja ganz schön altmodisch!“ Oder der Inhalt wäre so formuliert: „Ganz herzlichen Dank für Ihre Solidarität mit den Menschen in Simbabwe, die seit Jahrzehnten unter einem massiven Unrechtsregime leiden.“ Vielleicht würde ihm dann durch den Kopf gehen: „Na ja, ein bisschen dick wird schon aufgetragen, schließlich habe ich nur etwas Geld gespendet.“
Was genau bedeuten Barmherzigkeit und Solidarität? Und wie unterscheiden sie sich? Eine erste, eher intuitive Antwort könnte lauten: „Solidarität ist politisch, Barmherzigkeit sind gute Taten aus Nächstenliebe.“ Oder alternativ: „Barmherzigkeit ist der gut gemeinte Tropfen auf den heißen Stein, Solidarität dagegen zielt auf die Wurzeln gesellschaftlicher Ungerechtigkeit.“ Ist die Geldspende dann doch Barmherzigkeit? Und die Unterschriftenliste zur Rettung des Regenwaldes Solidarität?
Barmherzigkeit
Im Alten Testament ist Barmherzigkeit ein Attribut Gottes. Auch wenn sein Volk sich von ihm abwendet, ihn vergisst und um das goldene Kalb tanzt: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott“ (Ex 34,6). Barmherzigkeit ist eine liebende Zuwendung, die außer Acht lässt, ob der Empfänger sie verdient hat oder nicht. Barmherzigkeit ist ungeschuldet, sie lässt sich nicht einfordern. Im Neuen Testament predigt Jesus die Barmherzigkeit als Grundhaltung im mitmenschlichen Umgang: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Weil Gott dem Menschen gegenüber barmherzig ist, sollen auch wir unseren Nächsten mit Barmherzigkeit begegnen. In der kirchlichen Tradition bilden sich entsprechend sieben Werke der Barmherzigkeit heraus: Hungrige speisen, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten, Almosen geben. Barmherzigkeit ist die selbstlose Form der Liebe, mit der ich mich einem anderen zuwende, der in Not geraten ist und meine Hilfe braucht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Notleidende seine missliche Lage selbst verschuldet hat oder nicht. Die bedingungslose Hilfe ist das Markenzeichen der Barmherzigkeit.
Solidarität
Solidarität dagegen ist zunächst der Zusammenhalt von Mitgliedern einer Gruppe oder Gesellschaft. „Einer für alle und alle für einen“ – dieser Wahlspruch der drei Musketiere trifft den Kern von Solidarität. Als Mitglied einer Solidargemeinschaft leiste ich meinen Beitrag und erwarte im Gegenzug, dass sie für mich da ist, wenn ich sie brauche. Solidarität beinhaltet eine soziale Verpflichtung und einen sozialen Anspruch. Als politische Forderung stammt der Begriff aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. In der katholischen Soziallehre hat Oswald von Nell-Breuning die Solidarität – neben Personalität und Subsidiarität – als eines von drei ethischen Grundprinzipien herausgearbeitet. Mit dem Argument der gleichen Würde aller wird die Solidargemeinschaft auf die gesamte Menschheit ausgeweitet. Wenn eine brasilianische Plantagenarbeiterin zu unmenschlichen Bedingungen arbeiten muss, dann hat auch sie einen Anspruch auf meine Solidarität – analog zur Nachbarin zu Hause, die mit ihrer kleinen Witwenrente von Altersarmut bedroht ist. Wer solidarisch ist, ergreift Partei. Christliche Solidarität betont dabei vor allem die Option für die Armen: Die Perspektive der Armen, Entrechteten und Ausgegrenzten soll das mitleidende Fühlen, politische Denken und soziale Handeln bestimmen.
Solidarität und Barmherzigkeit stehen in keinem Gegensatz zueinander, sondern können sich sehr gut ergänzen. Beides löst eine Zuwendung zu den Armen und Bedürftigen aus und will deren Situation verändern. Die Antwort der Notleidenden bleibt in jedem Fall gleich: „Vielen Dank für Ihre Hilfe!“
Zur Autorin: Judith Behnen, Diplom-Theologin und PR-Beraterin, leitet die Öffentlichkeitsarbeit der Jesuitenmission, dem Hilfswerk der Jesuiten weltweit.
Auch wenn der Begriff selbst in vielen Nachschlagewerken der Ethik nicht zu finden ist und als eigener Terminus lange Zeit keine besondere Rolle spielte: Bedürfnisse sind ein anthro-pologisches Faktum, die Frage nach ihrer Entstehung, Bewertung und Erfüllung moralisch höchst bedeutsam. Welchen Bedürfnissen soll entsprochen werden, welchen nicht? Gibt es menschliche Grundbedürfnisse, können sie kategorisiert oder vielleicht sogar hierarchisiert werden? Welche Bedürfnisse sind natürlich gegeben, welche sind künstlich erzeugt? Oder wann zeigen Bedürfnisse doch nur eine „Unterwerfung unter die Macht der Knappheit“ (Marianne Gronemeyer) an, denen durch Verzicht widerstanden oder deren Befriedigung zumindest begrenzt werden muss?
Körperliche und seelische Bedürfnisse
- Der Begriff des Bedürfnisses ist mehrdeutig. Zum einen verweist er auf die Erfahrung eines physischen oder psychischen Mangels, auf das, was der Mensch zum Überleben oder zum guten Leben braucht. Zum anderen enthält er auch das Verlangen zur Beseitigung des Mangels. Bedürfnisse können sich auf beliebig viele Dinge beziehen und sich auf unterschiedlichen Ebenen äußern: körperlich (Bewegung, Schlaf) oder geistig (Bildung), individuell (Selbstentfaltung) oder sozial (Anerkennung), aber auch religiös (Glaube).
Weil von der Erfüllung elementarer Bedürfnisse ein menschenwürdiges Leben abhängt, ist es notwendig, allgemeine menschliche Grundbedürfnisse herauszuarbeiten, existenzielle Bedürfnisse von weniger dringlichen Luxusbedürfnissen abzugrenzen. Dabei können sie eher abstrakt formuliert werden – wie die Hierarchie der Grundbedürfnisse von Abraham H. Maslow:
1. physiologische Bedürfnisse,
2. Bedürfnisse nach Sicherheit,
3. nach Zugehörigkeit,
4. nach Anerkennung,
5. nach Selbstentfaltung –
oder sehr konkret: Nahrung, Kleidung, Unterkunft, medizinische Versorgung, Freiheit, Sicherheit und Arbeit.
Dennoch besteht bei jeder festlegenden Kategorisierung oder Rangordnung die Gefahr von sozialem Paternalismus oder kulturellem Imperialismus.
„Wahre“ und „falsche“ Bedürfnisse
Bedürfnisse entstehen nicht einfach bloß im „Inneren“ des Menschen (z. B. Hunger) und zielen danach auf ein konkretes Objekt (z. B. eine leckere Speise), sie werden auch von außen angeregt, wie etwa durch ein gutes Buch das Bedürfnis zum Lesen. Die Wirkung der Umwelt auf den Menschen eröffnet allerdings Möglichkeiten zur Verführung und Manipulation. Der Duft einer Zigarette etwa kann zum Rauchen verleiten und eine raffinierte Werbung das Kaufbedürfnis hervorrufen. Die geplante und gesteuerte Erzeugung von immer neuen künstlichen Bedürfnissen beim Konsumenten führte u. a. bei Herbert Marcuse zur Unterscheidung von „wahren“ und „falschen“ Bedürfnissen. Trotz nachvollziehbarer Einwände an dieser begrifflichen Unterscheidung sensibilisiert sie doch (auch heute noch) für die dehumanisierenden Gefährdungen von „innerer Freiheit“ und menschlicher Autonomie.
Bedürfnisentgrenzung und
Bedürfnisarmut
Die merkantilistische Wirtschaftsförderung (17. und 18. Jh.) und die industrielle Revolution (19. Jh.) führten zu einer erheblichen Steigerung und Erweiterung menschlicher Bedürfnisse. Während Vertreter der Aufklärung dies als Grundlage des kulturellen Fortschritts begriffen (Tetens, Garve) und Hegel die Vervielfältigung der Bedürfnisse als Emanzipation aus dem unfreien Zustand einfacher Naturbedürfnisse begrüßte, beklagten romantisch-konservative Kreise deren gesellschaftsnivellierende (Leo) und kulturgefährdende Folgen (Novalis).
Aufgrund der Entgrenzung materieller Bedürfnisse mit ihren umweltzerstörenden und zukunftsbelastenden Auswirkungen verklären gegenwärtig einige das Rousseausche Ideal eines bedürfnisarmen menschlichen Naturzustandes. Andere wiederum verachten gar – wie einst Diogenes und die antiken Kyniker – generell Bedürfnisse nach Besitz, Ansehen und Macht.
In jedem Fall aber steht die Art und Weise der Erfüllung unserer Bedürfnisse unter dem Anspruch moralischer Bewertung. Sie lässt sich nämlich nur dann rechtfertigen, wenn die damit verbundenen Folgen gegenüber den Mitmenschen und den nachfolgenden Generationen auch verantwortet werden können.
Dr. Matthias Gillner ist Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Es gibt Texte, biblische zumal, gegenüber denen man sich kaum neutral verhalten kann. Zu ihnen gehört die Bergpredigt, die im Neuen Testament, und zwar im Matthäusevangelium in den Kapiteln 5 bis 7 steht. Der kürzere, etwas weniger bekannte Paralleltext, die sogenannte Feldpredigt findet sich im Lukasevangelium im Kapitel 6,20–49. Die nichtbiblische Bezeichnung Bergpredigt bezieht sich auf den einleitenden Vers: „Als aber Jesus die vielen Volksmengen sah, stieg er auf den Berg hinauf“ (Mt 5,1a). In vielen deutschsprachigen Übersetzungen heißt es zwar „auf einen Berg“, aber die im Griechischen stehende Wendung „auf den Berg“ versucht, Jesus ähnlich wie Mose auftreten zu lassen (vgl. Ex 19,3). Auf diese Weise wird eine Verbindung zum Berg Sinai hergestellt. Dass Jesus als neuer Lehrer des Volkes vorgestellt wird, bringt der scheinbar etwas umständlich formulierte, aber die Lehrautorität hervorhebende Satz zum Ausdruck: „Und nachdem er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm heran, und er öffnete seinen Mund und lehrte sie, indem er sagte.“
Die Seligpreisungen
Inhaltlich wird die Bergpredigt durch die neun Seligpreisungen eröffnet, die jeweils mit der Redewendung beginnen: „Glückselig die, welche …“.
Die Seligpreisungen sind jedoch ursprünglich nicht in erster Linie auf den politischen Bereich hin zu verstehen, wenngleich dies grundsätzlich nicht auszuschließen ist (Ulrich Luz), sondern eher auf gemeindliche Auseinandersetzungen bei der Herausbildung erster eigenständiger christlicher Gemeinden. Dass es bei christlichen Gemeinden nicht auf Masse, sondern auf Authentizität und Anziehungskraft ankommt, äußert sich in den Würde und Bürde zugleich enthaltenden Feststellungen „Ihr seid das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“. Ziel ist, dass derartige Gemeindeglieder Menschen zum unwillkürlichen Lob des himmlischen Vaters anregen. Die von dem Autor des Matthäusevangeliums wie eine Symphonie komponierte Bergpredigt legt größtes Augenmerk darauf, dass Jesus in der jüdischen Tradition fest eingewurzelt bleibt: „Meint nicht, ich sei gekommen, aufzulösen das Gesetz und/oder die Propheten“ (Mt 5,17). Gesetz steht für die Tora und die Wendung „Gesetz und die Propheten“ (vgl. Mt 7,12) für kanonisch zu wertende Schriften des sich herausbildenden (rabbinischen) Judentums, die später auch Teil der einen zweigeteilten christlichen Bibel werden.
Antithesen
Die sogenannten sechs Antithesen bezüglich Töten, Ehebruch, Ehescheidung, Schwören, Vergeltung und Feindesliebe enthalten keine neuen, noch nie gehörten Lehren, sondern profilieren sie vielmehr, und zwar auch in dieser Zusammenstellung. Antithesen werden die jeweiligen Textpassagen für gewöhnlich deswegen genannt, weil sie in der Regel mit einem „Ihr habt gehört“ eingeleitet und mit einem „Ich aber sage euch“ erläutert und zugespitzt werden.
Weitere Themen
Andere Textabschnitte widmen sich dem Almosengeben, dem Gebet (Vaterunser), dem Fasten, den vergeblichen oder notwendigen Sorgen, dem geschwisterlichen Richten, dem Umgang mit dem Heiligen, dem rechten Vertrauen und den falschen Propheten. So wird deutlich, dass die Weisungen der Bergpredigt für einen Menschen, der sich an ihnen ausrichtet, äußerst anspruchsvoll sind und sich nicht auf „Ethik“ oder „Innerlichkeit“ reduzieren lassen. Das Bild von den beiden Wegen (vgl. Ps 1) macht darauf unmissverständlich aufmerksam: Auf dem breiten Weg, der ins Verderben führt, gehen viele, auf dem schmalen wenige (Mt 7,13f). Was es aber bedeuten kann, den Worten Jesu zu folgen oder ihnen sich zu verschließen, veranschaulicht die Rede von dem Haus auf dem Fels und dem sprichwörtlich gewordenen auf Sand gebautem Haus (Mt 7,24–27).
Goldene Regel
Die Goldene Regel (Mt 7,12; Lk 6,31) ist ein sehr gewichtiger Rat, welcher eine Zielrichtung der Bergpredigt zu bündeln vermag (vgl. Tobit 4,15a): „Alles nun, was ihr wollt, wie die Menschen mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um“. Der meist beim Zitieren unterschlagene Nach-Satz „Denn dies ist das Gesetz und die Propheten“ schiebt einen Riegel dem Missverständnis vor, hierbei gehe es um „eine Hand wäscht die andere“. Dass Menschen, seien sie gebildet oder nicht, unterscheiden können zwischen dürren Richtigkeiten und wirkmächtiger Wegweisung, verdeutlicht die Reaktion der Hörer auf die Worte Jesu: Sie waren angesprochen außer sich; denn er lehrte wie einer, der wirklich etwas vollmächtig zu sagen hatte.
Prof. Dr. habil. Thomas R. Elßner, Pastoralreferent, Katholisches Militärpfarramt Koblenz III
„Böse“ ist ein absolutes Wertwort. Es beschreibt keinen Sachverhalt, sondern spricht ein moralisches Urteil aus, näherhin eine negative, ablehnende Wertung – wie auch die Wörter „schlecht“ und „falsch“. Im Unterschied zu ihnen ist aber die Abwertung nicht relativ, also auf etwas Bestimmtes bezogen und auch darauf beschränkt, sondern sie gilt absolut. Man kann sich schlecht benehmen oder einen Auftrag falsch erfüllen, aber damit ist man nicht böse. Das Wort „böse“ gilt eben ohne Einschränkung, das so Bezeichnete ist in jedem Fall böse und kann auch nicht entschuldigt werden. Daher sollte man ein ungezogenes Kind nicht böse nennen. Wohl aber ist zu fragen, ob bestimmte Handlungen (wie der Holocaust) oder auch deren Täter als böse bezeichnet werden dürfen.
Erfahrungen des Bösen
Diese Frage richtet sich zum einen auf unser Erkennen: Können wir von uns aus das Absolute erfassen und mit unseren Worten darüber verfügen? Zum anderen richtet sich die gestellte Frage auf die Wirklichkeit: Begegnet uns in unserer begrenzten Welt etwas, das absolut böse ist? Die Bibel bejaht die zweite Frage, indem sie uns in zwei Horizonte einweist: Für das Danielbuch ist das Böse als eine gegen Gott und sein Volk gerichtete Macht wirksam; es sind politische Herrscher, die in plastischen Bildern mit monströsen Tieren verglichen werden (Dan 7). Für Paulus hingegen ist es eine innere Kraft im Menschen, die ihn gegen bessere Einsicht und guten Willen zum bösen Tun verleitet: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7,19).
In beiden Fällen erscheint das Böse als eine Macht, die stärker ist als Menschen, der vielmehr Daniel und Paulus weitgehend hilflos gegenüberstehen. Vom Bösen in mir wie in der Welt müssen wir erlöst werden – und zwar durch Gott als Richter, der das Böse endgültig vernichten wird (Daniel) und durch seinen Sohn Jesus Christus, der die Sünde überwunden hat (Paulus). Diese Einsicht hindert nicht unsere Versuche, das Böse einzudämmen – im politischen Bereich durch die Obrigkeit (Röm 13), im persönlichen Bereich durch den gelebten Glauben. Aber sie markiert die Begrenztheit unseres Handelns. Wer diese Grenze missachtet, steht sogar in der Gefahr, als Tyrann oder Selbstgerechter das Böse zu unterstützen.
Angesichts dieser Erfahrungen des Bösen als einer (äußerlich und innerlich wirkenden) Macht und angesichts der absoluten Wertung, die im Wort steckt, spricht die Bibel bisweilen vom Bösen als Person (der Teufel) und beantwortet so die erste Frage. Besonders markant redet das Hiobbuch vom Teufel, der mit Gottes Erlaubnis den frommen Hiob quälen darf. Allerdings ist der Teufel für Hiob selbst keine greifbare Gestalt; er denkt nicht über gefallene Engel oder Nebenbuhler Gottes nach, sondern hadert mit Gott, dessen Gerechtigkeit er nicht mehr erkennen kann, sogar anzweifelt. Daher sollten auch wir nicht über den Teufel spekulieren, sondern ihn als Metapher verstehen. Sie macht deutlich, dass manche Taten wirklich böse sind, dass sie zwar von Menschen ausgehen, aber über persönliche Schuld und Missetaten hinausgehen und dass das Böse nicht vom Menschen überwunden werden kann.
Erklärungen des Bösen?
In unserer Geistesgeschichte gibt es hilfreiche Gedanken, das Böse zu bestimmen. So betonte Augustinus: Das Böse ist keinesfalls eine schöpferische Macht neben Gott, sondern nur als Zerstörung der Schöpfung wirksam. Noch weiter ging Leibniz, der das Böse als „Rückseite“ der Endlichkeit und Freiheit des Menschen interpretierte und damit den perfekten Schöpfergott entschuldigen wollte. Allerdings stoßen solche Argumente an eine Grenze, weil auch sie keine vollständige Erklärung liefern. Wir haben das Böse nach wie vor nicht im Griff. Hannah Arendt hat dementsprechend das Böse mit einem Pilz verglichen: Es hat keine Wurzeln, doch ist es überall zu finden.
Auch die Bibel bietet keine endgültige Erklärung. Aber sie hält fest, dass Gott gegen das Böse steht und es im Jüngsten Gericht endgültig besiegen wird. Im Vaterunser beten Christen daher: „erlöse uns von dem Bösen“.
Zum Autor: Privatdozent Dr. Volker Stümke,
Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
"Diskurs", Autor: Koch, Dr. Bernhard, aus: Kompass 12/2012
Das Abendprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bietet gegenwärtig fast jeden Tag eine Talkshow zu Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Was als Forum kritischer Information und Meinungsbildung angekündigt wird, bietet allerdings meist nur ein Spielfeld, auf dem sich die Teilnehmer selbst darstellen können und das sie nutzen, um Zustimmung für sich oder zur Politik einer bestimmten Partei zu erreichen. Geht es dennoch in Ordnung, solche Veranstaltungen als Diskussionen oder Diskurse zu bezeichnen?
Denken im Dialog
Der Ausdruck ‚Diskurs‘ kommt aus dem Lateinischen: ‚discurrere‘ heißt ‚hin und her laufen‘. Diskurs ist also eine Situation, in der Redebeiträge wechselseitig aufeinander bezogen sind. Der Gegenbegriff wäre der des Traktats, eines Textes, der aus einer Quelle fortlaufend entwickelt wird. Und dort, wo Erkenntnis über wechselnde Rede, Argument und Gegenargument gewonnen wird, spricht man von diskursiver Erkenntnis. Der Gegenbegriff hierzu ist die intuitive Erkenntnis.
‚Diskurs‘ ist ein Lieblingsbegriff vieler Philosophen, und viele haben ihre Werke als „discorsi“ oder „discours“ über etwas bezeichnet. Im deutschen Sprachraum ist der Begriff des Diskurses in der Philosophie insbesondere mit den Namen Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas verbunden.
Argumentierende Kommunikation
Bei Habermas steht am Anfang die Einsicht, dass wir mit Sprache unterschiedliche Dinge tun können: Wir können andere bedrängen, sozial ausgrenzen oder einbeziehen, sie kränken und missachten, aber auch Sympathie und Achtung zum Ausdruck bringen. Und wir können behaupten: nicht nur uns selbst, sondern Tatsachen, Normen und unsere Einstellungen zu Sätzen. Wir stellen also Geltungsansprüche auf: „Dort hinten steht ein Pferd.“ Mit diesem Satz wird eine Tatsache behauptet und beansprucht, dass der Satz als wahr zu gelten habe. Eine andere Person kann den Satz dadurch prüfen, dass sie nachsieht, ob dort hinten tatsächlich ein Pferd steht.
Aber nicht bei allen Sätzen ist das so einfach: „Das Pferd muss gefüttert werden!“ Einen solchen Imperativ kann man nicht einfach direkt empirisch prüfen. Man könnte einwenden, es sei erst gefüttert worden oder es dürfe derzeit nicht so oft gefüttert werden wegen einer Erkrankung. Diese Dinge klären sich im Gespräch.
Aber nicht alle Dinge klären sich im Gespräch: Oft können sich Gesprächspartner nicht einigen – so wie in der Talkshow. Während diese meist auf den Dissens angelegt ist, empfinden wir im realen Leben den Dissens als Hindernis für unser Handeln. Hier setzt der Diskurs an: „Unter dem Stichwort ‚Diskurs‘ führe ich die durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation ein, in der problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden.“ (J. Habermas) Der Diskurs in diesem terminologischen Sinne kommt also erst dann ins Spiel, wenn das normale Gespräch in irgendeiner Weise daneben ging.
Diskurs ideal
„Der Diskurs ist eine spezielle Form der Kommunikation, mit der die Beteiligten auf spezifische Störungen ihrer Kommunikation reagieren“ (K. Günther), also eine Art Berufungsinstanz im kommunikativen Handeln. Damit er aber als solche funktionieren kann, darf er nicht die Fehler unserer Alltagskommunikation wiederholen, die darin bestehen, dass wir überreden oder gar überwältigen wollen. Wir müssen zumindest kontrafaktisch ein Moment der Herrschaftsfreiheit unterstellen und uns gegenseitig als autonome Diskursteilnehmer achten, um das Ziel des Diskurses, die Überwindung des Dissenses im begründeten Konsens, zu erreichen.
Der griechische Philosoph Platon hat in seinem Dialog „Theätet“ das Denken als „ein inneres Gespräch der Seele mit sich selbst über die Dinge, die sie betrachtet“ (189e), bezeichnet. Wir sind heute unsicher, ob die innere Abwägung ausreichen kann, um Geltungsansprüche zu rechtfertigen. Wer ernsthaft vorhat, sie wechselseitig zu prüfen, wird nicht umhinkommen, sich im Gespräch mit seinen Partnern auf Wahrheit (Richtigkeit) und Wahrhaftigkeit zu verpflichten. Dort wo von vornherein kein Diskursideal, sondern bloß ein Aufmerksamkeits- und Erregungsziel oder der eigene Vorteil erstrebt werden, dient Kommunikation strategischer Manipulation. Es ist schade, dass letzteres in den öffentlichen Medien viel häufiger demonstriert wird als die beglückende Erfahrung gelingender Diskurse.
Dr. Bernhard Koch ist Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden, Hamburg
Der Begriff Disziplin (lat. disciplina) begegnet uns in zweifacher Bedeutung. Zum einen bezeichnet er die Orientierung des Handelns an den vorgegebenen Regeln und Formen einer Gemeinschaft bzw. einer Gruppe, die normabweichendes Verhalten durch Sanktionen ahndet. In diesem Sinne sprechen wir von soldatischer Disziplin, kirchlicher Disziplin, aber auch vom disziplinierten Spiel einer Fußballmannschaft.
In ethischer Perspektive ist nach der Legitimität sowohl des jeweiligen Regelkomplexes als auch der Angemessenheit von Sanktionen bei Regelverstößen zu fragen.
Disziplin als Selbstbeherrschung
In einer anderen Bedeutung verstehen wir unter Disziplin Selbstbeherrschung als Kontrolle von Bedürfnissen, Affekten und Wünschen.
Disziplin als Tugend erläutert exemplarisch den Charakter der sogenannten „instrumentellen Tugenden“ (Richard M. Hare) oder „Vollzugstugenden (Onora O’Neill), die für erfolgreiches Handeln in allen Lebensbereichen wichtig sind. Insofern die alltägliche Erfahrung die Unverzichtbarkeit dieser Tugenden erweist, zu denen man nach O’Neill Selbstachtung, Entschlusskraft, Mut, Ausdauer, Sorgfalt und Genauigkeit u. a. zählen kann, erscheint ihre Rechtfertigung nicht problematisch. Ohne Disziplin kann kein Arzt seine Heilungsaufgabe erfüllen, ohne Disziplin wird keine Kandidatin „Germany’s Next Topmodel“. Ohne Disziplin wird aber auch keine Piratencrew erfolgreich vor dem Horn von Afrika Schiffe kapern.
Wirksames Handeln verlangt durchweg Disziplin, unabhängig von der sittlichen Qualität des jeweiligen Handlungszweckes. Eine instrumentelle Tugend wie die Disziplin motiviert aus sich heraus weder zum moralischem Handeln noch kann sie diesem Orientierung geben, wirksames moralisches Handeln ist jedoch auf sie angewiesen. Erst im Dienste ethisch geprüfter und gerechtfertigter Handlungsziele gewinnt also die in allen Lebensbereichen nötige Disziplin ihre moralische Qualität.
Disziplin und Maß
In der Tradition der Tugendethik ist immer wieder nach der Unterscheidung und Beziehung von Disziplin und Maß (lat. temperantia) gefragt worden. Die Tugend des Maßes, die traditionell zum Kanon der Kardinaltugenden gezählt wird, bezieht sich auf die natürliche Antriebsstruktur des Menschen, zu der Grundbedürfnisse wie Nahrung, Sexualität, soziales Prestige u. a. gehören. Sie zielt nicht auf die Negation dieser Bedürfnisse, sondern auf deren geordnete Befriedigung, die den kontraproduktiven und destruktiven Tendenzen einer ungeordneten Bedürfnisbefriedigung (welche auf Dauer und aufs Ganze die Genussfähigkeit selbst zerstört) entgegenwirkt, in erster Linie aber „... Handlungsfreiheit sichert, indem sie ihn (sc. den Menschen) in Distanz zu den eigenen vitalen Antrieben bringt. Nur so kann er sich zu ihnen verhalten.“ (Josef Schuster: Moralisches Können. Studien zur Tugendethik, S. 173 f.)
Die Tugend des Maßes ist deshalb in erster Linie kein „Instrument“ für erfolgreiches Handeln wie die Disziplin, sondern wesentlich durch den Bezug auf die Verwirklichung eines guten, eines vernünftigen, selbstbestimmten Lebens definiert.
Dass wir Menschen, die diszipliniert handeln und das rechte Maß kennen, loben und undiszipliniertes, maßloses Verhalten tadeln, zeigt: Disziplin ist keine natürliche Eigenschaft der Menschen, sie muss vielmehr erworben und eingeübt werden. Sicherlich kann der Wunsch z. B. nach beruflichem Erfolg, nach einer förderlichen Beurteilung ein wichtiges Motiv bilden, Disziplin zu entwickeln und einzuüben. Leicht fallen werden Disziplin und maßvolles Handeln jedoch demjenigen und derjenigen, deren Selbstverständnis vernünftigen Selbstbesitz beinhaltet und die eben deshalb ein geordnetes Verhalten zu ihren Affekten, Wünschen und Begierden als Tugend einüben.
Lothar Bendel
LWissDir i. K., Referatsleiter im Katholischen Militärbischofsamt
"Ehre", Autor: Bendel, Lothar, aus: Kompass 07-08/2011
Ehre meint in einer ersten Bedeutung die auf Anerkennung im Sinne sozialer Wertschätzung (guter Ruf / lat. fama) beruhende sittliche Selbstachtung. In einer weiteren Bedeutung umfasst der Begriff Ehrungen, die eine Gesellschaft für besondere Leistungen ihren Mitgliedern verleiht. In allen uns bekannten Gesellschaften fanden und finden regelmäßig ehrpolitische Debatten statt, die festlegen, wer für welche Leistungen besondere Anerkennung findet.
Ehre und Würde
In der aristotelisch-thomasischen Tradition ist die Ehre als guter Ruf ein anzustrebendes äußeres Gut. Für J. Messner (Kulturethik) gilt die Ehre als höchstes äußeres Gut, gar als Menschenrecht. Im Unterschied zur Würde als dem Vermögen der sittlichen Selbstbestimmung, die dem Menschen als Menschen zukommt, ist die Ehre auf die Zusprechung durch die Mitmenschen angewiesen und kann deshalb auch aberkannt werden.
Die Ehre gründet im Verdienst, sie ist „Preis der Trefflichkeit“ (Aristoteles) und „Lohn der Tugend“ (Thomas von Aquin). Ist die Ehre somit ein Urteil der Gesellschaft über die erworbene sittliche Qualität des Einzelnen, so hat jeder die Pflicht, diese in rechter Weise zu erstreben und zu bewahren. Die moraltheologische Tradition betrachtete die Bewahrung der Ehre und die Furcht vor Scham und Verlust des guten Rufes als wichtige extrinsische Motivation für pflichtgemäßes moralisches Handeln. Solches Handeln geschieht mithin nicht um der moralischen Pflicht willen.
Ehre in der Moderne
In modernen pluralen Gesellschaften, deren Rechtsordnung die Gleichheit aller vor dem Gesetz garantiert, ist nur ein an diese Elemente der antikmittelalterlichen Ehrkonzeption anknüpfendes „moralisches“, durch moralitätskonformes Handeln verdientes Ehrverständnis sachgerecht.
Dieses bezieht sich kritisch auf berufs und geburtsständische Ehrkodexe, die „sozial ortlos“ geworden sind und ihre Bedeutung für das Rangbewusstsein der Menschen verloren haben (W. Korff: Ehre, Prestige, Gewissen, 1965). Die Moralisierung des Ehrbegriffes bedeutet zugleich die Pazifizierung der im ständischen Ehrbegriff oftmals implizierten gewaltförmigen Mittel und Methoden des Ehrenschutzes. Bei Ehrverletzungen bleibt nur der Rechtsweg als Mittel zur Wiederherstellung der Ehre.
Soldatische Ehre
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist Ehre nicht länger ein zentraler Begriff der Ethik, auch nicht – trotz ihrer missbräuchlichen Wiederbelebung im Nationalsozialismus – im Zusammenhang soldatischen Handelns. Gleichwohl kann Ehre dann als Leitbild fungieren, wenn sie verstanden wird „als das unbeirrbare Gefühl für das, was Recht und Unrecht ist, das, was hebt und was herunterzieht“ (R. Guardini). Soldatisches Handeln hat sich nach einem solchen Ehrverständnis in allen Situationen an den Prinzipien der Moralität und Legalität zu orientieren. Die Forderung, dass der Dienst der Soldaten, der neben spezifischen Fähigkeiten auch Opfer- und Einsatzbereitschaft verlangt, eine besondere Ehrung verdient, ist in der Gesellschaft nicht mehr konsensfähig. Eine Verweigerung gar sozialer Wertschätzung durch die Gesellschaft aber kann Tendenzen zur Ausbildung einer militärischen Sonderkultur bewirken, die den Grundsätze der Inneren Führung widerspricht.
Lothar Bendel, LWissDir i. K., Referatsleiter im Katholischen Militärbischofsamt
"Eid", Autor: Bendel, Lothar, aus: Kompass 05/2010
Es werden zwei Formen des Eides unterschieden: der „assertorische Eid“, der die Wahrheit einer Aussage (etwa als Zeuge bei Gericht) zum Gegenstand hat und der „promissorische Eid“, der festlegt, dass bestimmte Handlungen oder Unterlassungen in Zukunft stattfinden werden. Zu letzterem gehören z. B. der politische Eid eines Amtsträgers, der Diensteid eines Beamten und der Soldateneid.
Ethische Perspektive
Jeder Eid hat die Form des Versprechens. Wer am „sozialen Brauch Versprechen“ (John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1979), S. 380ff) teilnimmt, anerkennt eine Erfüllungs- und Aufrichtigkeitspflicht hinsichtlich dessen, was versprochen wurde. Das Versprechen ist mithin eine soziale Handlung, die gegenseitiges Vertrauen schaffen und verlässliche Zusammenarbeit stabilisieren soll. Die Handlung „Versprechen“ kann nur gelingen, wenn sie freiwillig (Selbstverpflichtung) erfolgt und ausreichende Informationen darüber vorhanden sind, was Gegenstand des Versprechens ist.
Verlässlichkeit und Vertrauen sind allerdings auch für Verbrechersyndikate wichtige Erfolgskriterien. Deshalb ist zu ergänzen: dass nur eine ethisch zu rechtfertigende Handlung auch Gegenstand eines gültigen Versprechens sein kann.
Religiöse Perspektive
Der Eid ist definiert als eine feierliche Weise des Versprechens, für die feste Formen, Riten und ggf. eine Anrufung Gottes charakteristisch sind. Durch den Eid, auch den religiösen, entsteht aber kein Mehr an Verbindlichkeit gegenüber dem einfachen Versprechen. In jener moraltheologischen Tradition, die den Eid als Akt der Gottesverehrung versteht, ist die Anrufung Gottes als Zeugen jedoch auch für sein Zustandekommen konstitutiv. Man kann allerdings sagen, dass die Anrufung Gottes bei der Eidesleistung weniger die religiöse Affirmation einer durch das Versprechen gegebenen moralischen Selbstverpflichtung, sondern Ausdruck der Erfahrung moralischen Scheiterns und Schuldverstrickung ist, aus der heraus die helfende Zuwendung Gottes erbeten wird. So bedeutsam diese dem religiösen Eid zugrunde liegende Einsicht für die Menschlichkeit des Menschen und damit seiner Moralfähigkeit ist, kann der weltanschaulich neutrale Staat ihn seinen Bürgern nicht verpflichtend vorschreiben.
Rechtliche Perspektive
Während der falsche assertorische Eid eines Zeugen vor Gericht als Meineid sanktioniert wird, hat im Falle des promissorischen Eides von Amtsträgern oder Soldaten der so genannte Eidbruch keine rechtlichen Implikationen. Er ist eine Willensäußerung, durch die bekräftigt wird, die Pflichten zu erfüllen, die der Dienstherr festgelegt hat und deren Erfüllung auch ohne eidliche Bekräftigung gefordert ist. Die herrschende juristische Interpretation vertritt ein symbolisch-deklamatorisches Eidverständnis (Ernst Friesenhahn, Der politische Eid, 1928). Zweck des Eides ist hier die emotionale Bindung an einen vorgegeben Pflichtenkanon.
Der Soldateneid – ein Problem?
Der Eid als feierliches Versprechen hat weder selbstständige Rechtswirkungen, noch wird durch die Feierlichkeit des Versprechens dessen Verpflichtungsgrad verstärkt oder erweitert. Welche Rechtfertigung kann es dann für einen verpflichtenden Eid der Soldaten geben? Kann der Hinweis auf emotionale Wirkungen hier genügen?
Unstrittig ist das Interesse des Dienstherren an der moralischen Loyalität seiner Soldaten. Eine Institution, deren Mitglieder pflichtenkonform nur aufgrund von Sanktionsdrohungen handeln, wird auf Dauer die Fähigkeit verlieren, effektiv ihre Zwecke zu verfolgen. Unverzichtbar ist moralische Loyalität im Sinne einer durch Einsicht begründeten, inneren Bejahung dieser Pflichten. Der Eid zielt auf diese Loyalität, zu deren moralisch sachgerechten Verständnis jedoch der generelle Vorbehalt gehört, dass bei offensichtlich unsittlichen Befehlen diese Loyalitätspflicht nicht besteht. Die Geschichte belehrt uns freilich über die Gefahren einer „emotionalen Aufladung“ des Eides mit dem Ziel, eine Gehorsamsdisposition zu erzeugen, die auch noch in solchen Situationen für Gehorsam votiert, wo Ungehorsam moralische Pflicht wäre.
Lothar Bendel, LWissDir i. K., Referatsleiter im Katholischen Militärbischofsamt
"Empathie", Autor: Meier, Prof. Dr. Uto, aus: Kompass 01/2013
Daniel Goleman berichtet in seinem Weltbestseller „Emotionale Intelligenz“ (dt. 1995) von einer seltsamen Begebenheit aus dem Vietnamkrieg: In einem Gefecht zwischen Marines und Vietcong tauchten mitten in der Front sechs Mönche auf, die seelenruhig auf die Schusslinie zugingen und diese durchschritten. Ein Zeuge schrieb später dazu: „Es war ganz seltsam, aber keiner schoss auf sie. (…) Ich hatte keine Lust mehr [zum Kämpfen, U. M.]. So müssen es alle empfunden haben. (…) Wir stellten einfach den Kampf ein.“ (ebd. 149)
Es wird hier vielleicht deutlich, dass dieser Mut der Mönche zum gewaltlosen Tun anscheinend ansteckend wirkte und die „Rationalität“ beider Kriegsparteien erschütterte. Dieses Einfühlungsvermögen nennt man gemeinhin Empathie. Der altgriechische Begriff meint Fähigkeit zur „Leidenschaft“ (Em-patheia), die sich in ein Gegenüber hineinversetzen („Em-patheia“) kann. Das Oxford Dictionary of Philosophy definiert daher den Begriff als „The state of being emotionally and cognitively ‚in tune with’ another person, particulary by understanding what their situation is like from the inside”.
Empathie psychologisch
Seit den bahnbrechenden Versuchen von Giacomo Rizzolatti, der 1995 die Spiegelneuronen entdeckte, weiß man aus der Neurologie, dass wir Gefühle anderer (über nonverbale Mimik) zu unseren eigenen machen können: Lachen steckt an!. Schon bei Kleinkindern ist das bekannt. Einjährige weinen mit, wenn ein Spielkamerad hingefallen ist. Später, ab zwei Jahren, können Kinder ihre eigenen Gefühle von denen anderer unterscheiden und werden empfänglich für das Empfinden mit anderen und deren Bedürfnisse: nicht nur mitweinen, sondern ein Pflaster!
In der späten Kindheit können dann auch über die unmittelbare face-to-face-Empathie hinaus die Welt „mit den Augen der anderen“ aufgenommen und z. B. über Literatur und Kunst die Wahrnehmung anderer Erfahrungsräume mit- und nachempfunden werden. Man spricht hier von narrativer Empathie (Fritz Breithaupt), die über „dritte Blickwinkel“ Bewusstseinserweiterung (und gesellschaftliches Engagement) provozieren kann.
Der Begriff Empathie wird in der Psychologie für drei Dimensionen differenziert: „Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was ein anderer fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen …“ (Paul Ekman, Gefühle lesen, 2007: 249). Diese Fähigkeit zum Sehen und Fühlen „from the inside of another“ zeigt eine immense Bedeutung in allen Lebenskontexten: Partnerschaft und Beruf, Erziehung und Menschenführung, ja Ökonomie und Diplomatie können ohne Empathie kaum sinnvoll bestehen.
Hierzu wenige Ergebnisse der Empathieforschung: Rassisten kennen kaum (messbare) Empathie, sie verweigern Einfühlung in die Gefühlswelt der anderen Hautfarbe/Kultur (Alessio Avenanti). Empathische Ärzte beschleunigen die Genesung (David Rakel). In erfolgreichen Therapien mit Schwerkriminellen lernen diese, sich in die Erfahrungen der Opfer nachträglich einzufühlen bzw. Opferrollen anzunehmen.
Empathie ethisch
Wie alle Fähigkeiten kann auch Empathie instrumentalisiert werden. So ist bekannt, dass Diktaturen gerne mit dem Aufbau von Pseudo-Empathien arbeiten und Vorurteile gegenüber Minoritäten „empathisch“ teilen, meist um abzulenken. Und heutiges Marketing arbeitet auch gerne mit Empathie, oft zur Umsatzsteigerung sinnloser Produkte. Es ist daher zwischen authentischer und funktionaler Empathie zu unterscheiden.
In allen Religionen und Weisheitslehren kennt man die ethische Grundforderung nach einem authentischen Blick auf die Welt mit den Augen der anderen. Mit der Goldenen Regel antwortete etwa im Judentum Rabbi Hillel bereits 30 Jahre vor Christus: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora.“
Jede Religion der Welt kennt diese „Empathie-Präambel“ aller ethischen Verantwortung. Dass auch der christliche Glaube zutiefst empathisch ist, zeigt der zweite Teil des Hauptgebotes, die Forderung zur Nächstenliebe (schon in Lev 19,18); sie erschließt sich neu in der Buber-Rosenzweig-Übersetzung: „Liebe Deinen Nächsten. Er ist wie Du!“
Insofern ist Nächstenliebe kein Gebot mehr, sondern empathische Ich-Erweiterung.
Prof. Dr. Uto Meier,
Professor für Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Das Thema konfrontiert mit Fragen, die den Kern menschlicher Selbsterfahrung berühren: die Freiheitsfrage und die nach der Reichweite vernünftiger Urteilskraft. Wir alle – auch diejenigen, die eine deterministische Selbst- und Weltdeutung favorisieren – kommen nicht umhin zu entscheiden; wir können das eigene Verhalten nicht entscheidungsfrei prognostizieren. Zugleich scheint die Schere zwischen komplex und zudem oft zeitkritisch verkoppelten Problemen einerseits, den gegebenen Problemlösungskapazitäten andererseits in den Augen verantwortungsbewusster Akteure sich schier unaufhaltsam zu öffnen: Man denke an die schwierige, meist auch langwierige Interessenvermittlung demokratischer Entscheidungsprozesse, an die algorithmisch, also durch schematisch ablaufende Rechenvorgänge beschleunigten Abläufe in der Finanzökonomie oder an eine Rüstungsforschung, die sich von der Entwicklung „ethisch autonomer Systeme“ (z. B. Ronald C. Arkin, u. a. in „The Case for Ethical Autonomy in Unmanned Systems“; Internet-Download) zielgenaueren Waffengebrauch erhofft.
Rationale Wahl
Stete Entscheidungsnöte in zu vielen Situationen, wo das überlegende Hin und Her nicht in einen sicher begründeten Entschluss mündet, sondern auf der Grundlage nicht abgeschlossener oder gar nicht abschließbarer Erwägungen „dezisionistisch“ eine Zäsur gesetzt werden muss, motivieren zu theoretischen Konstrukten, deren formalisierte Verfahrensweisen breite Anwendbarkeit und hohen Rationalitätsgewinn versprechen. Insofern sie Entscheidungsprobleme Prozessen theoretischer Meinungsproduktion angleichen und auf die rechnende Kosten-Nutzen-Analyse von Handlungsfolgen fixiert sind, erzeugen sie allerdings selber ein gravierendes Problem: die Reduktion der jeweils adressierten Akteure auf Funktionen der Nutzenoptimierung.
Zwei elementare entscheidungstheoretische Kriterien für den Umgang mit Risiko- und ungewissen Situationen können – für sich genommen – diese Möglichkeit einer ethisch inakzeptablen Erwägungsart beispielhaft verdeutlichen: das nach dem Mathematiker Thomas Bayes (um 1701–1761) benannte Bayes-Kriterium, welches die Maximierung eines (mit der Eintrittswahrscheinlichkeit von Handlungsfolgen gewichteten) Erwartungswertes priorisiert, nicht weniger als die auf Katastrophenvermeidung abzielende Minimax-Regel, welche bei ungewisser Folgenwahrscheinlichkeit diejenige Handlung vorzuziehen fordert, deren schlechtestmögliche Folge besser ist als die schlechtestmöglichen Folgen alternativer Handlungsmöglichkeiten.
Vernünftige Beschränkung
„Ein Handeln, das einem sittlich guten Zweck dienen soll, ist ethisch nur dann gerechtfertigt, wenn die als Nebenfolge eintretenden Übel geringer sind als die Übel, die aus einem Handlungsverzicht erwachsen würden“ (Wilhelm Korff; Eigenzitat in dem von ihm 1999 herausgegebenen Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 1 [Kap. 3.3: Ethische Entscheidungsverfahren, 309–322]: 315). Auch eine solche explizit ethische Übelabwägungsregel bleibt unzulänglich, wenn sie nicht konkretisiert bzw. ergänzt wird durch die strikte Verpflichtung vor allem auf den Schutz grundlegender Individual- und Selbstbestimmungsrechte (einschließlich Paternalismusverbot und Rechtfertigungsgebot gegenüber den jeweils entscheidungsbetroffenen Personen) sowie die Berücksichtigung von Gerechtigkeits- und Fairness-Kriterien.
Lebensfreundliche Orientierung
Wie in unserer lebensweltlichen Praxis deontologische und konsequentialistische Handlungsgründe in ein kohärentes Verhältnis gebracht werden können, ist damit natürlich noch lange nicht beantwortet. (Erhellendes zu dieser Intention bieten Julian Nida-Rümelin, Benjamin Rath und Johann Schulenberg in dem 2012 publizierten Band Risikoethik.)
Nicht einmal als Frage zureichend ausgearbeitet wäre allerdings auch dann noch nicht diejenige nach einer Lebensform, die sich der radikalen Endlichkeit menschlicher Existenz stellt und ihr dennoch überzeugende Perspektiven gelingenden Lebens abzuringen vermag. Aber vielleicht verkennt ja bereits das markierte Verb, worauf es „eigentlich“ ankommt?
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter Ethik,
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
in Potsdam
"Epikie" (Billigkeit), Autor: Ebeling, Klaus, aus: Kompass 04/2010
Wird etwas „billig“ genannt, kann sowohl Angemessenheit als auch Minderwertigkeit gemeint sein. Eindeutig positiv wertet dagegen die sprachliche Verbindung „recht und billig“: Sie kennzeichnet den angemessenen Umgang mit dem, was recht ist, sei dies ein positives Gesetz oder eine sittliche Norm. Zu klären bleibt aber dennoch viel: Was genau ist denn angemessen? Und in welchem Verhältnis steht die Billigkeit (griech. epieikeia: bedeutet neben Angemessenheit auch Milde, Güte, Nachsicht) zur Kardinaltugend der Gerechtigkeit? Dient sie ihr lediglich als ergänzende Korrekturfunktion? Oder ist sie als eigenständige und zudem prekär tugendhafte Kompetenz wahrzunehmen, die an der Grenze zum nicht mehr (Norm-) Gerechten balanciert?
Der ethische und rechtliche Diskurs über Epikie bewegt sich seit alters zwischen den Polen eines eher freiheits- oder eines eher sicherheitsbewussten Normverständnisses, zwischen Zu- und Misstrauen sowohl gegenüber dem Einzelnen als auch gegenüber staatlichen und anderen, z. B. kirchlichen Autoritäten. Wenngleich Diskursverläufe hier nicht nachzuzeichnen sind (Genaueres dazu und zum Folgenden bieten die Epikie-Studien von Günter Virt, u. a. sein Beitrag in: W. Ernst (Hg.), Grundlagen und Probleme heutiger Moraltheologie, 1989: 138–151), so kann doch das Kernprofil dieser zeitweise verdrängten unter heutigen Bedingungen jedoch besondere Aufmerksamkeit fordernden Tugend umrissen werden – und zwar mit Bezug auf zwei klassische Autoren, denen die wohl unüberholt wirkmächtigs-ten Beiträge zum Thema zu verdanken sind.
Norm und Situation
Aristoteles definiert, knapp und markant, in der Nikomachischen Ethik (V, 14): „Epikie ist die Berichtigung des Gesetzes da, wo es infolge seiner generellen Fassung lückenhaft ist“. Analog gilt dies – zumal in ständig sich verändernden, unübersichtlich komplexen Gesellschaften – für moralische bzw. ethische Normen. Auch hier kann es erlaubt oder gar geboten sein, sich um ihrer Intention willen gerade vom Wortsinn zu lösen und sie situationsgerecht zu präzisieren, vielleicht gar zu modifizieren.
Epikie bestreitet nicht die Notwendigkeit allgemeiner Normen, arbeitet nicht prinzipiell gegen sie, sondern für ihre jeweils konkrete Verbesserung – in eigener Verantwortung. Diese „Suche nach dem sittlichen Optimum in der konkreten Situation“ (Virt: 144) erfordert Aristoteles zufolge das ganze Fähigkeitsspektrum praktischer Vernunft, nicht zuletzt auch die durch Erfahrung (einschließlich gezielter Übung) zu erwerbende Fähigkeit, konkrete Situationen aus der Perspektive der Mitmenschen zu beurteilen (griech. syngnome: mitverstehen), sowie die Bereitschaft, eigene Anliegen und Ansprüche zugunsten einer im Blick auf die anderen und das Gemeinwohl „besseren Gerechtigkeit“ zurückzustellen.
Norm und Person
Auch für Thomas von Aquin ist Epikie „gleichsam die [gesetzliche Gerechtigkeit überbietende] höhere Richtschnur der menschlichen Handlungen” (Summa theologiae II-II, 120, 2). Das aristotelische Konzept wird bei ihm aber noch personal vertieft. Er verknüpft es mit der römischen Rechtspragmatik (insofern sie in methodisch differenzierten Erwägungen den Zusammenhang von Epikie oder lat. aequitas und Menschlichkeit betont) und richtet es, vor allem, strikt auf die maßgebende Menschenliebe Gottes und die Epikie Jesu Christi (2 Kor 10,1) aus: Das freiheitliche „Gesetz“ des Evangeliums wird zum Paradigma der Epikie.
Auch Christen werden sich trotz dieser Orientierung nicht jener übermächtigen Dynamik von Öffnungs- und Schließungsprozessen ganz entziehen können, die das gesellschaftliche Leben unserer Zeit durchdringt. Gemeinsam mit allen anderen stellt sich auch ihnen immer wieder neu die Aufgabe, bei der Suche nach situativ angemessenen, menschengerechten Lebens- und Handlungsmöglichkeiten wie bei der Bestimmung und Durchsetzung sie schützender Normen ebenso der Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung wie der nach anarchischer Lebendigkeit zu widerstehen. Anstrengend, aber letztlich doch lebensfreundlicher ist die praktisch-kluge Sorge um die Einheit von Freiheit und Maß.
Klaus Ebeling, Projektleiter Ethik im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
Weder Vernunft noch Erfahrung weisen den sicheren Weg zu Wissen und Weisheit. Das müssen wir Menschen, wie schon unsere Vorfahren, immer wieder lernen. Wir verfügen nicht über ein Fundament, auf dem alles Wissen unverlierbar sich versammeln, und kennen keinen unbezweifelbaren Grund (auch unserer selbst), von dem her umfassende Welt- und Lebensweisheit letztgültig sich sichern ließe. Menschliche Endlichkeit kann wohl nur glaubend überwunden werden, nicht durch angemaßtes „Wissen“ oder als „Glauben“ maskierte Ideologie.
Vermittelte Erfahrung
Gleichwohl ist Erfahrung eine unersetzbar wichtige Erkenntnisquelle, sei es als sinnliche (und sinnhaft zu verarbeitende) Wahrnehmung, als persönliches (einem allerdings auch widerfahrendes) Erlebnis oder als mitmenschliche (wenngleich von vielschichtigen Assimilations- und Sozialisations-Prozessen durchdrungene) Begegnung (vgl. D. Mieth – auch zum Folgenden; in: Handbuch Ethik, hrsg. von M. Düwell u.a., 2002: 336–340).
Die Philosophie unserer Tradition kennt zwei paradigmatische Erfahrungsbegriffe (J. Mittelstraß; in LTHK 3, 1995: 753f.): einen aristotelischen oder phänomenalen Begriff, der ein vortheoretisch exemplarisches Wissen, ein „Vertrautsein mit bestimmten Sach- und Handlungszusammenhängen“ meint, und einen galileischen oder instrumentellen Begriff, der auf methodisch erzeugtes Wissen abhebt.
Für beide Begriffstypen stellen sich durchaus verschiedenartige Fragen sowohl nach der Bewahrung und Weitergabe von Erfahrungen wie auch nach dem Vermittlungscharakter von Erfahrung selbst.
Dass die in einer bestimmten Lebenswelt gemachten Erfahrungen durch Tradition, Kultur und besondere Lerngeschichten geprägt und dadurch immer auch beschränkt sind, bedarf keiner besonderen Erläuterung. Ebenso der (individuell oder gemeinschaftlich) subjektive Charakter ihrer Vermittlungsart: vor allem Vorbild, Erzählung, Erinnerung und Erfahrungs- im Sinne besonders profilierter Problemlösungs-Kompetenz. Während jedoch der Wirklichkeitsbezug lebensweltlicher Erfahrungen dennoch kaum grundsätzlich bezweifelt wird, treffen Ergebnisse der sogenannten empirischen Wissenschaften zunehmend auf Vorbehalte – obwohl aufgrund der methodisch kontrollierten (und in weiten Bereichen experimentell wiederholbaren) Erarbeitung doch gerade ihr Erkenntnisanspruch leichter vermittelbar sein sollte. Aber Erfahrungen mit dieser wissenschaftlichen „Objektivität“ zeigen einerseits, dass sie „die Realität“ nicht direkt zu greifen vermag: Der auf Wahrnehmungsgewissheiten oder auf eine streng definierte Beobachtungssprache fokussierte Empirismus (in der Tradition von Locke und Hume oder später in der Nachfolge des Logischen Empirismus) konnte derartige Erwartungen nicht einlösen. Andererseits erscheint aber auch eine durchaus prominente Form der empirismuskritischen Wissenschaft fragwürdig, wenn sie zwar von der Einsicht in die komplexe Theorieabhängigkeit aller Empirie ausgeht, diese dann aber mit weitreichenden Konstruktionsthesen „unrealistisch“ überbietet. So erweckt sie zumindest den Eindruck der Gleichgültigkeit gegenüber der lebensweltlichen Aufgabe, Öffnungs- und Schließungstendenzen im Erfahrungsprozess sowie – noch weiter gefasst – den Realitäts- und den Möglichkeitssinn vernünftig auszubalancieren.
Moralische Erfahrung
Auf einige Bedeutungsaspekte ist besonders das Augenmerk zu richten; sie können mit Bezug auf die genannten Erfahrungsquellen bestimmt werden:
Zuerst meldet sie sich als Gewissenserfahrung, als Fähigkeit und Nötigung, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Praktisch konkret wird sie dann im Engagement für die Überwindung parteilich zugerichteter Erfahrungs- (und Erinnerungs-)Muster, die Zukunft verbauen; in der Wahrnehmungsvielfalt und Sinnfülle verteidigenden Kritik methodisch oder sonst wie reduzierter Perspektiven auf Mensch und Welt; in der Sensibilisierung für Entwertungs- und Verzweckungs-Tendenzen in zwischenmenschlichen Begegnungen, die sie warenförmigen Tauschbeziehungen angleichen; und schließlich im Widerstand gegen Gewalt und die anderen, unerträglich viel Leid verursachenden Taten und Unterlassungen.
Erst in solchen moralisch induzierten, moralisch imprägnierten Erfahrungen wird, was „moralisch einsichtig“ ist, auch „existenziell verbindlich“. Das ist auch im Blick auf moralische Bildung herausragend wichtig. Sie braucht diesen Sitz im Leben, diese Brücke zwischen Vernunft und Gefühl. „Selbst wenn wir das sittliche Gute und Richtige mit klassischen Moralphilosophien als das Vernunftgemäße betrachten […], kommen wir doch nicht ohne moralische Erfahrung zur Vernunft.“ (Mieth, a. a. O.: 338).
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter Ethik,
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
in Potsdam
Erinnerung. Meinem Vater zum 75. Geburtstag
Die Zeichen der Zeit stehen eher auf Vergessen. An dieser Diagnose ändern auch die alljährlich wiederkehrenden politischen Gedenkfeiern und die gerade boomende Literatur persönlicher Lebenserinnerungen nur wenig. Der Vorrang technischer vor wertgebundener Rationalität, die Priorität experimenteller Phantasie vor vergewisserndem Eingedenken oder die Dominanz flüchtiger, punktueller Aufmerksamkeit erschweren den Umgang mit individuellen Geschichten und gesellschaftlichen Überlieferungen. Und doch: Die Erinnerung gehört unaufhebbar zu unserem Menschsein; sie stiftet Identität und ermöglicht Humanität. Ohne Erinnerung gibt es keine tragfähige Orientierung in der Welt, ohne Erinnerung ist verantwortliches Handeln nicht denkbar.
Erinnerung als Pathos und Praxis
Für die klassische antike Philosophie ist (Wieder-)Erinnerung (anamnêsis) ein grundlegender Begriff, für Platon begründet die erinnernde Schau wahrer Ideen Erkenntnis überhaupt; als bildhafte Vergegenwärtigung ermöglicht sie die Anwesenheit von Abwesendem. Um eine Verwechslung zwischen Gedächtnis und Einbildungskraft zu vermeiden – Imaginieren zielt auf das Unwirkliche – bezieht Aristoteles die Erinnerung auf eine zeitlich vorhergehende Realität. Eine bleibende Bedeutung hat seine Unterscheidung zwischen „passiver“ Präsenz und „aktiver“ Suche. Sich erinnern heißt zunächst: eine Erinnerung haben. Dabei kann das plötzliche Aufsteigen einer Erinnerung nicht nur wohltuend empfunden, sondern auch – als „unerbittliches Gedächtnis“ – schmerzhaft erlitten werden. Erinnern bedeutet aber auch: sich etwas in Erinnerung rufen. Als anstrengendes Bemühen kämpft es gegen das Vergessen; im Falle des Gelingens sprechen wir vom „glücklichen Gedächtnis“ (Ricœur). Bei traumatischen Erlebnissen dagegen wird Gedächtnis verhindert, anstelle der Erinnerung tritt die „Wiederholung“, die Reproduktion des Vergessenen. Nur eine langfristige therapeutische „Erinnerungsarbeit“ (Freud) kann schwerwiegende Blockaden beseitigen.
Individuelles, kommunikatives und kulturelles Gedächtnis
Erinnerungen beruhen zwar auf individuellen Erfahrungen, sie sind aber immer auch sozial bedingt (Halbwachs) und kulturell geformt (Assmann), sie entstehen durch Kommunikation in gemeinschaftlichen Kontexten und partizipieren an geteilten Traditionen. Erinnerung stiftet Identität für Menschen, Gesellschaften und Gruppen. Als individuelles Tun sichert sie persönliche Identität und als soziale Praxis ermöglicht sie, dass eine Gruppe, obgleich sich verändernd, sich dennoch als die Gleiche verstehen kann. Schließlich wird durch Erinnerung an überlieferte Riten, Texte und Bilder eine kollektive Identität über Generationen fortgesetzt.
Mit Blick auf Nationen oder Ethnien gibt es im engeren Sinne auch ein „politisches Gedächtnis“, das mit Jahrestagen, Mahnmalen oder Museen institutionell gestützt wird. Auf dieser Ebene allerdings besteht eine große Gefahr des Missbrauchs. Die selbstbezügliche Erinnerung an einseitig erlittene Demütigungen und Verletzungen, das eitle Kultivieren traditioneller Feindbilder und historischer Rivalitäten behindern wechselseitige Verständigung und führen nicht selten zu inner- und zwischenstaatlichen Kriegen.
"Gefährliche Erinnerung“
Der christliche Glaube übernimmt die anamnetische Kultur seiner jüdischen Schwestern und Brüder, er ist im Kern Erinnerung an das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Diese Gedächtnisverfassung hat er in liturgischen Feiern und religiösen Gebräuchen bewahrt und entfaltet. Die kultische Erinnerung wird zu einer „gefährlichen Erinnerung“, wenn sich die Passionsgeschichte Jesu mit der anonymen Leidensgeschichte der Welt verbindet und sie die „im Glauben an die Auferweckung der Toten und des Gerichts enthaltene Frage nach Gerechtigkeit für die ungerecht Leidenden, für die ungesühnten Opfer und Besiegten der Geschichte“ (Metz: Memoria compassion, 2006, 89) wachhält.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik
an der Führungsakademie der
Bundeswehr in Hamburg
F - I
"Fairness", Autor: Meier, Prof. Dr. Uto, aus: Kompass 07-08/2012
Die vergangene Fußball-Europameisterschaft war ohne Schiedsrichter nicht denkbar. Ohne die vielgescholtenen „Schiris“ geht es scheinbar nicht. Nicht so beim Flugscheibenspiel „Ultimate Frisbee“ aus den USA, bei dem die Spieler gleichzeitig auch ihre eigenen Schiedsrichter sind. Wenn gefoult wird, so zeigen die Spieler es selbst an und Meinungsverschiedenheiten werden direkt auf dem Spielfeld ausgeräumt. Am Ende klären alle Spieler gemeinsam, ob der Spielverlauf „fair“ war.
Fairness scheint ein attraktiver Begriff im moralischen Leben zu werden: Sogar Firmen werben mit dem Slogan „Fair geht vor“, weil sie intuitiv spüren, dass Menschen mehr wollen, als sich von anderen ihr Handeln vorschreiben zu lassen oder in Gesetzesangst als „Mr. Vorschrift“ zu leben. Was aber ist Fairness?
Fairness-Früchte: sich selber binden
Der Begriff stammt interessanterweise aus dem Bereich der Ästhetik, der Lehre vom Schönen: „Fair“ geht zurück auf das altenglische „fæger“ („schön“ bzw. „lieblich“) und das althochdeutsche „fagar“ („schön“), meint also eine Wahrnehmung, die anziehend ist, nicht nur gut, ehrlich und anständig, sondern eben auch schön.
Im derzeitigen Sprachgebrauch lassen sich folgende Dimensionen des Begriffes „Fairness“ ausmachen, der primär aus dem Sport kommt, inzwischen aber als ethischer Orientierungsbegriff auch andere Lebensbereiche (z. B. die Arbeitswelt) bestimmt: Fair nennt man auf zwischenmenschlicher Ebene grundsätzlich ein Verhalten, dessen Ergebnis man auch für sich selbst akzeptieren würde.
Fairness liegt im Speziellen dann vor, wenn wir die übergeordnete Bereitschaft, sich nach (sinnvollen) Regeln zu orientieren, innerlich akzeptieren und gleichzeitig aber einen Vorteil nicht nutzen wollen, der – obwohl gewinnbringend – nicht aus dem „Sinn des Spieles“ oder aus dem „Geist der Übereinkunft“ abzuleiten ist. Bekanntlich bezeichnen wir daher den Fußballspieler als fair, der das Tor, das er mit einem Hand-Foul erzielt hat – und das vom Schiedsrichter übersehen wurde –, von sich aus als ungültig anzeigt, der also nicht dem Prinzip huldigt, dass der Zeck die Mittel heilige. Fairness realisiert sich so als die „verinnerlichte Unparteilichkeit“. Fair nennt man auf der nächsten Ebene ein Regelwerk, das alle Betroffenen von Rahmenordnungen mit einbezieht, ihre (Grund-)Rechte achtet und ihre legitimen Interessen im Vorhinein integriert.
Wie wichtig Fairness ist, zeigt die jüngste Gallup-Untersuchung von 2012 zur Bindung von deutschen Arbeitnehmern an ihre Firma: Während 23% innerlich schon gekündigt haben, 63% nur Dienst nach Vorschrift schieben, sind nur 14% emotional hoch an ihren Arbeitgeber gebunden, obwohl die Inhalte der Arbeit für 93% Zufriedenheit bedeuten. Als Ursache analysiert Gallup: Fairness-Defizite in der Führungsspitze, mangelnde Transparenz bei Entscheidungen und kaum Teilhabe am Entscheidungsprozess.
Fairness-Wurzeln: andere achten
Dabei sind die o. g. Fairness-Elemente schon lange in unserer christlichen Kultur überliefert: Mit der Goldenen Regel fordert Jesus in der Bergpredigt (Mt 7,12), dass man einfach den Versuch machen möge, ob man selbst mit den eigenen Entscheidungen leben könnte. Und der Prophet Micha erinnert schon im Alten Testament: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: Nichts anderes als Gerechtigkeit üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.“ (Micha 6,8). Und der Hl. Augustinus sagt: „Liebe – und tue, was du willst!“
Das heißt dann umgesetzt etwa beim Philosophen Jürgen Habermas im „Diskursprinzip“, „dass nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden“ (Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 1983). Und John Rawls, der eine Gerechtigkeitstheorie aus Fairness entwickelt hat (A Theory of Justice, 1971), fordert, dass alle Menschen gleichwertig Zugang zu den Grundwerten und Grundpflichten (und damit auch zu Ämtern) haben müssen; ferner, „dass vorhandene Ungleichheiten nur dann gerechtfertigt sind, wenn die am wenigsten Begünstigten langfristig einen Vorteil gewinnen können.“ Und Regelwerke müssen so erstellt werden, dass niemand wissen kann, ob er daraus ein Privileg erzielen kann.
Fairness ist daher für mich ein christliches wie auch „schönes“ Ethik-Prinzip: Gut miteinander leben heißt dann, fast mit der Autowerbung formuliert: „Aus Freude am Fairen!“
Prof. Dr. Uto Meier,
Professor für Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Freiheit - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 06/2007)
Freiheit
"Über keine Idee weiß man es so allgemein, dass sie unbestimmt, vieldeutig und der größten Missverständnisse fähig und ihnen deswegen wirklich unterworfen ist als [über] die Idee der Freiheit, und keine ist mit so wenigem Bewusstsein geläufig." Diese 1830 publizierte Bemerkung des Philosophen Hegel (Enzyklopädie: § 482), könnte von heute sein: Nach vielen weiteren gedankenschweren Seiten über die Freiheit und noch schwerer wiegenden Versuchen, in ihrem Namen zu handeln - beansprucht und beunruhigt das Thema mehr denn je unser menschliches Selbstverständnis.
Freiheit - ein Beziehungsbegriff
Das Wort "frei" bezeichnet keine einfache Eigenschaft. Gefragt ist (mindestens) eine dreistellige Relation: Wer ist bzw. wird frei wovon wodurch? Freiheit hat sonach, formal betrachtet, einen negativen und einen positiven Aspekt: Freisein von ... (Unabhängigkeit) und Freisein zu ...(Bindung). Beide Aspekte gehören zusammen, ihr Verhältnis definiert sowohl die Handlungs- als auch die Willensfreiheit. Die Fähigkeit eines Individuums oder eines sozialen Gebildes, Gewolltes zu realisieren, ist umso größer, je besser es gelingt, Hindernisse naturhafter oder sozialer Art zu überwinden und die eigenen Handlungs- bzw. Gestaltungs-ressourcen klug einzusetzen. Und im Blick nach innen stellt sich die Frage, ob bzw. wie ein Mensch mittels vernünftiger Gründe (Ziele, Regeln) ein selbstbestimmtes Verhältnis zu seinen natürlichen Antrieben, Wünschen etc. gewinnen kann, ihnen also nicht einfach ausgeliefert ist.
Zur Geschichte des Freiheitsgedankens
Zwei Gewichtsverlagerungen kennzeichnen die Entwicklung im europäischen Raum: zum einen von Fragen der äußeren Freiheit im Gemeinwesen hin zur Frage nach der dem Menschen wesentlichen inneren Freiheit, zum anderen vom Primat der Ordnung, die Freiheit vorgängig orientiert (Antike und Mittelalter), hin zum Primat der Freiheit, die Ordnungen schafft (Neuzeit und Moderne). Bei Griechen, Römern u.a. war "frei" ursprünglich eine Rechtsbestimmung, die den zum eigenen Volk gehörenden Mann vom fremdbürtigen Sklaven unterscheidet. Mit dem Prinzip der Gleichheit aller freien Bürger vor dem Gesetz in der griechischen Polis (Stadtstaat) wird dann schon bald die klassische Aufgabe des Rechts umrissen, die Vereinbarkeit der Freiheit(en) aller Rechtsgenossen zu gewährleisten. Eine andere Dynamik setzt (im gleichen kulturellen Horizont) die Entgegensetzung von "Gesetz" und "Natur" in Gang: Menschliche Gesetze korrumpieren oder zerstören die Freiheit, wenn sie das "der Natur nach" Zuträgliche verfehlen. Nur wer das "naturgemäß" Beste erkennt und sich daran orientiert, ist wahrhaft frei. In den neuzeitlichen Freiheitsutopien und im modernen Menschenrechtsethos werden solche naturrechtliche Bezüge nun zwar nicht irrelevant, aber der (objektive?) Gehalt sowie die Verbindlichkeit dieses Maßes erscheinen zunehmend fraglich. Im jüdischen bzw. christlichen Kontext ist der in seiner Schöpfung präsente, dem Menschen zugewandte Gott maß-gebend. Mit Ihm, der einst Israel aus Ägypten befreit und sich in Jesus dem erlösungsbedürftigen Menschen geschenkt hat, kann die Aufgabe menschlicher Selbstbestimmung gelingen. Im Johannesevangelium (8,31f.) bringt Christus es so auf den Punkt: "Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien." Wissenschaft contra Willensfreiheit? Aktuell befeuert besonders die Hirnforschung den Zweifel an der Freiheit des Willens und damit auch am Sinn altvertrauter Vorstellungen von Schuld und Verantwortung. Der vermeintliche Gegensatz zwischen strenger Kausalität und Willensfreiheit verdankt sich jedoch einer Vermengung nicht aufeinander zurückführbarer Betrachtungsweisen. Die mit Erwägungs- und Entscheidungsprozessen unlösbar verknüpfte Freiheitserfahrung unterbricht natürlich keine Abläufe im Gehirn. Ebenso erweist aber auch die Tatsache, dass Willensbildung und Entscheidungsfindung das Gehirn brauchen, Freiheit nicht als realitätswidrige Vorstellung. Unser bewusstes Leben ist durch zwei gleichursprüngliche Grundstellungen im Selbst- und Weltverhältnis bestimmt: die Perspektive subjektiver Freiheitserfahrung ("Freiheitsbrille") und die wissenschaftlich objektvierende Beobachterperspektive ("Kausalitätsbrille"). Über eine übergreifende Perspektive, ein übergreifendes Begriffsystem verfügen wir nicht. So darf hier ein Satz wiederholt werden, in dem der Bewusstseinsexperte Peter Bieri einen Beitrag zum gleichen Thema (Spiegel 2/2005: 125) prägnant zusammenfasst: "Wir brauchen kein neues Menschenbild, wir müssen das alte nur richtig verstehen."
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Freundschaft - Autor: Lüer, Jörg (Kompass 01/2010)
Freundschaft
Die sprachliche Verwendung des Begriffs Freundschaft ist schillernd, wie folgende kleine Aufzählung zeigt: Völkerfreundschaft und Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Schulfreund, Geschäftsfreunde, Jugendfreundin, Brieffreundschaft, Freundschaftsband und Freundschaftsbund, Freundschaftsschwur, Freundschaftsspiel. Noch stärker unterstrichen wird diese Vielfalt durch den Umstand, dass sich die Verwendung des Freundschaftsbegriffs je nach kulturellem und sprachlichem Kontext bisweilen stark unterscheidet. Der idealtypische Friese wird den Begriff zurückhaltender verwenden als der nicht minder idealtypische Rheinländer. Beide haben je in ihrer Perspektive recht.
Gesellschaftliche und individuelle Bedeutung
Angesichts dieser Vielfalt sowie der lebenspraktischen Bedeutung, die Freundschaften zukommt, nimmt es nicht wunder, dass das Phänomen der Freundschaft als einer besonderen positiven Zugewandtheit von Menschen die Philosophie seit langem beschäftigt. Dabei schwankt die Bewertung und Zuschreibung des Phänomens zwischen zwei grundsätzlichen Polen. Begreift z. B. Aristoteles Freundschaft als eine der fundamentalen Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Ordnung, also als ein wesenhaft „politisches“ Phänomen, so wird auf der anderen Seite – am stärksten ausgeprägt in der Romantik – Freundschaft als Verbindung zweier Seelen, ergo als ein die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Zwänge transzendierendes, individuelles Phänomen begriffen.
Tugendhafte Beziehung zwischen Gleichen
Je nachdem von welchem Pol man sich dem Thema Freundschaft nähert, kommt es zu differierenden Bewertungen. Aristoteles versucht durch eine doppelte Unterscheidungsstruktur Ordnung in die Phänomene zu bringen. Auf der einen Seite unterscheidet er zwischen Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft, also nach dem Inhalt der Beziehung, während er auf der anderen Seite mit gutem Gespür für die soziale Signatur von Beziehungen zwischen Freundschaften von Gleichen und Freundschaften von Ungleichen differenziert. Die höchste Form der Freundschaft – möglich nur unter Gleichen – ist nach Aristoteles die Tugendfreundschaft. Die Beziehung ist nicht mehr in reiner Nützlichkeit begründet, sondern weist als Form gelingenden Lebens über sich hinaus. In dem Verzicht auf vordergründigen Utilitarismus scheint das Motiv der Selbstlosigkeit auf.
Verschmelzung verwandter Seelen
Die Romantik setzt bei dem Ungenügen der sozialen Beziehungen in Bezug auf das existenzielle Bedürfnis des Menschen nach Sinn und Erlösung an. Der Höhepunkt der Freundschaft ist die Verschmelzung der Seelen, die Selbstfindung und Selbsterkenntnis in der Begegnung mit dem anderen. Wobei die grundsätzliche Gleichheit der Seelen, die die realen gesellschaftlichen Gegensätze zu überschreiten vermag, in den Vordergrund tritt. Die Betonung liegt weniger auf der gesellschaftlichen Bedeutung der Beziehung, als vielmehr auf dem existenziellen Vollzug geteilter Innerlichkeit, verstanden als wahres Menschsein. Andere Formen von Freundschaft erscheinen vor diesem Hintergrund als weniger wertvoll (wenn nicht sogar falsch), d. h. nicht als Freundschaft im eigentlichen Sinne. Dem romantischen Freundschaftsbegriff gilt angesichts der Möglichkeit erotischer Verzweckung der Beziehung die platonische Freundschaft als das Höchste. In christlicher Perspektive liegt jeder echten Freundschaft – verstanden als die ehrliche gegenseitige Zuwendung, in der der je andere nicht zum Mittel wird, sondern sein eigener Zweck bleibt – Liebe im Sinne von Agape zu Grunde.
In der Praxis des Alltags hat man es selten mit reinen Formen zu tun. Nutzen, Lust und Liebe sind in der Regel miteinander verwoben. Zwischen den beschriebenen Polen entfaltet sich die ganze verwirrende Vielfalt des Phänomens Freundschaft und damit der Ambivalenz menschlicher Existenz, das der polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec auf den ironischen Punkt brachte: „Freunde sind Menschen, die einem schaden, ohne selber Nutzen davon zu haben.“
Jörg Lüer
Friede - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 04/2008 )
Friede
„Si vis pacem para pacem“ – wenn du den Frieden willst, dann bereite den Frieden vor. Mit diesem Grundsatz wird ein Paradigmenwechsel vollzogen, der die alte „para bellum“-Maxime (rüste dich für den Krieg!) ersetzt. Er überwindet ein bloß negatives Friedensverständnis, das sich mit der Abwesenheit von Krieg begnügt. Dabei lässt er sich von der einfachen Einsicht leiten, dass bereits „Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit (...) in sich gewaltgeladen“ (Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede: 59) sind. So wird eine positive und zudem prozessorientierte Friedenskonzeption erschlossen, welche die Ursachen von Gewalt bekämpft und ein gerechtes Zusammenleben der Völker zum politischen Ziel erklärt.
Friede und Gerechtigkeit
Gestützt wird der Begriff des „gerechten Friedens“ auch durch die Hl. Schrift. Sicher bedeutet das hebräische Wort „šalom“ theologisch einen Zustand umfassenden, vollkommenen Heilseins; unter ethischer Rücksicht ist dieser biblische Friede unlösbar mit dem Gedanken der Gerechtigkeit verknüpft. So heißt es bei Jesaja: „Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer.“ (32,17) Das NT greift diese Einheit auf, wenn in der Bergpredigt die nach Gerechtigkeit Hungernden und die Friedensstifter selig gepriesen werden (Mt 5,6.9). Unter der „größeren Gerechtigkeit“ versteht Jesus mehr als nur einen moralischen Standpunkt der Unparteilichkeit: ein solidarisches Handeln, das sich in der Feindesliebe erfüllt (Mt 5,44).
Friede und Recht
Friedensethische Perspektiven drängen, ernst genommen, auf rechtliche und institutionelle Verwirklichung. Bedingt durch die Entstehung von souveränen Nationalstaaten wurden schon im ausgehenden Mittelalter konkrete Friedensordnungen (z. B. Dante, Podiebrad) entwickelt. Das klassische Völkerrecht ging jedoch mit dem ausdrücklich gewährten „Recht zum Kriege“ einen anderen Weg. Nachhaltig wirkte erst der Entwurf eines „ewigen Friedens“ von Immanuel Kant, der die Bedingungen eines vollständigen Rechtsfriedens formuliert: eine republikanische Verfassung aller Staaten, ein auf den Föderalismus freier Staaten gründendes Völkerrecht sowie ein allgemeines Weltbürgerrecht. Aber erst in der UN-Charta von 1945 gelang es, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege, ein striktes Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4) völkerrechtlich zu verankern.
Ausgehend von der unantastbaren Würde des Menschen verlangt die sozialethische Leitperspektive vom „gerechten Frieden“ heute vom Staat die Anerkennung der Menschenrechte und die Gewährung von Chancengleichheit, völkerrechtlich das Recht auf Entwicklung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung auf der Basis eines Systems kollektiver Sicherheit.
Friede und Gewalt
Im Konzept vom „gerechten Frieden“ hat die Rede von „gerechten Kriegen“ keinen Ort. Denn es weiß sich der vorrangigen Option für Gewaltlosigkeit verpflichtet, die sich politisch im Primat der Gewaltprävention ausdrückt. Lediglich aus Gründen der Notwehr und Nothilfe kann Gegengewalt erlaubt oder sogar geboten sein. Sie muss aber auf den Fall der ultima ratio beschränkt bleiben, wenn alle Möglichkeiten nichtmilitärischer Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitbeilegung versagt haben. Sie verliert ihre Legitimität, wenn die Anwendung militärischer Mittel nicht den Standards des humanitären Völkerrechts entspricht.
Friede und Versöhnung
Die restriktiven Kriterien gerechtfertigter Gewaltanwendung begründen sich auch von deren Folgen her: Erlittene Gewalt erzeugt stets neue Hassgefühle und die Sehnsucht nach Vergeltung. Vor allem Bürgerkriege belasten die Gesellschaft mit traumatischen Erfahrungen und zerstören zwischenmenschliches Vertrauen. Eine Politik der Versöhnung muss geschehenes Unrecht aufdecken und strafrechtlich verfolgen, die Opfer rehabilitieren und materiell entschädigen.
Einen „gerechten Frieden“ gibt es nicht „ohne Versöhnung, und keine Versöhnung ohne Wahrheit und Gerechtigkeit.“ (Gerechter Friede: 115) Christen werden die Nachfolge ihres „Friedensfürsten“ durch ein gelebtes Ethos der Solidarität mit den Armen, der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung bezeugen.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gehorsam - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 11/2007)
Gehorsam
Kaum eine Tugend ist durch Ereignisse der jüngeren Geschichte so in Misskredit geraten wie der Gehorsam. Ganz "normale" Menschen, der staatlichen Autorität oder dem militärischen Vorgesetzten ergeben, führten während der NS-Zeit verbrecherische Anweisungen aus, verübten unvorstellbare Gräueltaten. Mit der gängigen Begründung "Befehl ist Befehl" wurde Verantwortung nach "oben" abgeschoben und die Haftung für eigene Taten bestritten. Ohne eine moralische Überprüfung von Inhalt und Ziel des Befehls aber ist Gehorsam blind. Und: "die Berufung auf blinden Gehorsam kann den nicht entschuldigen, der sie (die Verbrechen) ausführt ... Höchste Anerkennung verdient dagegen die Haltung derer, die sich solchen Befehlen furchtlos und offen widersetzen." (Vaticanum II: Gaudium et Spes 79)
Unbedingter Gehorsam
Der Gehorsam ist in den biblischen Texten und der antiken Philosophie wesentlich gottbezogen. Während sich für Platon und die Stoa der Respekt vor dem Göttlichen in der verbindlichen Ausrichtung menschlicher Vernunft an der Idee des Guten bzw. dem kosmischen Gesetz ausdrückt, zeigt sich für Israel Gehorsam in der antwortenden Tat auf den im Gesetz und Prophetenwort vernommenen Anruf Gottes. Dieses Verständnis wird im Neuen Testament durch Jesu Gehorsam bis zu seinem Tod bestätigt. In der Forderung, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, begrenzen jüdisch-christliche (Apg 5,29) und griechische (Platon: Apologie 29d) Ethik den Gehorsam gegenüber weltlicher Autorität. Die mittelalterliche Theologie versteht den Gehorsam innerhalb eines vielgestaltigen Ordnungssystems (kosmisch, staatlich, familiär, kirchlich), dem ein abgestuftes Autoritätsverhältnis entspricht. Strikter Gehorsam aber bleibt nur Gott und seinem (Heils-)Willen geschuldet. Im Namen von Autonomie und Freiheit kritisiert die Philosophie der Aufklärung dieses überlieferte Gehorsamsverständnis als Fremdbestimmung. Unbedingter Gehorsam gebührt nach Kant allein dem durch die Vernunft selbst gegebenen moralischen Gesetz.
Militärischer Gehorsam
Gehorsamsbereitschaft gegenüber Recht und Gesetz ist eine gesellschaftlich funktionale Notwendigkeit. Für das Militär gelten Befehl und Gehorsam sogar als elementares Organisationsprinzip. Durch die rechtsstaatliche Einbindung sind dem Befehlsrecht in der Bundeswehr jedoch enge Grenzen gesetzt. Keinen Anspruch auf Gehorsam haben Befehle, wenn sie gegen die Menschenwürde verstoßen oder keinen dienstlichen Zweck beinhalten (§ 11 Abs.1 SG), ihre Befolgung Straftaten beinhaltet (§ 11 Abs.2 SG) oder auch deshalb nicht zumutbar sind, weil ein Untergebener die Ausführung vor seinem Gewissen nicht verantworten kann (BVerwGE v. 21.06.2005).
Ziviler Ungehorsam
Staatsbürgerlicher Ungehorsam kann sich durch strafrechtlich verbotenes Tun oder durch Unterlassen des rechtlich Gebotenen äußern. Dabei zielt die Verweigerung einer gesetzlichen Verpflichtung oder verwaltungsrechtlichen Anordnung auf die Bewahrung der eigenen persönlichen Integrität (z. B. Kriegsdienstverweigerung), der zivile Ungehorsam auf eine Veränderung der Gesetze oder der Regierungspolitik (z. B. Kirchenasyl). Im Unterschied zum traditionellen Widerstandsrecht gegenüber Diktaturen ist er begrifflich an den demokratischen Rechtsstaat gebunden und wird definiert als "öffentliche, gewaltlose, gewissensbestimmte, aber politisch gesetzwidrige Handlung" (Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975: 401). Die nicht legale Aktion darf sich allein gegen gravierendes Unrecht richten, die Rechtswege müssen zuvor ausgeschöpft sein.
Kritischer Gehorsam
Autoritätsverhältnisse verlangen vom Einfordernden Begründungsfähigkeit und Kompetenz, vom Gehorchenden Einsicht und Überprüfungsbereitschaft. Zu kritischem Gehorsam gehört nicht nur moralisches Urteilsvermögen, sondern auch Zivilcourage. Empathiefähigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Selbstwertgefühl helfen, aus Gehorsam gegenüber dem eigenen Gewissen ungehorsam zu sein. Christen werden sich am Handeln Jesu ein Beispiel nehmen, der am Sabbat einen Kranken heilte (Mt 12,9-14) - Ungehorsam um des Menschen willen.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gemeinwohl
In der öffentlichen Arena ist die Rede vom Gemeinwohl beliebt, obwohl sie beim Bürger oft Misstrauen hervorruft. Aber Argwohn gegenüber der Forderung, Einzelinteressen dem Wohl des Ganzen unterzuordnen, ist auch berechtigt. Die nationalsozialistische Parole "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" hat einst zahllose Verbrechen gegen Minderheiten und Andersdenkende "gerechtfertigt". Und heute dient die Berufung auf eine eher vage Vorstellung vom Gemeinwohl allzu häufig der rhetorischen Verschleierung bloß partikularer Interessen. Doch zum Missbrauch einladende begriffliche Unklarheit begründet keine Verabschiedung der Idee; sie verlangt aber allemal eine präzisere Bestimmung ihres Gehalts und eine schärfere Abgrenzung von Geltungsbereichen.
Prinzip der katholischen Soziallehre
In der klassischen katholischen Soziallehre spielt die Orientierung am Gemeinwohl eine zentrale Rolle. Als Sozialprinzip wird es gegen Individual- wie Gruppeninteressen ins Feld geführt, als normatives Kriterium soll es die Interessenkonflikte in einer gemeinsamen staatlichen Ordnung moralverträglich regulieren. Auf der Ebene internationaler Beziehungen wird das global ausgeweitete (Welt-) Gemeinwohl zum Maßstab einer Weltfriedensordnung, das nationalstaatliche Interessen in ethischer Perspektive begrenzt.
Gemeinschaft und Gesellschaft
Schon bei Aristoteles gebührt dem Ganzen ein naturgemäßer Vorrang vor dem Teil: das politische Gemeinwesen vor der häuslichen Gemeinschaft und vor jedem Einzelnen. Als von Natur aus politisches Wesen wird der Mensch in der Sorge um das Gemeinwohl seiner natürlichen Bestimmung gerecht. Bei Thomas von Aquin wird das antike politische Verständnis theologisch überhöht, insofern in der von Gott gewollten Vollkommenheit des Ganzen das Wohl des Einzelnen fundiert ist. Doch der scholastisch geprägte Begriff begründet auch den Verdacht seiner Untauglichkeit unter modernen Bedingungen pluraler Gesellschaften und demokratisch verfasster Staaten. Sowohl die antike ‚Polis' als auch die mittelalterliche ‚Civitas' stellen eine alle Sozialbeziehungen durchdringende gemeinschaftliche Lebensordnung dar: Die Beanspruchung eines überzeitlich gültigen Ordnungsideals schreibt allen vor, worin sie ihr Wohl zu suchen haben.
Gemeinwohl und Gerechtigkeit
In der neueren katholischen Soziallehre trägt die begriffliche Trennung von ‚Gemeingut' (materialer Wertinhalt) vom ‚Gemeinwohl' (organisatorischer Wert) dem Faktum des gesellschaftlichen Pluralismus Rechnung. Der formale Restinhalt, worunter "die Gesamtheit jener gesellschaftlichen Bedingungen" verstanden wird, "die einer Person ein menschenwürdiges Leben ermöglichen" (Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede: 62) bleibt aber doch zu weit gefasst. Plausibel erscheint deshalb der Versuch einer begrifflichen "Aufgabenteilung". Thema der ‚Gerechtigkeit' sind demnach die für alle sozialen Ordnungen strikt einzufordernden moralischen Standards, konkret: die Garantie der Menschenrechte, die Gewährleistung der Chancengleichheit und die Einhaltung bestimmter Regeln der Vermögensverteilung.
Diesen Gerechtigkeitsdiskurs im engeren Sinne ergänzen Gemeinwohlüberlegungen: Die Suche nach dem allgemeinen Besten, der sozialen Identität, die Beantwortung der Fragen, welche Werte sollen geschützt, welche Lebensformen kultiviert werden, braucht eine eigene Erwägungsform und besondere Maßstäbe. Ob der Sonntag als arbeitsfreier Tag erhalten bleiben oder die Kultur mit öffentlichen Geldern gefördert werden soll - in den Antworten kultiviert sich eine Idee vom Gemeinwohl; sie verkörpert eine "angemessene Zusammenfassung der überwiegend geteilten und reflektierten Werthaltungen und Interessen der beteiligten Personen" (Koller, Das Konzept Gemeinwohl, ZiF-Mitteilungen, 3/2002: 13) - freilich im Rahmen der durch das Erfordernis der Gerechtigkeit gesteckten Grenzen.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Die allgemeine Rede von der Vernunft unterstellt deren geschlechtliche Neutralität. Bei näherem Zusehen entpuppt sie sich allerdings immer wieder – wie die menschliche Reflexionsgeschichte überhaupt – als Konstrukt einer Tradition, in der die Vernunfterkenntnis männlich codiert ist. Als weiblich wird im Gegensatz dazu das assoziiert, was traditionell weniger anerkannt ist: Emotionalität, Sinnlichkeit und Leiblichkeit. Weibliche und männliche „Wesensmerkmale“ werden gegeneinander profiliert und ihnen dann jeweils auch im Wertrang abgestufte Aufgabenbereiche zugeschrieben.
Von Simone de Beauvoir stammt die berühmte Bemerkung „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (Das andere Geschlecht, 2000: 334) Mit dieser Bemerkung umschrieb sie vor inzwischen über sechzig Jahren, dass die feststellbaren Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln von Männern und Frauen (immer auch) ein Ergebnis der Sozialisation sind: Viel weniger, als unterstellt, macht die Natur, und viel mehr, als zugegeben, macht uns die Kultur zu Frauen (oder zu Männern). Seither hat sich manches verändert: Die Geschlechterrollen sind weniger starr geworden und die Handlungsmöglichkeiten für Frauen haben sich erweitert. Kann daraus aber nun geschlossen werden, dass das Geschlecht für das Menschsein heute kaum noch eine Rolle spielt?
Fürsorgeethik vs. Gerechtigkeitsethik?
Sowohl die empirischen Untersuchungen, mit denen die Entgegensetzung einer spezifisch männlichen Pflicht- und Gerechtigkeitsmoral und einer spezifisch weiblichen Verantwortungs- und Fürsorgemoral (z. B. C. Gilligan, Die andere Stimme, 1984) begründet wurde, als auch die Versuche, gegebene Geschlechterdifferenzen ganz auf veränderliche Einflussfaktoren wie Berufstätigkeit und Bildung zurückzuführen (z. B. G. Nunner-Winkler, Weibliche Moral, 1991), haben triftige, sie jeweils relativierende Einwände auf sich gezogen. Aber – ist anderes denn zu erwarten, überhaupt möglich und auch nötig? Auf jeden Fall ist es wichtig, mit größter Sensibilität darauf zu achten: dass das immer auch leibliche Sich-Erleben als Frau oder Mann unaufhebbar zu unserem Menschsein gehört; dass es Identität stiftet und so auch die Perspektive der Welterfahrung mitprägt.
Aus unserem Alltag wissen wir nur zu genau, dass wir verletzbar und hilfsbedürftig, aber auch zu gegenseitiger Sorge fähig sind. Man darf diese Sorge um das Wohlergehen und die Verantwortung für andere wohl als innerstes Wesen humaner Lebensführung auszeichnen, insofern sie nicht in selbstvergessener Aufopferung, sondern im freien Miteinander gleichwertiger Personen – im Respekt vor der gleichen Würde aller Menschen – ihren Grund hat. Es wäre irreführend, diese elementare moralische Haltung als (aufzuwertende) „weibliche Tugend“ zu kommunizieren und damit zugleich „altes männliches Denken“ fortzuschreiben. Eher ist es in diesem Zusammenhang angebracht, für eine „Ent-Moralisierung der Geschlechter“ (M. Friedman) zu plädieren, die jenseits einer partikularen Moral der Weiblichkeit eine „Ethik für alle“ (S. Wendel) zu denken vermag, indem sie die Pluralität der Identitäten auf der Basis der „Anerkennung von Unterschieden bei gleichzeitiger Annahme eines Allgemeinen, das die Menschen horizontal miteinander vernetzt“ (A. Pieper, Menschenwürde; in: E. Herms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde, 2001: 24), zu erhalten weiß. Die tiefe Einsicht, die darin geborgen liegt: Wenn wir auch als individuelle Personen in mancher Hinsicht verschieden sind, als Menschen sind wir doch alle gleich; ein so verstandenes Menschenbild kennt keine Wertabstufung zwischen den Geschlechtern.
Anerkennende Sexualmoral
Wünsche nach Sinnlichkeit, Lust und Leidenschaft zeigen ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Begehrendes Berühren und Berührtwerden ist für die meisten Menschen zudem auch eine wichtige Brücke zur Liebe und zu einem glücklichen Leben. Vielen fällt es heute aber auch immer schwerer, zu sagen, was „gute Sexualität“ eigentlich ist. Moralvorstellungen, wonach sexuelle Aktivität der Fortpflanzung zu dienen habe oder als Ausdruck der Liebe nur in der Ehe zu akzeptieren sei, erscheinen ihnen als menschen- und weltfremd. In Reaktion darauf kritisieren andere eine fortschreitende Banalisierung sexueller Begegnung: Erlaubt scheint alles, was gefällt und was man vereinbart oder ausgehandelt hat. Sie sorgen sich nun, dass immer mehr Menschen zu egoistischen „Lustsuchern“ werden und darüber die Fähigkeit zu tieferen persönlichen Bindungen verlieren.
Wenngleich auch die sexuell-lustvolle Kommunikation im „Spiel“ freier und gleicher Personen nicht aus sich heraus zur festen Bindung tendieren mag, so spricht das allein aber nicht gegen das ethisch gewiss anspruchsvolle Ziel, sie auf die liebende Partnerschaft hin auszurichten und im Blick darauf auch zu bewerten. Wie sonst ist zu erklären, dass so viele Menschen, die zwischen Nähe und Distanz vorsichtig tastend ei-nander vertrauensvoll mit Leib und Seele ganz sich zu öffnen bereit sind, dafür den Raum und die Zeit in einer liebenden Partnerschaft suchen?
Dr. Anja Seiffert, Projektleiterin „Einsatzbegleitung“ im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam
Gerechter Krieg
Es ist weder besonders originell noch sachlich angemessen, moderne Phänomene mit angestaubten Etiketten zu versehen oder neu-artige Probleme mit veralteten Erklärungs-, Deutungs- und Be-gründungsmustern zu bearbeiten. Dennoch wird zur Frage der Legitimation militärischer Gewalt heute wieder erstaunlich oft die bereits ausgemusterte Lehre vom „gerechten“ Krieg herangezogen. War während der Blockkonfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt noch die Legitimität des Verteidigungskriegs umstritten, so werden jetzt „Humanitäre Interventionen“ (Kosovo), Terrorbekämpfung (Afghanistan) und sogar der Präventivkrieg (Irak) mit dem alten Paradigma des „bellum iustum“ moralisch gebilligt. Doch die begriffliche Verknüpfung zwischen einem großen Übel und einem positiven Wert täuscht da-rüber hinweg: Der Krieg ist ein grausames Geschehen, die „Hölle auf Erden“ und daher niemals gerecht! – Wenngleich mit diesem klaren Diktum nicht schon über die Frage entschieden ist, ob es Konfliktsituationen geben kann, in denen die Anwendung militärischer Gewalt gerechtfertigt ist.
Ambivalenz und Kriteriologie
Die Lehre vom „gerechten“ Krieg ist von Beginn an mit einer starken Ambivalenz behaftet: Einerseits zielt sie auf Gewaltminimierung und kritisiert damit eine gegen rationale Einwände immunisierte Idee „Heiliger Kriege“ (Gott will es!), andererseits relativiert sie jedoch das frühchristliche Gewaltlosigkeitsideal. So reduziert der von den mittelalterlichen Rechtssammlungen zum Kronzeugen der Lehre vom „gerechten“ Krieg erhobene Kirchenvater Augustinus (354–430) die Aufforderung zum Gewaltverzicht aus der Bergpredigt Jesu auf eine innere „Bereitschaft des Herzens“. Gleichzeitig erlaubt er – in Anlehnung an Cicero (106–43 v. Chr.) – die Kriegführung zur Ahndung von Unrecht oder zur Wiedererlangung geraubter Güter. Das Ziel jeder kriegerischer Handlung aber müsse die Rückkehr des Friedensstörers in die von ihm verlassene Ordnung bleiben. Insofern dürften auch nur solche Mittel angewandt werden, die zur Umkehr mahnen, nicht aber zu Rachegelüsten ermuntern. Als Strafgericht bleibt ein „gerechter“ Krieg für Augustinus auf die staatliche Autorität beschränkt. In den Beichtspiegeln und theologischen Traktaten des Mittelalters, vor allem bei Thomas von Aquin (1225–1274), werden die Kriterien des gerechten Grundes, der richtigen Intention, der legitimen Autorität, der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der „ultima ratio“ verfeinert. Die großen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit von Kriegen, wie etwa die Disputation um die Legitimität der Eroberung Lateinamerikas am spanischen Hof (1550–1552) zwischen Sepúlveda und Las Casas, zeigen jedoch auch, dass diese Lehre sowohl als Legitimations-figur missbraucht wie als kritischer Referenzrahmen genutzt werden konnte.
Durch das freie Kriegsführungsrecht des Fürsten wird der Krieg im klassischen Völkerrecht der Neuzeit einer moralischen Bewertung entzogen, sofern er nur formal korrekt erklärt und das Recht im Krieg (ius in bello) eingehalten wird.
Prozessorientierung und Reformulierung
Die Wiederherstellung eines als weitgehend gerecht beurteilten politischen Zustandes und die Formulierung von Kriterien, die es notfalls erlauben, den Rechtsbrecher mit gewaltsamen Mitteln in die Rechtsordnung zurückzuholen, zeigen das statische Friedensverständnis der Lehre vom „gerechten“ Krieg.
Weltweite wirtschaftliche Ungerechtigkeit, sich ausweitende Flüchtlingsbewegungen oder gewaltsam eskalierende innerstaatliche Konflikte zeugen von der gegenwärtigen Friedlosigkeit unserer Welt. Dieser moralisch inakzeptable „status quo“ erzwingt geradezu einen grundlegenden Perspektivwechsel. Nur in der Blickrichtung des gerechten Friedens, in der es der Politik konsequent darum geht, Not zu lindern, Unfreiheit abzubauen und Gewalt einzudämmen, bleiben die klassischen Kriterien als kritische „Prozessmusterfunktion“ (Ebeling) weiterhin relevant.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gerechtigkeit
Durch eine allzu breit gestreute Berufung auf Gerechtigkeit wird der Begriff arg strapaziert. Manchmal spiegeln Gefühle der Empörung oder Klagen über Ungerechtigkeiten nur die Enttäuschung über mangelnde Hilfeleistung wider oder zeigen die Ablehnung nicht geteilter Lebensorientierungen an. Genauer gefasst bezieht sich der Gerechtigkeitsbegriff auf den Bereich von Handlungen und Einstellungen, die Personen einander gegenseitig schulden. Barmherzigkeit und verdienstliche Handlungen sind zwar gewiss positiv zu würdigen, können aber nicht strikt eingefordert werden. Auch der Umgang mit sich selbst, die persönliche Lebensgestaltung ist weithin nicht nach Kriterien der Gerechtigkeit zu beurteilen.
Gerechtigkeit als Tugend
In der antiken Philosophie wird Gerechtigkeit vorwiegend als personale Haltung bestimmt. Für Platon harmonisiert die Tugend der Gerechtigkeit die verschiedenen Seelenteile (Begierde, Affekt, Vernunft) hinsichtlich der ihnen zukommenden Aufgaben. Analog ordnet sie auch die unterschiedlichen Stände (Erwerbstätige, Wächter, Herrscher) des organisch als „Mensch im Großen“ gedachten Staates. Die bekannteste Formulierung dieser Vorstellung findet sich beim römischen Juristen Ulpian (170–228): „Gerechtigkeit ist der feste und dauerhafte Wille, jedem das Seine zuzuteilen.“
Von dieser umfassenden Bestimmung grenzt Aristoteles die spezielle Gerechtigkeit der Zumessung von Gütern ab: Die austeilende Gerechtigkeit weist Personen Ämter oder materielle Güter nach Maßgabe ihres Verdienstes zu, während die ausgleichende Gerechtigkeit sich bei eingegangenen Verträgen oder erlittenen Verbrechen an der Gleichheit von Gabe und Gegengabe orientiert. In den scholastischen Begriffen der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) und der Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) findet die aristotelische Unterscheidung ihren prominentesten Ausdruck.
Auch wenn sich in der Neuzeit die Gerechtigkeitsfrage zunehmend auf die Eigenschaft von Handlungen konzentriert, bleibt sie nicht nur im Blick auf die charakterliche Eignung von gesellschaftlichen Funktionseliten aktuell.
Soziale Gerechtigkeit
In der zeitgenössischen Debatte hat sich der Schwerpunkt auf institutionalistische Ansätze verlagert. Mit einer detailliert ausgearbeiteten Gerechtigkeitstheorie begründet der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921–2002) den demokratischen Wohlfahrtsstaat. Im Zentrum seiner Konzeption von Verteilungsgerechtigkeit stehen zwei Grundsätze: Der Gleichheitsgrundsatz schließt rechtliche Diskriminierungen aus und fordert das größtmögliche Maß an gleichen Grundfreiheiten für alle. Der Differenzgrundsatz lässt wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten unter der Bedingung zu, dass sie die am wenigsten Begünstigten besser stellen (als in einem egalitären System) und dass die mit den Vorteilen verbundenen Positionen jedem offen stehen (faire Chancengleichheit). Dagegen kritisieren Marktliberale diese Idee des Sozialstaats als ungerechtfertigte Freiheitseinschränkung. Kommunitaristen wiederum lehnen die universalistische Begründung beider Grundsätze ab und betonen im Gegenzug deren Abhängigkeit von kulturellen Vorgegebenheiten.
Gegenwärtig wird die Gerechtigkeitsdebatte auf traditionell vernachlässigte Themen ausgeweitet: auf die Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen sowie auf Fragen der internationalen und globalen Gerechtigkeit.
Die US-amerikanischen Bischöfe versuchen in ihrem Wirtschaftshirtenbrief von 1986 die Gerechtigkeit vom Grundrecht auf Beteiligung her neu zu bestimmen. Soziale Institutionen sollen die Mitwirkung aller Menschen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und strukturelle Defizite politischer oder wirtschaftlicher Mitbestimmung abbauen. In seiner Orientierung auf die von der gesellschaftlichen Beteiligung Ausgeschlossenen überzeugt dieser Ansatz als Übersetzung des biblischen Leitbildes von Gerechtigkeit: der Option für die Armen.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gewalt - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 05/2009)
Gewalt
Auch wenn ihr wahres Gesicht oft strukturell verdeckt wird und wir selbst gern die Augen davor verschließen: Die Welt steckt voller Gewalt; sie durchdringt die menschliche Geschichte, sie ist in allen Kulturen gegenwärtig. Wer genau hinschaut, wird die vielfältigen Akte der Gewalt entdecken, mit der Menschen den Willen anderer beugen oder brechen oder gar ihr Leben vernichten. Die Opfer können physische oder psychische Gewalt erleiden. Ein Täter kann zur Befriedigung von Bedürfnissen, zur Durchsetzung von Interessen und anderer Ziele Gewalt kühl kalkulierend einsetzen. Er kann sie aber auch um ihrer selbst willen verfolgen, sich an ihr lustvoll ergötzen. In jeder Gewalt liegt eine ihr innewohnende Dynamik. Oft ruft sie noch größere und schrecklichere Gewalttaten hervor: Vergewaltigung, Folter, Mord. Am Ende kann sie auch hehre Ziele korrumpieren und sich vollends verselbstständigen. Gewalt geht aber nicht nur von handelnden Personen, Gruppen oder Staaten aus, sondern auch von politischen und ökonomischen Strukturen, von sozialen und religiösen Systemen: Verhältnisse, in denen den „Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, (…) sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig.“ (Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede, 2000, 59)
Eindämmung von Gewalt
Das deutsche Wort „Gewalt“ enthält zwei unterschiedliche Bedeutungen, die in anderen Sprachen auch mit verschiedenen Begriffen ausgedrückt werden: Gewalttätigkeit und Machtausübung. Die ideengeschichtlich wirkmächtige Theorie des Gesellschaftsvertrags von Thomas Hobbes (1588–1679) verweist aber auch auf einen inneren Zusammenhang von verletzender und institutionalisierter Gewalt. Aus Furcht vor dem Krieg aller gegen alle verzichten die Menschen auf ihr „Recht“ der Gewaltausübung zu Gunsten einer staatlich monopolisierten Gewalt. Gewalt wird mit gewaltbewehrter Macht eingedämmt. Aber erst durch die Bindung an Recht und Freiheit, an die Menschenrechte (Locke) wird der staatlichen Gewalt ihre Willkür genommen. Die Fülle ihrer Macht wird durch Teilung und Trennung in Rechtsetzung, Rechtsprechung und Vollzug (Montesquieu) begrenzt, der Missbrauch erschwert. Schließlich geht in einer demokratischen Herrschaftsform die Gewalt vom Volke aus. Selbst die Durchsetzung dieser staatlichen Gewalt kann etwa durch Deeskalationsstrategien der Polizei gemindert oder durch mildere Formen des Strafvollzugs humanisiert werden. Und dennoch: durch Androhung bleibt Gewalt immer latent spürbar, im Vollzug der Verbrechensbekämpfung (nach innen) und im Verteidigungskrieg (nach außen) sogar unmittelbar erfahrbar.
Überwindung von Gewalt?
Gewalt muss aber nicht mit Gegen-Gewalt beantwortet werden, selbst wenn sie gerechtfertigt ist; man kann ihr auch mit Gewaltfreiheit begegnen. Die von Jesus in der Bergpredigt geforderte demonstrative Gewaltlosigkeit im Geist der Feindesliebe und der Versöhnung (Mt 5,38–48) zielt auf einen Bruch mit der verhängnisvollen Logik von Gewalt und Gegengewalt; sie will sich der Gewalt nicht einfach passiv oder gar feige unterwerfen, sondern sie aktiv und konstruktiv von innen her überwinden. Dabei kann Gewaltlosigkeit nicht nur als individuelles Mittel gegen personelle Gewalt, sondern auch als politische Strategie gegen kollektive Gewalt eingesetzt werden (Gandhi). Doch der Geist der Gewaltfreiheit bewahrt nicht vor moralischen Konfliktsituationen. Denn die Forderung nach Gewaltlosigkeit kann mit der Pflicht kollidieren, das bedrohte Leben anderer zu schützen. Dann kann es aus Liebe geboten sein, den Schwachen und Bedrängten notfalls auch mit Gewalt beizustehen. Dennoch bleibt auch die aus Notwehr und als Nothilfe ausgeübte Gewalt ein großes Übel.
Eine gewaltfreie Gesellschaft innerweltlich herbeiführen zu wollen, ist eine nicht selten ins Gegenteil umschlagende, gefährliche politische Utopie. Als eschatologische Hoffnung aber treibt sie den Christen jederzeit an, sich mit den Schattenseiten gewaltbewehrter Ordnungen niemals zufrieden zu geben.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gewaltlosigkeit
Gewaltlosigkeit im christlichen Sinn meint nicht Angst vor dem Feind. Sie ist auch nicht Konsequenz der resignativen Einschätzung, dass durch Gegengewalt die Lage doch immer nur verschlechtert werden kann. Vielmehr zeigt sich in dieser Haltung eine schöpferische Kraft, die den Hass des anderen überwindet, verständigungsorientierte Lösungen erschließt, Felder der Kooperation anbietet und letztlich durch Versöhnung Frieden schafft. Gewaltlosigkeit lebt aus der eschatologischen Hoffnung, den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt endgültig zu durchbrechen.
Wert der Gewaltlosigkeit
Die Weisungen aus der Bergpredigt, die andere Wange hinzuhalten, die Feinde zu lieben, für die Verfolger zu beten (vgl. Mt 5,38–45), und das Beispiel gebende Leben Jesu selbst prägten das Selbstverständnis und die Praxis der frühen Kirche. Kriege gehörten zu den Kennzeichen einer sündigen Welt, von der die Christen sich distanzierten und gegen die sie ihr Ethos der Gewaltlosigkeit setzten. Später konzentrierten sich die moralischen Bemühungen zunehmend auf die Minimierung von Gewalt. Es entwickelte sich eine restriktiv formulierte Lehre vom „gerechten“ Krieg, deren Anspruch die kirchlichen und weltlichen Autoritäten aber meist nicht gerecht wurden. Das Ideal christlicher Gewaltlosigkeit wurde auf die mönchische Lebensform enggeführt. Allerdings setzten die Armutsbewegungen des Mittelalters (Waldenser, Franziskaner) deutliche Gegenakzente. Gleichwohl verblasste in der Neuzeit der Gedanke der Gewaltlosigkeit immer mehr und blieb schließlich auf wenige Humanisten (Erasmus von Rotterdam, Juan Luis Vives) und sich eigens darauf verpflichtende Friedenskirchen (Mennoniten, Quäker) beschränkt. Erst nach den leidvollen Erfahrungen zweier Weltkriege und angesichts der Möglichkeit atomarer Vernichtung allen irdischen Lebens wurde die Idee der Gewaltlosigkeit nicht mehr nur von einzelnen Persönlichkeiten (Mahatma Gandhi, Martin Luther King) vertreten, sondern ergriff größere Bevölkerungsteile und entfaltete immer wieder sogar eine gesellschaftsverändernde Kraft (indische Widerstands-, US-amerikanische Bürgerrechts- und europäische Friedensbewegung).
Pazifistische Option
Der absolute Pazifismus lehnt jeden Einsatz von militärischen Gewaltmitteln kategorisch ab. Davon grenzt sich ein erkenntnisskeptisch „einzelfallbezogener Pazifismus“ (Olaf Müller) ab, indem er jeden gewaltsamen Konflikt eigens zu prüfen fordert. Insofern er aber im Blick auf die stets unkalkulierbaren und indiskriminatorischen Wirkungen nicht mehr damit rechnet, dass moderne Kriege faktisch je zu rechtfertigen sind, unterscheidet er sich im Ergebnis doch nicht vom absoluten Pazifismus. Er verbietet es sich, die Suche nach friedlichen Mitteln und Wegen zur Konfliktlösung abzubrechen („regulative Idee“); er wehrt sich gegen jede Verteufelung des Gegners, schärft den Blick für die unschuldigen Opfer und unkontrollierbaren Folgen militärischer Gewalt.
Vorrangige Option für Gewaltlosigkeit
Aus dem biblischen Wert der Gewaltlosigkeit lässt sich zwar ein Verbot primärer Gewalt und jeglicher Form rächender Gerechtigkeit, auch eine Aufforderung zur provokativen Durchbrechung des Regelkreises von Gewalt ableiten, nicht aber eine ausnahmslos gültige Norm. Wenn der Verzicht auf Gewalt „auf Kosten des Wohles anderer, zumal Dritter geht, kann er sogar gegen die Absicht Jesu sein: in seinem Namen haben Christen um der Nächstenliebe willen zugunsten von Armen, Schutzbedürftigen und Entrechteten deren Unterdrückern wirksam entgegenzutreten“ (Pastoralbrief der Kath. Bischofskonferenz der USA zu Krieg und Frieden, 1983, 16). Eine vorrangige Option für Gewaltlosigkeit, die primär nach gewaltfreien Strategien zur Austragung von Konflikten sucht, darf dann zum Gegenstand einer Abwägung gemacht werden, wenn sie mit der ebenso grundlegenden Option für die Opfer von Gewalt kollidiert, insofern deren Schutz ohne Anwendung von Gewaltmitteln nicht mehr gewährleistet werden kann.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gewissen - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 09/2007)
Gewissen
Dem Menschen ist es nicht nur gegeben, sein Handeln als lustvoll bzw. schmerzhaft zu verspüren oder als nutzbringend bzw. unnütz zu berechnen. Aufgegeben ist ihm auch, es als gut bzw. schlecht zu bewerten. Gleich dem moralischen Denken durchbricht auch das Gewissen die "Logik" rein lustfixierter und bloß schlau kalkulierender Lebensformen. Allerdings darf das Gewissen nicht einfach als Synonym für praktische Vernunft betrachtet werden: Es ist mehr als das rationale Vermögen, Handlungen und Handlungsziele unter moralischen Kriterien zu beurteilen. Im Gewissen erfährt sich der einzelne Mensch selbst als unmittelbar und unvertretbar Betroffener unter den unbedingten Anspruch des Guten gestellt; es bestimmt ihn zu einer "ethischen Existenz", wacht über seine personale Integrität.
Anspruch des Gewissens
Auch wenn die Wurzeln der Begriffsgeschichte in Jerusalem und Athen liegen und bildhafte Sprechweisen sich in allen Kulturen finden: eine systematische Theorie entwickelte erst die scholastische Theologie des Mittelalters. Je nach Schule wurde stärker das Wissen um Gut und Böse (Thomas von Aquin und die dominikanische Schule) oder der ursprunghafte Willen zum Guten (Bonaventura und die franziskanische Schule) betont. Ihre bleibende Bedeutung zeigt die übliche Unterscheidung der "Gewissensanlage" als Wissen um Gut und Böse und Vermögen, das Gute zu tun, von der "Gewissenstätigkeit", die sich im konkreten situationsbezogenen Gewissensspruch ausdrückt. Verbal oft nicht fassbar meldet sich das "wachsame Gewissen" vor einer Handlung warnend oder appellierend, das "reine" bzw. "schlechte Gewissen" im Nachhinein bewertend zu Wort. Der Gewissensspruch ist in seiner inhaltlichen Bestimmtheit jedoch kein unfehlbares Orakel. Im konkreten Urteil kann sich der Mensch täuschen (das sogenannte "irrende Gewissen"). Die Möglichkeit des Irrtums hebt die bindende Kraft des Gewissensspruchs zwar nicht auf, verlangt aber eine permanente kritische Selbstprüfung. Das Gewissen tritt dem Menschen auch nicht als eine von der Person unabhängige, äußere "Instanz" gegenüber; es bildet vielmehr die "Mitte der personalen Existenz" (Auer, Das Gewissen ..., 1962: 39), die über die "grundlegende Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst" wacht (Schockenhoff, Wie gewiss ist das Gewissen? 2003: 200). Für den Christen hat das Gewissen eine über das bloß Moralische hinausgehende Bedeutung; in ihm ereignet sich die Begegnung zwischen Mensch und Gott: "Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist." (Vaticaum II: Gaudium et Spes 16)
Freiheit des Gewissens
Unter ethischen Gesichtspunkten nimmt das Recht auf Gewissensfreiheit eine Sonderstellung ein, insofern es die moralische Integrität der Person selbst schützen soll. Die deutsche Verfassung gewährleistet die Gewissensfreiheit als selbständiges Grundrecht ohne Gesetzesvorbehalt (Art.4 Abs.1), wobei sich das Schutzgut nicht nur auf die Bildung (forum internum), sondern auch auf die Betätigung des Gewissens (forum externum) erstreckt. Sensibilisiert durch den "Massenschlaf des Gewissens" (Fritz Eberhard) deutscher Soldaten während des II. Weltkriegs wurde dieses Grundrecht spezifiziert in einem eigenständigen Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." (Art.4 Abs.3). Das allgemeine Grundrecht auf Gewissensfreiheit schützt aber bereits den Soldaten, der einen Befehl aus Gewissensgründen verweigert, wie das BVerwG in einem jüngeren Urteil (21.06.2005) feststellte, weil auch für den situationsbedingten Kriegsdienstverweigerer die Gewissensentscheidung kategorisch verpflichtend ist.
Bildung des Gewissens
Das Gewissen kann abstumpfen, wohl auch (ganz?) verstummen; es kann aber auch nur mehr oder minder sensibel, kreativ oder scharfsinnig sein. Der Mensch ist nicht nur vor seinem Gewissen, sondern auch für sein Gewissen verantwortlich. Gewissensbildung ist ein lebenslanges Projekt, die Wahrnehmung zu verfeinern, das Vorstellungsvermögen anzureichern, die Urteilsfähigkeit zu schulen. Christliche Gewissensbildung wird sich am Lebensmodell Jesu orientieren, der sich vorrangig den Bedürftigen und Benachteiligten zuwandte, die Gewaltfreiheit, Feindesliebe und Versöhnungsbereitschaft (Bergpredigt: Mt 5-7) lehrte und die gelebte Solidarität mit den Armen als Gottesbegegnung (Gerichtsrede: Mt 25,31-46) deutete.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Glaube - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 09/2013)
„Glauben heißt: nicht wissen.“ Diese deutsche Redensart ist populär, führt aber leicht in die Irre. Denn religiöser Glaube ist kein minderes Meinen, auch nicht das Für-wahr-Halten von (dogmatischen) Sätzen oder gar die Annahme von etwas, das sich rational überhaupt nicht beweisen lässt. Wer etwa meint, dass Gott existiert, der muss noch lange nicht an ihn glauben. Viel mehr bedeutet glauben: vertrauen. Glauben drückt so eine Beziehung aus, in der sich der Mensch jemandem öffnet, mit ihm rechnet, sich auf ihn verlässt. Und dieses Verständnis deckt sich auch mit der biblischen Sprache, dem hebräischen hæ‘æm?n und dem griechischen pisteúein. Als religiöses Verhältnis ist Glauben eine den ganzen Menschen erfassende, bejahende und zuversichtliche Haltung gegenüber Gott, die sich auch in den Anfechtungen des Lebens bewährt. Im Gebet wird eine – auch den Zweifel integrierende – Kommunikation gepflegt, wie in der neutestamentlichen Bitte eines um den schwerkranken Sohn besorgten Vaters: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24).
Vertröstende Religion
Für Karl Marx ist – die Kritik von Ludwig Feuerbach und eine Wendung Bruno Bauers aufgreifend – jede „Religion (…) Opium des Volkes“ ([1844] 1956: MEW 1, 378). Anstatt sich über die herrschenden Zustände zu empören und sie zu verändern, schickten sich die Menschen in ihre Verhältnisse und flüchteten in die Religion. Indem sie sich mit Träumen von Glück und Gerechtigkeit in einem Jenseits betäubten, vergäßen sie ihre diesseitigen Aufgaben und verlören jegliche Antriebskraft, sich von den irdischen Übeln zu befreien. Und tatsächlich versinken Menschen ohne Nahrung und Gesundheit, ohne Bildung und ohne Arbeit in Resignation, ergeben sich fatalistisch ihrem Schicksal und trösten sich mit dem Glauben an eine himmlische Glückseligkeit. Dann wächst die Gefahr, dass Religion zur Stabilisierung sozialer Ungerechtigkeiten, eben als „Opium für das Volk“ (W. I. Lenin) missbraucht wird.
Befreiender Glaube
Doch soziale Gerechtigkeit und persönliches Glück müssen nicht zwangsläufig gegen die Religion erkämpft werden. Es gehört nicht zu ihrem „Wesen“, Not als gottgewolltes Schicksal zu deuten und die „Elenden“ auf einen fernen Himmel zu vertrösten. Der christliche Glaube steht sogar in einem sehr engen Zusammenhang mit Herrschaftskritik und Sozialreform; er bezeugt einen Gott der zugunsten der Armen und Marginalisierten in die Geschichte eingreift. Schon für den Glauben Israels ist die Exodus- Erfahrung konstitutiv: die göttliche Befreiung vom Joch der Sklaverei in Ägypten und das Geschenk einer neuen sozialen Ordnung, die im Dekalog (Ex 20,2–17) zum Ausdruck kommt. Und das Neue Testament zeigt das verheißene Reich Gottes als geschichtliche Wirklichkeit, die in den Worten und Taten Jesu Christi bereits angebrochen ist.
Privater Glaube und öffentliche Religion
Der Glaube ist immer auch eine sehr private Angelegenheit. Denn er vollzieht eine individuelle Entscheidung, in der es dem Menschen um das Ganze seiner personalen Existenz geht. Daher muss er vor Eingriffen von außen besonders geschützt werden, etwa durch das Recht auf Religionsfreiheit. Christlicher Glaube aber kann eine Beschränkung auf die Privatsphäre nicht akzeptieren, weder von außen (Laizismus) noch von innen (evangelikale Kirchen). Er verlangt, sich politisch einzumischen und öffentlich präsent zu sein. Dieser Öffentlichkeitsanspruch der Kirche als soziale Institution des Glaubens muss heute allerdings „soziologisch neu formatiert“ (H. J. Höhn 2012: 62) werden. In einer religiös pluralen Gesellschaft und einem weltanschaulich neutralen Staat hat sie weder als Staatskirche noch als politische Partei einen Platz, ebenso wenig der Anspruch auf ein quasi hoheitliches „Hüter- und Wächteramt“. Umso mehr kommt es darauf an, dass sie als freie Glaubensgemeinschaft besonders auf zivilgesellschaftlicher Ebene Allianzen für Solidarität und Gerechtigkeit schmiedet und sich in Aktionsbündnissen und Bürgerinitiativen engagiert. Dies setzt freilich – jenseits dogmatischer Engführungen und fundamentalistischer Blockaden – eine verbesserte Kommunikationsfähigkeit des christlichen Glaubens mit allen Menschen guten Willens voraus. Glaube muss glaubwürdig sein – theoretisch wie praktisch. Nur wenn er sich einer vernunftorientierten Verständigung nicht entzieht, wenn er auch rational verantwortet, noch mehr aber im Handeln für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung bezeugt wird, kann er erneut als „Licht für die Welt“ (Mt 5,13) wieder an Strahlkraft gewinnen.
Zum Autor:
Dr. Matthias Gillner, Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Gleichheit - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 05/2011)
Im Diskurs darüber, was Menschen gerechterweise einander schulden, spielt der Gleichheitsgedanke eine dominante und irritierende Rolle. Im Extrem gilt er einerseits als Inbegriff der Gerechtigkeit, andererseits als Keim ihrer Zerstörung. Die meisten Klärungsversuche bewegen sich jedoch im Feld dazwischen – mit dem Ziel, beidem gerecht zu werden: dass wir allesamt Menschen sind, dies aber auf je besondere Art und Weise.
Rechtliche Gleichheit
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Dieser auf die Losung der Französischen Revolution anspielende erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat, obgleich beklagenswert häufig missachtet, den-
noch seither eine kaum zu überschätzende normative Kraft entfaltet. Er bestimmt den Respekt vor der Freiheit und die Rücksicht auf das Wohlergehen aller als „natürliche“, das heißt: außer Frage zu stellende Rechtsgrundlage menschenwürdiger Beziehungen.
Die Vor-Geschichte des umrissenen menschenrechtlichen Konsenses reicht bis zur Antike. Sie zeigt, wie mit Berufung auf die Natur des Menschen Gleichheitsforderungen auch bestritten oder relativiert werden können: Platon und Aristoteles etwa entwickeln mit Rekurs auf natürliche bzw. als natürlich verstandene Ungleichheiten einen Begriff proportionaler Gleichheit und differenzieren ihm gemäß Stellung und Funktion der Polisbewohner. Ebenso zeigt sie, dass auch die auf die Vernunftnatur des Menschen fokussierte stoische Ethik und die von der Gotteskindschaft aller Menschen überzeugte christliche Ethik weder in ihrer Frühzeit noch im Mittelalter zu einem Treibsatz rechtspolitischer Umwälzungen geworden sind. Erst im Kontext neuzeitlicher Vernunft- und Freiheitsphilosophien (wie der Kants) und im Kontext moderner theologischer Ansätze (zum Beispiel J. B. Metz) entfalten sie ihr umfassend menschenrechtliches Potenzial.
Soziale Gleichheit
In neueren Debatten über die Reichweite der Gleichheitsidee werden oft egalitaristische und anti-egalitaristi-sche Positionen gegeneinander profiliert. Kontrovers beurteilt wird dabei aber in der Regel nur die „Verteilung anderer Güter als grundlegender Rechte“. Erstere verbinden mit einer „Moral der gleichen Achtung und Rücksicht“ als Regel der Beweislastverteilung, dass „immer gleich verteilt werden sollte, wenn keine unparteiischen Gründe für eine ungleiche Verteilung sprechen. Die letzteren bestreiten das.“ (B. Ladwig, „Gerechtigkeit und Gleichheit“ in: Inf. Phil. 1/2006: 27). Solche legitimen Gründe sind z. B. ungleiche Bedürfnisse oder ungleiche Beiträge. Als prominentes Beispiel für dieses Argumentationsmuster bietet sich das „Differenzprinzip“ von J. Rawls an, demzufolge sozialökonomische Ungleichheiten als gerecht gelten dürfen, wenn sie auch für die Schlechtestgestellten von Vorteil sind. Eine andere pragmatische Entschärfung egalitaristischer Überlegungen ergibt sich durch eine Beschränkung auf maßgebliche Hinsichten der Gleichverteilung. So sieht A. Sen soziale Gerechtigkeit wesentlich durch die Befähigung definiert, sinnvolle Tätigkeiten auszuüben, und M. Nussbaum entwirft in seiner Nachfolge eine (offene) Liste solcher Fähigkeiten. Bei R. Dworkin schließlich entscheidet die Differenz zwischen Zufall und Entscheidung darüber, ob Ungleichheit mit dem Anspruch sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist oder nicht: Zufällige Nachteile, für die eine Person nicht selber verantwortlich gemacht werden kann, sind anders als Konsequenzen freier Entscheidungen möglichst auszugleichen.
Im Gegensatz zu radikalen Kritikern sozialen Ausgleichs wie R. Nozick, der die staatliche Aufgabe im wesentlichen auf den Schutz der negativen Freiheit aller beschränkt, plädieren jüngere „non-egalitaristische Humanisten“ durchaus nicht für einen menschenrechtlichen Minimalismus. Der Staat hat demnach „auch dafür zu sorgen, dass niemand unter elenden Bedingungen existieren muss.“ (A. Krebs, „Gleichheit ohne Grenzen?“ in: Inf. Phil. 5/2004: 10) Aber sie setzen gegen die komparative Struktur eines tendenziell ausufernden Gleichheitsstrebens das Prinzip der Suffizienz: Nicht „Gleich viel“ (wie die anderen) ist das Motto, sondern „Genug“ (für alle). Im Surplus-Bereich soll jeder auf rechtfertigungsunbedürftige Weise frei anders leben dürfen.
Klaus Ebeling, Projektleiter Ethik im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
Glück - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 12/2007)
Wortgeiz wird der deutschen Sprache gemeinhin nicht nachgesagt. Umso mehr mag es verwundern, wie viele Bedeutungen das eine Wort "Glück" zu tragen hat. Worum es also genau gehen soll, wenn jemand aufs Glück zu sprechen kommt, das ist von vornherein keineswegs klar. Eher schon, dass es dringlich erstrebt wird - und dass die Intensität dieses Strebens sogar zunimmt, wo die Grunderfahrung eines nicht bloß "selbstgemachten" Lebenssinns schwindet.
Zufallsglück und Lebensglück
Die griechische Glücksgöttin Tyche wurde verehrt und gefürchtet: Sie war nämlich nicht nur für günstige Zufälle verantwortlich. Auch das mittelhochdeutsche "gelücke" hat noch beide Möglichkeiten im Blick; die Bedeutungsverengung auf die erwünschte Fügung setzt sich erst auf dem Weg in die Moderne immer mehr durch.
Die Hoffnung auf glückliche Zufälle, günstige Lebensumstände begleitet wohl alle Menschen durchs Leben. Nur wenige dürften darüber aber vergessen, dass diese allein kein glückliches Leben bewirken können. "Glücklich sein" umfasst weit mehr als "Glück haben" - und verlangt, vor allem, auch eigene Anstrengungen. Glück als deren letztes Ziel ist freilich nur formal als einheitliche Größe zu fassen: als "inklusives" Ziel, d. h. als "Inbegriff" eines gelingenden, zufriedenstellenden Lebens. Auf die Frage nach dessen wesentlichen inhaltlichen Bestimmungen gibt es keine unbestritten richtige Antwort. Jedem, der sich und sein Leben ernst nimmt, ist demnach aufgegeben, sich eine eigene, tragfähige Position zu erarbeiten.
In der ethischen Tradition unseres Kulturkreises lassen sich vor allem zwei Arten von Antworten identifizieren: Die eine, typisch für die vormoderne Philosophie bzw. die Theologie, versteht "Lebensglück" oder "Glückseligkeit" (griech.: eudaimonia) als "Erfüllungsglück" oder "Wohlergehen", das sich vorrangig einer umfassenden, objektiv verbürgten Sinnperspektive bzw. einer sogar den Tod überwindenden religiösen Heilserwartung verdankt. Die andere, im neuzeitlichen Denken sich vordrängende, ist auf das "Empfindungsglück" oder "Wohlbefinden" konzentriert, das von der Erfüllung möglichst vieler subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte erhofft wird. Im einen Fall gilt, in plakativer Zuspitzung, das Motto "Werde, der du bist!", im anderen eher ein "Erfinde dich selbst!" (vgl.: Handbuch Ethik, hg. v. Düwell u. a., Stuttgart/Weimar 2002: 375-380; Mottos: 378).
Glück und Moral
Die Eudaimonia im älteren Sinne ist immer engstens mit der Idee eines auch moralisch guten Lebens verbunden, sei es, dass Tugend und (wahres!) Glück der Sache nach ineinsgesetzt werden (Sokrates, Stoiker), oder dass eine tugendhafte Lebensführung als notwendige oder gar zugleich notwendige und hinreichende Glücksbedingung gilt. Den meisten Menschen dürften jedoch heute, zumindest in unserem Kulturkreis, Konfliktthesen näherliegen. Wer sich dennoch strikt dazu verpflichtet sieht, einem von subjektiven Glücksvorstellungen unabhängigen moralischen Maßstab gemäß zu handeln, muss damit zu leben lernen, immer wieder "der Dumme zu sein" - und deshalb wohl auch die widerständige Hoffnung kaum aufgeben wollen, dass Glück und Glückswürdigkeit sich letztlich doch als verschwistert erweisen werden. Populär und wirkmächtig sind allerdings auch Unvereinbarkeitsthesen, und zwar solche mit dezidiert moralkritischer Pointe. Sie entlarven "die Moral" als lust- und lebensfeindlich (was sie faktisch gewiss allzu oft ist), verkennen dabei aber, dass der Respekt vor dem Glücksstreben aller eben auch "moralisch" ist und entsprechender Regeln bedarf.
Paradoxien des Glücks
An zwei Einsichten sei abschließend noch erinnert, die Illusionen über die "Machbarkeit" des Glücks vermeiden helfen. Der Philosoph Martin Seel hat sie in einem klug komponierten Buch "Zum Glück" (hg. v. Neiman/Kroß, 2004: 237-246) präzise markiert: Glück ist, erstens, wesentlich mit der "Erfüllung ungeahnter Wünsche" verbunden; denn paradoxerweise verhält es sich oft so, dass "ein bestehender Wunsch nicht buchstäblich erfüllt werden darf, um wahrhaft erfüllt zu sein." Zweitens: "Was wir begehren, ist Erfüllung und Begehren." Nur als Personen, denen es noch leidenschaftlich um etwas geht, deren Lebenshorizont noch offen ist, können wir wirklich glücklich sein - Verletzbarkeit inbegriffen.
Klaus Ebeling
Die Goldene Regel - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 10/2008)
Es ist gar nicht klug, nur an sich zu denken. Gut leben, ja, auch nur überleben kann jeder und jede nur zusammen mit anderen. Diese Einsicht ist trivial, sie lebensklug zu praktizieren aber leider nicht. Ähnlich verhält es sich auch mit jener Forderung, die seit alters in den verschiedensten Kulturen dem Faktum mitmenschlicher Verbundenheit eine verbindliche Gestalt vorzeichnet: die (allerdings erst seit dem 18. Jh. so bezeichnete) „Goldene Regel“. Einerseits wird sie mit Fug und Recht, wie z. B. in dem von Kofi Annan initiierten Manifest „Crossing the Divide“ zum UN-Jahr des Dialogs der Kulturen 2001, als großer gemeinsamer Wert der Menschheit herausgestellt, weil sie „das Wahrnehmen, die Anerkennung, die Annahme und die Hochschätzung des anderen als Bestandteil unseres eigenen Selbstverständnisses“ fordert und uns dabei hilft, „zu lernen, wie man menschlich ist“ (dt.: „Brücken in die Zukunft“, 2001: 85). Andererseits ist jedoch auch seit jeher umstritten, ob sie denn, wenn schon kein zureichender Maßstab für das Gute, dann doch wenigstens eine hinreichende Bestimmung der formalen Struktur mitmenschlicher Gerechtigkeit sein könne.
Kluges Selbstinteresse und moralischer Respekt
Es gibt zwei Grundversionen der "Goldene Regel" Ein Sprichwort bietet die wohl populärste negative Fassung: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu!“ Ins Positive gewendet findet sie sich bei Matthäus: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (7,12; vgl. Lk 6,31). Keine Frage: Mit dieser Aufforderung wird die Vergeltungslogik des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ überwunden, der Gedanke wechselseitiger Anerkennung substanziell erweitert. Aber konstituiert die kluge Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse anderer, die Bereitschaft zum befriedenden Ausgleich zwischen Geben und Nehmen, Leistung und Gegenleistung auch schon ein dezidiert moralisches Anerkennungsverhältnis? Wohl kaum – es sei denn, man beschränkt die moralische Perspektive grundsätzlich auf diejenige eines „wohlverstandenen Eigeninteresses“.
Moralkriterium und Liebesgebot
Das Neue Testament gibt der positiv formulierten Regelversion eine anspruchsvollere Bedeutung. Im Kontext der Bergpredigt bzw. Feldrede, d. h. konkret: im Kontext von Liebesgeboten, die, wie das Gebot der Feindesliebe (Lk 6,27–30), rechnende Denk- und Verhaltensweisen überbieten, erscheint die Regel (Mt 7,12 ausdrücklich bezogen auf das „Gesetz [Gottes] und die Propheten“) als Summe einer „neuen Gerechtigkeit“, die in der Nachfolge Jesu jeden anderen vorbehaltlos gerade auch in seiner Andersheit anzunehmen fordert; die „erstinitiatives Handeln“ fordert, das sich gerade nicht „an der faktischen Gegenliebe des anderen“ orientiert, sondern vielmehr „ein idealerweise wünschenswertes Verhalten zum Ausgang nimmt“ (Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, 2007: 296).
Begriffliche Präzisierung
Neben kontextuellen „Präzisierungen“ wie der biblischen finden in der jüngeren philosophischen Diskussion auch im engeren Sinne begriffliche Überlegungen wieder größere Beachtung. Ihnen stehen u. a. die wirkmächtigen Einwände Kants im Weg. Anders als sein „kategorischer Imperativ“ – „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (Kritik der prakt. Vernunft, Akad.-Ausg.: 54; vgl. auch die „Person-Selbstzweck-Formel“ in der Grundlegung z. Metaphysik d. Sitten, Akad.-Ausg.: 429] – könne die "Goldene Regel" kein allgemeines Gesetz sein (a. a. O.: 430, Anm.), weil sie weder den Grund der „Pflichten gegen sich selbst“ noch der „Liebespflichten gegen andere“ (z. B. bei Menschen mit exzentrischen Wünschen) noch der „schuldigen Pflichten gegeneinander“ (z. B. im Falle eines gegen den strafenden Richter argumentierenden Verbrechers) enthalte.
Eine dementsprechend korrigierte, verallgemeinerte Fassung der "Goldene Regel" sei abschließend zitiert (Hoche, Hist. Wörterbuch d. Philos., Bd. 8, 1992: 461): „Wenn ich will, dass niemand in einer Situation von der und der Art soundso handelt, dann bin ich moralisch verpflichtet, in einer Situation von der und der Art nicht soundso zu handeln“. Die LeserInnen mögen prüfen, ob sie denn hält, was sie verspricht.
Klaus Ebeling
Gründe - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 06/2010)
Auf die Frage, warum Menschen so handeln, wie sie handeln, kann es verschiedene Antworten geben. Gründe können Handlungen einfach nur erklären. Sie beschreiben dann, aus welchem Antrieb etwas getan oder unterlassen wird. Gründe können aber auch legitimieren, also dartun, mit welchem Recht etwas getan oder unterlassen wird. Auch wenn normative und erklärende Gründe in einem gemeinsamen Kontext stehen, so müssen sie doch unterschieden bleiben. Außerdem können sie zueinander in Widerspruch geraten. Weder müssen die intersubjektiv bzw. objektiv besten Gründe bereits zu einer Handlung bewegen (oder sie verhindern), noch lassen sich die subjektiv motivierenden Gründe immer schon rechtfertigen. So verhütet der anerkannte Grund der ehelichen reue nicht unbedingt einen Seitensprung und das Motiv der Sparsamkeit kann sich bei sozialen Notlagen enger Freunde als egoistisch entlarven.
Rechtfertigende Gründe
Öffentlich vorgetragene Gründe können nach Vernunftkriterien allgemein beurteilt werden. Wenn sie geliefert werden, müssen sie auch einleuchten. Wenn andere sie einfordern, dann müssen sie nachvollziehbar und überzeugend sein. Eine Begründung mag sich auf eine instrumentelle Rationalität beschränken, lediglich die geeigneten Mittel zur Erreichung eines beliebigen Zweckes oder eines subjektiven Zieles angeben. Sie kann darüber hinaus auch die Ziele selbst überprüfen und sie im klugen Arrangement nach Maßgabe des aufgeklärten Eigeninteresses ordnen (prudentielle Rationalität). Gerechtfertigt ist eine Handlung aber erst dann, wenn sie auch verantwortet werden kann, wenn die Gründe sich nicht bloß auf die Realisierung oder Abwägung eigener Ziele beziehen, sondern vor anderen, seien sie direkt oder indirekt betroffen, vertreten werden können. Rechtfertigende Gründe im moralischen Sinn müssen den Kriterien der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit entsprechen. Davon unterscheiden sich gerechtfertigte Antworten auf die Fragen eines ‚guten Lebens‘. Sie müssen sich im Horizont persönlicher Werte und subjektiver Ideale als begründet erweisen.
Erklärende Gründe (Motive)
Erklärende Gründe zeigen auf, wie menschliches Tun oder Unterlassen im Sinne einer „Wenn-So-Kausalität“ (Edmund Husserl) motiviert ist. Als Beweg-Gründe sind sie von den sinnlichen Triebfedern des Menschen zu unterscheiden, die zwar verursachen, nicht aber bewusst schon zu etwas motivieren. Jene können eher von außen – etwa durch Belohnung oder Bestrafung – bestimmt werden (extrinsische Motivation) – oder in der Person selbst liegen (intrinsische Motivation). So kann die Spekulation an der Börse durch persönliches Gewinnstreben oder durch die wirtschaftliche Erwartungshaltung von Geschäftsfreunden motiviert sein. Über die Beziehung zwischen rechtfertigenden und erklärenden Gründen gibt es zwei grundverschiedene Auffassungen. Die Internalisten in der Tradition des englischen Philosophen David Hume behaupten eine Übereinstimmung zwischen der motivationalen Verfassung einer Person und einsichtigen Gründen, während die Externalisten auf der Unabhängigkeit rechtfertigender Gründe bestehen. Das Selbstverständnis des Menschen als verantwortliches und mitfühlendes Wesen sowie das Phänomen der Willensschwäche sprechen für die letztgenannte Position.
Letzte Gründe?
Die Auflösung des Zusammenhangs zwischen rechtfertigenden Gründen und der Motivation zum richtigen Handeln muss aber die Frage offen lassen, warum wir überhaupt moralisch sein, warum wir unbedingt den gerechtfertigten Gründen folgen sollen. Eine zwingende rationale Beantwortung dieser Frage halten – ebenso wie die Letztbegründung von Normen überhaupt – nur sehr wenige für möglich. Moralische Theorien können hier wohl oft nur noch auf das „Entgegenkommen“ (Jürgen Habermas) von gesellschaftlichen Sozialisationsvorgängen und ethisch anspruchsvollen Lebensformen hoffen. Christen gründen ihre ethische Existenzform in ihrem Verhältnis zu Gott. Sie setzen gläubig auf die Macht Gottes, die in den Lauf der Geschichte eingreift, die verletzte Ordnung heilt, die Integrität der Opfer wiederherstellt und die Täter von ihrer Schuld befreit.
Dr. Matthias Gillner, Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Handlung - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 01/2012)
Bequem und ungefährdet ist ein Tribünenplatz. Man kann sich zurücklehnen und mit sicherem Abstand die Geschehnisse in der „Weltarena“ beobachten. Riskant und anstrengend dagegen ist es auf dem Platz für den Akteur, der in den „Spielverlauf“ eingreifen will. Dort muss er nicht nur schwierige Entscheidungen treffen und ausführen, er liefert sich auch dem Urteil der Betrachter aus, die sie dann als gut oder schlecht, als richtig oder falsch, als gerecht oder ungerecht, als selbstlos oder egoistisch bewerten. Doch – wann kann menschliches „Sich-Verhalten“ als Handeln bezeichnet werden? Und welches Handeln muss überhaupt von Menschen moralisch verantwortet werden?
Handeln und Verhalten
Nicht alle menschlichen Regungen oder Tätigkeiten sind schon Handlungen, etwa physiologische Prozesse (z. B. ein Hustenanfall) oder Reaktionen des Organismus‘ auf Umweltreize (z. B. das Stolpern über einen Stein). Körperbewegungen, die einfach geschehen und beobachtet werden, gelten als Verhalten. Sie können mit einer Ursache erklärt werden; ihnen liegt nur eine „Ereigniskausalität“ zugrunde. Weil Menschen „dafür nichts können“, sind sie der moralischen Beurteilung entzogen (z. B. das unwillkürliche Fallenlassen eines Porzellantellers).
Handlungen unterscheiden sich von purer Bewegung oder bloßem Verhalten dadurch, als sie von einer Person willentlich und wissentlich bewirkt werden (z. B. die bewusste Zerstörung eines Kunstwerks oder finanzielle Unterstützung eines Bedürftigen). Sie können begründet, d. h. auf einen Grund zurückgeführt werden; man spricht auch von „intentionaler Kausalität“. Als Handelnde müssen sie sich auch moralisch verantworten. Grenzfälle sind sogenannte Affekthandlungen und ohne Absicht geschehene, aber durch eine Absicht verursachte Handlungen (z. B. das unfreiwillige Überfahren eines Tieres durch das beabsichtigte Steuern eines Autos). Von einer eingeschränkten moralischen Zurechenbarkeit können aber auch beabsichtigte Handlungen sein, wenn sie unter psychischem Druck begangen oder gar erzwungen werden (z. B. der Diebstahl aufgrund einer Erpressung).
Selbst Unwissenheit hebt den Handlungscharakter nicht immer schon auf. Wenn Informationen absichtlich nicht eingeholt werden (z. B. die Anhörung eines Zeugen), oder absehbare Situationen unbedacht bleiben (z. B. das Auftauchen von Kindern in einer Spielstraße), ist das Nicht-Wissen durchaus gewollt bzw. in Kauf genommen – und damit als Handlung auch moralisch zu verantworten.
Handlungen und Handlungsfolgen
Für die intendierten Folgen von Handlungen ist der Mensch immer verantwortlich. Aber auch unbeabsichtigte Folgen oder Nebenwirkungen (z. B. die Tötung von Unbeteiligten bei der Zerstörung eines Militärstützpunktes) müssen – nach dem Maß von Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit – dem Handelnden zugerechnet werden. Besonders im Umgang mit moderner Risikotechnologie stellen sich schwierige Abwägungsprobleme. Für negative Folgen gilt: „Je grundlegender die Güter sind, die auf dem Spiel stehen, umso sicherer müssen irreversible negative Folgen ausgeschlossen werden.“ (F. Ricken, Allgemeine Ethik, 42003: 108)
Tun und Zulassen
Nicht nur Tun, sondern auch Zulassen ist Handeln. Ein Ziel wird wissentlich und willentlich durch ein Nicht-Tun bewirkt. Oftmals lässt sich auch kein moralischer Unterschied feststellen. Ob ich einem Ertrinkenden absichtlich den Rettungsring nicht zuwerfe oder den bereits ergriffenen Rettungsring zerstöre, ist gleichermaßen verwerflich. In gewissen Zusammenhängen und aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Sterbehilfe – kann der Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen aber durchaus auch moralisch relevant werden.
Ähnlich schwierig ist die Frage nach der Unterlassung: Menschen stehen häufig vor verschiedenen Handlungsoptionen. Nur bei einem willentlichen und wissentlichen einschließlich selbstverschuldet unwissentlichen) Nicht-Handeln spricht man von einer Unterlassungshandlung. Für die christliche Ethik stellen sie oftmals das größere moralische Problem dar. Wider die Gleichgültigkeit gegenüber der Notlage anderer und dem Desinteresse am Schicksal des Nächsten weist Jesus mit dem „Beispiel vom barmherzigen Samariter“ (Lk 10,25–37) einen anderen Weg.
Dr. Matthias Gillner ist Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Hoffnung - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 12/2010)
„Hoffnungen sind Hypotheken, Anleihen des Gemüts bei der Zukunft“ und – wie B. Ulrich in einem ZEIT-Artikel (45/2010: 1) über Barack Obama darlegt – oft gerade nicht in der tugendhaft rechten Mitte zwischen Übermut (oder gar Hochmut) und Resignation (oder gar Verzweifl ung) zu Hause: „Der Hoffungsträger von heute ist der Sündenbock von morgen, was ihm zufl iegt, sind Herzen, was bei ihm ankommt, sind Steine.“
Wirklichkeitsbezug
Die Warnung vor unreifen, unerfüllbaren Sehnsüchten und vor trügerischen, illusionären Erwartungen kennzeichnet einen von der griechisch-römischen Antike bis in die Gegenwart reichenden Strang von Überlegungen zur wesentlich zeitlich bestimmten Existenzform des Menschen. Dabei fungieren Vernunft bzw. Erfahrung als kritische Instanzen für die Unterscheidung dessen, was über Zukünftiges wirklich gewusst oder wenigstens rational als wahrscheinlich ins Kalkül gezogen werden kann und dem, was bloß egoistisch befangene Meinung ist.
Gegen eine Abwertung der Hoffnung (wie auch der Furcht) zu einem Affekt, gegen den es eine vernunftgeleitet ethische Lebensführung durchzuhalten gilt (z. B. in der Stoa oder später in extremer Weise bei Spinoza), hebt eine andere Gedankentradition, beginnend wohl mit Sophokles, die positive Funktion der Hoffnung als subjektiv interessegeleitetes Vertrauen auf real mögliche Lebensperspektiven hervor.
Seither sind dann sehr unterschiedliche Gestalten existenzieller Zuversicht entwickelt und propagiert worden: von einer platonischen Vernunftkonzeption, die sich eine reine Schau der Wahrheit und des wahren Guten zutraut, über neuzeitliche Utopien und moderne, vermeintlich wissenschaftliche Theorien revolutionärer Praxis bis etwa zu E. Blochs „Prinzip Hoffnung“ (1959: 83ff.), das die Intention der „Selbsterweiterung nach Vorwärts“ (und eben nicht das von der Triebstruktur beherrschte Selbsterhaltungsinteresse) als „menschlichste aller Gemütsbewegungen“ identifiziert.
Moralbezug
In der Philosophie Kants gewinnt die anthropologische Grundkategorie der Hoffnung eine besondere ethische Bedeutung. Das theoretische (Was kann ich wissen?) und das praktische Vernunftinteresse (Was soll ich tun?) werden in einer dritten Frage zusammengeführt: Was darf ich hoffen – „wenn ich nun tue, was ich soll“? (Kritik der reinen Vernunft B 833). Ihre Beantwortung führt Kant letzthin zu einem moralpragmatisch gerechtfertigten Gottesglauben, d. h. zum Postulat einer „höchsten Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet“ und Teilhabe an der Glückseligkeit strikt an das Bestreben bindet, sich ihrer „würdig zu machen“ (B 838).
Glaubensbezug
Die biblische Hoffnung ist weder als Extrapolation der Gegenwart noch als lediglich moralisch bedingtes Vernunftinteresse zu verstehen; sie gründet vielmehr in göttlicher Verheißung, in einer umfassenden Heilszusage – bis hin zur Auferweckung der Toten. Zusammen mit Glaube und Liebe charakterisiert diese Hoffnung als dritte der „göttlichen Tugenden“ christliches Leben in der Nachfolge Jesu (1 Thess 1,3; 1 Kor 13,13 u. a.). Sie soll keineswegs zur Weltfl ucht verleiten, sondern, im Gegenteil, als Antizipation der verheißenen Freiheit, Gerechtigkeit und Lebensmacht (Röm 5,1ff.) zur kritischen Reflexion und Veränderung der jeweils gegebenen Lebensverhältnisse ermutigen. In diesem Sinne widersetzt sich, wer das „Reich Gottes“ zu hoffen wagt – mit anderen; denn diese Hoffnung ist „so anspruchsvoll, dass keiner sie für sich allein und nur im Blick auf sich selber hoffen könnte“ –, einem „schlechthin geheimnisleeren Bild vom Menschen, das nur einen reinen Bedürfnismenschen zeigt, einen Menschen ohne Sehnsucht, das heißt aber auch ohne Fähigkeit zu trauern und darum ohne Fähigkeit, sich wirklich trösten zu lassen und Trost anders zu verstehen denn als reine Vertröstung.“ (Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1971–75, Beschluss „Unsere Hoffnung“, OG I: 99 und 87f.)
Klaus Ebeling, Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Interesse - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 02/2013)
Es nützt wenig, Interessen gering zu schätzen oder gar zu verdammen. Denn der Mensch ist ein zutiefst interessiertes Wesen. Zu seinem Lebensvollzug gehört es, Interessen zu haben. Wobei das Interessante – das, was seine Aufmerksamkeit weckt und woran ihm etwas liegt – sich nicht allein auf materielle Dinge und soziale Güter beschränkt. Es umfasst auch Geistiges, erstreckt sich auch auf den wissenschaftlichen, künstlerischen oder religiösen Bereich. Bei der Verfolgung der vielfältigen Interessen kommt es aber nicht immer zu harmonischer Kooperation. Es entstehen Konkurrenzen aufgrund gleicher Interessen (etwa an knappen materiellen Ressourcen oder sozialen Positionen) oder wenn verschiedene Interessen (z. B. an mehr Sicherheit oder mehr Freiheit) sich nicht gleichzeitig und gleichgewichtig verwirklichen lassen. Interessenkonflikte aber müssen politisch bearbeitet und rechtlich geklärt werden. Die Gerechtigkeit bildet dann das normative Kriterium, sie in einer staatlichen Ordnung oder in den internationalen Beziehungen moralverträglich zu regulieren.
Bedeutungswandel von Interesse
Die Bedeutung des aus den zwei lateinischen Wörtern inter (dt.: zwischen) und esse (dt.: sein) zusammengesetzten Begriffs unterliegt einem starken geschichtlichen Wandel. Sein Ursprung liegt in der rechtlichen Regelung des Schadenersatzes im Römischen Reich. Im Hochmittelalter tritt zunächst die „euphemistische Verwendungsweise“ (H.-J. Fuchs) für Zinsen als besondere Form der Entschädigung für den Wertverlust des geliehenen Geldes hinzu, während zu Beginn der Neuzeit der Wortsinn von Interesse sich zum materiellen ‚Nutzen‘, zum ‚Vorteil‘ hin verallgemeinert. Eine moralisch abwertende Bedeutung erhält der Begriff durch die spanischen Mystiker. So übersetzen etwa Ignatius von Loyola oder Teresa von Ávila Interesse mit Selbstsucht und bringen ihn als Gegenbegriff zur Gottesliebe ins Spiel.
Einzel- und Allgemeininteresse
Von den britischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts wird Interesse – parallel zur Entwicklung einer kapitalistischen Ökonomie – als zentrales Motiv menschlichen Handelns identifiziert. Mit der Konzentration auf den Erhalt des eigenen Lebens, auf die Verbesserung der eigenen materiellen Situation oder sozialen Position wird die antike und mittelalterliche Vorstellung von einer sozialen Natur des Menschen zurückgedrängt. Aber die Verfolgung privater Interessen wird auch nicht einfach im Gegensatz zum Allgemeininteresse konzipiert. So fördert nach Adam Smith die Rivalität von Einzelinteressen die wirtschaftliche Entwicklung und damit gerade auch das gesellschaftliche Wohlergehen. Allerdings kann auch nicht ein ‚Automatismus‘ unterstellt werden. Im Konflikt mit dem übergeordneten Interesse der Gemeinschaft bedarf es etwa für Jeremy Bentham doch der Tugend, um das private Eigeninteresse mit dem Allgemeininteresse zu vereinbaren.
Interesse und Moral
In der Gegenwart wird das eigene Interesse nicht nur im „materialistischen Alltagsverstand“ (U. Willems) zahlreicher Bürger, sondern auch bei den Sozialwissenschaften (z. B. im rational-choice-Ansatz) oft zu der handlungsorientierenden Schlüsselkategorie. Die Berücksichtigung oder gar Förderung von Interessen anderer wird dann als „aufgeklärtes“ oder „wohlverstandenes“ Eigeninteresse interpretiert. Denn nur Interessen seien ‚real‘, stabil und erwartungssicher; Moral dagegen habe nur eine ziemlich geringe Motivationskraft. Abgesehen von seltenen ‚Heiligen‘ werde moralisch meist dann gehandelt, wenn es sich entweder lohnt (vorteilhafte Moral) oder nichts kostet (billige Moral). Aber erreicht eine solche auf Interessen reduzierte Handlungserklärung wirklich den Kern menschlichen Selbstverständnisses?
Im Politischen Realismus erscheint Moral sogar als eine gefährliche Kategorie, weil sie im Gegensatz zum Interesse wenig kompromissfähig und damit nicht sozialverträglich sei. Doch auch interessegeleitetes Streben hat ein gewaltiges Eskalationspotenzial, vor allem dann, wenn der Verlust von sozialen Positionen und materiellen Gütern droht.
Gesellschaftlicher und internationaler Frieden fordert mehr als nur die unparteiische Regulierung von Eigeninteressen. Individuen wie Staaten müssen bereit sein, bisweilen „das eigene Interesse, so berechtigt es auch sein mag, freiwillig zugunsten anderer“ (Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede, 2000: 65) zurückzustellen.
Zum Autor: Dr. Matthias Gillner,
Dozent für Katholische Sozialethik an der
Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
J - L
Kasuistik (lat. casus = Fall) ist eine Methode zur sittlichen Entscheidungsfindung in solchen (Gewissens-) Fällen, in denen moralische Unsicherheit oder Zweifel bestehen hinsichtlich der Anwendbarkeit allgemeiner moralischer Normen, Gesetze oder Handlungsmaximen. Gefragt wird in der Regel, wie im Falle von Normenkonflikten zu entscheiden ist oder ob überhaupt eine anwendbare Norm für den jeweiligen Fall existiert. Kasuisten lehren mithin keine allgemeinen Moraltheorien, sondern beraten in individuellen Gewissensfragen.
Entwicklung und Kritik
Auf den Grundlagen der antiken Rhetoriktraditionen und der in der Scholastik ausgearbeiteten Lehre von den Umständen menschlichen Handelns entstanden im 16. und 17. Jahrhundert ausgeklügelte kasuistische Moralsysteme, die dann in zweifacher Hinsicht auf Kritik stießen. Blaise Pascal ist der Protagonist einer Kritik, die der Kasuistik eine sophistische Infragestellung des unbedingten Anspruchs sittlicher Verpflichtungen vorwirft. Kritisiert wird zudem das ausufernde Regelwerk der kasuistischen Handbücher, die der ursprünglichen Intention zuwiderlaufen, dem Einzelnen Hilfen zu einer gewissenhaften Entscheidung zu geben. Durch immer differenziertere Detailnormierungen sollen Gewissens-probleme möglichst gar nicht erst entstehen. Bis weit in das 20. Jahrhundert wurde Kasuistik – abgesehen von der Rechtsprechung – nur noch in der katholischen Moraltheologie bei der Ausbildung von Beichtvätern gepflegt, als deren Charakteristikum sie galt. Seit einigen Jahrzehnten ist jedoch im Kontext der von den Lebenswissenschaften aufgeworfenen bio- und medizinethischen Fragestellungen eine neue Sensibilität für die Relevanz der Kasuistik in der Ethik entstanden.
Kasuistik und Klugheit
Trotz des negativen Beigeschmacks kann die Ethik nicht auf Kasuistik verzichten. Der praktische Syllogismus als Standardmodell (E. Tugendhat) ethischer Entscheidungsfindung, der das situative moralische Urteil als Folgerung aus einem normativen Obersatz und einem oder mehreren deskriptiven Untersätzen darstellt, vermag die Wirklichkeit ethischer Entscheidungsfindungen in komplexen Handlungssituationen wohl kaum angemessen zu erfassen.
In Situationen des Zweifels oder der Unsicherheit hinsichtlich des sittlich Gebotenen verlangt die Kasuistik eine ausdifferenzierte Beschreibung aller bedeutsamen Aspekte eines moralischen Konfliktes und dessen sorgfältige Bewertung durch eine genaue Gewichtung derjenigen Normen und Werte, die in der Fallanalyse als bedeutsam identifiziert wurden. Recht verstandene Kasuistik zielt als ethische Methode auf die Bestimmung des sittlich Richtigen im Konkreten (Ph. Schmitz). Es besteht deshalb eine enge Beziehung zwischen der Kasuistik und der Kardinaltugend der Klugheit (gr. phronesis; lat. prudentia), die für J. Pieper jedoch nicht in eins fallen: Die Moralkonformität des konkreten menschlichen Handelns ist ein Werk der Klugheit. Deren Aufgabe ist es zu bestimmen, was jeweils konkret zu tun oder zu lassen ist. Kasuistik, die an Fallbeispielen sittliches Urteilen einübt, ist nur ein – wenngleich unentbehrliches – Hilfsmittel in der Ausbildung der Klugheit als sittliche Tugend.
Kasuistik und ethische Bildung
In der Didaktik ethischer Bildungsprozesse, gerade auch in den berufsethischen Qualifikationsmaßnahmen für Soldaten, ist die Bedeutung eines exemplarischen, fallbezogenen ethischen Lernens unbestritten. Auch Immanuel Kant versteht Kasuistik als wichtigen Bestandteil der Moralpädagogik: In der „katechetischen Moralunterweisung würde zur sittlichen Bildung von großem Nutzen sein, bei jeder Pflichtzergliederung einige casuistische Fragen aufzuwerfen" (Meth. d. Sitten). Die Bestimmung des sittlich richtigen Handelns in einer konkreten Situation durch eine „kasuistische Pflichtenzergliederung" entwickelt und schärft also nicht bloß die praktische Urteilskraft, sondern zieht die Übenden dabei zugleich „in das Interesse der Sittlichkeit". Ethische Bildung in der Tradition der Kasuistik verbessert sonach nicht nur die jeweilige Situationswahrnehmung und die ethische Argumentationskompetenz, sie fördert vielmehr auch die Motivation, moralisch zu handeln.
Lothar Bendel, WissDir i. K., Referatsleiter im Katholischen Militärbischofsamt
Kameradschaft
Der erste Bestandteil des Begriffs "Kameradschaft" leitet sich von "Kamerad" ab. Dieses Wort stammt vom Lateinischen "camera", das über das Italienische und Französische in die deutsche Sprache gelangt ist und "Raum mit gewölbter Decke" bedeutet. Kameraden sind demnach diejenigen, die in einem Raum gemeinsam untergebracht sind. Wie bei den Wörtern Fachschaft, Gemeinschaft, Knappschaft und Mannschaft weist der zweite Bestandteil auf ein Kollektivum hin, dem man aufgrund besonderer Eigenschaften, Neigungen oder Interessen angehört, seien sie beispielsweise beruflicher oder sportlicher Art.
Angehörige von Gruppen von in der Regel familiär nicht miteinander verwandten Personen bilden ein Zusammengehörigkeitsgefühl bzw. -be-wusstsein aus, welches für unbestimmte Dauer gelten kann. Eine solche am Beginn eher aufgrund von Zufällen wie gemeinsames Alter, sportlichen oder beruflichen Interessen zusammengesetzte Gruppe von Menschen lässt wegen einer nunmehr erlebten Zusammengehörigkeit auch die Erwartung eines sich gegenseitigen Beistehens bzw. eines füreinander Einstehens entstehen. Im Alltag wird Kameradschaft vor allem mit militärischen, schulischen und sportlichen Gemeinschaften in Verbindung gebracht.
Tugendcharakter von Kameradschaft
Kameradschaft kann sowohl über ein gruppendynamisches Geschehen, durch gemeinsame Erlebnisse als auch über besondere Merkmale (Angehörige eines bestimmten Jahrgangs) oder Eigenschaften (sportliches Talent) zustande kommen, unabhängig von politischen, religiösen Überzeugungen und Zielen einzelner Glieder. Zudem tritt ethnische oder gesellschaftliche Herkunft in den Hintergrund. Kameradschaft kann daher auch als Gruppensolidarität jenseits der eigenen Familie, Volkszugehörigkeit und sozialen Schicht bezeichnet werden.
Außerdem besitzt Kameradschaft Kennzeichen, die mitunter Tugenden zu eigen sind. Tugenden wie Ausdauer und Fleiß sagen noch nichts darüber aus, wofür sie eingesetzt werden, wozu sie letztlich dienen können. Ebenso sagt Kameradschaft noch nichts darüber aus, von welchen Überzeugungen und Zielen eine Gruppe bestimmt ist, sondern lediglich darüber, wie eine Gruppe sich untereinander und gegenüber bestimmten anderen Gruppen oder Personen einsetzt: in einem verlässlichen füreinander Einstehen. Unschwer lässt sich zugleich erkennen, dass auch Mitglieder einer Räuberbande sich als Kameraden verstehen und füreinander kameradschaftlich einstehen können.
Kameradschaft im Spannungsfeld
Vor allem bei Soldaten besaß der Begriff "Kameradschaft" zu allen Zeiten und in allen Armeen einen sehr hohen Stellenwert. Damals wie heute wird in allen Armeen zu allermeist Kameradschaft erwartet und verlangt und ein gegen sie empfundener Verstoß wird dementsprechend auf verschiedene Weise geahndet. Vor diesem Hintergrund ist es somit entscheidend, in welches gesellschaftliche und politische System eine Armee und die in ihr gelebte Kameradschaft eingebunden sind.
Kameradschaft ist zwar ein hohes Gut, bleibt aber dadurch gefährdet, dass sie wie andere Tugenden auch instrumentalisiert und letztlich missbraucht werden kann. Zudem ist die in der Bundeswehr geforderte und daher rechtlich verankerte Solidarität unter Soldaten (vgl. § 12 SG) nicht mit "Kameraderie" zu verwechseln, die Zwang auf einzelne in derselben Gruppe und darüber hinaus ausübt oder die Straftaten zu vertuschen helfen will.
Innere Führung
Kameradschaft bedeutet schließlich nicht das kritiklose Hinnehmen von Meinungen und Handlungen. Kameradschaft verlangt und verträgt Kritik und Auseinandersetzungen mit Blick auf eine gemeinsame Verantwortung füreinander. So heißt es in der Zentralen Dienstvorschrift für die Innere Führung: "Der Inneren Führung entspricht es, dass die Angehörigen der Bundeswehr einander als Mitglieder einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft anerkennen und sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen. In einem offenen Dialog entsteht durch Vertrauen geprägte Kameradschaft" (ZDv 10/1, Nr. 313).
Wo Menschen zusammenleben, stoßen sie auch zusammen (lat. confligere). Denn Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen, verschiedene Überzeugungen und Wertvorstellungen. Und wenn sie nicht vereinbar sind, sich zumindest nicht gemeinsam oder in gleicher Weise verwirklichen lassen, erzeugt ihr Aufeinandertreffen Konflikte: Ziel-, Beziehungs-, Strategiekonflikte. Oft werden sie zunächst kaum wahrgenommen, können aber dann – wegen Verhärtungen, Polarisierungen, Nötigungen oder Drohungen – schnell eskalieren und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen.
Konflikte sind aber nicht per se schlecht oder krankhaft und sie müssen keinen zerstörerischen Verlauf nehmen. Sie können auch schöpferische Energien freisetzen, die zwischenmenschlichen Beziehungen dynamisieren, die Bildung von Gruppen und Gemeinschaften fördern, kulturelle Leistungen hervorrufen oder überhaupt den „sozialen Wandel antreiben“ (H. Spencer).
Soziale und internationale Konflikte
Konflikte entstehen nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen, wirtschaftlichen Unternehmen, politischen Parteien, religiösen Vereinigungen oder zwischen den Generationen. Werden sie verdrängt, unterdrückt oder geleugnet, entstehen meist noch weitere und oft auch größere Probleme. Nur eine faire, kooperative Bearbeitung allerdings lässt nachhaltige Lösungen mit gemeinsamen Vorteilen („win-win“-Strategie) erwarten. Dies verlangt von den Betroffenen aber eine sensible Wahrnehmung der Situation, wechselseitig große Empathie, Gespür für den geeigneten Moment – und vor allem einen „langen Atem“. Weder darf eine Seite ihre Position mit Druck oder Zwang durchsetzen wollen, noch die andere Seite aus Gründen der Bequemlichkeit oder vermeintlicher Schwäche nachgeben.
Gefährliche Konfliktlagen belasten auch die internationalen Beziehungen. Im vergangenen Jahrhundert strukturierte der „Ost-West-Konflikt“ mit den weltanschaulichen, politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen fast die gesamte Staatenwelt. In der sich herausbildenden multipolaren Konstellation der Gegenwart ist es noch komplizierter geworden, politische und ökonomische Konflikte zu überwinden, zumal dann, wenn sie von ethnischen oder religiösen Auseinandersetzungen (sowohl zwischen als auch innerhalb von Staaten und Regionen) überlagert werden und zum Gegenstand von Identitätspolitik geworden sind. Dies überfordert oft die Problemlösungskapazität der beteiligten und betroffenen Akteure sowie der vorhandenen Institutionen. Umso wichtiger wird in diesem Zusammenhang die Aufgabe einer Friedens- und Konfliktforschung, die in der Lage ist, internationale und innerstaatliche Konflikte zu analysieren, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, Möglichkeiten einer Mediation oder Intervention zu diskutieren und Pläne für eine wirksame „Nachsorge“ zu erarbeiten.
Innere Konflikte
Konflikte gibt es aber nicht nur im Außenverhältnis des Menschen, sie zeigen sich auch in seinem Inneren, wenn dort unterschiedliches Verlangen und Streben aufeinandertreffen. Der deutsch-amerikanische Gestaltpsychologe Kurt Lewin unterscheidet Appetenz-Appetenz-Konflikte, bei denen zwei verschiedene Wünsche nicht gleichzeitig verwirklicht werden können (z. B. ein Studium im Ausland und das Zusammenleben mit der Familie und dem alten Freundeskreis), von Aversion-Aversions-Konflikten, wo die Vermeidung eines Übels die Nichtvermeidung eines anderen mit sich zieht (z. B. bei der Alternative von Kündigung oder massiver Gehaltseinbuße) und Appetenz-Aversions-Konflikten, bei denen ein Wunsch nur mit der Hinnahme eines Übels realisierbar ist (z. B. wenn die Partnerschaft mit einer andersgläubigen Frau von der eigenen religiösen Gemeinschaft sanktioniert wird).
Moralische und tragische Konflikte
Innere Auseinandersetzungen können sich auch als moralische Konflikte im engeren Sinn erweisen, wenn zwei oder mehrere Verpflichtungen nicht zugleich erfüllt werden können. Vor allem Loyalitätskonflikte, etwa der Gehorsam eines Soldaten bei moralunverträglichen Befehlen, können sich zu schweren Gewissensnöten entwickeln.
Nicht jeder moralische Konflikt freilich erweist sich als ein unlösbares Dilemma. Oft können Entscheidungen anhand von Vorzugsregeln vernünftig begründet und vor den Betroffenen plausibel verteidigt werden. Wenn ein Eingreifen die Lage nur verschlimmern würde, muss eine Situation auch einmal ohnmächtig ertragen werden. Erst wenn für zwei Handlungsmöglichkeiten nur ein gleich guter Grund vorgetragen und keine Regel mehr zugunsten einer Option angeführt werden kann, wenn etwa nur bei einem Gewaltopfer eine lebensrettende Maßnahmen durchführbar ist, kann der moralische Konflikt tragischen Charakter annehmen. Einen Ausgang aus dieser Situation kann nicht finden, wer nur bei sich selber sucht.
Zum Autor:
Dr. Matthias Gillner, Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Wer hat nicht schon einmal dieses „Kribbeln im Bauch“ verspürt, wenn man – frisch verliebt – „glaubt, fast überzuschäumen vor Glück“ (Pe Werner)? Starke Gefühle werden von uns leiblich erlebt. Ein trauriges Theaterstück „rührt uns zu Tränen“, das Unglück eines Freundes „geht uns an die Nieren“, die Profitgier eines Managers „finden wir zum Kotzen“ und bei einem Bericht von amnesty international über Folterpraktiken „läuft uns ein eiskalter Schauer über den Rücken“. Umgekehrt wirkt sich die physische Verfassung auch auf die Psyche aus. Sprachfehler oder Hörschwächen können das Kommunikationsverhalten beeinträchtigen, frühzeitiger Haarausfall oder durch Akne hervorgerufene Vernarbungen das Selbstwertgefühl von Heranwachsenden schwächen. Körper und Geist, Leib und Seele gehören in der menschlichen Person zusammen. Wie aber lässt sich ihr Verhältnis genau bestimmen?
Leib und Seele
Bereits in der griechischen Antike lassen sich drei unterschiedliche Interpretationsweisen erkennen. Platon deutet das Verhältnis dualistisch: Die Seele (griech. psyche) ist eine und unvergänglich, dem unveränderlich Seiendem, den Ideen verwandt, während der Leib (griech. soma) zur vergänglichen, veränderlichen und mannigfaltigen materiellen Welt gehört, von dem sie sich durch Askese und Erkenntnis, endgültig aber erst im Tod befreien kann. Aristoteles versteht Leib und Seele dagegen als dynamische Einheit, wobei die Seele die Materie zum Leib formt, ihn bewegt und mit ihm auch stirbt (Hylemorphismus). Eine monistische Position findet sich bei den griechischen Atomisten. Für Demokrit etwa ist alles Seiende aus Atomen zusammengesetzt, die allein in Form, Größe, Anordnung und Lage verschieden sind; die Seele besteht nur aus besonders kleinen und beweglichen Atomen (vgl. Vorsokratiker DK 68 A 101). In der Neuzeit verfolgt René Descartes eine streng dualistische Sichtweise, wenn er radikal zwischen Geist (lat. res cogitans) und Materie (lat. res extensa) trennt. In der Folge entstehen dann wiederum monistische Ansätze, die jedoch die volle Realität einer der beiden Dimensionen vernachlässigen: der Spiritualismus das materielle Sein (z. B. G. Berkeley) oder der Materialismus die geistige Wirklichkeit (z. B. K. Marx). Beide Richtungen werden bis heute in zahlreichen Variationen vertreten.
Körper haben – Leib sein
Im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen ermöglicht das Deutsche die begriffliche Unterscheidung zwischen Leib und Körper. Auch wenn umgangssprachlich keine feste Bedeutungsgrenze zu erkennen ist, so versteht die heutige Philosophie unter Körper vornehmlich den menschlichen Organismus, zu dem wir eine äußerliche Haltung einnehmen, den wir wissenschaftlich analysieren und mit dem wir aber auch „hantieren“ können, z. B. durch sportliche Aktivitäten formen, durch Schönheitspflege und Schönheitsoperationen optimieren. Dagegen ist der Leib „immer der Leib eines Subjekts“ (G. Haeffner 42005: 99), der Bereich inneren Erlebens, über den auch nicht einfach verfügt werden kann. Schmerzen, Hunger und Durst werden individuell empfunden, eben am eigenen Leib gespürt.
Eine detaillierte Philosophie des Leibes hat Maurice Merleau-Ponty entwickelt (1966). Er versteht den Leib als die Bedingung der Möglichkeit des Ichs, mit anderen, mit der Welt überhaupt in Beziehung zu treten, er ist „ein Vermögen des Selbst, welches den Leib nicht ‚hat‘, sondern Leib ‚ist‘“ (S. Wendel 22007).
Leibfeindlichkeit und Körperkult
In der christlichen Tradition kommt es – spätestens mit der Rezeption des neuplatonischen Leib-Seele-Dualismus bei Augustinus – zu einer moralischen Abwertung der Leiblichkeit (und im Zusammenhang damit auch zu einer Geringschätzung der Frau und einer repressiven Sexualmoral). Sie ist aber mit dem Kern der biblischen Botschaft unvereinbar.
Schon bei Paulus gilt der Leib nicht als „Kerker der Seele“ (Platon: Phaidon 82e), sondern als „Tempel des Hl. Geistes“ (1 Kor 6,19). Und das christliche Credo spricht auch nicht von einer Unsterblichkeit der Seele, sondern von der Auferstehung der Toten. Die erlösende Zuwendung Gottes in Jesus Christus (Inkarnation = Fleischwerdung) betrifft den ganzen Menschen, auch wenn Erfahrungen von Krankheit und Behinderung, von mühseliger Arbeit und körperlicher Gewalt verständlicherweise die Hoffnung nähren können, vom Ballast des Leibes einst befreit zu sein.
Die Kehrseite von Leibfeindlichkeit ist eine narzisstische Fixierung auf den eigenen Körper. Exzessive Piercings, Tattoos auf und Botox unter der Haut oder Silikonkissen in den Brüsten verwischen nicht nur leibliche Spuren der individuellen Biographie, sie verdinglichen auch den Körper und degradieren ihn zu einem manipulierbaren Objekt. Manche sehen im Körperkult die „neue Sozialform der Religion“ (Th. Luckmann). Doch welches Heilsversprechen können so vergängliche Ideale wie „Waschbrettbauch“ und „Bodymaß 90-60-90“ wirklich einlösen?
Zum Autor:
Dr. Matthias Gillner, Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Liebe
Auch Sachen und Tätigkeiten werden „geliebt“, z. B. Eiscreme oder Autos, das Musizieren oder das Nichtstun. Doch nicht als allgemeiner Ausdruck intensiver Präferenzen soll „Liebe“ nun bedacht werden, sondern als die anspruchsvollste (und gerade deshalb auch äußerst fragile) Intention und Gestalt menschlicher Freiheit: im Verhältnis zu (einem) anderen Menschen, zu sich selbst – und im christlichen Verständnis auch zu dem sein geschöpfliches Ebenbild zuvorkommend liebenden Gott.
Erotische Liebe (Begehren, Sympathie)
Leidenschaftliches Begehren, die Sehnsucht nach beglückender Intimität mit einem besonderen Menschen (amor concupiscentiae und eros) kann der Anfang einer großen Liebe sein und, wenn alles gut geht, auch zentrales Element liebender Zuneigung bleiben. Ebenso vertraut sind allerdings gegenteilige Erfahrungen: Sichverlieben, Verliebtsein, Lieben – der Weg endet oft vor der entscheidenden Schwelle; weil täuschende Bilder zerbrechen, weil gesellschaftliche Schranken und Zwänge zu stark sind, darunter, durchaus nicht zuletzt, auch moralingetränkte Fesseln tradierter Normalität. Aber auch Freiheit, gewiss eine gute Schwester der Liebe, wird selbst zum Problem, wenn sie unablässig marktlogisch konditionierten Möglichkeitsdruck erzeugt: „Die Menschen, die nie lieben, sind Menschen, die tatsächlich immer lieben – in jeder Sekunde, mit jedem Blick einen Anderen.“ (S. Hillenkamp, Das Ende der Liebe, 2009: 11) Wo Menschen einander lediglich als austauschbare Platzhalter attraktiver Eigenschaften betrachten, kennzeichnet bestenfalls fairer Egoismus ihre Beziehung. Den Titel „Liebe“ verdient jedoch erst dessen Überwindung, zumindest der Versuch, füreinander mehr als bloß nützlich zu sein.
Fürsorgliche Liebe (Wohlwollen, Wohltun)
Die Sorge um das Wohl und Wehe anderer Menschen (amor benevolentiae) wird zu Recht moralisch ausgezeichnet. Man darf sie wohl gar als Inbegriff moralischer Gesinnung und moralischen Strebens bezeichnen, insofern sie im Respekt vor der gleichen Würde aller Menschen ihren Grund hat. Der Respekt und die Wertschätzung dezidiert liebender Sorge können nur auf diesem geschützten Boden gedeihen und stützen umgekehrt auch ihrerseits das Moralisch-sein-Wollen. In diesem wohlverstandenen Sinne gehören Moral und Liebe also durchaus zusammen – in einem gespannten Verhältnis. Wer sich dem Mitmenschen als besonderem, einzigartigem und zugleich so leicht verletzlichem Individuum „um seiner selbst willen“ liebend zuwendet und dabei sensibel auch das situativ Nötige aufspürt, was mit allgemeinen Regeln kaum oder gar nicht zu fassen ist, der realisiert eine Beziehungsart, die Moral durchaus nicht negiert, aber überbietet. Christlich gedacht: das auf prinzipielle Unparteilichkeit und allgemeine Rechte und Pflichten reflektierende moralische Anerkennungsverhältnis gewinnt erst im gelebten Kontext radikaler Nächstenliebe (agape) bis hin zur Feindesliebe eine unzweideutig menschenfreundliche und lebenssatte Qualität.
Liebende Gemeinschaft (Freundschaft, Partnerschaft)
Nicht nur ein Extremismus erotischer Glücksuche verfehlt in seiner egoistischen Befangenheit den Sinn der Liebe, sondern auch ein altruistischer Extremismus, der der vermeintlich wahren Liebe – in der Freundschaft (philia) oder in der sinnlich-seelischen Partnerschaft – durch Selbstverleugnung und Selbstaufgabe näher zu kommen sucht, sie stattdessen aber katastrophisch beendet.
Liebe wohnt bevorzugt im freien Miteinander vertrauensvoll geteilten Lebens, in einem relational vor- und nachsichtig flexiblen Wir mit sonach plastisch-stabiler Identität: das sich keiner gesetzlich fixierbaren Logik von Geben und Nehmen fügt und schon gar nicht der Logik von Überwältigung und Unterwerfung. Denn – „Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren“ (Th. W. Adorno, Minima Moralia, Kap. 122).
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
In unsere Sprache ist der Wahrheitsbezug und mit ihm der Anspruch auf Wahrhaftigkeit eingebaut. Wir können diese Normierung zwar missachten, aber nicht grundsätzlich aushebeln. Jede Lüge und selbst extrem verzerrt kommunizierte Macht- oder gar Gewaltverhältnisse bleiben auf deren wie auch immer brüchige Anerkennung verwiesen.
Bewusste Täuschung (Lügenverbot)
Gemeinhin gilt als Lüge, wenn jemand mit der Absicht zu täuschen eine (zumindest vermeintlich) falsche Aussage macht. Gemäß dieser (von Augustinus geprägten) Definition sind irrtümliche oder scherzhafte (auch ironische) Falschaussagen sowie sozialkommunikative Konversationsformen nach Art der Frage-Antwort-Floskel „Wie geht’s? – Gut!“ keine bzw. keine „echten“ Lügen.
Anders als diese naheliegende begriffliche Abgrenzung wird die anzuschließende Frage, ob es grundsätzlich schlecht ist zu lügen, durchaus unterschiedlich behandelt: Während „deontologische“ Positionen in augustinisch-kantischer Tradition vor allem das Recht auf Wahrheit und dementsprechend das Lügenverbot kategorisch verteidigen, konzentrieren sich „konsequentialistische“ Positionen vornehmlich darauf, die verschiedenen Arten von Lügen im Blick auf ihre Folgen als moralisch zulässig oder unzulässig zu bewerten.
Legitime Täuschung? (Notlüge)
Schon die Bibel kennt neben vielen Verurteilungen der Lüge u. a. die Geschichte von den ägyptischen Hebammen, die mittels einer Lüge das Leben hebräischer Kinder retten konnten und dafür von Gott belohnt wurden (Ex 1). Aber nicht wegen, sondern trotz der hier freilich verzeihlichen Lüge; denn die barmherzige Tat stellt das Lügenverbot ja nicht prinzipiell in Frage. Gewiss ist es richtig, durch Notlagen provozierte Lügen von klug kalkulierenden Nutzenlügen und diese wiederum von solchen Lügen zu unterscheiden, die willentlich darauf aus sind, andere Menschen zu schädigen. Dennoch verletzen die einzelnen, auch moralisch jeweils sensibel zu differenzierenden Lügen allesamt Sinnbedingungen der menschlichen Kommunikation und Existenzform: die Achtung der Person würde mit dem ihr eingeschriebenen Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das für den sozialen Zusammenhalt unabdingbar nötige Vertrauen. „Nur wenn man an dem moralischen Verständnis der Lüge als Lüge und damit als Unrecht festhält, lassen sich Not- und Ausnahmesituationen, in denen uns Menschenliebe zum Lügen nötigt, als Not- und Ausnahmesituationen und unter Umständen als ein Dilemma, das heißt als eine echte Zwangslage, begreifen und angemessen beschreiben. Wäre die Lüge an sich eine moralisch neutrale Handlung, die nur durch ihre Folgen oder Zwecke gut oder schlecht wird, dann ginge es in solchen Situationen lediglich um eine Nutzenabwägung.“ (Theda Rehbock in DZPh 58 [2010] 1: 113)
Selbsttäuschung (Lebenslüge)
So führen Überlegungen zur Lüge und zum angemessenen Verständnis des Lügenverbots schließlich zur Frage nach dem Sinnhorizont der menschlichen Lebensform überhaupt. Im Spannungsbogen zwischen einem zweckrelativen und einem unbedingten Lügenverbot, zwischen einer instrumentalistischen oder einer wesenslogischen Deutung unserer Sprachform steht mithin unser Bild von uns selbst zur Debatte. Sind wir mit einem normativ abgereicherten Selbst- und Weltverständnis lebenspraktisch besser bedient, oder präsentiert gerade dieser desillusionierte Blick eine neue Lebenslüge: eine, die den Möglichkeitssinn dem Realitätssinn wenn nicht unterwirft so doch angleicht; indem sie das stets prekäre Verhältnis von Regel/Norm und Ausnahme entspannt und damit allen Versuchen, eine je reichere Wahrheit zu entdecken und zu leben, ihre drängende Dynamik nimmt.
Religiöse Kulturkritik kennzeichnet „realistische“ Lebensweisen, die den Menschen allein auf sich und das, was ist, gestellt sehen, häufig als die Lebenslüge schlechthin und die Sünde unserer Zeit. „Unser ist demnach die Lüge, die Wahrheit Gottes.“ (de civ. Die XIV, 4) Aber – ist diese alte, schroffe Entgegensetzung von Augustinus wirklich hochaktuell? Bestimmt sie tatsächlich präzise, worum es geht, und trifft sie den richtigen Ton? Man darf vielleicht doch auch den sich radikal befragenden Menschen, sei er nicht gläubig oder gläubig, auf gutem Wege vermuten.
Klaus Ebeling, Projektleiter Ethik im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
M - R
Manch fremdes Wort lässt sich schwer in die eigene Sprache übertragen. Der deutsche Begriff holt dann nur bruchstückhaft dessen Gehalt ein oder umfasst gar Bedeutungen, die den ursprünglichen Sinn verfehlen. So ergeht es auch der Tugend der temperantia (griech. sophrosyne), die seit dem Mittelalter häufig mit Zucht und Maß (mittelhochdt. mâze) wiedergegeben wird. In Verbindung mit kasteiender Züchtigung und gewöhnlicher (Mittel-)Mäßigkeit verfehlt das jedoch deren befreienden und anspruchsvollen Charakter. Die modernere Übersetzungsvariante Besonnenheit betont zu sehr die vernünftig urteilende Seite und vernachlässigt den willentlich beherrschenden Aspekt. Schließt sie auch Duldsamkeit oder Sanftmut ein, dann aber nicht bloß im beschwichtigenden Sinne: Temperantia heißt so auch „heilige Ungeduld“ und „gerechter Zorn“.
Maß und Ordnung
In Antike und Mittelalter kommt der Maßhaltung oder Besonnenheit eine große Bedeutung zu, insofern sie – neben Gerechtigkeit, Weisheit/Klugheit und Tapferkeit – als Haupt- oder Kardinaltugend einen Grundpfeiler sittlichen Handelns bildet. Für Platon bringt sie die rechte Herrschaftsordnung des Besseren über das Schlechtere hervor – im politischen Gemeinwesen und in der menschlichen Seele: Wie die Weisen über die Krieger und Erwerbstätigen regieren sollen, so die Vernunft über die Affekte (Streben nach Macht, Überlegenheit, Ansehen) und Begierden (Hunger, Durst, Sexualität). Bei Aristoteles leitet die Besonnenheit das natürliche Begehren und schützt es – gemäß seiner Lehre von der Tugend als „haltende Mitte“ – vor den Extremen der Unterdrückung und Zügellosigkeit körperlicher Lustempfindung. Nach Thomas von Aquin wahrt die Tugend der temperantia die innere Ordnung des Menschen, wenn sie den vernunftwidrigen Lockungen menschlichen Strebens wehrt. Sie widersteht nicht nur den Exzessen sinnlichen Genusses durch Enthaltsamkeit (lat. abstinentia) und Keuschheit (lat. castitas), sondern auch dem starken Geltungs- und Vergeltungsdrang durch Demut (lat. humilitas) oder Milde (lat. clementia). Selbst der menschlichen Neugier (lat. curiositas) setzt sie durch das die Geschöpflichkeit des Menschen anerkennende Erkenntnisstreben (studiositas) Schranken.
Maß und Freiheit
In der Neuzeit verkümmert die Rede von der Besonnenheit zur bloßen Erinnerung an die griechische Philosophie (G. Bruno, G. W. F. Hegel) oder der Begriff wird ganz aus der Tugendethik herausgelöst (J. G. Herder, A. Schopenhauer). Vorstellungen von grenzenloser Freiheit und ungebundener Selbstbestimmung lassen so manchen Fortschrittsgläubigen das rechte Maß aus den Augen verlieren. Gegenwärtig zeigt sich Maßlosigkeit nicht nur an einem oft verschwenderischen Umgang mit Nahrungsmitteln oder einem nicht selten ausschweifenden Sexualleben, sondern offenbart sich allgemein in unersättlichem Konsumhunger und unstillbarem Erlebnisdurst. Auch in den enormen Ansprüchen an das eigene Ich, etwa immer der Schnellste, der „Coolste“, der Beste zu sein, äußert sich häufig ein völlig überzogenes Selbstbild. Im Gegenzug mehren sich aber die Stimmen, die nach einer neuen Maßhaltung rufen – und das nicht nur aus Gründen der körperlichen Gesundheitsvorsorge. Eine Kontrolle der eigenen Bedürfnisbefriedigung gewährt nicht nur reineren und lustvolleren Genuss, sie bewahrt auch vor sklavischer Abhängigkeit gegenüber den eigenen Begierden, sie sichert die innere Freiheit.
Maß und Gerechtigkeit
Die Tugend des Maßes bildet heutzutage nicht mehr nur die Grundlage einer individuell guten Lebensführung, sie sichert auch die Zukunft der Menschheit. Denn die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Verschmutzung von Luft und Wasser, die Überdüngung der Erde und die Erwärmung des Klimas gefährden das Leben kommender Generationen. Schon jetzt verursachen maßloser Fleischkonsum und ein rücksichtsloser Verbrauch von Nahrungsmitteln zur Gewinnung von „Biosprit“ Hungerskatastrophen in Afrika und Asien. Die Frage nach dem rechten Maß ist zu einer Frage weltweiter Gerechtigkeit geworden. Der Aufruf zur temperantia braucht hier keine Temperierung mehr.
Matthias Gillner,
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Menschenbilder
Menschen sind „sich selbst interpretierende Tiere“. Allerdings können sie deshalb nicht wie die anderen Tiere leben: Sie sind eben doch auch anders als Tiere. Ihre Lebensform ist sowohl aufgespannt zwischen dem, was (natürlich oder kulturell) vorgegeben und dem, was möglich ist, als auch zwischen dem, was gewollt werden kann und dem, was gewollt werden soll. In diesem ethisch geladenen Spannungsfeld suchen wir Klarheit über uns zu gewinnen. Dabei entdecken und entwickeln wir Bilder von uns: Bilder mit Maßstäben und Perspektiven für eine gute Lebensführung, mit denen wir uns anfreunden können, aber auch enttäuschende Bilder, die uns eher schlecht oder zwiespältig aussehen lassen, vielleicht gar alle Wunschbilder und Ideale radikal in Frage stellen.
In der menschlichen Reflexionsgeschichte sind unüberschaubar viele Menschenbilder als wahr behauptet oder als wahr zu machende propagiert worden. Zwei Grundtypen, auf die diese Formulierung anspielt, seien im Folgenden knapp charakterisiert.
Wesensbestimmungen
Hier dominiert die Absicht, das Wesen des Menschen zu fixieren: durch Hervorhebung spezieller Eigenschaften und Möglichkeiten, durch Zuordnung und in Abgrenzung von anderen Lebewesen sowie durch seine Verortung im Kontext all dessen, was geschieht oder wirklich ist. Je nach Perspektive gelten natürliche oder kulturelle Merkmale, auch Beziehungen zwischen ihnen, als entscheidend: z. B. Vernunftbegabung und Sprachfähigkeit oder Sozialität und Religiosität. Dementsprechend kennzeichnen besonders zwei gegenläufige Gefahren diese Definitionswege. Die eine ergibt sich aus Blickverengungen auf jeweils eine Perspektive, eine methodische Zugangsart und Wissensform etc.: So scheint der Mensch wesentlich nichts anderes als … zu sein, z. B. ein Instrument egoistischer Gene, ein rational kalkulierender Nutzenmaximierer. Die andere Gefahr bilden Identitätsprobleme. Im Bemühen, vielfältigen Wesenszügen gleichermaßen gerecht zu werden, kompliziert sich die Frage nach der inneren Einheit unserer Existenz: Wenn wir weder bloß biologisch determinierte Natur- noch freischwebende Geistwesen sind, was sind wir dann – eigentlich? Wie lässt sich „Einheit von Leib und Seele“ denken? So leben heute viele, mit gebrochenem Selbstverständnis, in verschiedenen Bildwelten. Öffentlich dominieren (vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend) rationalistische und instrumentalistische Vorstellungen, privat möchte man aber trotzdem weiterhin „romantisch“ denken und fühlen, irgendwie „ganzheitlich“.
Gestaltungsperspektiven
Von Ernst Bloch stammt das Wort „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Also werden wir erst.“ Er umschreibt damit, dass die uns aufgegebene Lebensführung konkret in Beziehungen zu gestalten ist, genauer: in einem Geflecht von Selbst- und Sozialbeziehungen und einem durch sie vermittelten Weltverhältnis. Wie schwierig es ist, bestimmte Möglichkeiten mit überzeugenden Gründen auszuzeichnen, zeigt allein schon der weltweit geführte Streit über Menschenwürde und Menschenrechte. Gibt es da überhaupt ein krisenfest gemeinsames Fundament? Aus welchen Quellen lassen sich jene dringend benötigten, menschlich reichen und ausdrucksstarken Bilder (wieder?) gewinnen, die dazu anleiten können, die Identität des Menschen in der Pluralität seiner Lebensformen zu wahren, anders gesagt: Einheit (soviel wie nötig) und Vielfalt (soviel wie möglich) lebensfreundlich auszubalancieren?
Bildskepsis
Es war einmal weithin selbstverständlich, dass vom Menschen letztlich angemessen nur religiös zu sprechen sei, auch weil anders die Einsicht in seine radikale Endlichkeit ihn dazu verführe, sie (und am Ende sich selbst) absolut zu setzen. Viele sehen das längst ganz anders und können auch dem Auferweckungsglauben des (im Übrigen keineswegs idealistisch hochgestimmten) christlichen Menschenbildes nicht mehr folgen. Zumindest dies aber sollte jeder bedenken: Bereits der fragende Bezug auf Gott mahnt zur kritischen Reflexion aller Bildwünsche. Bezogen auf Gott, der alles menschliche Begreifen übersteigt, bleibt sich auch der Mensch selber fraglich oder: ein Geheimnis. Darin ist seine Würde geborgen.
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Menschenrechte
Recht ist nicht gleich Recht und schon gar nicht immer gerecht. Als Ordnungsmittel wirkt es, wie alles Menschenwerk, geradezu verlässlich unzulänglich. Wo es nicht lediglich menschenverachtenden Herrschaftsverhältnissen dienstbar, also eigentlich Un-Recht ist, gehören deshalb öffentliche Rechtskritik und fortlaufende Rechtskorrektur wesentlich zu seinem Begriff. Doch - was hält diesen Prozess in der "richtigen Spur"? Die zumindest deklaratorisch heute best-akzeptierte Antwort lautet: eine verbindliche Rahmensetzung in Gestalt von rechtlich-institutionell verbürgten Grundrechten mit einem moralisch gehaltvollen Zentrum, den Menschenrechten.
Moralische Rechte
Die rechtliche Auslegung der moralischen Basisintuition Menschenwürde (s. Kompass. Soldat in Welt und Kirche 07-08/07: 20) ist ein wesentliches Moment westlich-neuzeitlichen Denkens. Sie markiert einen sozialethisch entscheidenden Perspektivwechsel: Gerechte Verhältnisse werden nicht mehr als "von oben gewährt" verstanden, sondern als individuelle Rechtsansprüche; das jedem Menschen als Menschen ureigene "Recht, Rechte zu haben", konkretisiert sich in "unverletzlichen", "unverlierbaren" Menschenrechten. Adressaten der Pflichtaufgabe, sie zu achten und zu schützen, sind (zumindest primär) staatliche, in zunehmendem Maße auch regionale und globale internationale Institutionen bzw. die für sie (mit)verantwortlichen Funktionsträger. Letzteres spiegelt sich u. a. in den völkerrechtlichen Kontroversen über menschenrechtliche Relativierungen staatlicher Souveränitätsrechte wider.
Universale Rechte
Die Geschichte der Menschenrechtsentwicklung lässt sich gewiss nicht exklusiv, aber doch mit guten Gründen auch als Folge von Antworten auf elementare Leid- und Unrechtserfahrungen rekonstruieren. Das gilt für die "negativen" Freiheitsrechte (Abwehrrechte gegen herrschaftliche Übergriffe, Schutz vor willkürlicher Gewalt) wie für die "positiven" politischen Teilnahme- und sozialen Teilhaberechte (Mitbestimmung öffentlicher Angelegenheiten bzw. Sicherung wirtschaftlicher, kultureller Existenzbedingungen) - und in ähnlicher Weise auch für die in menschenrechtlicher Form auf Kollektive bezogenen Forderungen nach Frieden, Entwicklung und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Vor diesem Hintergrund und im Blick darauf, wie Menschen immer wieder, über alle Kulturgrenzen hinweg, auf extreme Menschenrechtsverletzungen mit Abscheu und Empörung reagieren, wird man das pragmatisch-beharrliche, an gegebenen Lebensverhältnissen anknüpfende Engagement für die schrittweise Verbesserung und Universalisierung konkreter menschenrechtlicher Standards keineswegs aussichtslos schelten dürfen. Umfassende Konsense über das "wahre" Menschenbild, über das "richtige" Menschenrechtskonzept (einschließlich "letzter" Begründungen) werden dagegen kaum je zu erreichen sein. Zu vielfältig verschieden sind dafür die in der Menschheitsfamilie produzierten Lebens- und Reflexionsgeschichten.
Säkulare Rechte
Es gibt gewiss viele, allerdings nicht gleichverteilte Möglichkeiten, im Menschenrechtsdialog an humane Gehalte der großen religiösen bzw. kulturellen Traditionen anzuknüpfen. Das wahrscheinlich wichtigste Kriterium für Verständigungschancen ist aber wohl die Bereitschaft bzw. Weigerung, den säkularen, d. h. weltlichen Charakter der Menschenrechte anzuerkennen. Hier wäre übrigens von christlichen Lernprozessen einiges zu lernen: Vor allem die katholische Kirche reagierte an hoher Stelle zunächst ablehnend, befürchtete gar eine zügellose Vergötzung des Menschen. Dann aber wurden menschenrechtliche Forderungen doch, Zug um Zug deutlicher, in die kirchliche Sozialverkündigung integriert. Nicht zuletzt auch die lange umstrittene Religionsfreiheit, die jene Sphäre der Säkularität mitdefiniert, welche als Schutzraum ein öffentliches Leben aus dem Glauben selbst unter Ohnmachtsbedingungen ermöglicht.
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass der christliche Glaube an die Menschwerdung Gottes für die Macht der Ohnmacht - auf die auch die Menschenrechtsarbeit so sehr setzen muss - besonders sensibel ist.
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Menschenwürde
Auf den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die nationalsozialistische Barbarei reagiert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in der Präambel mit der Aussage, dass "die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet" Auch das deutsche Grundgesetz von 1949 stellt gleich im ersten Artikel fest: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Aus der brutalen Missachtung menschlicher Würde gewann damals das Gespür für sie seine konkrete Orientierung. Heute dagegen wird zunehmend kritisiert, der Würdebegriff sei zu einer moralisierenden Appellformel verkommen, die eine sachgerechte Erörterung insbesondere neuartiger ethischer Probleme, z.B. im Bereich Biopolitik, massiv erschwere. Statt unnötigerweise alle moralischen und rechtlichen Normen auf ein vages "Grundprinzip" zurückzubeziehen, sei es sinnvoller, mit einem enger gefassten Begriff zu arbeiten: "Menschenwürde" als Anspruch jeder zur Selbstachtung fähigen Person, nicht gedemütig zu werden.
Inhalt der Würde
Auch in der römischen Antike, also am Anfang der für unser Verständnis von "Würde" wesentlichen Geschichte, dominiert zunächst eine engere Bedeutung: Sie nimmt den besonderen gesellschaftlichen Rang bzw. die besonderen Verdienste von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Blick. Im Anschluss an die Philosophie der Stoa, besonders bei Cicero und Seneca, rückt dann aber bald ein sowohl verallgemeinerter als auch moralisch umgedeuteter Würdebegriff in den Mittelpunkt. Dieser kennzeichnet nun die besondere Stellung des Menschen als eines vernunftbegabten und deshalb für sich verantwortlichen Wesens. Im Glauben der Kirche findet der Gedanke einer allen Menschen gemeinsamen Würde seinen schöpfungstheologisch begründeten Ausdruck im biblischen Wort von der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen1, 26ff.). Zumindest im westlichen Kulturkreis gewinnen allerdings seit dem italienischen Renaissance-Humanismus "säkularisierte" Auffassungen der Menschenwürde an Bedeutung, in deren Rahmen sowohl der leistungs- als auch der wesensbezogene Bedeutungsstrang weitergesponnen wird: Hauptthema im einen ist das Ziel eines gelungenen Lebens, wie z.B. bei Hegel, Lassalle oder auch Luhmann, im anderen die Fähigkeit, frei über das eigene Leben zu bestimmen, wie vor allem bei Kant. Eine Formel seines moralischen Grundgesetzes, des "kategorischen Imperativs", darf wohl als prägnanteste nicht-religiöse Umschreibung der Idee von einer über allen Preis erhabenen Würde des Menschen gelten: "Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst." (Grundlegung ..., in Akademieausgabe IV: 429).
Recht der Würde
Über viele Jahrhunderte scheint selbst die Vorstellung einer allen Menschen als Menschen bzw. vor Gott gleichen Würde mit weitreichender Ungleichbehandlung vereinbar, bis hin zur Rechtfertigung der Sklaverei oder der Minderstellung der Frau. Erst mit dem neuzeitlich-modernen Verständnis individueller Freiheit setzt sich allmählich die Überzeugung durch, dass es eine Vielzahl menschenwürdiger Lebensformen mittels grundlegender subjektiver Rechte zu schützen gilt. Eine Deutung der Menschenwürde als Sinnbedingung der Menschenrechte bringt dies plausibel zum Ausdruck: sei es als "Suchkategorie für Defizite an Humanität" (Hilpert, LThK 7, 1998: 135) oder das"sinngebende Ziel einer Realisierung der Menschenrechte", sei es als Grenzkategorie oder "sinngebende Voraussetzung eines richtig verstandenen Begriffs der Menschenrechte". (Menke/Pohlmann, Philosophie der Menschenrechte, 2006: 165).
Grund der Würde
Einerseits werden Menschenwürde und Menschenrechte in vielen Gesellschaften wie nie zuvor auch positivrechtlich geschützt. Zugleich verwandelt sich gerade dort die Sicht vieler Menschen auf den Menschen. Und es fragt sich, ob die "Unbedingtheit der Menschenwürde" wirklich eine sich selbst tragende Gewissheit ist, die zu verhindern vermag, dass im Zuge der Verwissenschaftlichung unserer Selbstbeschreibungen die Unterscheidung von Person und Sache eliminiert wird. Bleibt am Ende doch "nur" die Hoffnung auf Gott? Darauf, dass die fragile menschliche Existenz in der Beziehung mit Gott über sich hinauskommt und ihr in dieser Beziehung unbedingt Würde geschenkt wird? Auf dass menschenwürdiges Verhalten auch da wahrscheinlicher werde, wo die Umstände das Gegenteil nahelegen?
Aus der Anerkennung einer unverrechenbaren Würde folgt zwar nicht unmittelbar, welche, aber "dass jeder Mensch grundlegende Rechte hat". Ebenso bleiben ohne diese Voraussetzung auch menschenrechtliche Verträge "bloße Übereinkünfte zum wechselseitigen Vorteil" (Menke/Pohlmann, Philosophie der Menschenrechte, 2006: 165 bzw.154).
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Mitleid
Auf den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die nationalsozialistische Barbarei reagiert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in der Präambel mit der Aussage, dass "die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet" Auch das deutsche Grundgesetz von 1949 stellt gleich im ersten Artikel fest: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Aus der brutalen Missachtung menschlicher Würde gewann damals das Gespür für sie seine konkrete Orientierung. Heute dagegen wird zunehmend kritisiert, der Würdebegriff sei zu einer moralisierenden Appellformel verkommen, die eine sachgerechte Erörterung insbesondere neuartiger ethischer Probleme, z.B. im Bereich Biopolitik, massiv erschwere. Statt unnötigerweise alle moralischen und rechtlichen Normen auf ein vages "Grundprinzip" zurückzubeziehen, sei es sinnvoller, mit einem enger gefassten Begriff zu arbeiten: "Menschenwürde" als Anspruch jeder zur Selbstachtung fähigen Person, nicht gedemütig zu werden.
Inhalt der Würde
Auch in der römischen Antike, also am Anfang der für unser Verständnis von "Würde" wesentlichen Geschichte, dominiert zunächst eine engere Bedeutung: Sie nimmt den besonderen gesellschaftlichen Rang bzw. die besonderen Verdienste von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Blick. Im Anschluss an die Philosophie der Stoa, besonders bei Cicero und Seneca, rückt dann aber bald ein sowohl verallgemeinerter als auch moralisch umgedeuteter Würdebegriff in den Mittelpunkt. Dieser kennzeichnet nun die besondere Stellung des Menschen als eines vernunftbegabten und deshalb für sich verantwortlichen Wesens. Im Glauben der Kirche findet der Gedanke einer allen Menschen gemeinsamen Würde seinen schöpfungstheologisch begründeten Ausdruck im biblischen Wort von der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen1, 26ff.). Zumindest im westlichen Kulturkreis gewinnen allerdings seit dem italienischen Renaissance-Humanismus "säkularisierte" Auffassungen der Menschenwürde an Bedeutung, in deren Rahmen sowohl der leistungs- als auch der wesensbezogene Bedeutungsstrang weitergesponnen wird: Hauptthema im einen ist das Ziel eines gelungenen Lebens, wie z.B. bei Hegel, Lassalle oder auch Luhmann, im anderen die Fähigkeit, frei über das eigene Leben zu bestimmen, wie vor allem bei Kant. Eine Formel seines moralischen Grundgesetzes, des "kategorischen Imperativs", darf wohl als prägnanteste nicht-religiöse Umschreibung der Idee von einer über allen Preis erhabenen Würde des Menschen gelten: "Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst." (Grundlegung ..., in Akademieausgabe IV: 429).
Recht der Würde
Über viele Jahrhunderte scheint selbst die Vorstellung einer allen Menschen als Menschen bzw. vor Gott gleichen Würde mit weitreichender Ungleichbehandlung vereinbar, bis hin zur Rechtfertigung der Sklaverei oder der Minderstellung der Frau. Erst mit dem neuzeitlich-modernen Verständnis individueller Freiheit setzt sich allmählich die Überzeugung durch, dass es eine Vielzahl menschenwürdiger Lebensformen mittels grundlegender subjektiver Rechte zu schützen gilt. Eine Deutung der Menschenwürde als Sinnbedingung der Menschenrechte bringt dies plausibel zum Ausdruck: sei es als "Suchkategorie für Defizite an Humanität" (Hilpert, LThK 7, 1998: 135) oder das"sinngebende Ziel einer Realisierung der Menschenrechte", sei es als Grenzkategorie oder "sinngebende Voraussetzung eines richtig verstandenen Begriffs der Menschenrechte". (Menke/Pohlmann, Philosophie der Menschenrechte, 2006: 165).
Grund der Würde
Einerseits werden Menschenwürde und Menschenrechte in vielen Gesellschaften wie nie zuvor auch positivrechtlich geschützt. Zugleich verwandelt sich gerade dort die Sicht vieler Menschen auf den Menschen. Und es fragt sich, ob die "Unbedingtheit der Menschenwürde" wirklich eine sich selbst tragende Gewissheit ist, die zu verhindern vermag, dass im Zuge der Verwissenschaftlichung unserer Selbstbeschreibungen die Unterscheidung von Person und Sache eliminiert wird. Bleibt am Ende doch "nur" die Hoffnung auf Gott? Darauf, dass die fragile menschliche Existenz in der Beziehung mit Gott über sich hinauskommt und ihr in dieser Beziehung unbedingt Würde geschenkt wird? Auf dass menschenwürdiges Verhalten auch da wahrscheinlicher werde, wo die Umstände das Gegenteil nahelegen?
Aus der Anerkennung einer unverrechenbaren Würde folgt zwar nicht unmittelbar, welche, aber "dass jeder Mensch grundlegende Rechte hat". Ebenso bleiben ohne diese Voraussetzung auch menschenrechtliche Verträge "bloße Übereinkünfte zum wechselseitigen Vorteil" (Menke/Pohlmann, Philosophie der Menschenrechte, 2006: 165 bzw.154).
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Moral und Ethik
anz gleich, ob man es gut findet oder nicht: Wir Menschen können nicht, wie etwa ein vom Instinkt geleitetes Tier, einfach so dahinleben. Jedem ist unabweisbar aufgegeben, (s)ein Leben zu führen. Dafür sind Orientierungen nötig, die Fragen wie diese (mehr oder weniger überzeugend, mehr oder weniger anspruchsvoll) beantworten: Wer bin ich - eigentlich? Wodurch, auf welche Weise wird mein Leben ein gutes Leben? Und: Was ist nötig, was darüber hinaus erstrebenswert, damit wir ungesellig-geselligen Geschöpfe gemeinsam frei und gut leben können? Wie vor allem kann es bei konkurrierenden Zielen, Interessen, Bedürfnissen gelingen, dennoch allen Beteiligten gerecht zu werden? Mit Fragen dieser Art bewegen wir uns schon mitten im Bereich von Moral und Ethik.
Begriffe: „Moral“ und „Ethik“
Einer heute gängigen begrifflichen Unterscheidung zufolge bezeichnet „Moral“ die Gesamtheit der in einer Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft als verbindlich behaupteten bzw. anerkannten moralischen Wertvorstellungen und Urteilsweisen, Grundsätze und Normen, „Ethik“ dagegen die wissenschaftliche, insbesondere die philosophische Untersuchung moralischer Überzeugungen und Unterscheidungen etc. In der Alltagskommunikation werden beide Worte allerdings häufig nahezu sinngleich verwendet. „Moral“ hat bei vielen lediglich einen schlechteren Klang, weil es traditionsbedingt stärker mit strengen Vorgaben (verboten – erlaubt – geboten) assoziiert wird. Ethik“ erscheint demgegenüber vermeintlich besser geeignet, moralische Normierungen als Teil eines umfassenden Prozesses selbstverantwortlicher
Lebensorientierung auszudrücken. Die ursprünglichen Wortbedeutungen geben eine solche Akzentuierung aber keineswegs vor: das lateinische Grundwort „mos“, Plural „mores“, enthält durchaus beide Bedeutungsaspekte des griechischen „ethos“ (mit kurzem und langem „e“): Gewöhnung, Sitte, aber auch: tugendhafte Sinnesart, Charakter. Ebenso werden beide Begriffe im Laufe der Geschichte immer stärker mit allgemeingültigen Sollensansprüchen und Begründungsversuchen verknüpft und gegen das abgegrenzt, was bloß üblich und gewohnt ist (stillschweigende Übereinkünfte wie Anstandregeln, Brauchtum) oder wie das Recht in förmlichen Verfahren verbindlich gemacht wird.
Inhalt der Moral – Formen der Ethik
Die allgemeinste Antwort auf die Frage nach dem, was die Moral dem Menschen abfordert, lautet: Das Gute ist zu tun und das Böse zu unterlassen. Auch der inhaltliche Kern dieses Anspruchs lässt sich wohl mit dem Grundsatz „Verletze niemanden; vielmehr hilf allen, soweit du kannst“ (Schopenhauer) noch weithin zustimmungsfähig umschreiben. Und es ist auch gewiss richtig und wichtig, einen solchen kulturübergreifend wirksamen Anspruch zu „pflegen“, d.h. ihn ohhne exklusive Bindung an ein bestimmtes Welt- und Menschenbild oder einen bestimmten Traditionszusammenhang fortzuentwickeln, auch institutionell zu verankern. Aber was daraus in dieser oder jener Situation konkret folgen soll, darüber gehen die Vorstellungen bisweilen weit auseinander. Deshalb ist die schwierige, riskante Verständigung über konkrete Praxisnormen, d.h. die angemessene Vermittlung von Norm-, Wert- und Sachfragen, kein nachrangiges Geschäft, sondern der Ernstfall der Moral. Hier muss sich zeigen, dass sie tatsächlich zur Bewältigung von Lebensproblemen beitragen kann. Ensprechendes gilt für die wissenschaftliche Ethik, unabhängig davon, ob die „deontologische“ Erwägung von „Handlungspflichten“ oder die „teleologische“ Erwägung von „Handlungsfolgen“ im Vordergrund steht.
Moral/Ethik und Religion
Oft wird der Unterschied zwischen einer religiös verankerten und einer „säkularen“ Moral oder Ethik über eine Entgegensetzuung von „Autorität“ (gleich „Fremdbestimmung“) und Vernunft (gleich „Selbstbestimmung“) definiert. Das ist insofern nachvollziehbar, als die
Berufung auf religiös begründete Ge- und Verbote nicht selten der Unterdrückung menschlicher Freiheit dient(e). Dennoch führt sie, jedenfalls im Blick auf den christlichen Glauben, in die Irre: Gott nimmt uns Menschen als Ursprung gerade auch unserer Vernunft und Freiheit nicht wie eine fremde Macht „von außen“ in Anspruch. Vielmehr hält er uns dazu an, Freiheit im Bewusstsein unbedingter Verantwortung vor ihm als gemeinschaftliche Nachfolge Jesu kreativ zu gestalten.
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
Pflicht
Was kann einem – so scheint es oft – mehr den "Spaß an der Freud‘" verderben und unbeschwerte Freiheitsgefühle bedrücken wie der Gedanke der Pflicht? Die Vorstellung, von persönlichen Vorlieben absehen zu müssen und sich einem (inneren?) Anspruch zu fügen, steht einer ungebundenen Lebensführung und einem lustorientierten Lebensstil im Weg. Obendrein ist das Wort durch die deutsche Geschichte belastet. Blinder Gehorsam und strikte Gesetzestreue wurden (nicht erst) im Nationalsozialismus zur Pflicht erklärt.
Doch solche Deutungen und Missbräuche verfehlen den moralischen Begriff. Schließlich korrespondiert der moralischen Pflicht die Idee einer wahrhaft autonomen Lebensführung: Sie verlangt den Gebrauch der eigenen Vernunft – und sie muss durchaus nicht eigenen Wünschen zuwiderlaufen. Für Immanuel Kant ist sie ein "erhabener, großer Name", ein unbedingtes Sollen, in dem sich die freie Person an das moralische Gesetz der praktischen Vernunft gebunden erfährt ("Faktum der reinen Vernunft"): "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte." (Kritik der prakt. Vernunft, Akad.-Ausg.: 30)
Vollkommene und unvollkommene Pflichten
Auch wenn die Pflicht ein grundlegender Begriff der modernen Ethik ist, so reicht die Vorgeschichte doch bis in die Antike zurück. Das mit Pflicht übersetzte lateinische "officium" von Cicero (106–43 v. Chr.) meint jedoch eine Handlung, die dem natürlichen Vermögen des Menschen entspricht. Die seiner Natur zukommende Handlung (medium officium), etwa die Rückgabe anvertrauten Vermögens, ist aber erst dann sittlich gut, wenn sie aufgrund der Tugend der Gerechtigkeit vollzogen wird (perfectum officium). Einen ideengeschichtlich prägenden Einfluss übte der Mailänder Bischof Ambrosius (339–397) aus, indem er die Unterscheidung Ciceros zwischen "mittleren" und "vollkommenen Pflichten" als inhaltlich verschiedene Handlungsanweisungen interpretiert: als obligatorische Vorschriften (z. B. die Verbote aus dem Dekalog) und als empfehlenswerte Räte (z. B. die Weisungen Jesu aus der Bergpredigt).
Zu einer Umkehrung des Pflichtenverhältnisses kommt es im Naturrechtsdenken Samuel Pufendorfs (1632–1694). Vollkommenheit, zuvor auf die moralische Güte der Person bezogen, zielt jetzt auf die Verbindlichkeit der Handlung. Vollkommene Pflichten sind erzwingbar, während unvollkommene Pflichten der freiwilligen Erfüllung überlassen sind. In Kants Unterscheidung zwischen dem starken Gesetz der Schuldigkeit (Rechtspflichten) und dem schwachen der Gütigkeit (Tugendpflichten) findet die Lehre von den vollkommenen und unvollkommenen Pflichten ihren systematischen Höhepunkt. Heute wird oft zwischen Erlaubnishandlungen (z. B. Barmherzigkeit) und Geboten, zwischen Verpflichtungen (z. B. Eid) und natürlichen Pflichten, zwischen negativen (z. B. Tötungsverbot) und positiven Pflichten (z. B. Nothilfe) unterschieden.
Pflichtenkollisionen
Pflichten können miteinander kollidieren: die "negative Pflicht" zur Unterlassung eines Medikamentendiebstahls mit der "positiven Pflicht" zur Heilung eines Kranken, die Verpflichtung, einen versprochenen Termin einzuhalten, mit der natürlichen Pflicht, gleichzeitig einem Unfallopfer zu helfen. William D. Ross (1877–1971) unterscheidet daher zwischen den allgemeinen, aber nicht ausnahmslos geltenden Pflichten ("prima-facie-Pflichten") und der aktualen Pflicht in einer konkreten Situation. Bei der genauen Bestimmung der aktualen Pflicht muss die Situation genau geprüft, die Dringlichkeit von Pflichten (z. B. Erhaltung des Lebens vor Schutz des Eigentums) geklärt und nach erprobten Vorzugsregeln – wie z. B. die Wahrscheinlichkeitsregel – abgewogen werden. Dies verlangt nicht nur Wahrnehmungskompetenz und Vorstellungsvermögen, sondern auch eine geschulte Urteilsfähigkeit.
Der Anspruch der Pflicht ist nicht bloß Last. Christen können ihn leben aus der allen Leistungen zuvorkommenden Liebe Gottes.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Prinzip der Doppelwirkung - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 10/2009)
In vielen neueren moralphilosophischen oder moraltheologischen Handbüchern kann man zwar keinen Artikel zu diesem einst prominenten ethischen Begriff mehr finden. Sein Gegenstand aber ist keineswegs von gestern; er gehört zum Problemkern ethischer Überlegung. Denn unsere Handlungen bewirken allenfalls selten nur das, was wir eigentlich wollen (sollen und dürfen) und konfrontieren uns so ständig mit der Frage nach der Verantwortbarkeit ihrer „Nebeneffekte“.
Schädigung: „außerhalb der Absicht“
Das wohl älteste Lehrstück zum „Prinzip der Doppelwirkung“ (PDW) stammt von Thomas von Aquin (1225–1274), dem großen Theologen der mittelalterlichen Scholastik (Summa theologica II-II q64 a7 ad c). Am Beispiel einer Notwehrhandlung, die auf die Erhaltung des eigenen Lebens abzielt, dabei aber den Angreifer tötet, bestimmt er als entscheidende Bewertungskriterien (1) das Handlungsziel (Ist die beabsichtigte Wirkung unzweideutig gut?) und (2) das Verhältnis zwischen erstrebter und unbeabsichtigter Wirkung (Ist der gute Zweck wirklich der „entsprechende Grund“ für eine ungewollt mitbewirkte Schädigung? Gibt es keine bessere, hier: gewaltärmere Handlungsmöglichkeit?)
Fragen zum genaueren Verständnis dieser Bedingungen, vor allem auch zu deren missbräuchlicher Nutzung (etwa im interessegeleiteten Gerede über „Kollateralschäden“ militärischer Einsätze), haben seither zu vielfach ausdifferenzierten und kontrovers diskutierten Formulierungen des PDW motiviert. Sie wenden sich durchgängig gegen gesinnungsfixierte Verantwortungsflucht, also die Suggestion, dass man für die vorhergesehenen bzw. vorhersehbaren Nebenfolgen einer intentional guten Handlung nicht verantwortlich sei. Als Hauptproblem erscheint zumeist jedoch die Präzisierung der Anforderungen an den Abwägungsprozess.
Rechtfertigung: „entsprechender Grund“
Eine scharfsinnige Neuinterpretation des PDW ist Peter Knauer SJ gelungen. Deren negativ formulierte definitorische Zusammenfassung lautet:
„(1) Eine Handlung ist nur dann ‚in sich schlecht’, wenn man in ihr einen Schaden ohne ‚entsprechenden Grund’ zulässt oder verursacht. Der Grund einer Handlung ist kein ‚entsprechender’, wenn der (universal zu formulierende) angestrebte Wert oder Werteverbund auf die Dauer und im Ganzen untergraben oder wenn man einen (universal zu formulierenden) Schaden oder Verbund von Schäden in einer Weise zu vermeiden sucht, die ihn auf Dauer und im Ganzen nur vergrößert.
(2) Für den Fall der Verknüpfung mehrerer Handlungen gilt, dass eine Handlung auch dann ‚schlecht’ ist,
a) wenn der Handelnde sie durch eine andere eigene ‚in sich schlechte’ Handlung ermöglichen will;
b) wenn der Handelnde durch sie eine andere eigene ‚in sich schlechte’ Handlung ermöglichen will.“
(Handlungsnetze, Frankfurt/Main 2002: 69)
Mit dieser Formulierung können zwei starke Problemquellen des PDW verschlossen oder wenigstens eingedämmt werden: Weitblickend ausgerichtet auf „Nichtkontraproduktivität“ (bzgl. der Sach-, Sozial- und Zeitdimension des Handelns) vermeidet sie zum einen die wegen konkurrierender Beurteilungsmaßstäbe und Rangordnungen zunehmend konfliktträchtige Schwierigkeit, Güter und Werte verschiedenster Art zu vergleichen und verbindlich gegeneinander abzuwägen. Zum anderen schützt sie mittels der genauen Unterscheidung der Doppelwirkung einzelner Handlungen vom Zweck-Mittel-Verhältnis verknüpfter Handlungen das Argument des entsprechenden Grundes vor dem Missverständnis, es rechtfertige Ausnahmen vom Prinzip, dass ein guter Zweck kein schlechtes Mittel heiligt.
Zu bedenken bleibt jedoch auch hier die Binsenweisheit, dass keinem Prinzip die Garantie richtiger Anwendung eingeschrieben ist. Die Zusammenführung von Norm- und Sachwissen ist eine unvermeidbar riskante Unternehmung. Sie braucht den geübten Blick praktisch erfahrener Urteilskraft und oft genug auch noch das, was allerdings ängstliche Selbstsorge nicht gerade selten wieder zerstört – Mut.
Klaus Ebeling
Prinzip der Verhältnismäßigkeit - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 01/2011)
Die Verhältnismäßigkeit ist als rechtsstaatliches Prinzip durchweg anerkannt. Zuerst soll es den Bürger vor übermäßigen Eingriffen des Staates in seine Grundrechte schützen. Im Völkerrecht, besonders im „Kriegsrecht“ – die Rede vom „Humanitären Völkerrecht“ ist
eher irreführend – bleibt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedoch umstritten. Kann er das Selbstverteidigungsrecht eines Staates (z. B. durch Ächtung des Nuklearwaffeneinsatzes) begrenzen? Welche Kriterien lassen sich für eine Abwägung zwischen staatlicher Souveränität und Interventionsrechten bei schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzungen entwickeln? Können Maßstäbe zur Bestimmung der Proportioalität einzelner militärischer Operationen benannt werden? Und überhaupt:
Hilft das Prinzip, Entscheidungen zu rationalisieren, oder öffnet es letztlich doch der Willkür die Türen?
Verhältnismäßigkeit im weiteren und engeren Sinn
In der Tugend des Maßes findet sich schon bei den griechischen Philosophen (Platon, Aristoteles) der Gedanke der Verhältnismäßigkeit. Zu einem Leitprinzip der Gesetzgebung erhebt der athenische Rechtsgelehrte Solon (640–561 v. Chr.) das Gebot, Ziele nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln zu verfolgen. Vor allem über die spanische Spätscholastik (Vitoria, Suárez) gelangt das Prinzip der Proportionalität dann später in das Kriegsvölkerrecht – und das gleich zweifach: als Forderung nach Verhältnismäßigkeit sowohl der Reaktion im ius ad bellum als auch der angewandten militärischen Mittel
im ius in bello. Nach dem Genfer Protokoll ist heute „ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige
Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen“ (Art. 51.5.b) verboten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dann gewahrt, wenn die Mittel zur Erreichung eines Zieles, geeignet, notwendig und angemessen sind: Die Maßnahme muss das angestrebte Ziel bewirken oder zumindest fördern, es darf kein schonenderes Mittel verfügbar sein und die Vorteile dürfen zu den Nachteilen nicht außer Verhältnis stehen. Zur Unterscheidung der Verhältnismäßigkeit im weiteren von der im engeren Sinn wird auch der Begriff
des Übermaßverbots verwendet.
Moralische Probleme
Die Diskussionen in der Moralphilosophie fokussieren sich auf die Abwägungsproblematik.
Aufgrund der Schwierigkeit, die Verhältnismäßigkeit zwischen Toten unter der
Zivilbevölkerung und dem Wert des militärischen Erfolges zu bestimmen, bringt Walzer die „Aufrichtigkeit der Absicht“ ins Spiel. Zur Verringerung der Zahl der Opfer unter den Zivilisten – etwa durch Verzicht auf Bombardierungen – müsste die Risikobereitschaft der Soldaten erhöht werden.
Georg Meggle hingegen moniert die fehlende Differenzierung hinsichtlich der Zurechenbarkeit. Im Gegensatz zur unvorhergesehenen Tötung von Unbeteiligten komme deren bewusste Inkaufnahme einer illegitimen direkten Tötung sehr nahe. Die Unterscheidung zwischen Notwehr und Nothilfe hält wiederum Reinhard Merkel für unerlässlich. Während bei der Selbstverteidigung die Tötung Unbeteiligter persönlich nachgesehen werden könne, würde sie bei der Nothilfe keinen Entschuldigungsgrund mehr liefern. Eine Maxime, Unschuldige zu töten, um andere Unschuldige zu retten, zerstöre sich selbst. Dies gelte analog auch für die militärische Intervention.
Missbrauch des Rechts
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht ist an sich schon ambivalent. Angesichts des hohen subjektiven Ermessensspielraums werden oft dieselben militärischen Operationen verurteilt und gerechtfertigt. Der hohe Anteil getöteter Zivilpersonen in den
meisten gewaltsamen Konfl ikten der Gegenwart deutet jedoch auf einen Missbrauch des Grundsatzes hin; etwa wenn Verluste unter Unbeteiligten als unvermeidbare „Kollateralschäden“ verharmlost werden. Die Verwendung dieses desinformierenden Begriffs – Sachen werden beschädigt, Menschen werden verletzt, hier geht es sogar
auch um Tötungen – dient eher zur Verschleierung angerichteten menschlichen Leids.
So bleibt die Hoffnung auf eine praktikable Spezifi zierung des Rechts und die Anerkennung einer hierfür zuständigen neutralen Urteilsinstanz.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Recht - Autor: Koch, Dr. Bernhard (Kompass 11/2011)
Wer falsch parkt und dafür einen Strafzettel erhält, sollte besser keine langen Diskussionen mit dem Polizisten riskieren. Der würde ihm bestimmt recht bald entgegnen: ‚Hier geht es nach Recht und Gesetz‘ oder ‚Es ist verboten hier zu parken‘, ‚Ordnung muss sein‘, ‚Das ist überall so‘, oder ‚Sie haben die Pflicht, Ihr Auto umzuparken‘. Ob bewusst oder eher unbewusst, hat er damit eine Fülle von Aspekten angesprochen, die den Rechtsbegriff umgeben. Und seien wir ehrlich – irgendwie hat er mit seinen Sätzen ja auch recht.
Freiheit begrenzend – Freiheit ermöglichend
Für den Falschparker ist die Bezugnahme auf das Recht erst einmal ärgerlich. Es behindert ihn in seiner Freiheit. Aber er hätte sich von Immanuel Kant auch sagen lassen müssen, dass sein Falschparken die Freiheitsrechte der anderen berührt. Für Kant ist Recht – so die berühmte Definition – „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereiniget werden kann." (Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausgabe VI, 230) Recht ist Voraussetzung für Freiheit, denn es strukturiert das soziale Leben, schafft Erwartbarkeit in Bezug auf das Handeln anderer und bietet Entlastung, weil es uns „die überwältigende Überfülle an Wahlmöglichkeiten" zu verarbeiten hilft (Norbert Brieskorn).
Subjektive Rechte – objektives Recht
Jetzt, wo das Auto schon abgeschlossen ist, ist das Umparken eine lästige Pflicht, mag man denken. Vielleicht steht es aber in einer Ausfahrt. Freiheitsrechten steht die Pflicht des oder der anderen gegenüber, die Ausübung des Rechts nicht zu behindern. Anspruchsrechten steht die Pflicht des oder der anderen gegenüber, dem Anspruch zu entsprechen. Freiheits- und Anspruchsrechte sind sogenannte subjektive Rechte. Sie sind vom objektiven Recht zu unterscheiden. Von einem subjektiven Recht spricht man z. B. in der Wendung „Es ist mein gutes Recht, dies zu tun" oder „Ich habe ein (An-)Recht auf 28 Tage Urlaub". Das objektive Recht ist die geltende „Sollensordnung". Recht in diesem Sinne schreibt vor, welche Handlungen eine (Rechts-)Person vollziehen darf, soll oder unterlassen muss.
Man kann nun einerseits das objektive Recht zum Ausgangspunkt nehmen und die subjektiven Rechte daraus ableiten. („Weil jede Person ein Recht auf freie Berufswahl hat, hat auch Fritz ein Recht auf freie Berufswahl.") Die Erkenntnisordnung verläuft aber oft umgekehrt: Aus der Rechteverletzung, zumal der unserer eigenen Rechte, schließen wir auf die objektive Rechtsordnung und ihre Legitimität oder Illegitimität.
Positives Recht – gerechtes Recht
Vielleicht wird der Parksünder dem Polizisten entgegenhalten, dass sein Parkverhalten in der Nachbarstadt völlig in Ordnung, also rechtskonform, ist. Jede Stadtverwaltung kann ihre Parkordnung selbst festlegen. Sie schafft damit ‚positives Recht‘. Der Ausdruck leitet sich her vom lateinischen „ponere" („setzen"), und positives Recht setzt sich dementsprechend aus den „Ge-setzen" und dem Gewohnheitsrecht zusammen sowie zum Teil aus Recht, das Richter in ihren Urteilen schaffen.
Die Frage „Dies ist zwar positives Recht, aber ist es auch gerecht?" ist aber nicht sinnlos, sondern führt weiter zur Bestimmung von Kriterien, die gesetztes Recht immer erfüllen soll. Sei es, dass man ihre Allgemeinheit und Vorrangigkeit durch Bezug auf Natur, auf Vernunft, auf einen hypothetischen Vertrag oder auf ideale Kommunikationsbedingungen zu begründen sucht.
Im modernen, demokratischen Staat vollzieht sich Rechtskonstitution über Verfahren, die ihrerseits selbst wieder in Akten der Rechtskonstitution legitimiert worden sind. Für Jürgen Habermas etwa sind es die subjektiven Teilnahmerechte, die objektives Recht im demokratischen Rechtswesen legitimieren, und es ist umgekehrt das demokratische Rechtswesen, das die subjektiven Rechte konstituiert. Für den Bürger bedeutet dies, dass er aufgefordert ist, seine Teilnahmerechte an der Rechtskonstitution, also am politischen Prozess, geltend zu machen. In diesem Sinne beeinflusst auch die Moral der politisch Tätigen die Rechtssetzung. Der christliche Wähler und Politiker wird in solche Prozesse moralische Inhalte einbringen, die ihre Quelle nicht nur in Verfahrensrationalität, sondern in gelebter Glaubensüberzeugung haben.
Dr. Bernhard Koch,
Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg
S - V
Schuld - Autor: Stümke, Dr. Volker (Kompass 03/2008)
Das Wort Schuld umschreibt in ethischer Perspektive eine elementare Erfahrung, die weiterhin umlagert ist von Fragen, welche die Lehre vom guten Handeln überschreiten hin zum gelebten Glauben. Zunächst meint Schuld das Zurückbleiben hinter einer Vorgabe und kann äußerlich auf finanzielle und rechtliche Sachverhalte bezogen werden: Man kann eine Rechnung nicht bezahlen oder einen Unfall verursachen. Um solche Schuld rechtlich festzuhalten, muss die Tat dem Handelnden zugerechnet werden (den Beifahrer trifft keine Schuld), er muss zurechnungsfähig (bspw. alt genug) sein und ihm muss zugemutet werden, dass er sie hätte unterlassen (bspw. langsamer fahren) können. Solche äußerliche Schuld sollte beglichen werden - direkt (man zahlt die Reparaturkosten) oder durch Ersatzleistungen (bspw. Schmerzensgeld). Sofern die Gesellschaft von den Folgen betroffen ist, kann sie bei der Wiedergutmachung einbezogen werden (bspw. durch eine Geldstrafe für eine wohltätige Organisation).
Der Ruf des Gewissens
Schuld hat auch eine Innenseite. Das gilt schon im Bereich des Rechts, weil manche Verstöße gezielt begangen werden, so dass nicht nur die Tat, sondern auch die Absicht bei der Bestrafung berücksichtigt wird. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen rechtlicher Bewertung und persönlicher Erfahrung: Ich fühle mich nicht schuldig, obwohl ich etwas Verbotenes getan habe (bspw. ziviler Ungehorsam), umgekehrt weiß ich mich schuldig, obwohl mich kein Gericht bestrafen wird (bspw. eine Lüge). Die entsprechende innere Instanz ist das Gewissen, es kann mich anklagen und verurteilen, aber auch lossprechen. Dabei richtet sich das Gewissen nach Normen, die mit den Rechtsbüchern des Staates nicht übereinstimmen müssen. Darum kann es machtvoller sein als das rechtliche Urteil: Objektiv mag sich das Gewissen irren, aber subjektiv steht die Schuld unmittelbar vor Augen und bindet mich.
Schuld ruft Fragen hervor
Vor allem um diese persönliche Erfahrung von Schuld ranken sich eine Reihe wichtiger Fragen. Zunächst ist der Maßstab meines Gewissens zu analysieren: Sowohl Erziehung wie Gesellschaft beeinflussen meine Bewertung, doch auch Gebote Gottes und vernünftige Einsichten prägen mein Gewissen - und wie sich diese Instanzen zueinander verhalten, ist nicht exakt zu bestimmen. Aber dass falsche Gesetze hier (persönlich wie politisch) Unheil anrichten können, ist jedem klar. Darüber hinaus ist nach der Wurzel meiner Schuld zu fragen: Resultiert schuldhaftes Handeln aus kultureller Prägung, Unwissenheit, Uneinsichtigkeit oder gar Bosheit? Schließlich ist der Umgang mit der eigenen Schuld zu erörtern: Muss ich lernen, mit Unvollkommenheiten zu leben (mich so zu akzeptieren), kann ich selbst mich entschuldigen (Nachsichtigkeit einfordern) oder bin ich auf das Urteil anderer - auf Strafe oder Vergebung - angewiesen?
Das christliche Verständnis der Schuld
Dass diese Fragen nicht exakt beantwortet werden können, hängt zum einen daran, dass wir hier zurückgreifen auf das Menschenbild - und davon gibt es unterschiedliche. Zum anderen sind wir nicht "objektiv", sondern selbst in Schulderfahrungen verwoben. An dieser Stelle behauptet der christliche Glaube, dass die eigentliche Wurzel der Schuld in der Sünde des Menschen liegt. Sünde ist gegen Gott gerichtet, ihr grundlegendes Kennzeichen ist (nach Martin Luther) die Selbstbezogenheit des Menschen, der in seinem Hochmut selbst Gott sein und alles bestimmen, sich also nichts von Gott sagen lassen will. Genau diese Selbstbezogenheit führt dazu, meine Verwurzelung in der Sünde zu leugnen - was für ein Gott wäre ich sonst? Erst die Vergebung der Sünde, für die Jesus Christus einsteht und die uns konkret zugesagt wird in Wort und Sakrament, eröffnet die tiefe Einsicht in meine Sünde und Schuld, die mein Gewissen mir nur angedeutet hat. Und aus ihr resultiert eine doppelte ethische Haltung im Umgang mit der Schuld, die im Vaterunser auf den Punkt gebracht wird: Die Bitte um die Vergebung der eigenen Schuld sowie die Bereitschaft, meinerseits Schuld zu vergeben. In beidem wird ein Mensch erkennbar, der sich nicht mehr als Gott versteht und sich auch nicht gegenüber seinen Nächsten so aufspielt.
Sicherheit - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 07/2008)
Lasst uns lieber auf Nummer sicher gehen! Als "gesellschaftliches Wertsymbol" (Franz-Xaver Kaufmann) verheißt Sicherheit heute nicht nur Schutz vor Gefahr, Not und Risiken aller Art, sondern auch Gewissheit und Verlässlichkeit, Geborgenheit und Beheimatung. Doch das Streben nach einer immer "sichereren Sicherheit" stößt an gesellschaftliche, moralische und existentielle Grenzen: Eine umfassend von außen erfolgende Stabilisierung des Individuums ist in ausdifferenzierten Gesellschaften nicht möglich; die Herstellung absoluter Sicherheitsverhältnisse gerät innergesellschaftlich mit dem Wert der Freiheit, international mit dem Wert des Friedens in Konflikt; zudem schließt die Endlichkeit menschlichen Lebens auch ein vollkommenes Sicherheitsgefühl aus.
Sorglose Sicherheit
Ursprünglich bedeutet Sicherheit (lat.: securitas) ein subjektives Gefühl der Schmerz- und Sorglosigkeit, eine "Abwesenheit von Kummer" (Cicero). In biblischer Tradition ("Aber ich bin voll glühendem Zorn gegen die Völker, die sich in falscher Sicherheit wiegen." Sach 1,15) wenden frühe christliche Theologen Sicherheit auch ins Negative: als "fahrlässige Unbekümmertheit". Später werden die "Sicheren" wegen ihres "Mangels an Gottvertrauen" (Luther) und ihrer "Selbstberuhigung" (Calvin) vor allem von den Reformatoren kritisiert. Eine andere Sorglosigkeit hat freilich Jesus im Blick, wenn er mahnend daran erinnert: "Euch muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben." (Mt 6,33) Innere Sicherheit In der Neuzeit verliert Sicherheit ihre moralische Ambivalenz. Bedingt durch den Verlust einer von Gott gegebenen politischen und sozialen Ordnung steigt sie zu einem gesellschaftlich angestrebten Wert auf. Sicherheit als Herstellung eines verlässlichen Zustands von Gefahrlosigkeit wird sogar zum primären Rechtfertigungsgrund des modernen Staates (Machiavelli, Hobbes). Menschliches Streben zielt aber auf Selbsterhaltung und Selbstentfaltung. Insofern ist eine Politik der inneren Sicherheit nur dann legitim, wenn sie "instrumentell auf eine rechtliche Ordnung ausbalancierter Freiheit bezogen bleibt" (Reuter: Sicherheit, innere/äußere, in: RGG 7, 2004, 1.297).
Mit der industriellen Revolution beginnt sich die Aufmerksamkeit der inneren Sicherheit zu verlagern: hin zum Schutz vor sozialer Not. Soziale Sicherheit wird zu einer Leitidee des Wohlfahrtsstaates und 1948 von der Generalversammlung der VN zum allgemeinen Menschenrecht (Art. 22) erklärt. Gegenwärtig wecken Risiken der technischen Entwicklung neue Sicherheitsbedürfnisse. Äußere Sicherheit Gefährdungen des Menschen entstehen nicht nur im Inneren eines Staates. Traditionell richtet sich äußere Sicherheit allein gegen externe militärische Bedrohungen der politischen Selbstbestimmung und der territorialen Integrität. Die Idee einer "erweiterten Sicherheit" löst den Begriff aus der alten nationalstaatlichen und militärischen Engführung. Sie schließt die Unteilbarkeit von Sicherheit (notwendig?) mit ein - zielt somit nicht nur auf die nationale Sicherheit eines einzelnen Staates, sondern auf eine kollektive, umfassende, multilaterale Sicherheitsstruktur (im Rahmen der VN). Aber mit der Ausweitung des Bedrohungsspektrums (von Terrorismus über Menschenrechtsverletzungen bis zur Unterentwicklung) gerät eine solche Sicherheitskonzeption schnell in Konflikt mit der klassischen Friedensidee. Denn dieser geht es nicht nur um die Absicherung stabiler Strukturen, um das Auf-Distanz-Halten von Krisen und um die Eindämmung ihrer Auswirkungen, sondern um die Errichtung gerechter Strukturen, um die Bearbeitung von Krisen und um die Bekämpfung ihrer Ursachen. Erst mit der Finalisierung der Sicherheit auf den Frieden gewinnt die Politik jenen Zielhorizont, der ein gerechtes und sicheres Zusammenleben zwischen Staaten und Gesellschaften möglich macht.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Sinn - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 04/2014)
Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung sei „existenziell indifferent“, zeige „gleichzeitig niedrige Sinnerfüllung und keine Sinnkrisen“ – so charakterisiert die Innsbrucker Professorin Tatjana Schnell ein Ergebnis ihrer Studien zur Psychologie des Lebenssinns. Auch seien die Indifferenten „eher jünger und Singles, sehr wissenschafts- und technikorientiert, nicht religiös oder spirituell eingestellt, ohne Generativität oder Verbundenheit“ (Psychologie heute, 2014/2: 40).
„So wie du bist und so wie ich bin, sind wir okay, wir brauchen keinen Sinn“ – diese Textzeile ist auf der viel und kontrovers besprochenen CD „Liebe ist meine Religion“ der jungen Pop-Gruppe Frida Gold zu entdecken. Bietet das Lied – und vielleicht auch die Gruppe selbst – also ein Beispiel für die Haltung jenes Sinntyps der Indifferenten? Der Anschein täuscht; denn die „Verweigerung“ verteidigt hier vielmehr den Sinn gegen seine alltägliche Reduktion auf Zweckdienlichkeit.
Sinn: verstehen und erfahren
„Sinn“ meint eben nicht nur den „Effizienzgrad einer Zweck-Mittelrelation“, auch nicht bloß die „konstitutive Beziehung einer Handlung zu dem, was sie intendiert“ (H.-J. Höhn, Zeit und Sinn, 2010: 170); zumal wenn dabei, wie so oft, nur an Intentionen herstellenden Handelns (griech. téchne) gedacht wird. Im emphatischen Sinne sinnvoll sind gerade auch die selbstzweckhaften Handlungen und Lebensvollzüge (griech. praxis), z. B. das selbstvergessene Musizieren oder – wie im Lied – das Erlebnis liebender Anerkennung, das keiner externen Rechtfertigung bedarf.
Eine Sondierung von Sinnbegriffen sollte auch folgende gängige Bestimmungen wenigstens kurz notieren, weil sie allesamt elementare Verständigungs- und Erfahrungsbedingungen bezeichnen und zugleich Erwägungsaspekte der Lebenssinnfrage vorzeichnen: „Sinn“ bzw. die Sinne als „Vermögen, Außenreize wahrzunehmen und zu verarbeiten“, „Sinn“ als „intentional-repräsentative(r) Zusammenhang“ von Gegenstand und Bedeutung (Sinn hat, was etwas bedeutet, bedeutsam ist und Be-Achtung verdient) und als „Zusammenhang einer zielgerichteten Bewegung“, worauf übrigens auch schon das altdeutsche sin abhob (a. a. O.: 170 f.).
Doch nun ist weiter direkt nach dem existenziellen Sinnerleben zu fragen. Wann gelingt es? In der psychologischen Forschung haben sich vier sinngebende Merkmale und ihnen korrespondierende Lebensausrichtungen herauskristallisiert (Zusammenfassung orientiert an Schnell a. a. O.: 37 ff.):
• Bedeutsamkeit > Selbstverwirklichung: Was ich tue, ist mir wirklich wichtig;
• Orientierung > Ordnung: Ich weiß, wohin die Reise gehen soll und kann abschätzen, was jeweils möglich ist;
• Zugehörigkeit > Wir- und Wohlgefühl, Selbsttranszendenz: Mir liegt an der Gemeinschaft mit anderen. Ich engagiere mich auch für gemeinsame Anliegen und empfinde Mitverantwortung auch „fürs Ganze“, für Aufgaben von allgemeinem Interesse;
• Stimmigkeit > Authentizität: Ich versuche, mir treu zu bleiben.
Lebenssinn: erhoffen und glauben?
Es ist nicht gerade leicht, die genannten Ausrichtungen lebensfreundlich auszubalancieren und zu einer lebendigen, also: nicht zu rigiden persönlichen Einheit zu formen. So viel wirkt dem entgegen: der alltägliche Leistungs- und Konkurrenzdruck, die Verführbarkeit durch bequem erreichbare Konsum- und Unterhaltungsangebote. Dies vermag Lebenszeit zwar auszufüllen, schwerlich jedoch auch zu erfüllen. Und das wird keineswegs nur von denen bezeugt, die „existenziell indifferent“ geworden sind. Denn nicht nur für diesen Teil unserer Gesellschaft stellt sich ja die Frage, ob die Bereitschaft, die erwähnten (und ähnliche) Treibsätze existenzieller Enteignung zu akzeptieren, sich nicht der unterschwellig herrschenden Vermutung verdankt, dass unser Leben ohnehin nur ein randständiges Element in einem insgesamt sinnfremden Geschehen sei. Man sieht: Der Sinnfrage ist kaum zu entkommen; auch wer sie explizit nicht stellt, nimmt praktisch Stellung durch seine Lebensführung. „Selbst die ‚Entlarvung‘ von Sinn als illusionär, ohnmächtig oder selbstbestimmungsfeindlich und das Ausrufen von Sinnlosigkeit bleiben als nur verneinend auf ihr Gegenbild bezogen oder enthalten selbst ‚andere‘ Sinnansprüche“ (H. Schrödter, Hess. Bl. f. Volksbildung, 1986/1: 4). Spricht dies nicht dafür, sich überhaupt in keinem Sinnkäfig mehr einschließen zu lassen, jedem Sinnabsolutismus (auch dem nihilistischen) zu widerstehen und stattdessen sich wenigstens in Momenten befreiter Nachdenklichkeit – gemäß dem hermeneutischen „Antiprinzip Anknüpfung“ (O. Marquard, Der Einzelne, 2013: 236) – wieder einmal mit jenen (noch vertrauten?) alten Geschichten zu konfrontieren, die „selbst wenn sie nicht wahr sein sollten“, uns doch „etwas Unverzichtbares erzählen“; Geschichten, die daran erinnern, dass wir um unserer Menschlichkeit willen „auf einen Horizont ausgerichtet sein müssen, der das überschreitet, was ist“ (C. Emcke, Die Zeit, 2011/17: 1).
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter Ethik,
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
in Potsdam
Strafe - Autor: Stümke, Prof. Dr. Volker (Kompass 10/2011)
„Strafe muss sein“ – diese Redewendung ist geläufig. Wenn man sie aber hinterfragt und nach moralischen Gründen sucht, wird es heikel. Dabei ist weitgehend klar, was mit Strafe gemeint ist: die Zufügung eines Übels als Antwort auf ein begangenes Übel.
Strafen ist also ein hierarchischer Akt (von oben nach unten), der voraussetzt, dass ein Übel begangen, erkannt und abgeurteilt wurde. Es wird begangen, indem der Täter gegen eine Norm verstößt – das gilt rechtlich („nulla poena sine lege“ = keine Strafe ohne Gesetz), aber auch für Gruppenregeln (bspw. „rote Karte“). Nachdem die Übertretung erkannt, also als schuldhaftes Handeln dem Täter zugerechnet wurde („nulla poena sine culpa“ = keine Strafe ohne Schuld), wird sie mit einer Missbilligung belegt – und zwar vom dafür zuständigen Gericht (bzw. Schiedsrichter – aber eben nicht durch eine Fehde oder durch Selbstjustiz). Christen werden darauf insistieren, dass solches Urteil auf die (unrechte) Tat bezogen ist und nicht den ganzen Menschen (als Verbrecher) erfasst – denn ein Gesamturteil steht nur Gott zu (Röm 12,19).
Strafzwecke
Doch warum folgt über die Ablehnung hinaus die Zufügung eines Übels – sei es eine Abmahnung, eine Geldstrafe oder gar Freiheitsentzug? Auf diese Frage antworten die vier Straftheorien. Die beiden absoluten Straftheorien betonen, Strafe sei nötig, um der Gerechtigkeit zu entsprechen (I. Kant: Vergeltung – der Täter darf keinen Vorteil aus seiner Tat ziehen) und um einen Ausgleich mit der verletzten Rechtsordnung wieder herzustellen (A. v. Canterbury: Sühne – der Täter wird so wieder in die Ordnung integriert). Daran ist richtig, dass Strafe sich an einem klaren Maßstab orientieren muss und nicht willkürlich verhängt werden darf, ferner, dass die Rechtsordnung ein schützenswertes Gut darstellt. Täter und Gesellschaft sind jedoch bei dieser objektzentrierten Sichtweise nicht im Blick. Die beiden relativen Straftheorien stellen demgegenüber den Bezug zu den betroffenen Menschen her und begründen die Strafe mit ihrer Wirkung. Strafe dient der Resozialisierung des Täters (F. v. Liszt: Spezialprävention) bzw. der Abschreckung potenzieller Täter (A. v. Feuerbach: Generalprävention). Zwar wird hier gut akzentuiert, dass Recht und Strafe einen Zweck haben müssen, allerdings ergibt sich nun die Gefahr, dass Strafen für dieselbe Tat deutlich differieren können – je nach Täter bzw. Attraktivität der Tat. Weil alle Theorien Stärken und Schwächen haben, hat sich eine Vereinigungstheorie durchgesetzt: Strafe ist demnach auf die beiden Zwecke der Resozialisierung und der Abschreckung bezogen, und indem sie dazu das Recht und die Gerechtigkeit stärkt und gegen die Übertretungen vorgeht, unterstützt sie das geordnete Zusammenleben der Menschen.
Zwischen Verweigerung und Versöhnung
Während diese Theorien im Bereich des Rechts weitgehend akzeptiert werden, steht die Pädagogik dem Strafen distanziert gegenüber: Empirisch sei die resozialisierende Wirkung von Strafen kaum nachzuweisen, Rückfallquoten und Täterbiographien degradierten die Spezialprävention zur bloßen Theorie. Und als Abschreckung funktioniere sie nur bei permanenter Kontrolle; zudem taste man die Menschenwürde des Täters an, indem man ihn als Mittel zum Zweck missbrauche. Notwendig sei vielmehr eine Verinnerlichung der Normen, so dass Menschen aus Überzeugung die Gesetze achteten und sich in die Ordnung einfügten – und sie innerhalb dieses Rahmens verbesserten.
Dieser Impuls ist zweifelsohne richtig, allerdings darf man nicht die Augen vor Integrationsverweigerern verschließen, so dass Strafe als Sanktion zur Normdurchsetzung zumindest ultima ratio bleiben wird, aber nicht selbstverständlich werden darf.
Die Bibel verkündigt die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus. Hier meint Sühne nicht nur die Reintegration des Sünders in die gestörte göttliche Lebensordnung durch den stellvertretenden Tod Christi, sondern vor allem die Versöhnung der Menschen mit Gott. Dementsprechend legen Christen Wert darauf, dass Strafe die Reintegration der Täter in die Gesellschaft als Ziel haben muss, zum einen durch Resozialisierungsmaßnahmen, zum anderen durch Gesten und Maßnahmen der Versöhnung, die vom Täter ausgeführt und vom Opfer anerkannt werden und so einen Ausgleich eröffnen.
Tapferkeit - Autor: Bendel, Lothar (Kompass 09/2008)
Die Tapferkeit (lat.: fortitudo) gehört zu jenen Kardinaltugenden der Gerechtigkeit, der Klugheit, des Maßes, denen in den antiken und mittelalterlichen Ethikkonzeptionen eine konstitutive Bedeutung zukommt. Obwohl die Rede von Tugenden vielen Zeitgenossen vormodern erscheinen mag, Tapferkeit im Besonderen als militaristisches Relikt angesehen wird, das in einer postheroischen Gesellschaft ortlos ist, sind diese Tugenden unverzichtbar. Sie sind Haltungen und Handlungsdispositionen (Habitus), die richtiges und moralisch gebotenes Handeln in Situationen sicherstellen, in denen affektive und emotionale Hindernisse bestehen.
Das Wissen um das moralisch richtige Handeln führt nämlich nicht automatisch zur richtigen Handlung. Zwischen Einsicht und Handeln stehen unsere Neigungen, Ängste, Interessen und Leidenschaften. Tugenden werden deshalb als Korrektive der menschlichen Natur (Ph. Foot) bezeichnet, die sich auf Motivationsmängel und affektive Handlungshindernisse beziehen. I. Kant nennt die Tugenden die "moralische Gesinnung im Kampfe", d. h. die standhafte und feste Gesinnung, die auch entgegengesetzten Neigungen nicht nachgibt. Der Erwerb von Tugenden formt den Charakter, so dass der Mensch kein bloßer Spielball seiner Affekte ist, der nur zufällig und von Zeit zu Zeit richtig handelt.
Feigheit - Tapferkeit - Tollkühnheit
Der anthropologische Grund der Tapferkeit ist die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit (J. Pieper) des Menschen. Er weiß sich als ein Wesen, dem Schäden und Übel zugefügt werden können, die seinem Streben nach einem Gelingen des Lebens zuwiderlaufen. Tapfer heißen diejenigen, die ihre Handlungsziele trotz des Wissens um drohende Übel, im äußersten die Todesdrohung, verfolgen. Tapferkeit hat deshalb immer mit der Beherrschung von Furcht zu tun. Die aristotelische Definition der Tapferkeit als ein mittleres - nicht mittelmäßiges (!) - zwischen zwei Affekten, nämlich der Furcht und der Tollkühnheit, hat sich in der ethischen Diskussion weitestgehend durchgesetzt. Was unterscheidet nun aber Tapferkeit und Tollkühnheit? Für P. Knauer (Handlungsnetze. Über das Grundprinzip der Ethik, S. 25) gehört zur Tapferkeit die Vorsicht unabdingbar hinzu, die der Tollkühnheit gerade fehlt. Vorsicht ohne Tapferkeit ist hingegen nur Feigheit. Tapferkeit verweist daher auch auf die Tugend der Klugheit, welche die Situationen erkennt und bewertet, in denen eine tapfere Haltung erforderlich ist. "Tapferkeit ohne Klugheit ist keine Tapferkeit."
(J. Pieper)
Tapferkeit und Moralität
Tapferkeit ermöglicht moralisches Handeln, aber die Tapferkeit einer Handlung begründet nicht deren Moralität. Auch Räuberbanden bedürfen nämlich in bestimmten Situationen der Tapferkeit ihrer Mitglieder zur Erreichung ihrer Ziele. Ohne Bezug auf moralische Prinzipien und Werte ist tapferes Handeln ein formales Vermögen zur effektiven Verfolgung von Zwecken, das jedoch beliebig für verbrecherische Zwecke instrumentalisierbar ist. Die Geschichte zeigt uns viele Beispiele missbrauchter Tapferkeit. "Ohne die ‚gerechte Sache' gibt es keine Tapferkeit." (J. Pieper) Tapferkeit ist ein Thema der Ethik, weil sie keine angeborene Eigenschaft des Menschen ist, sondern erworben werden muss. Für Aristoteles geschieht dies durch andauernde Praxis und Übung. Tapfer wird man mithin, indem man tapfer handelt. Erziehung zur Tapferkeit geschieht in der Teilhabe an einer gemeinsamen Praxis, in der die Bewältigung kritischer Situationen und Krisen tapferes Handeln verlangt.
Tapferkeit als sittliche Grundhaltung ist ein unverzichtbarer Grundbegriff einer soldatischen Berufsethik, gleichwohl ist das militärische Handeln nicht der ausschließliche Ort, wo Tapferkeit bedeutsam und erforderlich ist. Auch im bürgerschaftlichen Engagement für das Gemeinwohl kann auf Tapferkeit (Zivilcourage) nicht verzichtet werden, da der Einspruch gegen Unrecht und die Verteidigung des Rechtes auch unter Inkaufnahme von Nachteilen moralische Pflicht sein kann.
Lesetipp:
Josef Pieper: Vom Sinn der Tapferkeit,
in: Werke, Band 4, Hamburg 1996, S. 113-136
Lothar Bendel
vormals Leitender Wissenschaftlicher Direktori i.K. und Referatsleiter im Katholischen Militärbischofsamt
Tod - Autor: Stümke, Dr. Volker (Kompass 10/2010)
Der Tod gilt als unwiderrufliches Ende eines Lebewesens. Schon die antike Medizin kannte vier Eintrittspforten des Todes: Hirn, Herz, Lunge, Blut. Ihr Versagen gehört zum Prozess menschlichen Sterbens, wobei dies nicht gleichzeitig geschehen muss (vgl. Herzinfarkt) und in einem engen Zeitraum noch die Möglichkeit der Reanimierung
bestehen kann (bspw. Wiederbeatmung). Gegenwärtig gilt der Hirntod medizinisch und rechtlich als Zeitpunkt des Ablebens.
Der Tod als ethisches Thema Der Tod widerfährt dem Menschen, er ist beim eigenen Tod nicht aktiv, sondern passiv (= erleidend). Sofern Ethik das Handeln von Menschen reflektiert, gerät vor allem das Töten in das ethische Blickfeld. Weil Töten das ganze Leben unwiderruflich beendet, der Grund dafür aber nur einen Ausschnitt dieses Lebens betrifft (bspw. die Verhängung der Todesstrafe aufgrund eines Verbrechens) und damit
den Menschen nicht als Zweck an sich selbst betrachtet, sondern ihn mit diesem
Ausschnitt identifiziert, ist Töten als Missachtung der Menschenwürde zu verstehen und damit ethisch nicht zu akzeptieren. Das betrifft nicht nur den Mord, sondern auch die Todesstrafe und die Selbsttötung. Ob es gleichermaßen für die Sterbehilfe gilt, ist
umstritten, weil das Recht zum selbstbestimmten Sterben ebenfalls als Ausdruck
menschlicher Würde anzusehen ist. Das Töten im Krieg kann zwar als Ausnahme gelten, sofern es sich um Notwehr handelt. Doch es bleibt eine (unvermeidliche) Missachtung der Würde, so dass Krieg ethisch nicht legitim, sondern nur das geringere Übel sein
kann.
Deutungen des Todes
Der Tod betrifft die Ethik nicht nur als Möglichkeit menschlichen Handelns, sondern vor allem, weil er vor die Frage menschlichen Selbstverständnisses stellt. Nicht dass Menschen sterben, sondern dass ich tot sein werde, ist die Herausforderung (T. Nagel). Bereits für die antiken Denker galt, dass der Mensch sich angesichts der eigenen
Sterblichkeit selbst erkennen sollte. Kein Mensch kann den eigenen Tod erfahren, sondern er ist angewiesen auf Rückschlüsse aus dem Sterben anderer, das er deutet (D. Sternberger). Dabei haben die mittelalterlichen Totentänze oft in sozialkritischer Absicht
verdeutlicht, dass der Tod alle Menschen trifft, auch reiche, junge, schöne und fromme, so dass irdische Güter keine Hilfe bei der Bewältigung des Todes darstellen. Keiner kann für einen anderen sterben, darum sollte jeder Mensch auf den eigenen Tod vorbereitet
sein (M. Luther).
Vier weiterführende Deutungen des Todes sind geistesgeschichtlich besonders wichtig:
1.) Die Naturalisierung: Wie überall in der Natur muss der Einzelne sterben, damit die Gattung fortbestehen kann (L. Feuerbach) und neue Exemplare eigenständig leben können (H. Jonas).
2.) Das Beiseiteschieben: Der Tod ist kein erfahrbares Ereignis (L. Wittgenstein), denn solange ich lebe, ist er nicht da und wenn er da ist, bin ich nicht mehr da (Epikur).
3.) Das Akzeptieren: Erst der Tod macht mein Leben einzigartig, weil er keine Wiederholungen ermöglicht. Darum führt erst das Wissen um meinen Tod dazu, dass ich
mein Leben bewusst gestalte (M. Heidegger). Und dazu gehört auch, die eigene Endlichkeit zu integrieren, indem ich abschiedlich lebe (M. Theunissen).
4.) Die Erlösung: Im Tod löst sich die unsterbliche Seele vom vergänglichen Leib (Platon) und wird dann ihrer Prägung im Leben entsprechend ewig leben.
Tod und Religion
Durch den Tod ist der Mensch mit seinen eigenen Grenzen konfrontiert, seiner Endlichkeit und seiner Machtlosigkeit. Die meisten Religionen bieten nicht nur Hilfen im Umgang mit dem Sterben (Sterberituale), sondern auch Jenseitsvorstellungen, die den Menschen einerseits trösten (ewiges Leben), ihm andererseits aber auch den Ernst des Lebens verdeutlichen können (Jüngstes Gericht).
In der Bibel dominieren drei Vorstellungen des Todes: Der Tod ist erstens der Ort der Gottesferne (Ps 6,6). Er ereilt die Menschen zweitens als Folge der Sünde (Röm 6,23). Drittens ist die Auferweckung Jesu der Sieg über den Tod. Sie zeigt, dass die Liebe Gottes stärker ist als die Beziehungslosigkeit des Todes, in die sich der Sünder hineinmanövriert hat.
Toleranz - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 06/2008)
Verwechslung inbegriffen! Diskurse über Toleranz zeugen nicht selten von groben Missverständnissen. So sehen Verächter in ihr eine Haltung unzulänglicher Entschiedenheit, schlicht „die Unfähigkeit zu Ja und Nein“ (F. Nietzsche) oder gar schlimmer noch: eine „heimtückische Krankheit“ (D. H. Lawrence), die „friedlich“ alles gelten lässt. Andere Kritiker betrachten sie als eine mindere Tugend im Übergang – hin zu echter Wertschätzung (M. Heidegger). Doch Toleranz verträgt sich weder mit Gleichgültigkeit noch bloßer Bejahung. Sie beinhaltet immer schon eine persönliche Ablehnung von Überzeugungen und Praktiken, die als falsch erkannt oder schlecht bewertet werden. Nur geht sie nicht so weit, diese auch aus moralischen Gründen zurückzuweisen. An ihre normative Grenze stößt diese Akzeptanz bei Ansichten und Handlungen der Intoleranz.
Toleranz als Duldung
Auch wenn in der Antike Toleranz – gegenüber anderen Religionen – durchaus in Grenzen praktiziert wurde, der Begriff selbst taucht erstmals bei Cicero auf. Doch meint tolerantia hier ein Verhältnis zu sich selbst, insofern sie ein würdevolles Ertragen von Unglück und Ungerechtigkeit einfordert. Angesichts von Verfolgung und Martyrium wird der Begriff bei frühchristlichen Autoren im Sinn der Leidensfähigkeit von Gläubigen religiös gedeutet. Für das Mittelalter bestimmend wird die sozial-ethisch ausgeweitete Toleranz-Konzeption von Augustinus. Zur Vermeidung noch größerer Übel soll falscher Glaube (Juden, Heiden) und manch schlechtes Verhalten (z. B. Prostitution) geduldet, keineswegs jedoch gebilligt werden. Von solcher Toleranz ausgeschlossen werden „Abweichler“ (Schismatiker und Häretiker); denn der Abfall vom wahren Glauben – interpretiert als Akt der Bosheit – führe zu gesellschaftlichem Unfrieden.
Toleranz als Respekt
Durch die Konfessionalisierung der christlichen Religion wird die Toleranz zur epochalen Frage der Neuzeit. Konzeptionell verändert sich der Begriff mit John Lockes „Brief über Toleranz“ hin zum gegenseitigen Respekt. Die nicht delegierbare Verantwortung des Menschen für sein eigenes Seelenheil setzt auch der staatlichen Befugnis in religiösen Fragen enge Grenzen: Von der Toleranz ausgenommen bleiben nur solche Personen und Gruppen, die die normativen Grundlagen des Staates gefährden (z. B. Katholiken wegen Gehorsam gegenüber einem fremden Souverän). Diese Beschränkungen werden in der französischen Aufklärung mit der Trennung von Glauben und Wissen überwunden. Aufgrund der Endlichkeit der Vernunft in Glaubensfragen lässt sich für Pierre Bayle religiöser Zwang wechselseitig nicht rechtfertigen. Aus Respekt vor der Freiheit der Person erkennt auch die katholische Kirche im II. Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit an.
Toleranz als gesellschaftliche Praxis
Zunehmende Pluralisierung religiöser Überzeugungen und ethischer Wertvorstellungen ist ein Kennzeichen moderner Gesellschaften. Toleranz als Respekt vor anderen Vorstellungen vom guten Leben – Duldung wäre nur eine Art der Beleidigung (Goethe) – wird zu einer notwendigen demokratischen Tugend, zu einer Herausforderung vor allem durch Einwanderer aus fremden Kulturen. Dadurch entstehen Toleranz-Konflikte, die nicht leichtfertig und allzu vereinfachend als Verstöße gegen den Basiskonsens der Gesellschaft qualifiziert werden dürfen (etwa das Kopftuch als Unterdrückungssymbol der Frau und das Schächten als Tierquälerei). Die Grenze gesellschaftlicher Toleranz markieren die Menschenrechte, die keiner Person abgesprochen werden können.
Toleranz als persönliche Tugend
Toleranz ist kein Zeichen innerer Schwäche. Die eindeutige Ablehnung einer anderen Überzeugung und Praxis verlangt einen festen eigenen Standpunkt, der die Freiheit des anderen auszuhalten vermag. Die Botschaft von der Gottebenbildlichkeit aller Menschen sollte gerade Christen Mut machen, sich dieser Aufgabe immer neu zu stellen. Wir haben dabei auch selber einiges zu gewinnen.
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Tugend - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 10/2007)
Übertreibungen haben schon vieles in Verruf gebracht - auch Begriffe. Wird "Tugend" ganz auf den Aspekt vortrefflicher Tauglichkeit fixiert, kann sie sogar ganz und gar unmoralischen Unternehmungen nützlich erscheinen. Mit "Mut", "Fleiß" und "Loyalität" z. B. lässt sich, so gesehen, auch die Effektivität von Raubzügen steigern. Kaum weniger freilich untergräbt den Respekt vor der "Tugend", wer sie mit den konventionell-moralischen Verhaltenserwartungen einer Gemeinschaft oder Gesellschaft gleichsetzt. Den Beginn lebendiger Moralität markiert (zwar nicht generell, wie etwa in Novalis' romantischem Verständnis der Tugend als "Gefühl der Kraft", aber doch) immer wieder gerade dies: dass jemand "aus Tugend gegen die Tugend" handelt (zit. nach M. Düwell u. a. [Hg.], Handbuch der Ethik, 2002: 515).
Tugend, Glück und das Gute
Gemeinsam ist den großen, bis heute wirksamen Tugend-Konzeptionen der griechisch-römischen Antike die Verknüpfung von Tugend und Glück: Das Gutsein wird um des eigenen Glücks willen angestrebt - als höchst relevantes Mittel zum Zweck (Epikur) oder weil es selber in hohem Maße (Platon, Aristoteles) oder gar uneingeschränkt (Stoa) mit diesem höchsten menschlichen Gut identifiziert wird. Ungeachtet ihrer instrumentellen oder selbstzweckhaften Deutung kennzeichnen sowohl kognitive als auch emotionale Fähigkeiten und Kräfte die tugendhafte Lebenshaltung; sie konkretisiert sich im harmonischen Zusammenspiel verschiedener, durch Übung erworbener Verstandes- und Charaktertugenden: Der Tugendhafte hat gelernt zu beurteilen, was in der jeweiligen Situation richtig, was falsch ist. Und er ist habituell, d. h. gewohnheitsmäßig und dauerhaft, motiviert, dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Im Anschluss an Platons Seelen- und Tugendlehre haben vier sog. "Kardinaltugenden" in der abendländischen Ethik besondere Prominenz erlangt: die (bei Platon zusammen mit der "Weisheit") dem Denkvermögen zugeordnete "Klugheit", die dem muthaften Fühlen entsprechende "Tapferkeit", die dem Begehren gemäße "Besonnenheit" und die "Gerechtigkeit", hier zu verstehen als Inbegriff der harmonischen Einheit der Seelenvermögen oder - in O. Höffes moderner Umschreibung (Lexikon der Ethik, 6. Aufl. 2002: 268) - als "Haltung der Achtung vor der Würde seiner selbst und seiner Mitmenschen". Für dieses Verständnis der Tugend(en) ist der Gedanke der "Mitte" zentral. Extreme Haltungen verfehlen ihm zufolge das Gute und das Glück. So steht eben z. B. nicht nur feiges, sondern auch tollkühnes Verhalten im Gegensatz zur Tapferkeit: Der Tapfere ist bereit, auch in Gefahr für seine wohlerwogenen Überzeugungen einzustehen - mit Vernunft und Augenmaß!
Insofern nun in den philosophischen Tugendlehren Leistungsgedanken dominieren, sind die drei sog. "theologischen Tugenden" durchaus auch als kritische Ergänzung der Kardinaltugenden zu lesen. "Glaube", "Hoffnung" und "Liebe" (Paulus: 1 Korinther 13,13; vgl. Galater 5,5f.; Kolosser 1,4f.) sind, christlich gedeutet, durch göttliche Gnade (mit)ermöglichte Tugenden: Wir Menschen antworten glaubend, hoffend und liebend auf die zuvorkommende Zuwendung Gottes in Jesus Christus.
Regel- statt Tugendethik?
Die seit der Neuzeit sich zügig und vielfältig ausdifferenzierenden Lebensverhältnisse verändern massiv auch die ethische Landschaft: Fragen nach dem guten Leben werden zunehmend "subjektiviert", autoritativ vermittelte Antworten darauf "relativiert". Unter diesen Bedingungen rückt unweigerlich die Aufgabe ins Zentrum, mithilfe allgemein oder zumindest weithin zustimmungsfähiger Regeln dennoch funktionsfähige Handlungsgemeinschaften zu erhalten bzw. möglich zu machen. Nicht mehr die Bewertung der menschlichen Person und ihrer Lebensweise "im Ganzen" ist weithin das Kernthema der Ethik, sondern die gemeinschafts- bzw. gesellschaftsverträgliche Normierung sozialen Handelns (Die Ethik Kants - dies sei, notgedrungen unerörtert, hier eingeschoben - integriert die Tugend- in die Maximenlehre und nimmt insofern eine Zwischenstellung ein.)
Die Ergänzungsbedürftigkeit wiederum der neuzeitlich-modernen Normenethiken wird seit einiger Zeit wieder, durchaus richtungsübergreifend, viel diskutiert. Der vielleicht wichtigste Impulsgeber hierzu dürfte wohl die im abschließenden Zitat von K. Hilpert (Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, 2001: 299) angesprochene Erfahrung sein, dass "das Zusammenleben auf freie Selbstverpflichtung der einzelnen in Gestalt v. Bereitschaften, konstanten Neigungen, Einstellungen sowie konsequenterweise auf deren Kultivierung in stabilen Lebens- u. Überzeugungsgemeinschaften nicht verzichten kann."
Klaus Ebeling
Verantwortung - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 06/2013)
Wer kennt nicht Beispiele? Jemand „übernimmt Verantwortung“ und dann geschieht – nichts. Verweigerte Folgenverantwortung wird ins Gegenteil verkehrt, um die Leerstelle moralisch integrer Gesinnung wortreich zu verbergen.
Verantwortung vs. Gesinnung?
Die Kritik an einer gesinnungslosen Rhetorik der Verantwortung rekurriert gern und oft auf Max Weber, den berühmten Soziologen. Der gestehe einerseits zwar zu, dass „Gesinnungsethik und Verantwortungsethik keine absoluten Gegensätze [sind], sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen“, bezeichne es andererseits aber auch als „abgrundtiefen Gegensatz“, ob „man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘ – oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat“ (Vortrag „Der Beruf zur Politik“ von 1919). Tatsächlich hat Weber mit solcherart grundsätzlich gefassten Kontrastierungen nicht nur die realitätswidrige Haltung moralischer Narzisse getroffen, sondern zugleich einer gefährlichen Perspektivenspaltung und einem normativ relativierten bzw. entkernten Verantwortungsbegriff zugearbeitet. Zumal ihm zufolge auch „keine Ethik der Welt ergeben [kann], wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenerfolge ‚heiligt‘“ (a. a. O.); weil er Möglichkeiten rationaler Verständigung über Probleme der Ethik übersieht und die wertende Stellungnahme „in die kulturelle Prägung und die subjektive Dezision verlagert.“ (J. Nida-Rümelin, Verantwortung 2011: 179)
Struktur und Maß
Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde aus dem im Deutschen seit dem 15. Jahrhundert zunächst im Rechtsleben gebräuchlichen Zuschreibungsbegriff Ver- antwortung eine ethische Schlüsselkategorie. Man kann sie als mehrstellige Relation darstellen: Jemand ist für etwas gegenüber bzw. vor jemandem nach Maßgabe bestimmter Kriterien verantwortlich, und zwar im Sinne einer zurückblickenden Rechenschaftspflicht oder im Sinne einer vorausschauenden Aufgabenverantwortung. Diese Struktur und jedes ihrer Elemente verweist auf ethisch schwierige Fragen, die kontrovers diskutiert werden. Drei Problemanzeigen mögen das beispielhaft belegen:
1) Durch Ergebnisse der Hirnforschung ist für viele mit der Idee freier Selbstbestimmung zugleich die Zuschreibbarkeit von Verantwortung prinzipiell fraglich geworden. Aber auch wer dem Argument zu folgen vermag, dass unsere Fähigkeit, Gründe abzuwägen, doch unvermeidlich mit der Erfahrung von Freiheit und Verantwortung verknüpft bleibt, wird sich weiterhin mit komplexen Zuschreibungsproblemen in systemisch ausdifferenzierten, arbeitsteilig organisierten Gesellschaften auseinandersetzen müssen: Lassen sich „Handlungen“ korporativer Akteure überhaupt noch, und wenn ja, wie dann überzeugend auf individuell zuschreibbare Verantwortungsanteile zurückführen? Und wie stark konkurrieren entsprechende Anstrengungen mit dem Interesse an der Entlastung von persönlicher Verantwortung?
2) Wo Verantwortungsbereiche nicht aufgrund vereinbarter Zuständigkeiten geordnet sind, stellen sich gerade für einen moralischen Universalismus mitunter schwierige Graduierungs- und Begrenzungsprobleme: Bis zu welchem Punkt sind besondere Verpflichtungen gegenüber Näherstehenden oder gegenüber frei gewählten Kooperationspartnern mit universalen menschenrechtlichen Forderungen vereinbar? Und wo verlangt wiederum die Sorge um deren Akzeptanz nach Moderation?
3) Für den Verpflichtungscharakter moralischer Verantwortung sind die jeweiligen Antworten auf Fragen nach der sie einfordernden Instanz sowie nach der Reichweite und der Begründungs- stärke normativer Standards ausschlaggebend. Wo zum einen externe Instanzen generell, also auch Gott, dem Selbstbestimmungsanspruch zu widersprechen scheinen und zum anderen die menschliche Vernunft als plural-subjektive Begründungsinstanz ebenfalls an Autoritätsschwund leidet, muss das nicht bloß gesinnungsethische Fundamentalismen, sondern auch eine folgenbasierte Verantwortungsethik im Sinne Webers beunruhigen; es sei denn, sie überlässt sich bereits bei der Gewichtung und dem Abwägen von Handlungsfolgen einem zumindest tendenziell dezisionistischen Pragmatismus.
Der erlahmenden Kraft zur Begründung und erst recht zur verlässlichen Durchsetzung anspruchsvoller Imperative der Verantwortung würde aufhelfen, wenn sie sich als Antwort auf eine unverdient zugesagte, verlässliche Begleitung verstehen könnte. Oder wenn die von Weber als gesinnungsstarr und gesetzlich problematisierte christliche „Liebesethik“ als befreiende Botschaft zu erfahren wäre, wie in der paradigmatischen Aussage zum Sabbat: dass „der für den Menschen da [ist], nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27).
Wer aber wagt das zu glauben?
Versöhnung - Autor: Lüer, Jörg (Kompass 02/2009)
Das lateinische Wort für Versöhnung "reconciliatio" verweist auf die Aufgabe, beschädigte Gemeinschaft wiederherzustellen. Versöhnung ist zuvorderst als ein (Heilungs-)Prozess zu verstehen und erst in zweiter Linie als ein gebotener Idealzustand.
Versöhnungsprozesse erfordern, die Tiefe der zu überwindenden Verletzungen und damit die vorhandenen Unversöhntheiten ernst zu nehmen. Der scheinbar so versöhnliche Ruf nach einem Schlussstrich stellt sich in aller Regel als die Versuchung heraus, der eigentlichen Herausforderung auszuweichen: dem schmerzhaften gesellschaftlichen Prozess des "Sich-ehrlich-Machens".
Versöhnung und Wahrheit
Es gilt, die Wahrheit über die Vergangenheit und die Gegenwart ans Licht zu bringen, sowie transparent zu machen, wie sehr Gewalt und Unrecht der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein- und fortwirken. Der Weg zur "reconciliatio" kennt keine Abkürzungen an den Wahrheiten der jeweiligen Geschichte vorbei.
Es gehört zum Problem der Unversöhntheit, dass die Perspektiven auf die Wahrheit über das Geschehene sehr verschieden und nicht selten widersprüchlich sind. Wichtig ist, der Versuchung zu widerstehen, diese verschiedenen Perspektiven einfach nur relativistisch nebeneinander zu stellen. Die spannungsreiche Aufgabe liegt darin, die Erfahrungen und Anfragen der Opfer angemessen zur Sprache zu bringen, den inneren Bezug der verschiedenen Perspektiven (Täter, Opfer, Zuschauer, Wegschauer) zu einander verstehen zu lernen und dabei die Perspektiven selbst zu verändern. Es kommt sowohl darauf an, über konkrete, persönliche Schuld und Verantwortung zu sprechen, als auch die systemischen und strukturellen Bedingungen von Unrecht und Gewalt offenzulegen. Nur so kommt der reale Horizont der menschlichen Handlungsbedingungen in den Blick.
Versöhnung und Gerechtigkeit
Der gesellschaftliche Prozess des "Sich-ehrlich-Machens" erfordert, dass die Wahrheit über Unrecht und Gewalt nicht folgenlos bleibt. Eine praktische Solidarität mit den Opfern, die sich daran zu orientieren hat, dass deren Würde wiederaufgerichtet und Gerechtigkeit soweit als möglich wiederhergestellt wird, ist daher unverzichtbarer Bestandteil jeder Bemühung um Versöhnung. Dazu gehören Entschädigungs- und Rehabilitierungsmaßnahmen ebenso wie eine differenzierte, an Gerechtigkeit orientierte Auseinandersetzung mit den Tätern. Dies schließt strafrechtliche Maßnahmen ausdrücklich mit ein. Dabei ist es wichtig, den Versuchungen zur Revanche und zur Dämonisierung der Täter zu widerstehen. Die Schaffung von Täter-Sündenböcken zur bewussten oder unbewussten Entlastung von der eigenen Verstrickung behindert Versöhnungsprozesse nicht zuletzt deshalb, weil insbesondere in Fällen von lang anhaltendem systemischem Unrecht eine schlichte Unter-scheidung von Tätern und Opfern außerordentlich schwierig und anspruchsvoll ist. In diesen Auseinandersetzungen erweist sich die persönliche wie gesellschaftliche Fähigkeit, sowohl der Wahrheit Raum zu geben, als auch den Zirkel der Gewalt zu durchbrechen.
Versöhnung braucht Zeit
Versöhnungsprozesse machen es nötig, dem, was geheilt werden kann, Zeit zur Heilung zu geben. Diese Zeit ist aber kein Selbstläufer, sie ist bewusst zu gestalten und zu nutzen. In diesem Zusammenhang kommt einer angemessenen Trauer und Erinnerung an die Toten eine wichtige Funktion zu. In ihr drückt sich das Bewusstsein für das bleibend Unabgegoltene der Geschichte aus. Erst wenn es gelingt, diese Dimension in die persönliche und gesellschaftliche Gegenwart zu integrieren, kann eine verlässliche, wenngleich noch auf lange Sicht fragile Basis für die Versöhnung mit den anderen geschaffen werden.
Versöhnung hat verschiedene Dimensionen, die tief miteinander verwoben sind. Versöhnung mit sich selbst, den anderen und mit Gott. Es entspricht dem Respekt vor der personalen Würde der Menschen, dass sich Versöhnung nicht fordern, sondern nur - als Angebot einer neuen auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruhenden Beziehung - erbitten lässt. Im Christentum wird Versöhnung als gottgewirkte Gnade und somit als ein Vorgriff auf das kommende Reich Gottes betrachtet.
Jörg Lüer,
Referent für den Arbeitsbereich Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax
Versuchung - Autor: Stümke, Prof. Dr. Volker (Kompass 11/2012)
Versuchung meint, dass jemand herausgefordert wird, um seine Reaktion zu überprüfen. Diese Defi nition ist ungenau. Bereits der mittelalterliche Theologe Petrus Lombardus hat mit Recht drei unterschiedliche Formen der Versuchung erkannt: Der Mensch führt einen Versuch mit Materialien durch, um zu lernen. Gott führt Menschen in Anfechtungen, um sie zu erziehen. Der Teufel schließlich führt Christen in die Todesgefahr.
Das Experiment
Menschen versuchen etwas. Sie probieren aus, sie stellen auf die Probe, sie führen Experimente durch. Dahinter steckt die Neugier als eine Triebkraft, die nicht nur Neues entdecken und erforschen, sondern darüber auch die unheimlichen Kräfte der Natur bändigen, zuverlässiges Wissen erlangen und die Welt beherrschen will. Sicherlich droht hier die Gefahr der innerlichen Überheblichkeit, bei der die Umwelt zum Material degradiert wird (bspw. bei Tierversuchen), sowie die Gefahr der äußeren Gefangenschaft in den Folgen (bspw. bei Atomwaffen). Dennoch ist für Christen diese Herrschaft im Schöpfungsauftrag Gottes fundiert und damit nicht an sich schlecht, sondern sogar von Gott gewollt. Versuche können, aber müssen nicht zu einer Versuchung werden.
Die Anfechtung
Menschen sind nicht nur aktives Subjekt eines Versuchs, sie sind auch zunächst passives Objekt einer Versuchung – sei es, dass eine Idee oder ein Experiment sie verlockt, sei es, dass sie von anderen Menschen oder Gewalten auf die Probe gestellt werden. Werden sie verlässlich reagieren? Diese Frage steckt voller ethischer Brisanz, denn hier geht es in fünffacher Hinsicht um die Freiheit und die Selbstbestimmung des Menschen: Es gibt erstens einen Freiraum, in dem sich die Menschen verhalten können. Eine Versuchung begrenzt zwar unsere Optionen, aber sie setzt unsere Verantwortlichkeit für unser Handeln und unser Lebenskonzept nicht außer Kraft. Es gibt zweitens die Möglichkeit, sich der Versuchung hinzugeben – „ich bin so frei“ nennt man das, aber Ethiker sprechen hier lieber von Willkür und kontrastieren sie mit der wahren Freiheit, die als Selbstbestimmung nicht fremden Einflüsterungen folgt, sondern am eigenen Selbstbild festhält, „so dass ich abends noch in den Spiegel schauen kann, ohne mich zu schämen“. Versuchungen sind drittens eine Prüffrage an die Wertehierarchie des Probanten sowie an seine Fähigkeit, diese Gewichtung auch umzusetzen („der Wahn ist kurz, die Reu ist lang“ – F. Schiller). Viertens sind diese Verlockungen nicht nur spontane Einschläge. Vielmehr kann der Mensch daran wachsen, dass er Versuchungen widersteht (vgl. Jak 1); die Ethiker sprechen von Tugenden, die uns prägen können. Und immer geht es darum, die Mitte zu halten und nicht in die Extreme zu fallen; so steht der besonnene Umgang mit dem Alkohol zwischen völligem Verzicht und hemmungslosem Gelage. Allerdings wissen wir fünftens aus Erfahrung, dass wir dieses Ideal häufig verfehlen und sowohl auf Unterstützung wie auf Nachsicht angewiesen sind. Christen sprechen hier vom Beistand durch den Geist Gottes und von der Sündenvergebung.
Die Todesgefahr
Weil Menschen auf die Probe gestellt werden können, sind sie nicht nur Herrscher der Welt, sondern können von anderen Mächten eingespannt werden, sind also zugleich auch Beherrschte. Hier stellt sich nicht nur die Frage, wer diese Mächte sind, sondern auch, wie Menschen mit dieser Zwischenstellung umgehen können. Für Christen ist die Geschichte von Kain und Abel wegweisend: Die Versuchung besteht darin, dass das Opfer des älteren Bruders nicht so gut bei Gott angekommen ist. Und nun „lauert die Sünde vor der Tür“ (Gen 4,7). Sie betrifft zunächst Kain, der seinen Bruder erschlägt und damit der Willkür freien Lauf lässt. Aber sie betrifft auch Gott selbst: Ist es gerecht und ein Zeichen der Liebe, den einen zu bevorzugen? Gott erklärt sein Verhalten zwar dem Älteren als Prüfung, aber Kain wendet seinen Blick ab von Gott – und nun wird die Versuchung zur Todesgefahr, nämlich zur Abwendung von Gott als der Quelle des Lebens und von seiner Zusage, dass er uns behütet und retten wird. Hier hilft nur das Vertrauen auf den Vater im Himmel, das Jesus gelebt und für uns eröffnet hat: „und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ (Mt 6,13).
Prof. Dr. Volker Stümke
Vertrag - Autor: Koch, Dr. Bernhard (Kompass 02/2012)
Die kleine Welt des Kindergartens ist häufig ein Bild und eine Schule für die große Welt der Erwachsenen: Kinder streiten und sie vertragen sich auch wieder. Wie man in Grimms
„Deutsches Wörterbuch" lesen kann, stammt das Substantiv „Vertrag" vom Verb „vertragen" ab. Wer einen Vertrag geschlossen hat, verträgt sich mit seinen Vertragspartnern. Max nimmt das grüne Auto zum Spielen und Hans das blaue: ein Vertrag.
Vertrag als wechselseitiges Versprechen
Juristisch ist nämlich „ein Vertrag … ein i. d. R. zweiseitiges Rechtsgeschäft, bei dem durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen ein rechtlicher Erfolg erzielt werden soll." (Creifelds Rechtswörterbuch, 20. Aufl.). Derjenige, der einen Vertrag schließt, will, was im Vertrag steht, aber er will darüber hinaus, dass der Vertrag besteht, dass er eingehalten wird. Im zweiten Ziel formuliert sich also ein Anspruch an sämtliche Partner, insofern sie sich dem Vertrag frei unterworfen haben. Moralische Grundlage des Vertrags ist das Versprechen, den Vertrag einzuhalten. „Wo Versprechen nicht ein-
gehalten werden, kann es keine Verträge noch Bündnisse geben", sagte der Philosoph David Hume. Allerdings kann ein Versprechen einseitig gegeben werden; ein Vertrag dagegen ist meistens Versprechen mit Gegenversprechen.
Nun empfahl ja Machiavelli dem Fürsten, Versprechen nur dann zu halten, wenn sie ihm nützen. Darf man aber sein Versprechen und damit den Vertrag brechen, wenn er für einen selbst nicht mehr nützlich ist? Die fundamentalste Erwiderung ist wohl der Verweis auf die Ermöglichung von Freiheit in der Moral. Moralisches Handeln erfordert Freiheit, ist aber seinerseits wiederum auf die Ermöglichung von Freiheit ausgelegt. Wer einen Vertrag oder ein Versprechen bricht, nimmt dem anderen Freiheitsmöglichkeiten, da er dessen Berechnungen und Erwartungen durchkreuzt. In der arbeitsteiligen Welt hängen unsere Gestaltungsmöglichkeiten in hohem Maß davon ab, dass andere ihre Vertragspflichten erfüllen. Wenn ich mit der Bahn reisen will, rechne ich damit, dass die Bahn ihre Transportzusage einhält, und das Unternehmen rechnet damit, dass seine Mitarbeiter
ihre Arbeitsverträge erfüllen. Vertragstreue ist prima facie eine moralische Pflicht.
Der Gesellschaftsvertrag
Ist nicht aber die moralische Pflicht ihrerseits ein Ergebnis einer Willensübereinkunft, also eine Selbstverpflichtung, die aus einem Vertrag resultiert? Für viele neuzeitliche Gesellschaftstheoretiker ist die soziale Wirklichkeit in einem Gedankenexperiment zunächst ein Kindergarten ohne Erzieher. Zunächst sei keiner zu irgendetwas irgendjemand gegenüber verpflichtet, aber im allgemeinen Chaos erkennt dann der Einzelne, dass es besser für ihn ist, einen ganz großen Vertrag einzugehen, den Gesellschaftsvertrag. Dieser sieht vor, dass Autoritäten eingesetzt werden, die sich um die Einhaltung der kleinen Verträge kümmern, auch mit Gewalt. „Verträge ohne das Schwert sind bloße Worte und besitzen nicht die Kraft, einem Menschen auch nur die geringste Sicherheit zu bieten", meinte Thomas Hobbes (Leviathan, 17. Kapitel). Gerade Sicherheit ist bei ihm das erste Ziel des Gesellschaftsvertrags.
Diese Theorie wurde von John Rawls im 20. Jahrhundert weiterentwickelt und das pessimistische Menschenbild Hobbes‘ korrigiert: Zwar ist es richtig, dass der Gesellschaftsvertrag auf dem Willen der Individuen gründet, aber dieser Wille muss doch keineswegs als einer angenommen werden, der nur auf den eigenen Vorteil blickt. Menschlicher Wille kann rationaler Wille sein, wobei die Vernunft (ratio) nicht nur als Mittel zur eigenen Vorteilsberechnung gesehen werden darf, sondern sich einem universalen Anspruch verpflichtet weiß. Rawls sichert die Universalität durch die
hypothetische Figur des „Schleiers des Nichtwissens". Wir müssen uns denken, dass wir über die grundlegenden gesellschaftlichen Normen in einer Situation befinden, in der wir nicht wissen, welche tatsächliche Rolle uns im sozialen Leben zukommen wird. Diese hypothetische Annahme zu akzeptieren, ist selbst ein vernunftgemäßer Schritt. Am Ende eines solchen Normsetzungs-verfahrens steht eine positiv von rationalen Subjekten gestaltete Gesellschaft, nicht das negative, angstbesetzte Sozialkonstrukt von Hobbes.
Im Kindergarten gibt es Streit und gibt es Frieden. Das lateinische Wort für Frieden, „pax", ist abgeleitet von „pactum", dem Pakt oder dem Vertrag. Wo sich Kinder vertragen, sind sie friedlich – und für Erwachsene gilt das genauso.
Dr. Bernhard Koch ist Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg
Vertrauen - Autor: Lüer, Jörg (Kompass 09/2011)
Im Lateinischen kann Vertrauen mit fides, fiducia oder conficio übersetzt werden. Hinter diesen Worten wiederum steht das Begriffsfeld: Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit, Treue, Glauben, Schutz, Mut, Zuverlässigkeit, Zuversicht, Selbstvertrauen und Vertrauen.
Personales Vertrauen
Dieses Begriffsfeld macht deutlich, dass wir es bei Vertrauen mit einem Begriff zu tun haben, der sowohl eine persönliche Fähigkeit bzw. Bereitschaft als auch ein Beziehungsverhalten sowie einen Beziehungszustand bezeichnet.
Vertrauen geht davon aus, dass der andere von seiner ihm eigenen Freiheit guten Gebrauch macht und man sich auf ihn verlassen kann. Es ist eine Vorschussleistung, die in aller Regel in entsprechenden Erfahrungen gründet und auf die Bestätigung ihrer Grundannahme angewiesen ist. Wird es enttäuscht, etwa durch Gewalterfahrungen, entsteht Misstrauen. Es ist Ausdruck von gestörter Beziehung oder eines gestörten Weltverhältnisses. Das Prisma der Weltwahrnehmung verschiebt sich in dunklere Farben und wirkt zugleich auf die Beziehungen zurück.
Gesellschaftliches Vertrauen
Übertragen auf gesellschaftliche Verhältnisse ist Vertrauen eine Ressource, die das Zusammenleben von Menschen erleichtert oder gar erst ermöglicht, indem man im Kern davon ausgeht, dass der Andere oder die Anderen sich nicht feindlich verhalten oder gesellschaftliche Prozesse einen kalkulierbaren guten Verlauf nehmen. Luhmann definiert Vertrauen (ebenso wie Misstrauen) als „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“, der die Orientierung unter tendenziell unübersichtlichen Bedingungen erleichtert. Je komplexer und daher unübersichtlicher die Verhältnisse sich gestalten, umso mehr sind Gesellschaften auf das Vertrauen der Menschen untereinander sowie in die gesellschaftlichen Abläufe angewiesen. Vertrauensbildung ruht auf gesellschaftlichen Prozessen, in denen sich die Akteure über den Realitätsgehalt ihrer Erwartungen verständigen.
Vertrauen als Haltung
Damit Vertrauen nicht zum blinden oder naiven Vertrauen – im Sinne eines unterscheidungslosen „So wie es ist, ist es gut“ – wird, bedarf es einer realistischen, auf Werten basierenden und damit verantwortlichen Grundhaltung. Nur so lässt sich Vertrauen wirklich bestätigen, auch auf die Gefahr der Enttäuschung hin. Denn Vertrauen ruht nicht auf Ausblenden der Wirklichkeit, sondern auf Zutrauen in die guten Potenziale derselben.
Die Haltung des Vertrauens ist die Tugend der Angewiesenheit auf die anderen. Sie erfordert in der Tat Mut, Augenmaß und Entscheidung. Doch sie schafft durch Zutrauen Entwicklungsmöglichkeiten, auf die jede Gesellschaft, jede persönliche Beziehung und jede Person angewiesen sind.
Der berüchtigte, Lenin zugeschriebene Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ verfehlt entsprechend den Kern menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalts: den gegenseitigen Respekt vor der Freiheit und damit der Personalität des anderen. Wo das Vertrauen in den guten Gebrauch der Freiheit fehlt – und sei das Misstrauen auch noch so begründet –, da kann auch Kontrolle das Problem nicht beheben.
Es kann bestenfalls seine Auswirkungen vorübergehend eindämmen. Die Antwort auf das Fehlen von Vertrauen muss vielmehr das Bemühen um die Heilung der Beziehungen sein. Dazu braucht es Wahrhaftigkeit, Versöhnungs- und Veränderungsbereitschaft – orientiert an Freiheit und Gerechtigkeit.
Gottvertrauen
Die Haltung des Vertrauens findet ihren stärksten Ausdruck im Gottvertrauen. Sie antwortet auf die Erfahrung der Unerlöstheit der Welt mit der Hoffnung auf die Erlösungsfähigkeit Gottes. Gottvertrauen ist eine Reaktion auf die Erfahrung der Letztangewiesenheit menschlichen Seins, auf die Menschen aus sich selber keine befriedigende Antwort zu geben vermögen. In der mutigen – und keineswegs resignativen – Annahme der Grenzen menschlicher Existenz bildet es neue Kräfte zur wirksamen Gestaltung menschlichen Lebens.
Jörg Lüer,
Referent für den Arbeitsbereich Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax
W - Z
Werte - Autor: Gillner, Dr. Matthias (Kompass 11/2008)
Werte und Normen, Normen und Werte. Die beliebige Reihung und ungenaue Verwendung - nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch - lassen beide Worte austauschbar erscheinen. Sicher, die Begriffe sind verwandt, denn: Menschliche Handlungen oder staatliche Institutionen werden normiert und bewertet; sie meinen aber nicht schlichtweg dasselbe. Normen gehorchen einer "Logik des Verpflichtenden", Werte folgen dagegen der "Logik der vorziehenden Wahl" (Wright, Normen, Werte und Handlungen, 1994: 11). Während Normen zwingende bzw. beschränkende Merkmale aufweisen, wird Werten eine anziehende und motivierende Qualität zugeschrieben. Beide beziehen sich auf verschiedene Erfahrungen: dass etwas sein soll oder dass ich von etwas begeistert bin, dass ich eine Pflicht verspüre oder dass mir etwas eine Orientierung gibt.
Wertebegriff
Wie die Bedeutung des althochdeutschen "Wird" (Preis oder Kaufsumme) zeigt, entstammt der Terminus "Wert" der Ökonomie. Erst im späten 19. Jahrhundert wird er in die Ethik eingeführt und verdrängt schließlich bei vielen den ursprünglichen Begriff des "Guten". Während "dem Guten entweder ein durch die vernünftige Betrachtung der natürlichen Ordnung erschließbarer oder ein göttlich geoffenbarter Status verliehen wurde, und es damit über ein ‚Sein' verfügte" (Joas, Die Entstehung der Werte, 1999: 39), liegt der Ursprung des Wertes im Menschen selbst, insofern etwas durch seine Wertschätzung für ihn eine "Geltung" hat. Charles Taylor hat jüngst den Begriff des Wertes eng mit dem des eigenen Selbstverständnisses verknüpft. "Starke Wertungen" (gut und schlecht, höher und niedriger) drücken mehr als bloße Geschmackspräferenzen aus (lieber Wein statt Bier trinken), sie artikulieren stets das, worauf es dem Menschen im Leben ankommt, wer er selbst sein will.
Werteentstehung
Werte haben immer einen Bezug zum Wertenden selbst, zum subjektiven "Urteil", dass mir etwas wertvoll ist. Sie "entstehen" - weniger wenn ich mich zu etwas rational überzeugen lasse, eher wenn ich von etwas emotional angezogen, vielleicht sogar hingerissen bin. Oder noch häufiger: wenn ich vom Gegenteil abgestoßen oder angewidert werde. Jeder kennt das intensive Gefühl, dass etwas ganz offensichtlich als gut oder schlecht zu bewerten ist. Die rationale Rechtfertigung erfolgt oft erst später, quasi als Nachspiel bereits eingegangener Wertbindungen.
Lebenssinn, zwischenmenschliche Solidarität oder Empathie mit der Schöpfung müssen zuerst als Werte existentiell erfahren werden. Solche Erfahrungen sind immer Erfahrungen der "Selbsttranszendenz" (Joas): im individuellen Gebet oder in der liturgischen Feier, in der Liebe oder im freundschaftlichen Gespräch, in der Betrachtung der Natur oder im Anblick eines Kunstwerks.
Werte begründen nicht nur individuelle Überzeugungen, sie können auch kollektiv geteilt werden. So hat "Sicherheit" sich in der Neuzeit zu einem zentralen gesellschaftlichen Wert entwickelt. Und seit der Französischen Revolution gehören "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" zu den Grundbegriffen einer gerechten Gesellschaft.
Wertevermittlung
Obwohl unsere Wertbindungen sich stärker über Erfahrungen ausbilden, sind sie nicht einfach irrational; sie zeugen von einer gefühlten persönlichen Gewissheit. Nur kann eben keine vollständige und letztgültige Begründung dafür geliefert werden. Sie lassen sich - zumal in pluralen Gesellschaften - dem anderen nicht zwingend andemonstrieren. Besser wäre es schon, die Chancen für persönliche Werterlebnisse zu fördern. Für die eigens erfahrene Attraktivität der Werte kann mit narrativen Elementen "geworben" werden. Vielleicht ist das auch der tiefere Grund, warum Jesus selbst die Form der Erzählung wählte, um seine Werte zu vermitteln: den Wert der Barmherzigkeit durch die "Geschichte vom gütigen Samariter" (Lk 10,25-37) oder den Wert der Versöhnung durch das "Gleichnis vom verlorenen Sohn" (Lk 15,11-32).
Dr. Matthias Gillner
Dozent für Katholische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
Wille - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 01/2014)
Was ist das für ein „Vermögen“! Das in der Geschichte des Nachdenkens über Mensch und Welt – als „verständiger, freier Wille“ – die menschliche Existenzweise auszeichnen, oder aber – als „dunkler, triebhafter Drang“ – das menschliche Leben, ja, das gesamte Weltgeschehen bestimmen soll. Das – in diesem oder jenem Sinne – entweder für „wesentlich“ oder nur für ein Begriffswort gehalten wird, dem gar kein eigenständig Gegebenes entspricht.
Sein – Wollen
Zu erstreben, was man braucht, um sich zu erhalten oder sein Wohlbefinden zu steigern, gehört zum Leben. Ob dieses Wollen ausschließlich instrumental als Funktion der Selbsterhaltung und Selbststeigerung zu verstehen ist oder nicht: Es „entspringt – darin dem Trieb verwandt – einem Nichtbefriedigtsein“ und bezeugt – wie W. Schulz, (Grundprobleme der Ethik, ²1993: 283) noch weiter gehend bemerkt – „das Nicht-Eingeordnetsein in die Welt.“
Wollen – Können
Insofern man unterstellt, dass unser Wollen durch innere oder äußere Determinanten vollständig festgelegt ist, kann man – mit P. Stemmer (ZphF 66 [2012] 2: 213) – sagen: „Es ist so, dass ich es will; es ist Teil der menschlichen Natur oder Teil meiner Person, meiner Individualität“ oder wird einfach deshalb gewollt, „weil es angenehm ist.“ Die Rede von einem freien Willen kann dagegen erst da plausibel erscheinen, wo das Element bewusster Überlegung ins Spiel kommt. Indem ein Mensch Gründe für ... oder gegen ... erwägt und dann begründet entscheidet, erfährt er sich als selbstbestimmt und frei (gewiss nicht im Sinne reiner Willkür, aber auch dann, wenn er sich bewusst z. B. für ein Triebziel entscheidet). Und dieses Bewusstsein – „es liegt an mir“, „es hängt von mir ab“ und „ich kann auch anders“ – ist es auch, in dem ein Ich bei der Sachreflexion und vor aller expliziten Selbstreflexion, auch im Alltagsgeschehen von sich weiß (Schulz: 282).
Wollen – Sollen
Das Überlegen kann sich, ganz pragmatisch, darin erschöpfen, Vor- und Nachteile von Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen. Es darf dabei zwar durchgängig auch ethisch wertende gesellschaftliche Maßstäbe klugerweise nicht ignorieren, muss aber nicht deshalb sie auch schon sich zu eigen machen. Das überlegende Wollen geht zwar qua Denken „formal als Wende zum Allgemeinen über die Egoität hinaus (...)“ (a. a. O.: 285), das besagt jedoch nicht, dass Denken per se moralisch sei. Wenn Kant nun mit hohem Pathos vorträgt, es sei „nichts in der Welt, ja überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“ (GMS, Akademie-Ausgabe IV: 393), so meint er nur den kategorisch auf vernünftige, soll sagen: auf zum allgemeinen Gesetz taugende Handlungsmaximen verpflichteten Willen. Der ist aber niemals sicherer Besitz; er bleibt vielmehr ständige und stets gefährdete Aufgabe.
Die Geschichte der Ethik ließe sich durchaus auch über eine Geschichte des Willensbegriffs vermitteln. In diesem Zusammenhang wäre (bezogen auf unseren Kulturkreis) aufzuzeigen, wie zunächst von Platon und Aristoteles bis zur älteren Stoa rationales Wollen einer objektiv-vernünftigen Strebenstendenz eingeordnet bleibt, dann im spätantiken und frühen christlichen Denken das Moment autonomer Willensbestimmung stärker hervortritt und im Mittelalter schließlich auf hohem theoretischen Niveau über den Vorrang von Vernunft (Dominikanerschule: Thomas v. Aquin u. a.) oder Willen (Franziskanerschule: Bonaventura, Johannes Duns Scotus u. a.) gestritten wird. Wie der Willensbegriff in der Neuzeit für längere Zeit meistens nur noch in der Affektenlehre auftaucht (Hobbes, Locke, Hume) und erst bei Rousseau und Kant wieder ins Zentrum der praktischen Philosophie rückt, bei Kant sogar als das Vermögen, nach Prinzipien zu handeln mit der praktischen Vernunft identifiziert wird. Und später dann mit Schellings „Gleichsetzung von Wille und Drang (...) eine entscheidende Neuinterpretation in der Bestimmung des Menschen“ (a. a. O.: 279) ihren Ausgang nimmt, die über Schopenhauer, Nietzsche und Freud bis zu einem Großteil der empirischen Humanwissenschaften führt (vgl. Ch. Thies im Handbuch Ethik, hrsg. von M. Düwell u. a. 2002: 534 ff.).
Und wohin geht es weiter? Kann man das prognostizieren? Wichtiger dürfte es sein, dessen ungeachtet einem ethisch anspruchsvollen Selbstverständnis zu folgen, das zur Freiheit befreiten Wesen entspricht und zudem nicht einmal illusionär sein muss.
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter Ethik am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam
Wohlwollen - Autorin: Bock, Dr. Veronika (Kompass 02/2011)
„Wir werden Ihren Versetzungswunsch wohlwollend prüfen.“ Im Alltag begegnet uns der Begriff Wohlwollen hauptsächlich als unverbindliche, aber dennoch ermutigende Höflichkeitsfloskel in geschäftlicher Korrespondenz. Dabei ist Wohlwollen ein zutiefst moralischer Begriff. Aristoteles definiert Wohlwollen (gr. eunoia, lat. benevolentia) als die
Bereitschaft, einem anderen um seiner selbst willen Gutes zu wünschen.
Aristoteles verwendet „Wohlwollen“ vor allem in seinen Ausführungen über die Freundschaft. Danach hat das Wohlwollen zwar etwas von einem „freundschaftlichen
Verhältnis“, stellt aber nur eine notwendige Bedingung für echte Freundschaft dar, zu der noch die Gegenseitigkeit des Wohlwollens, das enge Zusammenleben und die Umsetzung des wohlwollenden Wunsches in die Tat treten muss, so dass Aristoteles
das Wohlwollen als „passive Freundschaft“ und als „Anfang der Freundschaft“ bezeichnet: „Denn jeder Freund ist wohlwollend, aber nicht jeder Wohlwollende ist ein Freund.“
Wohlwollen und Wohltätigkeit
Nach Kants Bestimmung besteht das Wohlwollen im „Vergnügen an der Glückseligkeit
(dem Wohlsein) anderer“. Sie ist eine Form von Mitmenschlichkeit, der Einstellung oder Bereitschaft, andere auch ohne Gegenleistung zu fördern. Kant unterscheidet hier Pflichten, die wir allen anderen gegenüber haben, von solchen, die anderen „in Ansehung
ihres Zustandes“ gelten: Einfach weil sie Menschen sind, sollten wir unseren Mitmenschen in Liebe und mit „der ihnen gebührenden“ Achtung begegnen, wobei Liebe hier „als Maxime des Wohlwollens, […] welche das Wohltun zur Folge hat“ verstanden ist. Liebe und Achtung konkretisieren sich, wenn es um den besonderen Zustand geht, in welchem sich der Nächste befindet. Kant spricht hier von „Arten der Anwendung“ und bezieht sich dabei auf die „Verschiedenheit der Stände, des Alters, des Geschlechts, des Gesundheitszustandes, der Wohlhabenheit oder Armut u. s. w.“ (Kant, Metaphysik der Sitten: A 151). Die Steigerung des Wohlwollens besteht in der Wohltätigkeit, in der Bereitschaft, nach Maßgabe der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten anderen zu helfen, vor allem sofern sie sich in Not befinden, ohne dass man dafür eine Gegenleistung
erwartet oder auch nur erhofft.
Ordo amoris
Ein wohlwollender Mensch betrachtet den einzelnen Mitmenschen in seiner Besonderheit, in seiner individuellen Bedürftigkeit. Sie verlangt die „Rücksichtnahme
auf das moralisch verletzbare Individuum als eines konkreten anderen“, eines besonderen anderen mit „Namen und Gesicht“ (L. Wingert, Gemeinsinn und Moral, Ffm. 1993:184). Eine Anteilnahme am Wohl des anderen ist aber nicht allen gegenüber zu jeder Zeit und in gleicher Weise möglich.
Hier stellt sich das Problem der Bestimmung von Kontexten des Wohlwollens und der Grenzen moralischer Zumutbarkeit: „Wichtig ist die Einsicht, dass echte Hingabe für eine besondere Gruppe – Familie, Nachbarschaft, ethnische Gemeinschaft, […] – an sich moralisch gut ist und nur dann moralisch fragwürdig wird, wenn sie mit einer unzureichenden Haltung gegenüber anderen einhergeht.“ (L. Blum, Freundschaft als moralisches Phänomen; in: DZPhil 45 [1997] 2: 229) Als Ordo amoris wird die gestufte Rangordnung innerhalb des universalen Wohlwollens benannt. Die Prioritäten, wenn sie wirklich Ausdruck des universalen Wohlwollens und nicht subjektiver Willkür sein sollen, müssen ihrerseits in Einsichten gründen, die jedermann zugänglich sind. Nähe und Ferne sind solche einsichtigen Relationen. Denn auch der ferne Mensch steht seinerseits
mit anderen in der Relation der Nähe, aus der sich entsprechende Prioritäten ergeben. Und doch bleibt die Spannung bestehen zwischen der Unendlichkeit des Horizontes der Verantwortung und der Endlichkeit des Menschen, der dieser Verantwortung handelnd gar nicht entsprechen kann. Die Solidarität mit dem anderen kann oft in nichts anderem bestehen als in dem ohnmächtigen Wunsch zu helfen. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter hat genau diese Pointe. Der Samariter ist ein Fremder, der durch Zufall zu einem Menschen, der der Hilfe bedarf, in die Situation der Nähe gerät. Diese Situation setzt den ordo amoris nicht außer Kraft, sondern sie ist ein Fall seiner Anwendung.
Zum Autorin: Dr. Veronika Bock, Direktorin des zebis, „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“ in Hamburg
Zehn Gebote - Autor: Elßner, Dr. Thomas R. (Kompass 03/2009)
Die Zehn Gebote sind einer der bekanntesten Texte der Bibel. Wenig bekannt hingegen ist, dass diese in der Bibel zweimal überliefert sind, und zwar im Buch Exodus 20,2-17 (2. Mose) und im Buch Deuteronomium 5,6-21 (5. Mose). Beide Fassungen stimmen zudem im Wortlaut nicht völlig überein, an einigen Stellen unterscheiden sie sich sogar deutlich voneinander. Hinzu kommt, dass der jeweilige Wortlaut der Zehn Gebote in der Bibel umfangreicher ist, als er in Schulbüchern angegeben und im Religionsunterricht für gewöhnlich gelernt wird. Im teilweise unterschiedlichen Wortlaut liegt auch der Grund dafür, weshalb die Zehn Gebote im Buch Exodus letztlich anders gezählt werden als im Buch Deuteronomium. Dies wiederum führt zu einer unterschiedlichen Zählweise im Judentum und selbst innerhalb der Kirchen. Auch ist der deutsche Begriff "Zehn Gebote" etwas irreführend, denn bei acht Forderungen handelt es sich um Verbote und nur bei zweien um Gebote. Stattdessen wird sowohl im hebräischen als auch im griechischen Bibeltext der Begriff "Zehn Worte" gebraucht (Ex 34,28; Dtn 10,4). Diese Bedeutung wird im griechischstämmigen Ausdruck "Dekalog", das Zehnwort, bewahrt.
Am Anfang die Befreiung
Im Hinblick auf diese Ge- und Verbote besteht jedoch ein häufig anzutreffendes Missverständnis darin, den Dekalog ausschließlich als einen Text wahrzunehmen, der einengen will, weil er etwas verbietet. Dabei wird das Vorzeichen übersehen, welches vor den einzelnen Ver- und Geboten steht. Es ist mit Blick auf das Volk Israel die Feststellung: "Ich Jahwe, bin dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, dem Sklavenhaus, herausführen ließ." Das heißt, Jahwe hat sein Volk aus der Unterdrückung befreit. Und jetzt soll es auch darauf achten, in dieser Freiheit zu bleiben. Damit das Volk Gottes diese Freiheit bewahrt, dazu dienen die auf jenes Vorzeichen folgenden einzelnen Forderungen. Die Dankbarkeit gegenüber der Befreiungstat Gottes äußert sich im Judentum darin, dass es diesen ersten Satz, auf den die Reihe der Einzelforderungen im Dekalog folgt, auch als das erste "Gebot" zählt.
Beziehung zu Gott und den Nächsten
An erster Stelle des Dekalogs befinden sich Forderungen bezüglich der Gottesverehrung. Dabei handelt es sich um das Verbot, fremde Götter zu verehren, wozu auch gehört, kein Kultbild von Gott anzufertigen. Jede Kultfigur, auch wenn sie Jahwe darstellen sollte, wäre letztlich immer nur ein Kultbild wie von jedem anderen Gott auch. Ein weiteres Verbot untersagt, den Namen Gottes zu missbrauchen, indem man bei ihm z. B. einen Meineid schwört oder leichtsinnige Versprechen gibt. Es verbietet aber nicht, Gottes Namen zum Lobe zu erheben. Das Sabbatgebot schließlich gebietet, an einen Tag in der Woche nicht dem Broterwerb nachzugehen, sondern von Arbeitslast befreit zu sein, um auszuruhen. Dieses Ausruhen geschieht nicht um seiner selbst willen, sondern man soll sich an diesem Tag daran erinnern, dass Gott Menschen aus der Versklavung in die Freiheit führt. Am Beginn der Forderungen, welche die Beziehungen zu den Mitmenschen regeln, steht das Gebot, Vater und Mutter zu ehren. Dieses Gebot richtet sich nicht zuerst an Kleinkinder, sondern an Erwachsene, ihren Eltern auch im Alter ein würdiges Leben zu erhalten. Das Tötungsverbot beschränkte sich ursprünglich auf ein gesetzeswidriges Töten. Deshalb kann es auch mit "Du sollst nicht morden" übersetzt werden. Das Ehebruchsverbot schützt die Beziehung zwischen Mann und Frau und das Diebstahlverbot fremdes Eigentum. Das Falschzeugnisverbot richtet sich gegen Verleumdungen des Nächsten, sei es vor Gericht oder im Alltag. Die Begehrensverbote wenden sich dagegen, Überlegungen und Handlungen danach auszurichten, das Eigentum oder die Frau des Nächsten zu bekommen, und sei es auf eine nach außen hin legale Weise.
Auch wenn sich das Verständnis einzelner Ge- und Verbote im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat, so beziehen sie sich stets auf all die Bereiche des Menschen, die besonders empfindlich sind. Ein Verstoß gegen sie kann lebenszerstörend sein und / oder in drückende Abhängigkeiten führen. Deshalb nannte Thomas Mann die Zehn Gebote auch "das Ewig-Kurzgefaßte, das Bündig-Bindende".
Zweck und Mittel - Autor: Ebeling, Klaus (Kompass 06/2012)
Im Begriff der Reißzwecke ist noch der sprachliche Ursprung des Zweckbegriffs kenntlich. Zunächst generell das Wort für Nagel, meint er bald vor allem den Nagel im Zentrum einer Zielscheibe, der sie am Baum usw. hält und zugleich das Ziel für den Schützen markiert. Daraus entwickelt sich die allgemeine Bedeutung, wonach Zweck das ist, wonach man zielt, was man erstrebt. Und wo immer nicht bloß (vor-)orientierende Zielsetzungen intendiert sind, verweisen Zwecke auf Handlungen (sowie auf die dazu nötigen Werkzeuge, Materialien, Kompetenzen etc.) als Mittel zu ihrer Realisierung. Zwei Handlungsarten werden hierbei seit alters (griech.: poiesis und praxis) unterschieden: Der Zweck einer Handlung kann von ihr verschieden sein, wie bei der Herstellung eines Gegenstandes, oder mit ihr identisch, wie etwa beim freizeitlichen Musizieren. Bei Tätigkeiten der ersten Art stehen Nutzenerwägungen im Vordergrund, bei den anderen geht es um Sinnfragen – bis hin zu der nach dem Sinn des Lebens.
Gemischte Verhältnisse
Auf den ersten Blick scheint es klar zu sein: Zwecke sind maß-gebend für die Eignung von Mitteln und die jeweils verfügbaren Mittel grenz-setzend für deren Verwirklichung. Tatsächlich aber charakterisieren weit kompliziertere Abhängigkeiten das Begriffspaar Mittel/Zweck.
Unsere Gegenwart gilt vielen als Zeit verkümmernder Sinnperspektiven und überbordender Mittelproduktion, als Zeit (vermeintlich) effektiver Mittel für (uneingestanden) unklare Zwecke. Ungeachtet dieser zugespitzten Diagnose können jedenfalls starre (und erst recht religiös oder weltanschaulich dogmatisierte) Zweckvorgaben und Zweckhierarchien in weiten Lebensbereichen unserer Gesellschaft nicht mehr überzeugen. Individuelle Zwecksetzungen konkurrieren untereinander und mit Gemeinschaftszwecken. Akzeptierte Gewichtungen sind eher (vorläufiges) Ergebnis mehr oder weniger kluger Kompromisse als stringenter Begründungen. Entsprechend wächst der Einfluss jeweils verfügbarer Mittel auf die Zweckbestimmung. Am Beispiel des prekären Verhältnisses zwischen strategischer Planung und Waffenentwicklung ließe sich das gut erläutern.
Riskante Erwägungen
Dem Diktum vom guten Zweck, der auch schlechte Mittel „heiligen“ könne, wird in ethischen Diskursen zwar höchst selten mit großer Münze gehuldigt; selbst dort, wo bloß Folgenabschätzungen dominieren. Aber nicht zuletzt in eskalierenden Gewaltsituationen sind dann doch immer wieder viele, wenn auch mit kleinerer Münze, dazu bereit. Handlungen sind aber „kein beliebig überformbares Rohmaterial, das von der Intention des Handelnden restlos durchwirkt werden kann.“ (E. Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, 2007: 456) Voraussehbar üble Folgen einer Gutes bezweckenden Handlung sind lediglich dann zu rechtfertigen, wenn der Handelnde „(a) diese Handlungen nicht um dieser Wirkungen willen wählte, (b) der Grund, die Handlung zu vollziehen, auch im Verhältnis zu ihrer üblen Wirkung angemessen erscheint und (c) der Handelnde das Eintreten der üblen Folgen auch bei bestem Bemühen nicht verhindern könnte.“ (A. a. O.: 461) Niemals zu rechtfertigen sind dagegen auch als Mittel zum Guten sittliche Übel wie z. B. die Folter. Sie widersprechen der Würde der menschlichen Person, und diese hat keinen Preis. Kants kategorische Formel dafür ist dieser praktische Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person einen jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (GMS, Akad.-Ausg. IV: 429)
Fragwürdige Hoffnung
Sorgen mit und bei der Arbeit prägen in hohem Maße unsere Lebenszeit. Aber was bedeutet es, wenn Arbeit zum Selbstzweck wird? Ähnlich wie bei den Pharisäern im Evangelium das Sabbatgebot, wozu Jesus klärend bemerkt: „Der Sabbat ist für Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“ (Mk 2,28)
Viele Menschen versuchen heute – neben der Arbeit – ihr Leben auch exzessiv mit aufregenden Erlebnissen und dingfesten Gütern anzufüllen. Aber – ist auf diese Weise ein erfülltes Leben zu gewinnen, das weitere oder gar „letzte Fragen“ nach dem „guten Leben“ überflüssig macht? „All life we work but work is a bore, If life’s for livin’ then what’s livin’ for“ – so endet „Oklahoma“, ein ziemlich altes, stilles Lied der Kinks. Es wurde nicht im Hit-Radio zum Klassiker.
Zum Autor: Klaus Ebeling,
Projektleiter für den Forschungsschwerpunkt Ethik und Innere Führung im Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr
Buchtipp
Ethik-Kompass. 77 Leitbegriffe
Was wir tun, betrifft unmittelbar unsere Nächsten - aber auch Menschen in fernen Ländern und in nachkommenden Generationen werden die Folgen unserer Handlungen spüren. Schon beim Einkaufen zeigt sich, wie komplex scheinbar einfache Zusammenhänge sind. Was also sollen wir tun?
Mit Beiträgen von Judith Behnen, Lothar Bendel, Veronika Bock, Klaus Ebeling, Thomas R. Elßner, Matthias Gillner, Bernhard Koch, Jörg Lüer, Uto Meier, Anja Seiffert, Volker Stümke und einem Vorwort von Hans Joas.
Orientierung bietet dieser Ethik-Kompass. Anschaulich und lebensnah erläutern die Autoren 77 der wichtigsten Grundbegriffe für ein ethisch verantwortliches Handeln heute.