Böses darf nicht das letzte Wort haben

© KS / Doreen Bierdel
© KS / Doreen Bierdel

Perspektive von Militärbischof Overbeck zum Krieg gegen die Ukraine

Veröffentlichung im Voraus. Text erscheint im „Kompass. Soldat in Welt und Kirche“, Ausgabe 04/2022

Liebe Soldatinnen und Soldaten, 

Der schreckliche Angriff auf die Ukraine, den ich auf das Schärfste verurteile, erschüttert uns zutiefst. Ein Krieg mitten in Europa, den wir seit Monaten befürchtet haben, der uns aber dennoch unvorstellbar schien, ist Wirklichkeit geworden. Unsere Gebete und Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine. Viele von ihnen machen von ihrem legitimen Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch und kämpfen für den Erhalt ihrer Freiheit gegen militärisch überlegene Kräfte der Russischen Föderation. 

Ich danke allen, die auf unterschiedlichen Wegen für den Frieden in Europa und der Welt eintreten. Die europäische Friedensordnung war und ist ein großes Geschenk, das es zu bewahren gilt. Der Angriff stellt diese Friedensordnung einseitig massiv infrage. Jeder Versuch, die Herrschaft des Rechts durch die Herrschaft des militärisch Stärkeren zu ersetzen, führt zwangsläufig zu unsäglichem Leid. Angesichts der schrecklichen Bilder und Geschichten, die uns aus den Kriegsgebieten in der Ukraine erreichen, sehen und spüren wir plötzlich in aller Deutlichkeit, was alles auf dem Spiel steht! Eine der größten und bedeutsamsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, nämlich die verbindliche Festlegung aller UN-Mitglieder, ihre politischen Streitigkeiten friedlich zu lösen, zählte aus europäischer Sicht lange zu den verlässlichen Grundgewissheiten einer globalisierten und vernetzten Welt. Die Erschütterung dieses Fundaments unseres Zusammenlebens kommt uns nach Jahrzehnten des Friedens so unbegreiflich vor, dass zu dem ersten Entsetzen über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bei vielen Menschen schnell auch Gefühle von Wut und Zorn hinzutreten. Das ist verständlich und legitim, denn hier wagt es ein Aggressor – an den Grenzen der Europäischen Union – Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, Ehrlichkeit und wechselseitige Achtung, Frieden und Humanität ohne jede Zurückhaltung mit Füßen zu treten. Und dennoch gilt, dass wir uns von diesen Gefühlen nicht leiten lassen dürfen, sondern mit dieser weltgeschichtlichen Zäsur, die eine enorme Herausforderung für die Sicherheitsarchitektur Europas darstellt, verantwortlich umzugehen haben – besonnen und realistisch, mit nüchterner Ideologiekritik, mit dem nötigen Friedens- und Entscheidungswillen sowie mit einem klugen und gerechten Urteilsvermögen. Denn Frieden ist ein Werk der Gerechtigkeit, wie wir in der Bibel beim Propheten Jesaja (32,17) lesen können. 

Frieden „für unsere Lebensweise elementar“

Als Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr blicken Sie spätestens seit der Annexion der Krim mit großer Sorge auf die veränderte geopolitische Situation in Osteuropa. Ihre mahnenden Hinweise, dass ein klares Bekenntnis zu ihrer verantwortungsvollen Aufgabe mit einer Ausstattung und Ausrichtung der Bundeswehr einhergehen muss, die diesen Entwicklungen Rechnung trägt, waren berechtigt. Gemeinsam mit den Bündnispartnern der NATO, vor allem in Osteuropa, ist die Sicherung von Frieden und Freiheit nichts Abstraktes, sondern eine Herausforderung, die für unsere Lebensweise elementar bedeutsam ist. Als Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind Sie sich dessen bewusst. Viele von Ihnen treibt die seelisch belastende Frage um, welche Szenarien drohen, sollte der Konflikt eskalieren und in Folge eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied der Bündnisfall ausgerufen werden. 

„Wo Sie sind, da sind wir!“

Als Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr möchte ich Ihnen, allen Soldatinnen und Soldaten, zusichern: Die Militärseelsorge steht stets an Ihrer Seite! Die Seelsorgerinnen und Seelsorger bieten an Ihren Standorten im In- und Ausland immer eine Möglichkeit zum Gespräch, in dem ausschließlich die Sorgen und Nöte der Person zählen, vertraulich und unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung. Wo Sie sind, da sind wir! 

Gerade in diesen Tagen ist die hohe Wertschätzung, die zahlreiche Menschen den Angehörigen der Bundeswehr entgegenbringen, in unserer Gesellschaft deutlich zu spüren. Ihr Auftrag ist es, Friedensdienst zu leisten und Wege zur Versöhnung zu ermöglichen. Sie haben ein Anrecht darauf, dafür bestmöglich ausgestattet zu sein. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe ist in den letzten Wochen dieses Jahres wie durch ein Brennglas verschärft worden. Mit Blick auf die ungeschönte und brutale Wirklichkeit des Krieges tritt die Tatsache ins öffentliche Bewusstsein, dass fundamentale Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern in einer wehrhaften Demokratie auch verteidigt werden müssen. Wir erleben, wie uns in Europa und in weiten Teilen der Welt auf einer sehr existentiellen Ebene das Miteinander verbindet und eint, was für unser Leben in Freiheit unabdingbar und unverhandelbar ist. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – auf diesen ersten Worten des Grundgesetzes, in denen auch der Kerngehalt des christlichen Menschenbildes zum Ausdruck kommt, gründen alle Prinzipien und Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen. Das ist es, was unsere demokratische Ordnung schützt – den zur Freiheit berufenen Menschen in seiner ganzen Verletzlichkeit. 
Schon oft haben Sie gehört, dass Sie als Soldatinnen und Soldaten diese Demokratie und dieses Leben in Freiheit sichern. Diese Worte sind heute aktueller denn je. 

„Glaube an das Gute im Menschen, das am Ende siegt“

Es ist die Aufgabe der Militärseelsorge, für den Frieden zu beten. Das Gebet hat für uns Christen eine Kraft, die über das, was ein Mensch allein tun kann und was Menschen gemeinsam tun können, noch hinausgeht. Denn es ist ein Zeichen von Glaube an das Gute im Menschen, das am Ende siegt. 

Im Angriffskrieg auf die Ukraine können wir die Fratze des Bösen sehen. Ihr stellen wir uns entgegen und bekennen: Das Böse darf und wird nicht das letzte Wort haben – diese Gewissheit bringen wir vor Gott, verbunden im Gebet. So ist Beten immer auch ein Zeichen von Hoffnung.

Wir beten für alle Menschen in der Ukraine. Sie stehen gerade schreckliche Ängste aus und fürchten um ihr Leben.
Wir beten für alle Menschen in Russland, die guten Willens sind und sich für Versöhnung und Frieden einsetzen. 
Wir beten für alle politisch und wirtschaftlich Handelnden, dass sie sich ihrer Verantwortung für das Wohl der Welt bewusst sind.
Wir beten für die Toten und Verwundeten dieses Krieges und für ihre Angehörigen. 
 

Dr. Franz-Josef Overbeck, Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr

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