Erzbischof: Menschen in der Ukraine befinden sich "in der Hölle"

© Peter Weidemann / Pfarrbriefservice.de
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Militärgeistlicher unter den Opfern

Berlin (KNA). In den umkämpften Gebieten der Ukraine sind derzeit nach Worten des Sprechers der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Erzbischof Evstratiy, keine Beerdigungen möglich. "Priester erzählen, dass Leichen von Zivilisten auf der Straße liegen und sich niemand um sie kümmert", sagte er im Interview der "Welt" (Montag). "Die Menschen befinden sich in der Hölle."

Die russischen Angreifer nähmen keine Rücksicht auf religiöse Orte, auch wenn diese als Schutzräume dienten. "Sie kennen keine Moral", sagte Evstratiy und verwies auch auf den Angriff auf ein Krankenhaus in der umkämpften Hafenstadt Mariupol. In Charkiw seien Gemeindemitglieder getötet worden, als sie nach der Messe das Gotteshaus verließen.

Er sei zudem in großer Sorge um Priester in den eroberten Gebieten. Der Bürgermeister von Melitopol sei entführt worden, so der Geistliche: "Allen anderen, die die Besetzung Russlands ablehnen, wird es nicht anders ergehen." Wer als Anführer gelte, dem drohe die Verhaftung. "Das geht noch auf die Sowjetzeit zurück. Als die baltischen Staaten besetzt wurden, hat man Priester, Intellektuelle, Künstler und Aktivisten verhaftet und deportiert."

Aus seiner Erzdiözese wisse er, "dass Russen bereits nach Priestern suchen", sagte das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche in den nordukrainischen Städten Tschernihiw und Nischyn. Auch er selbst stehe "auf der Liste der Russen". Der russische Präsident Wladimir Putin sei für ihn "Antichrist. Nicht der endgültige, wie wir ihn aus der Apokalypse im Buch des Evangeliums kennen. Aber er ist wie Hitler, Stalin, völlig gottlos."

Geistliche unter den Opfern

Die russische Armee hat laut der orthodoxen Kirche der Ukraine einen ukrainischen Militärgeistlichen getötet. Die Kirche teilte am Sonntagabend auf Facebook mit, Igumen (Ordensmann) Platon Morgunow sei in der umkämpften ostukrainischen Stadt Wolnowacha ums Leben gekommen. 

Bereits Anfang März hatte dieselbe Kirche die Tötung eines Geistlichen nahe Iwankiws, etwa 80 Kilometer nordwestlich von Kiew, bestätigt. Er habe im dortigen Dorf Roswaschiw seit dem Jahr 2000 als Priester gewirkt. Ein russischer Soldat soll ihn erschossen haben, obgleich er sein Priestergewand getragen habe, hieß es damals. Die genaueren Umstände des Todes des Militärgeistlichen blieben hingegen zunächst unklar.

"Auf Jahre wird nichts mehr so sein wie früher"

Evstratiy bat um weitere Unterstützung. Das Gebet sei "nötiger als je zuvor. Es ist eine Inspiration. Wir wollen die Menschen dazu inspirieren, dass sie Widerstand leisten." Indes: Selbst wenn "morgen Waffenstillstand oder sogar Frieden wäre, ist unser Land um Jahre zurückgeworfen", betonte er. "Auf Jahre wird nichts mehr so sein wie früher."

Von der ukrainisch-orthodoxen Kirche wünsche er sich eine klarere Positionierung, sagte der Erzbischof. Deren Priester berichteten von Bombenangriffen und den Zivilisten, die unter dem Krieg litten. "Aber sie erwähnen nicht, wer die Mörder sind", kritisierte er. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Für die ukrainischen Streitkräfte sind nach Angaben vom Dezember 2021 rund 100 Militärseelsorger verschiedener Konfessionen tätig. Die meisten von ihnen gehören der eigenständigen orthodoxen Kirche der Ukraine, der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats oder der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche an.

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