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Lebensraum Panzerspur

Soldatinnen und Soldaten sind naturverbunden. Wer sonst ist so oft draußen im Gelände, robbt zwischen Grasbüscheln, zeltet im Wald, setzt mit dem Boot über? Es gibt auch die andere Seite: Soldat:innen schälen die Rinde von den Bäumen, um den Rest des Waldes vor dem Borkenkäfer zu schützen und löschen tagelang Waldbrände. 

Und wer hätte gedacht, dass ein Truppenübungsplatz ein Rückzugsort für gefährdete Tierarten sein kann? Wir nicht. Deshalb haben wir uns auf dem Übungsplatz in Klietz umgesehen und uns zeigen lassen, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Report vor Ort: Friederike Frücht
Bilder und Videos: Doreen Bierdel
Interviewfragen, Texte und Redaktion: Barbara Dreiling



Truppenübungsplätze als Lebensraum für bedrohte Arten

Zwar sind Truppenübungsplätze für Menschen außerhalb der Bundeswehr Sperrgebiet, doch auch ohne Zivilpersonen ist es dort keineswegs ruhig. Lärm von der Schießbahn, Explosionen, Kettenfahrzeuge in Bewegung zeigen die Präsenz der übenden Einheiten. Dennoch gibt es Tiere und Pflanzen, die gerade hier ein Zuhause gefunden haben, oder sogar einen letzten Rückzugsraum. 

Hauptmann Patrick Becker erklärt uns, warum sich manche Tiere gerade hier wohlfühlen.

Hauptmann Becker, welche Auswirkungen hat der Truppenübungsplatz auf die Natur? Und hat sich, seitdem Sie hier sind, Ihre Einstellung zur Natur oder auch zum Truppenübungsplatz verändert?

Becker: Bevor ich hier auf dem Truppenübungsplatz Klietz meinen Dienst angetreten habe, war mir gar nicht bewusst, welche Naturrefugien Truppenübungsplätze in Deutschland eigentlich sind. Viele Tiere und Pflanzen kommen nur noch hier auf den Truppenübungsplätzen vor oder verbreiten sich von hier aus dann auch außerhalb, also in die frei zugänglichen Gebiete. Das war mir so vorher nicht klar.

Gibt es hier besondere Tierarten, die gerade aufgrund der Beschaffenheiten, wie sie hier sind, vorhanden sind?

Becker: Ja, wir haben eine gute Fledermauspopulation aufgrund der ungenutzten Bunkeranlagen, die wir in den letzten Jahren fledermausgerecht ausgebaut haben. Wir haben verschiedene Insektenarten, Heuschreckenarten, die fast nur hier vorkommen und sich hier sehr gut verbreiten, auch aufgrund der besonderen Beschaffenheit durch den Militärverkehr auf dem Truppenübungsplatz. Und das sind fast Alleinstellungsmerkmale, die wir hier haben.

Können Sie das näher erklären? Was hat der Militärverkehr damit zu tun?

Becker: Gerade diese spezielle vom Aussterben bedrohte Heuschreckenart, die Heideschrecke, benötigt wie der Name schon sagt, Heidelandschaft, die sie auf vielen Truppenübungsplätzen vorfindet.

Für die Eiablage benötigen die Weibchen Magerrasenbiotope mit offenen Sandflächen. Und genau solch ein Biotop findet sich in den Spurrillen der Panzerketten, auf den Sandwegen und Freiflächen, die beim Befahren des Platzes entstehen. Wichtiger noch ist, dass unsere Truppenübungsplätze nicht intensiv landwirtschaftlich genutzt werden. Es ist die militärische Nutzung im Zusammenspiel mit den gezielt durchgeführten Pflegemaßnahmen, welche die Heiden und Magerrasen entstehen lassen sowie erhalten und somit wichtige Lebensräume für viele seltenen Tier- und Pflanzenarten darstellen.

 

Stabsfeldwebel Patrick Müller ist Beauftragter für Umweltschutz auf dem Truppenübungsplatz Klietz. Er hat mit dafür gesorgt, dass die Zauneidechsen in ein neues Zuhause umziehen konnten. Das war nötig geworden.

Neues Quartier für die Zauneidechse

Aufräumen, bitte!

Für Soldatinnen und Soldaten steht auf dem Truppenübungsplatz natürlich nicht die Natur im Vordergrund, sondern das Üben militärischer Fertigkeiten. Schießübungen, Gefechtsübungen, Sperren errichten und Überwinden, Bewegung im Gelände, Bewegen von Kettenfahrzeugen. Dabei gelangt Abfall in die Umwelt, der regelmäßig entsorgt werden muss: Munitionsschrott, Reste von Sprengungen, Schmieröl. Was damit geschieht und wie die Entsorgung funktioniert, erklären uns der der Kommandant des Truppenübungsplatzes Klietz, Major Dennis Claaßen, und der Umweltbeauftragte beim Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Burg, Christian Brack.

Herr Brack, Sie arbeiten im BwDLZ in Burg und sind dort u. a. verantwortlich für den Umweltschutz. Können Sie uns erklären, was ist Ihre Aufgabe ist und was wir uns darunter vorstellen können?

Brack: Ich bin im BwDLZ Burg als Sachbearbeiter Umweltschutz tätig. Ich kümmere mich hauptsächlich um den Bereich der Kreislauf- und Abfallwirtschaft und um die Bereiche des Boden- und Gewässerschutzes.

Was genau heißt das?

Brack: Ich bin Ansprechpartner, wenn es um die Bewirtschaftung von Abfällen aller Art geht, die hier im Bereich des BwDLZ anfallen. Dazu zählen auch die Truppenübungsplätze. Im Bereich des Boden- und Gewässerschutzes kümmere ich mich z. B. darum, dass im Fall von irgendwelchen defekten Fahrzeugen, aus denen Diesel ausgetreten ist, diese Schadensfälle ordentlich abgearbeitet werden und dass wir dort auch keine Kontamination im Boden und im Grundwasser verursachen.

Das bedeutet, dass Sie auch für Munitionsabfälle verantwortlich sind? Wie gehen Sie hier vor?

Brack: Genau. Wenn uns Munitionsschrott durch die Truppe übergeben wird, nachdem dieser durch die Truppe geprüft und freigegeben ist, nehmen wir ihn in unsere Obhut und organisieren die Entsorgung über geeignete und qualifizierte Fachbetriebe, die den Munitionsschrott sortieren, aufbereiten und als Recyclingmaterial in den Stoffkreislauf zurückgeben.

Der Schrott gelangt so also in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft? 

Brack: Genau. Die Kreislaufwirtschaft gehört auch zum Konzept der Nachhaltigkeit. Das Ziel soll sein, alle möglichen anfallenden Abfälle so hochwertig wie möglich wieder zu verwerten und sie einer neuen Verwendung zuzuführen.

Seit wann gibt es diesen Bereich beim BwDLZ?

Brack: Den Bereich des Sachbearbeiter Umweltschutz gibt es eigentlich auch schon so lange, wie die Bundeswehr-Dienstleitungszentren aufgestellt sind. Kreislaufwirtschaft selbst wird in der Bundeswehr allerdings schon wesentlich länger betrieben.

Wie räumen Sie hier auf, Herr Kommandant?

Panzer in die Waschanlage, bitte!

Wald mit wichtigen Funktionen

Viele Tiere und Pflanzen überleben auf Truppenübungsplätzen, weil sich zivile Personen auf dem Gelände nicht bewegen dürfen. Schließlich sollte jede und jeder wissen – und an den Grenzen weisen Schilder alle paar Meter darauf hin – dass der militärische Bereich lebensgefährlich sein kann. 

Doch der Wald erfüllt auch wichtige Funktionen für den Übungsbetrieb, beispielsweise Sicht- und Staubschutz. Genauso wie viele Waldgebiete in Deutschland ist er vom Klimawandel gefährdet, besonders während der trockenen und heißen Sommer. Für den Kommandant des Truppenübungsplatzes Klietz, Major Dennis Claaßen, bedeutet das, besonders wachsam zu sein. Wie er versucht, den Wald möglichst gut zu erhalten und zu schützen, erklärt er im Interview.

Major Claaßen, Sie sind Kommandant auf dem Truppenübungsplatz Klietz. Flora und Fauna spielen hier eine große Rolle. Welche Aufgabe ergibt sich daraus für Sie als Kommandant? Was müssen Sie besonders berücksichtigen?

Claaßen: Als Kommandant des Truppenübungsplatzes bin ich für die Betreiberpflichten des Übungsplatzes verantwortlich. Dazu gehört unter anderem auch das Thema Umweltschutz, was wir hier auf dem Übungsplatz natürlich sehr ernst nehmen. Das beginnt schon damit, dass wir der übenden Truppe bestimmte Auflagen bezüglich ihrer Übungsvorhaben machen, um den Umweltschutz zu gewährleisten. Gefechtsfahrzeuge dürfen beispielsweise nur auf dafür extra vorgesehenen Flächen betankt werden. Im Umgang mit Munition haben wir die Auflage, dass wir bestimmte Flächen regelmäßig oberflächlich absuchen müssen. Das findet hier während der sogenannten Instandsetzungszeit statt. In dieser Zeit findet kein Schieß- und Übungsbetrieb statt, sodass wir dann die Möglichkeit haben, auf den Schießbahnen in der Fläche die oberflächliche Absuche, das sogenannte Suchen und Räumen, durchzuführen. Dabei wird der gefundene Munitionsschrott gesammelt, sortiert und dann dem Bundeswehr-Dienstleistungszentrum zur Entsorgung zugeführt. Blindgänger, die wir dann auch noch auf dem Gelände finden, werden markiert und im Nachhinein gesprengt.

Gibt es im Blick auf Grundwasser oder auch auf den Boden besondere Regelungen oder Vorgaben, an die Sie sich halten müssen?

Claaßen: Wir haben für den Sprengbetrieb die Auflage bekommen, aufgrund neuer Erkenntnisse im Umweltschutz den Boden auszutauschen und durch sogenannten Kalksandschotter zu ersetzen. Es wurde festgestellt, dass dieser Kalksandschotter so was wie eine natürliche Sperrschicht bildet, sodass eventuelle Rückstände dann nicht durch den Regen ins Grundwasser gespült werden können.

Spüren Sie hier auf dem Truppenübungsplatz Veränderungen durch den Klimawandel? Nehmen Sie eine zunehmende Trockenheit oder generell weniger Wasser durch Niederschläge wahr?

Claaßen: Man merkt schon, dass die Trockenperioden länger sind, deutlich länger werden. Das bedeutet hier auf dem Truppenübungsplatz insbesondere Einschränkungen für die übende Truppe, weil bei längeren Trockenperioden zwangsläufig die Waldbrandwarnstufe hochgesetzt wird. Und je höher diese Waldbrandwarnstufe hier auf dem Truppenübungsplatz ist, desto größer sind die Einschränkungen bezüglich der übenden Truppe, weil beispielsweise keine Leuchtspur mehr geschossen werden kann, oder weil pyrotechnische Munition nicht mehr verwendet werden darf. Dann müssen wir der übenden Truppe leider bestimmte Freiheiten nehmen. Aber das Thema vorbeugender Brandschutz ist hier ein absoluter Schwerpunkt und hat diesbezüglich immer Vorrang.

Welche Rolle spielen Tiere hier auf dem Truppenübungsplatz? Begegnet Ihnen regelmäßig Wild?

Claaßen: Also uns begegnet natürlich immer Wild. Wir haben ja vorhin auch auf dem Weg ein Reh kurz über den Feldweg huschen sehen. Aber man muss das trennen. Für den Schieß- und Übungsbetrieb hat das Wild auf dem Truppenübungsplatz kaum spürbaren Einfluss. Während der Schießübungen kommt es nur äußerst selten vor, dass sich mal ein Tier auf die Schießbahn verirrt. Und scherzhaft gesagt: Die Tiere kennen den Schieß- und Übungsplan mittlerweile genauso gut wie die Soldatinnen und Soldaten hier auf dem Standort. 
Auf der anderen Seite habe ich aber natürlich den Bundesforstbetrieb Nördliches Sachsen-Anhalt hier in dem Bereich, die dafür verantwortlich sind, den Funktionswald im Einklang mit dem Schieß- und Übungsbetrieb für uns vorzuhalten. Und da hat das Wild natürlich Einfluss, wenn z. B. bestimmte Flächen neu aufgeforstet werden müssen. Das ist ein Sachverhalt, der aber kein Alleinstellungsmerkmal für einen Truppenübungsplatz bedingt.

Was unterscheidet den Truppenübungsplatz von anderen Waldgebieten oder anderen Bereichen in Deutschland, die vielleicht bewirtschaftet werden?

Claaßen: Der Truppenübungsplatz hat das Alleinstellungsmerkmal, dass er gleichzeitig auch militärischer Bereich ist. Das heißt, ich habe schon mal eine natürliche Hemmschwelle, dieses Gelände überhaupt zu betreten. Wir weisen die 
Zivilbevölkerung regelmäßig daraufhin, dass das Betreten des Truppenübungsplatzes verboten ist, da mit Blindgängern auf dem Gelände gerechnet werden muss. Und damit habe ich abseits der jeweiligen Schießbahn, wo ich natürlich eine Fluktuation durch die übende Truppe habe, Bereiche, wo sich wirklich nur sehr selten mal ein Mensch verirrt.

Für Spazierende ist das Gelände gesperrt, weil es gefährlich ist, sich dort aufzuhalten. Doch welchen Nutzen erfüllt der Wald auf dem Truppenübungsplatz?

Claaßen: Die Frage kann ich nur aus Sicht des Schieß- und Übungsbetriebs beantworten. Für uns ist es wichtig, dass der Wald bestimmte Forderungen für uns erfüllt. Das sind zum einen Lärmschutz, Staubschutz und Sichtschutz, um die Lärmemissionen für die Anrainer des Geländes zu reduzieren. Zum anderen vermindert der Wald Störungen des Schieß- und Übungsbetriebs durch etwaiges Scheinwerferlicht ziviler Kraftfahrzeuge. Und dann ist der Staubschutz auf der anderen Seite auch noch relevant. Wir haben ja große Freiflächen, auf denen mit mehreren Gefechtsfahrzeugen Kette geübt wird. Der Wald hilft, die Staubemissionen innerhalb der Grenzen des Truppenübungsplatzes zu halten. Eine weitere Besonderheit hier auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes: Er ist wirklich nur für Schieß- und Übungsbetrieb vorgesehen. Das heißt, hier findet auch keine landwirtschaftliche Nutzung und somit auch kein Eintrag von Düngern und Giften statt, wie man es vielleicht von zivilen Flächen kennt. Als schönen Nebeneffekt, der Nutzung als Truppenübungsplatz entsteht hier ein einzigartiger Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Ohne den militärischen Übungsbetrieb würde dieser einzigartige Lebensraum in seiner jetzigen Form, nicht existieren.

Der Feind ist wenige Millimeter groß

Der Feind sitzt in der Rinde, legt Eier und kann während einer Vegetationsperiode über 100.000 Nachkommen produzieren, wenn man ihn lässt. Die etwa fünf Millimeter großen Tierchen lassen dann ganze Wälder sterben, indem sie den Bäumen die Wasserzufuhr abschneiden. 

Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr löschen im Sommer also nicht nur wochenlang Waldbrände, sondern leisten auch Amtshilfe, um die Schäden durch Borkenkäfer zu begrenzen. Sie schlagen Bäume, entrinden sie und versuchen so, einen möglichst großen Teil des Waldes vor dem Befall zu retten. 

Wann der Borkenkäfer auftritt und warum er so schädlich ist, haben wir den Waldbesitzer Maximilian Stangier im Sauerland gefragt.

„Das ist einfach eine Übermacht“

Bilder vom Borkenkäfereinsatz 2020 in Sachsen

Kommentar: Warum Schöpfungsverantwortung ein kirchlicher Auftrag ist

Die Covid-19-Pandemie überlagert nach wie vor privat wie gesellschaftlich so gut wie alle anderen Themen. Der Umgang mit ihr und ihren Folgen wird die soziale, ökonomische und politische Großwetterlage hier und andernorts auch die nächsten Monate und Jahre prägen. Jenseits der Pandemie aber geht die globale Erwärmung genauso weiter wie das tägliche Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Ozeane versauern, allein in Deutschland können jeden Tag neu 77 ha fruchtbaren Bodens nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden (weltweit sind es jährlich 10 Mio. ha), der tropische Regenwald brennt, und es wird weiter viel zu viel Stickstoff und Phosphor in die Böden eingetragen: dies sind in Stichpunkten nur einige der ökologischen Großherausforderungen, national wie international. Dass diese aber aufs engste auch mit ökonomischen und sicherheitspolitischen verquickt sind, also im weiteren Sinn: sozialen Herausforderungen, belegen exemplarisch folgende zwei Daten: Der global risk survey 2021, jährlich herausgegeben im Vorfeld des Davoser Weltwirtschaftsforums, d. h. des Treffens der globalen Wirtschaftselite, bezeichnet von den weltweit fünf größten Risiken nach Eintrittswahrscheinlichkeit (likelihood) vier; und von denen bemessen nach ihren Auswirkungen (impact) drei als „Umweltrisiken“. Sicherheitspolitisch kommt der Begriff der „Umweltsicherheit“ zum ersten Mal 1987 im sogenannten Brundtland-Bericht vor, seit den frühen Nuller-Jahren intensiviert sich die Debatte unter dem Stichwort climate security nicht nur in der Wissenschaft sprunghaft, sie wird schnell auch in Studien des Militärs und der entsprechenden Ministerien aufgegriffen und operationalisiert. Der Klimawandel wurde so in drei Dekaden zu einem Sicherheitsrisiko, national wie global. 

Laudato Si – Gelobt seist du

Diese Hintergründe sind eine der wesentlichen Ursachen, warum die Sozialenzyklika „Laudato Si‘. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (LS) von Papst Franziskus 2015 auch außerkirchlich auf so fruchtbaren Boden fiel: Ein Papst, der auf der Höhe der Zeit der Fachdebatten in Natur- und Sozialwissenschaften erklärt, dass „alles mit allem zusammenhängt“, weshalb „der Schrei des Planeten und der Schrei der Armen“ zu einem werden, also die großen ökologischen mit den großen sozialen Themen verbunden sind. Das Oberhaupt einer Weltreligion, der aus der Perspektive seiner Heiligen Schriften den Menschen samt seiner natürlichen Um- und Mitwelt als gute Schöpfung Gottes deutet und daraus die Forderung eines treuhänderischen Umgangs des Menschen mit eben dieser Schöpfung ableitet. Dieser Papst also stellt wenige Monate vor dem Pariser Weltklimagipfel so lapidar wie folgenschwer fest: „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“ (LS 23). Ein Papst und eine Enzyklika, die die Themen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aus den Teestuben der basisbewegten 1980er Jahre auf die Ebene des obersten Lehramts von heute holen und die ganze Welt, nicht nur die Catholica, darüber in den Dialog einlädt, um sie ins Handeln für das gemeinsame Haus zu bringen – dieser Papst und seine Botschaften sind eine Herausforderung, auch für die Kirche.

Schöpfungsverantwortung konkret

Inhaltlich ist der Boden dafür hierzulande gut bereitet: Seit der Erklärung „Zukunft der Schöpfung, Zukunft der Menschheit“ der Deutschen Bischofskonferenz 1980 hat diese sich in immer kürzeren Abständen öffentlich zu schöpfungstheologischen, mitweltethischen und umweltpolitischen Themen positioniert. Die Praxis im eigenen Verantwortungsbereich aber, die hinkt hinterher. Nicht von ungefähr beschlossen die deutschen Bischöfe 2018 unter dem Titel „Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“ zehn Handlungsempfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwicklung an ihre eigenen Diözesen. Die Bischöfe wissen, dass es solche Empfehlungen braucht – deren Umsetzung zum Lackmustest eigener Glaubwürdigkeit wird. Ob es den Christinnen und Christen ernst ist mit ihrer frohen Botschaft von einem Gott, der das umfassende Heil der ganzen Schöpfung will, erweist sich für viele ihrer säkularen und dennoch oder deswegen religiös suchenden Zeitgenossen eben auch daran, wie die Christenmenschen selbst mit ihren Mitmenschen und Mitgeschöpfen umgehen. Das Fürbittgebet für den Erhalt des Klimas wird schal, wenn am Ende des Gemeindebriefs die Einladung zur Dekanatswallfahrt mit dem Flugzeug nach Fatima steht. Die Kollektenbitte für den Austausch des Ölbrenners der Kirchenheizung wird fragwürdig, wenn die Kirchenverwaltung ein halbes Jahr zuvor das Angebot auf Anschluss an ein regenerativ betriebenes Nahwärmenetz abgelehnt hat. Entgegen lauter werdender Vorwürfe des Predigens eines vermeintlich linksgrünen Zeitgeists von den Kanzeln ist und bleibt festzuhalten: Der biblisch überlieferte Auftrag Gottes an den Menschen lautet immer schon, „den Garten Eden zu bearbeiten und zu hüten“ (Gen 2,15) – diesem Auftrag persönlich wie als Glaubensgemeinschaft, als Kirche, nachzukommen, ist Teil der kirchlichen Grundvollzüge.

Mattias Kiefer
Umweltbeauftragter des Erzbistums München und Freising
Sprecher der AG der Umweltbeauftragten der deutschen (Erz-)Bistümer

 

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Leben von und mit der Natur – „Kompass“ 04/2021

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