Kranke Soldaten pilgern nach Lourdes
Jedes Jahr pilgern chronisch kranke Bundeswehr-Soldatinnen und Soldaten nach Lourdes. Was sie erwarten und wie es ihnen bei der Internationalen Soldatenwallfahrt geht, erzählt Oberfeldarzt Dr. Michael Nowak im Interview.
Wie viele kranke Soldaten fahren nach Lourdes?
Das ändert sich von Jahr zu Jahr. In diesem Jahr haben wir schon vier Anmeldungen. Wahrscheinlich werden wir zusammen mit den Betreuern etwa 20 Personen sein.
Wie geht das dann in Lourdes weiter?
Wir fahren in zwei kleinen Gruppen mit den anderen Soldatinnen und Soldaten im Sonderzug 1 und im Sonderzug 2 nach Lourdes. Dort bleiben wir als Krankengruppe zusammen. Wir wohnen in einem Krankenhaus direkt im Heiligen Bezirk und kommen zu den Veranstaltungen immer zu den anderen Pilgern dazu.
Die Unterkunft ist zwar ein Krankenhaus mit Betten, aber ohne medizinische Ausstattung. Was wir also zur Betreuung brauchen, nehmen wir mit, auch für Notfälle haben wir alles dabei.
Was heißt eigentlich krank? Wann fahren Soldaten als kranke Soldaten nach Lourdes?
Da sind wir sehr großzügig. In dem Fall meint ‚krank‘ nicht, wenn man eine Grippe hat. Dann sollte man sowieso zu Hause bleiben. ‚Krank‘ bedeutet, dass jemand ein chronisches Leiden hat, welcher Art auch immer.
Und dann hoffen die Pilger auf Heilung?
Als ich in den 80er Jahren das erste Mal in Lourdes war, war vor der Grotte ein Seil gespannt, auf dem lauter Krücken hingen. So nach dem Motto: Ich fahre nach Lourdes und schmeiße die Krücken weg, weil ich plötzlich geheilt bin. Das war für mich als Unfallchirurg ein bisschen schwer zu ertragen. So hat es auch die Kirche empfunden und hat das verboten – das Seil mit den Krücken ist weg.
Wie ist das dann mit den Heilungswundern in Lourdes?
Bei einem Wunder muss etwas passiert sein, das wir als Menschen und Ärzte nicht erklären können. Bis eine Heilung von der Kirche als Wunder anerkannt wird, finden extrem kritische Untersuchungen statt. Doch ich persönlich finde, dass Heilungswunder in Lourdes nicht das Entscheidende sind.
Sondern? Was erleben kranke Soldaten in Lourdes?
Wenn man als Patient nach Lourdes fährt, kann man nicht damit rechnen, dass man zum Beispiel seinen Krebs loswird. Ich sehe Lourdes als etwas Mentales an, wo man sein Rüstzeug bekommt, mit seiner Erkrankung besser klarzukommen. Das liegt zum einen an dem Ort, der so eine heilsame Atmosphäre hat. Dann aber auch an der überproportionalen Menge schlimmster Erkrankungen, die man dort sieht. Und man staunt, wie die Menschen versuchen, damit zu leben. Und das Wichtigste ist die Häufung von Menschen, die – wie soll ich sagen – lieb zu diesen Menschen sind, sich um sie kümmern, sie mit ihren Gebrechen annehmen, wie sie sind. Dadurch kommen die Patienten gestärkt zurück. Ich habe einmal einen Generalarzt im Rollstuhl erlebt, der als Kranker in Lourdes dabei war. Er konnte sich kaum artikulieren, doch am Ende brauchte man nur in sein Gesicht zu sehen, wie froh er war, da liefen Tränen.
Wie gehen die gesunden Soldaten mit ihren Kameraden um?
Unsere Gesellschaft beschäftigt sich ja mit Krankheit und Tod nicht, erst wenn es einen selbst betrifft. In Lourdes wird man auch als gesunder Mensch mit diesem Problem konfrontiert. Da bin ich sehr erstaunt, wie positiv das von den Gesunden aufgenommen wird.
Gibt es Begegnungen von gesunden und kranken Soldaten?
Ja, die gesunden Soldaten helfen uns beim Krankentransport zu den Veranstaltungen. Da brauchen wir Unterstützung. Denn in Lourdes ist es vorgeschrieben, dass alle Kranken, auch wenn sie gehen können, in solchen Wagen sitzen müssen, damit es bei Evakuierungen schneller geht. Und da brauchen wir pro Patient zwei Soldaten, die uns helfen, die Wagen zu ziehen. Wir nennen sie „Pferdchen“. Jeden Tag ist entweder Sonderzug 1 oder Sonderzug 2 an der Reihe, die Pferdchen zu stellen. Doch viele wollen dann am nächsten Tag gleich wieder helfen. Es bilden sich Freundschaften zwischen den Helfern und den Kranken, das geht ganz schnell. Viele „Pferdchen“ kommen auch nach den Veranstaltungen noch zu den Kranken und sitzen abends mit uns zusammen.
Was muss ein kranker Soldat, eine kranke Soldatin machen, damit er / sie mitfahren kann?
Einfach beim Standortpfarrer anmelden. Dann erfolgt der weitere Kontakt mit der Leitung der Internationalen Soldatenwallfahrt. Ein Arzt muss bescheinigen, ob jemand transportfähig ist und ob es bestimmte Einschränkungen, zum Beispiel eine Diät, gibt.
Können nur Soldaten als Kranke nach Lourdes fahren?
Nein. Auch zivile Mitarbeiter der Bundeswehr können mit uns nach Lourdes fahren. Auch kranke Ehepartner oder Kinder von Soldaten nehmen wir mit.
Oberfeldarzt Dr. Michael Nowak arbeitet in der chirurgischen Abteilung im Bundeswehr-Krankenhaus in Hamburg. Seit 1985 begleitet er kranke Soldatinnen und Soldaten zur Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes. Seit 15 Jahren ist er ärztlicher und militärischer Leiter der Krankengruppe. Als Mitglied der Lourdes-Ärzteschaft untersucht er zudem Heilungen, die in Lourdes passiert sind, auf ihre medizinische Erklärbarkeit.
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