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Overbeck: Kirche soll positiven Umgang mit Konflikten lernen

Interview mit dem Bischof des Bistums Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck, der zugleich Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat ist. Das Interview fand im Rahmen des Weltjugendtags in Panama statt, an dem auch Soldaten der Bundeswehr teilgenommen haben.

Die Fragen stellte Barbara Dreiling für die Katholische Militärseelsorge.

Hier beim Weltjugendtag erleben Soldaten eine lebendige Kirche. Viele ihrer Kameraden haben zwar Interesse und Sehnsucht nach Glauben, finden aber zu Gottesdiensten keinen Zugang. Wie können Militärseelsorger darauf reagieren?

Overbeck: Ich glaube, dass es angesichts der Aufgabe, Kirche vor Ort in der Militärseelsorge auf neue Weise zu leben und erfahrbar werden zu lassen, eine große Chance gibt: nämlich mit einfachen liturgischen Feiern anzufangen, vielleicht mit kurzen Gebeten, vielleicht mit einer strukturierten Gebetszeit, die auch Stille und neue Formen von Musik kennt, um geistlich suchenden Soldatinnen und Soldaten einen Raum für genau diese Sehnsucht zu schenken. 

Ich nehme ja bis auf Ausnahmen wahr, dass die Militärseelsorge von montags bis donnerstags abends bzw. freitags morgens vor Ort in den Kasernen stattfinden muss, da am Wochenende die meisten Soldatinnen und Soldaten zu Hause oder woanders sind und klassische Seelsorge dort nicht möglich ist. Deshalb muss es auch in der Woche Angebote der Seelsorge geben, die attraktiv und hilfreich sind. So kann man mit kleinen Schritten etwas Neues mit Blick auf die suchenden Soldatinnen und Soldaten aufbauen. Man könnte auch einfach sagen, wie es im letzten Buch der Bibel steht: „hören, was der Geist den Gemeinden sagt“. Der Heilige Geist spricht zu uns durch Menschen. Und es ist offensichtlich so, dass aus deren Worten oft eine Sehnsucht spricht, der wir - wie ich finde - auch etwas geben können. Das ist meine anfängliche Antwort, die mit vielen weiteren Gedanken gemeinsam weiterentwickelt werden muss. 

Soldaten erfahren beim Weltjugendtag - aber auch sonst öfter - Unverständnis für ihren Beruf. Manchmal scheinen Welten aufeinanderzuprallen, wenn Soldaten und Zivilisten zusammenkommen. Woran liegt das?

Overbeck: Ich glaube, dass Soldatinnen und Soldaten einen Beruf haben, der in seiner Struktur, in seiner Verantwortung, aber auch in seiner Gehorsamsperspektive für die meisten anderen in ihren zivilen Berufen ungewöhnlich ist. Soldatinnen und Soldaten denken und handeln oft in klaren Verantwortungs-, aber auch Befehls- und Empfängerstrukturen. Dahinter steckt ein anderes Loyalitätskonzept - das im soldatischen Beruf auch notwendig ist, um im Extremfall handeln und überleben zu können -, als das in anderen Berufen der Fall ist. 

Da gilt für mich: Die eine Seite muss lernen, dass es viele weichere Faktoren und mehr Freiheit gibt, als es der soldatische Beruf in der Wahrnehmung oft ermöglicht. Andere haben aber ebenso die Aufgabe zu lernen, dass Verlässlichkeit und Verbindlichkeit sowie Klarheit und Loyalität auch ein Weg sind, den man nicht nur schätzen, sondern auch gehen kann. 

In Panama gibt es keine Armee. Auch in Costa Rica sind viele Menschen stolz darauf, ein Land ohne Streitkräfte zu sein. In anderen Ländern wie El Salvador liegen schlimme Bürgerkriege noch nicht sehr lange zurück, doch es gibt viele kleine Friedensinitiativen in Mittelamerika. Welche Perspektiven haben diese Friedensinitiativen? 

Overbeck: In Mittelamerika sind alle Initiativen zu unterstützen, die darauf hinweisen, dass jeder Konflikt auch die Kraft in sich birgt, überwunden zu werden, weil die Menschen in Frieden leben sollen, wollen und müssen. Solche Initiativen rütteln das Gewissen der Menschen wach, sich doch dafür einzusetzen, die Gewalt nicht noch zu vergrößern, sondern sie zu minimieren und Menschen zu versöhnen. Die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und nach Einheit vergeht nicht, sie wächst immer wieder neu. Das ist für mich ein Hoffnungszeichen für Menschen, die reifen können.

Haben die Menschen in Mittelamerika mehr als in anderen Regionen Erfahrungen mit ziviler Friedensarbeit?

Overbeck: Sie haben in Mittel- und Südamerika viel Erfahrung mit unendlichen und abgründigen Formen von Gewalt. Hier gilt das traurige Wort der heiligen Schrift, dass vieles bis in die dritte oder vierte Generation nachwirkt. Und dann gibt es auf der anderen Seite auch eine Sehnsucht vieler Menschen nach Frieden, die immer wieder neu zum Blühen kommt. Wir von Adveniat versuchen das mit allem, was wir können, zu unterstützen. Wir fördern entsprechende Projekte, ermöglichen Bildung, begleiten Priester, Ordensleute und andere in der Seelsorge Tätige, damit sie sich wirklich dafür einsetzen können und vieles tun, was der Prävention und - nach geschehener Gewalt - dem Versöhnungsprozess dient. 

Auch bei uns in Deutschland nehmen soziale und politische Spannungen zu, Rassismus wird gesellschaftsfähig. Was ist die Aufgabe der Kirche in Deutschland in dieser Situation?

Overbeck: Die Kirche sollte zeigen, dass sie fähig ist, eine hörende Kirche zu sein, eine Kirche, die auch die positiven Kräfte eines Konflikts wahrnimmt und ernst nimmt. Sie sollte das Gute und Neue unterstützen, das aus Konflikten wachsen kann. Es gibt unendlich desaströse Folgen von Konflikten. Doch ohne Konflikte im Sinne einer Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden, gäbe es keine Weiterentwicklung des Bekannten. Ich hoffe, dass wir als Kirche eine Rolle übernehmen können, bei der wir erstens selbst in unseren eigenen Reihen positiv mit Konflikten umzugehen lernen und das auch zeigen. Wir sollten zweitens als Kirche Räume schaffen, die es unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, mit politischen und sozialen Konflikten positiv umzugehen.