Fünf friedensethische Thesen zur Situation in Belarus

Professor Heinz-Gerhard Justenhoven leitet seit 25 Jahren das Institut für Theologie und Frieden (ithf) © KS / Doreen Bierdel
Professor Heinz-Gerhard Justenhoven leitet seit 25 Jahren das Institut für Theologie und Frieden (ithf) © KS / Doreen Bierdel

Was passiert und was wir tun können

Berlin / Hamburg. Wenn Konflikte aufflammen, entsteht schnell öffentliche Aufmerksamkeit. Dann sind Einordnung und Debatte nötig, damit sie bewertet und im besten Fall eingedämmt werden können. Die Verflechtung durch politische, ökonomische, aber auch militärische Verträge bringt die Themen oft auch in die eigene Lebenswelt, besonders in die von Soldatinnen und Soldaten.

Die aktuellen Vorkommnisse in Belarus beschäftigen die Angehörigen der Bundeswehr im Alltag und in der Politischen Bildung gleichermaßen. Mit seiner Erfahrung als Leitender Direktor des Instituts für Theologie und Frieden (ithf) – er übernahm das Institut vor 25 Jahren am 1. Oktober 1995 – stellt der Theologe Professor Heinz-Gerhard Justenhoven fünf Thesen zu Personen, Strukturen und Prozessen auf. Er ordnete diese Aspekte historisch ebenso wie punktuell ein und verschafft damit dem Thema eine breitere Öffentlichkeit.

These 1:

Zuerst einmal ist der Konflikt in Belarus innenpolitisch um die Ausrichtung von Staat und Gesellschaft zu sehen. Die Auseinandersetzung um Autonomie geht quer durch die weißrussische Gesellschaft. Sie ist zugleich auch der Kampf gegen die Herrschaft Weniger und für politische sowie ökonomische Partizipation.

In diesem Protest verschränkt sich der Anspruch des Individuums auf Selbstbestimmung mit der Forderung, als selbstbestimmter Bürger / selbstbestimmte Bürgerin aktives und respektiertes Mitglied des Gemeinwesens zu sein: Aus dem Objekt von Politik soll das Subjekt werden, aus der Masse eine Zivilgesellschaft, die selbst gestaltet.

These 2:

Alexander Lukaschenka ist als Präsident nicht legitimiert. Zivile Stiftungen und Organisationen in Deutschland sollten zunächst klar Stellung dazu beziehen, dass Lukaschenka nicht als Präsident anerkannt ist. Die aktuellen Ereignisse sollten in Europa stärker verbreitet und diskutiert werden. Andererseits sollten auch die Menschen in Belarus mit verlässlichen Informationen zur Situation im eigenen Land unterstützt werden. Dies fördert den Dialog auf Augenhöhe innerhalb der belarussischen Gesellschaft und auf außenpolitischer Ebene.

These 3: 

Die Menschen in Belarus stimmen nicht einseitig für die EU oder Russland. Die Gefahr eines Bürgerkriegs, aber auch eines geostrategischen Konflikts wird wahrgenommen. Es ist davor zu warnen, die Befindlichkeiten Russlands an der Grenze zwischen zwei politischen Systemen zu missachten. Das Handeln der EU kann einen Systemsturz provozieren und existenzgefährdend für die russische Regierung werden. Wir sollten den Protestierenden jede Unterstützung, die von Seiten Europas möglich ist, geben. Doch wir müssen uns bewusst sein, dass dies für die Machthaber in Russland eine eminente Gefahr bedeutet. 

These 4: 

Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und der EU sollten selbst aktiv werden, um das Aufstehen der Zivilgesellschaft in Belarus zu unterstützen. Möglichkeiten sind beispielsweise, sich zu informieren und Informationen zur Situation in Belarus weiterzugeben. Mit Kampagnen kann man die Bundesregierung zum Handeln auffordern. Zivilgesellschaftliche Organisationen können Partnerorganisationen in Belarus unterstützen. Gewaltfreiheit in Belarus muss gefördert werden. Wenn jedoch Gewalt und Verbrechen geschehen, müssen diese für eine spätere Strafverfolgung dokumentiert und öffentlich gemacht werden. 

These 5:

Deeskalation auf europäischer Ebene ist notwendig, um die Gefahr eines Bürgerkriegs abzuwenden. Kluge Politik heißt, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen und dennoch die Zivilgesellschaft weiter zu unterstützen. Dazu gehören auch „intelligente Sanktionen“, die nicht die Bevölkerung, sondern Menschen in politischen und ökonomischen Machtpositionen treffen.

Das Institut für Theologie und Frieden (ithf) ist eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung der Katholischen Kirche in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge. Es strebt die ethische Auseinandersetzung mit Fragen des Friedens und der Friedensgefährdungen an. Die interdisziplinär angelegten Forschungsprojekte des ithf bearbeiten aktuelle Problemstellungen in der politischen und militärischen Praxis sowie angrenzender Wissenschaften (zum Beispiel der Politikwissenschaft und des Völkerrechts) auf der Basis eines christlichen Wertefundaments und aus der Kenntnis der christlichen friedensethischen Tradition.

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