Ein neuer "Traditionserlass" für die Bundeswehr - Fragen zur Moral der Truppe

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29.11.2017, von Joachim Heinz (KNA)

Mit Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht hat sich die Bundeswehr gewandelt: in eine Freiwilligenarmee aus Berufssoldaten. Das ist einer, aber nicht der einzige Grund für den geplanten neuen "Traditionserlass".

Berlin (KNA) Stahlhelme vor einer Kantine, Hakenkreuz-Kritzeleien und Landser-Souvenirs an Kasernenwänden. Dazu die rechtsextremen Umtriebe des im französischen Illkirch-Graffenstaden stationierten Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich monatelang als syrischer Flüchtling ausgab und einen Anschlag geplant haben soll. Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) brachte das vergangene Frühjahr einige ungute Nachrichten.

Die Bundeswehr wiederum kämpfte um ihren Ruf - teilweise gegen die eigene Ministerin, die der Truppe unter anderem ein "Haltungsproblem" und "Führungsschwäche" vorwarf. Kritiker wiederum sahen sich in ihrer Auffassung bestätigt, das Verhältnis einiger Soldaten zur NS-Vergangenheit sei mindestens fragwürdig. Als eine konkrete Maßnahme kündigte von der Leyen an, den "Traditionserlass" der Bundeswehr zu überprüfen. Er soll die Erinnerungskultur innerhalb der Bundeswehr und ihren Umgang mit der Vergangenheit regeln. Nach vier Workshops mit rund 800 Teilnehmern steht nun ein erster Entwurf.

Das neunseitige Papier soll jetzt intern und von Fachleuten diskutiert werden. Es liegt auch dem Bundestag und damit allen Fraktionen vor, obwohl dessen Zustimmung nicht notwendig ist. Das Verteidigungsministerium betont, dass es sich bei dem "transparenten und inklusiven Prozess" nicht um einen Schnellschuss handelt, der ausschließlich durch die jüngsten Skandale ausgelöst wurde.

In seiner bisherigen Fassung stammt der Traditionserlass aus dem Jahr 1982. Seither ist einiges passiert. Das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung, Auslandseinsätze und "tiefgreifende personelle Veränderungen" hin zu einer "Freiwilligenarmee mit steigendem Anteil an Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund" hätten Aufgaben und Bild der Bundeswehr geändert, heißt es im Ministerium: "Diese Aspekte müssen sich im Traditionsverständnis und Selbstverständnis unserer Streitkräfte widerspiegeln."

Wird der Entwurf diesen Ansprüchen gerecht? Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, hält ihn prinzipiell für "eine gute Sache" - mit Einschränkungen im Detail, wie er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag) sagte. So empfiehlt der SPD-Politiker, "noch klarer zu begründen, warum die Wehrmacht nicht traditionsstiftend sein kann". Als "ein bisschen unglücklich" empfinde er es, dass in dem Entwurf NVA und Wehrmacht nebeneinander gestellt werden: "Das passt historisch nicht."

Immerhin wird die Wehrmacht konkret als solche benannt - im bislang geltenden Erlass hieß es lediglich: "In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht." Und weiter: "Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen." Auf ein Kapitel über militärischen Widerstand etwa den vom 20 Juli 1944 wurde verzichtet.

Der Historiker Michael Woffsohn, der selbst an einem der Workshops des Verteidigungsministeriums teilnahm, plädiert dafür, einen Schritt weiterzugehen. "Anders als bei einer Streitkraft, der die allgemeine Wehrpflicht zugrunde liegt, besteht bei einer Berufsarmee strukturell die Gefahr, dass diese ein 'Staat im Staate' wird." Um eben das zu verhindern, sei ein "allgemeiner, von der Politik vorgegebener, aus der gesellschaftlichen Diskussion abgeleiteter Ethik-Kodex" vonnöten: "Dieser muss auch - doch eben nicht nur - die deutsche Militärtradition thematisieren."

Da liegt es nahe, dass sowohl das Katholische Militärbischofsamt als auch das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr die Debatte aufmerksam verfolgen. Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck skizzierte Anfang September Grundlinien aus kirchlicher Sicht. Zur "wichtigsten Tradition der Soldatinnen und Soldaten" gehöre es, "auf die Erhaltung und Förderung des Friedens in Freiheit" verpflichtet zu sein. Das beinhalte zugleich "die klare Absage an jede Form von Ideologie".

Im Januar sollen nach derzeitigem Stand der Dinge die Arbeiten an dem neuen Traditionserlass abgeschlossen sein. Interessant wird sein, ob ihn die geschäftsführende Verteidigungsministerin von der Leyen unterzeichnet. Oder ob sie dies der Nachfolge überlässt.

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Militärbischof Overbeck zu Vertrauen, Gewissen und Tradition in seinem Wort des Bischofs 2017 (PDF, 12 Seiten, 126 kB)

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