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Herausforderungen für die Militärseelsorge

Neuer IThF-Leiter über die Ethik der begrenzten Gewalt

Seit 1. Oktober steht Dr. Christian Nikolaus Braun an der Spitze des Hamburger Instituts für Theologie und Frieden (IThF) und dem Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis). Der Katholischen Militärseelsorge stellte er sich auf der Gesamtkonferenz mit einem Vortrag vor, der seinen Forschungsschwerpunkt umriss: „Zwischen Kriegstüchtigkeit und der ,Grundannahme gegen den Krieg‘: Herausforderungen für die Katholische Militärseelsorge“.

Braun deutete den Begriff „kriegstüchtig“ als Ausdruck einer ernüchternden Realität: Europa müsse wieder mit der Möglichkeit eines Krieges rechnen. Zugleich warnte er vor einer unreflektierten Übernahme des Wortes. Es berühre das Spannungsfeld zwischen notwendiger Wehrhaftigkeit und der christlichen „Grundannahme gegen den Krieg“.

Hier, so Braun, komme der Militärseelsorge besondere Bedeutung zu. Sie begleite Soldatinnen und Soldaten dort, wo Gewissen und Verantwortung konkret werden. Ihre Aufgabe sei nicht, fertige Antworten zu liefern, sondern Orientierung zu geben. „Sie nehmen den Geruch der Schafe an“, zitierte Braun Papst Franziskus, „weil Sie den Soldaten nahe sind – im Alltag, im Einsatz, in Krisen.“


 

Braun stellte in Berlin das Konzept des „Jus ad vim“ vor – eine Ethik der begrenzten Gewalt. Im Unterschied zur klassischen Lehre vom „Jus ad bellum“, die Kriterien für den Beginn eines gerechten Krieges formuliert, beschreibt das „Jus ad vim“ moralische Maßstäbe für Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle, in der sogenannten Grauzone, dem Bereich zwischen Krieg und Frieden.

Diese Grauzone, und damit das „Jus ad vim“, bezieht sich auf Situationen, in denen Staaten mit Cyberangriffen, Sabotage oder Desinformation operieren, ohne den Krieg zu erklären. Das Konzept erlaubt begrenzte, gezielte und verhältnismäßige Gegenmaßnahmen, wenn sie der Friedenssicherung dienen, aber keine Eskalation riskieren. Aber: Jede Handlung müsse daraufhin geprüft werden, ob sie die Grenze zum Krieg überschreiten könnte. Ziel sei kein Sieg, sondern ein „moralisch verkürzter Sieg“, also Schaden begrenzen, Ordnung wiederherstellen und Zeit für Diplomatie gewinnen.

Braun warnte zugleich vor der Gefahr, dass begrenzte Gewalt zur Routine werde. Ständige Gewalt ohne Frieden widerspreche der katholischen Lehre vom gerechten Frieden. Eine Ethik, die Gewalt normalisiere, verliere den Blick auf das Ziel des Friedens. Gerade die Militärseelsorge könne hier Orientierung geben – durch Begleitung, Gewissensbildung und die Erinnerung daran, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.

In der Diskussion ging es den Militärseelsorgenden um die praktische Umsetzung. Ein Teilnehmer fragte, ob das „Jus ad vim“ im Rückblick auf die Krim-Annexion 2014 andere Reaktionen nahegelegt hätte. Braun verwies auf das Dilemma zwischen dem Schutz internationaler Normen und der Bindung an das Völkerrecht: Begrenzte Gewalt könne zwar abschrecken, bleibe aber rechtlich problematisch. „Ethik kann politische Entscheidungen nicht ersetzen“, sagte er, „sie hilft, das moralische Dilemma zu verstehen.“

Ein Teilnehmer nannte das Konzept „deutlich angelsächsisch geprägt“ und für Deutschland schwer übertragbar. Die Bundeswehr handele auf Grundlage der Inneren Führung und des Rechtsstaats, nicht nach einem „amerikanischen Verständnis begrenzter Gewalt“. Ohne politisches Mandat sei jede militärische Reaktion ausgeschlossen. Braun zeigte Verständnis: Das Jus ad vim sei kein Handlungskatalog, sondern ein Denkrahmen – hilfreich, um ethische Fragen zu präzisieren und die Grenzen legitimer Gewalt zu erkennen.

Theo Weisenburger