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Was ist Gerechtigkeit?

Keine leichte Frage. Man kann philosophische, psychologische oder juristische Antworten finden. Und jeder Mensch hat auch ein Gefühl für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Deshalb haben wir Soldaten gefragt, was sie als gerecht / ungerecht empfinden. Unser Militärbischof Franz-Josef Overbeck erklärt, was Gerechtigkeit mit Frieden zu tun hat. 

Den in der Zeitschrift „Kompass. Soldat in Welt und Kirche“ angekündigten Kommentar zum Thema Gerechtigkeit veröffentlichen wir aufgrund seiner Überlänge auf dieser Seite nicht. Sie können ihn aber im „Kompass“ lesen.

Flottillenarzt Leonard Lütjens

Was fanden Sie zuletzt ungerecht?

Zuletzt fand ich ungerecht, wie unter den „entwickelten“ Ländern um COVID-Impfstoff gefeilscht, gezetert und geklagt wird, während in ärmeren Regionen der Welt kaum etwas ankommt, obwohl dort die gesundheitliche Versorgung deutlich schlechter ist.

Zuletzt fand ich ungerecht, dass ein Kamerad von mir aufgrund seines ausländisch klingenden Nachnamens von einer Telefonhotline nicht ernst genommen wurde (kaum ging ich ans Telefon, konnte sein Problem fix gelöst werden). 

Was fanden Sie zuletzt gerecht?

Zuletzt fand ich gerecht, dass der Polizist, der George Floyd getötet hatte, deshalb auch verurteilt wurde. Zuletzt fand ich gerecht, dass meine Nachbarn, die auf einer Intensivstation arbeiten, jetzt eine Gehaltserhöhung bekommen.

Was ist Gerechtigkeit für Sie?

Gerechtigkeit ist für mich, wenn Gutes mit Gutem und Schlechtes mit Schlechtem vergütet wird. Gerechtigkeit fühlt sich für mich nach einer Genugtuung an, ein im Gewissen wärmendes Gefühl. Neben der reinen Gerechtigkeit ist aber meiner Meinung nach auch Milde und Vergeben wichtig, um ein würdiges Miteinander in Nächstenliebe führen zu können.

Fregattenkapitän Dirk Müller

Was bedeutet Gerechtigkeit für Sie?

Ich persönlich empfinde Regelungen oder Entscheidungen immer dann als gerecht, wenn sie logisch nachvollziehbar sind und durch ihre Begründung und Umsetzung nicht den Eindruck von Willkürlichkeit erwecken. 

Gerechtigkeit heißt aus meiner Sicht nicht, es allen recht zu machen und auch nicht, immer allen gleichzeitig das Gleiche zu geben. Vielmehr geht es darum, klare, nachvollziehbare und für alle Betroffenen gleiche Entscheidungsgrundlagen zu nutzen. Leider hapert es hier aber oft schon an Klarheit und Nachvollziehbarkeit, was dann bei den Betroffenen schnell zu Vertrauensverlust und einer Art Ohnmachtsgefühl führen kann. Besonders im dienstlichen Bereich hat Gerechtigkeit daher für mich viel mit guter Kommunikation zu tun.

Ein deutliches Beispiel sind hier die nachträglichen Änderungen bei der Corona-Impfreihenfolge: Warum wurde z. B. plötzlich Kita- und Schulpersonal priorisiert, während gut eine Million Angehörige der Freiwilligen Feuerwehren weiter täglich schutzlos ihre Gesundheit für die Sicherheit der Bevölkerung riskieren müssen? Und das, obwohl sie den gleichen Risiken unterliegen wie die Kameraden der Berufsfeuerwehren, die aber einer höheren Priorisierungsgruppe angehören. Es mag ja triftige Gründe gegeben haben, aber sinnvoll kommuniziert wurden sie nicht, was letztlich bei vielen Feuerwehrangehörigen zu Wut und einem Gefühl mangelnder Wertschätzung geführt hat.

Was haben Gerechtigkeit und Frieden miteinander zu tun?

Von Franz-Josef Overbeck, Katholischer Militärbischof
Auszug aus der Predigt zur 61. Internationalen Soldatenwallfahrt in Lourdes am 18. Mai 2019

Wir Deutschen Bischöfe haben vor Zeiten in der Schrift vom „Gerechten Frieden“ beschrieben, wie wichtig es ist, sich konkret den Aufgaben zu stellen, die Menschen vor den Bedrohungen des Friedens schützen. Dabei sind wir bleibend provoziert vom Gewaltlosigkeitsprinzip Jesu, der sich in einem radikalen Sinn der Gewalt anderer ausgesetzt hat, um Frieden für uns zu schaffen. In den konkreten Alltagsbezügen unseres Lebens wissen wir sehr wohl, dass wir aus diesen Spannungsbögen und paradoxalen Bestimmungen, die zur Grundlage des Christseins gehören, nicht herauskommen. Denn in der engen Verbindung von Frieden mit der Gerechtigkeit kann eine Friedensordnung nur dort verwirklicht werden, wo es ein gerechtes Recht gibt. Die Prophezeiung Jesajas ist dabei bleibende Mahnung und Richtschnur: „Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17).

Selbst wenn Friede als Vertragszustand aufgefasst wird, bleiben die Herausforderungen deutlich erkennbar: Es kommt sehr auf die Ausarbeitung und politische Umsetzung eines gerechten Friedens an. Diese Perspektive ist von bleibender Bedeutung. Ein positiver Friedensbegriff stellt sich den politischen Aufgaben der Kriegsursachenbekämpfung an vorderster Stelle, weiß aber auch um ein umfassendes Konzept von Friedensförderung und sieht gerade den Dienst der Soldatinnen und Soldaten in ein solches umfassendes Konzept der Friedensförderung und -sicherung eingebunden.

Darum ist Gewaltanwendung im Dienst der Friedenssicherung und Friedensförderung immer ein Fall der ultima ratio, wenn alle politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht-militärischer Konfliktbearbeitung und friedlicher Streitbeilegung versagt haben. Die Strukturen, die wir dabei aufbauen, um den Frieden zu sichern, werden sich auf Dauer allerdings immer mehr daran messen müssen, ob sie eben eine sozial gerechte, d. h. menschenrechtsgemäße und ökologisch verträgliche Ordnung herbeiführen, verbunden mit guten Lebensbedingungen für viele, vor allem für Arme und die unter Ungerechtigkeit und Gewalt leidende Bevölkerung.

Friedensrelevant bleibt für heute außerdem wesentlich der zukünftig immer wichtigere Dialog der Weltkulturen und Weltreligionen auf der Suche nach einem Minimalkonsens über ein Weltethos, das dem Wohl aller Menschen zugutekommt. In unserer christlichen Tradition ist dabei das Ethos der Menschenrechte und des auf diesen gegründeten Konsenses über die Würde des Menschen und die Bedingungen, diese zu leben, leitend. Das II. Vatikanische Konzil fasst diese Einsicht in der sehr einfachen Bemerkung zusammen, in allen sei immer wieder eine neue Friedensgesinnung zu wecken (vgl. Vat. II, GS 82). Weil Frieden mehr ist als eine bloße Gesinnung und auf einer zwischenmenschlichen Ebene genauso möglich ist wie auf einer strukturell gesellschaftlichen, bleibt es bedeutsam, dass dieses Sollen, sich dem Frieden unbedingt zu verpflichten, ein zugrundeliegendes Können und Wollen braucht, einen solchen Frieden auch zu leben.

Aus alledem ergibt sich, dass Frieden, den wir suchen und als eine Gabe Gottes und zugleich als eine Aufgabe des Menschen begreifen, eine Grundvoraussetzung braucht. Jedes Friedenshandeln braucht ein ungeteiltes, aus Erfahrung gewonnenes Vertrauen. Dieses Vertrauen ist ein Vertrauen auf die Menschen und zugleich ein Vertrauen auf die friedensstiftende Macht Gottes, von der aus wir Christen uns verstehen (vgl. 2 Kor 13,11). Als Gabe Gottes ist der Friede Aufgabe des Menschen. Sich unter solchen Voraussetzungen den Konflikten zu stellen, braucht eine in gelingenden Beziehungen gewonnene Ich-Stärke, aber zugleich auch ein Vertrauen in ein gelingendes Miteinander von sozialen, politischen und sonstigen Beziehungen. Friedfertigkeit hat mit Handeln und einem sich ganz Zurücknehmen zu tun, braucht Gespräch, geduldige Kommunikation und langen Atem, der niemals von dem erhofften Ziel, nämlich den Frieden zu suchen und ihm „nachzujagen“ (Psalm 34,15), ablässt.

Wenn solches für den Frieden gilt, dann hat das vielfältige Folgen für die Wahrnehmung unseres eigenen Selbst und der Arbeit an unserer eigenen Persönlichkeit, damit sie reift und vollkommener wird, wo sie gespalten, unversöhnt und möglicherweise auf zerstörerische Weise aggressiv und traumatisiert ist. Gleiches gilt aber auch für unser soziales Miteinander auf allen Ebenen, den privaten wie den öffentlichen. Hier braucht es das Vertrauen darauf, dass Frieden zu stiften, für Versöhnung einzutreten, ein Ausgleich der Interessen auf der Basis von Gerechtigkeit zu erwirken, zu einem Lebenshaus führt, das Bestand hat, auch wenn die Stürme des Alltags darüber hinwegfegen (vgl. Mt 7,24–25). Hier wird der Bogen zur Bergpredigt geschlagen, die mit den Seligpreisungen beginnt und mit dem Hinweis Jesu auf das Lebenshaus des Menschen endet, der sich diesen Weisungen Gottes, nämlich seinem Schutz und seiner Heilszusage zu trauen, aussetzt. Schließlich steckt dahinter auch eine Einladung an unsere persönliche Gewissenserforschung und an die Frage, wie wir mit dem innersten Kern unseres eigenen Daseins, gerade auch angesichts der Herausforderungen unserer Welt, in Kontakt kommen, um auf dem Weg der Gerechtigkeit und der Maßgabe des Rechts für immer größeren Frieden zu sorgen.

Wenn auch schon vor Zeiten formuliert, so haben wir Deutschen Bischöfe doch zu Recht von den „Soldaten als Dienern des Friedens“ gesprochen, um die Stellung und Aufgabe der Bundeswehr in unserer Gesellschaft zu beschreiben (vgl. Die Deutschen Bischöfe, Nr. 82, Soldaten als Diener des Friedens. Erklärung zur Stellung und Aufgabe der Bundeswehr, vom 29.11.2005). Bis hin in den Lebenskundlichen Unterricht ist dies auch für uns in der Militärseelsorge Maßstab aller ethischen Reflexion und zugleich Motivation für die Seelsorge an und mit den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien, um Menschen zu helfen, gestärkt durch einen inneren friedvollen Kern, sich unbedingt und in allem über den Weg der Gerechtigkeit für den Frieden einzusetzen.

Dabei bleibt es, konkret gesprochen, bei der Aufgabe der beständigen lebendigen Weiterentwicklung des Konzepts der Inneren Führung als eine der entscheidenden Voraussetzungen für die friedensethische Legitimität der Streitkräfte. Denn ohne ein darin verankertes Ethos des Respekts vor den Menschenrechten, der Fairness, der Toleranz und der Loyalität gegenüber demokratischen Entscheidungen, werden Soldatinnen und Soldaten auf Dauer kein verlässliches, moralisch verantwortetes Entscheidungsverhalten entwickeln, und zwar bis in die Gewissensentscheidungen hinein, selbst angesichts eines möglichen irrenden Gewissens (vgl. ebd. S. 7).

Vergessen wir schließlich nicht, […], dass der Friede immer auch Frucht des betenden Menschen ist, der tut, was er kann und sich in allem auf Gott verlässt. Lourdes als Ort der Internationalen Soldatenwallfahrt mahnt und erinnert uns nicht nur an die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hier bereits gemeinsam im Gebet versammelten Deutschen und Franzosen, sondern daran, dass der wahrhaft betende Mensch der Mensch des Friedens ist, der, wenn er sich an Christus hält, weiß, woran die Jünger den Auferstandenen erkennen. Daran nämlich, dass er ihnen den Frieden zusagt (vgl. Joh 20,19; vgl. Lk 24,36). Genau das ist der Friede, um den es geht. Einer, der Menschen zusammenführt, der ihnen die Augen öffnet für die neuen Wirklichkeiten, von denen wir nicht nur im Glauben überzeugt sind, sondern sie allen Menschen wünschen und erbitten. Es geht darum, die Welt mit den Augen des Friedens, der Versöhnung und der Gerechtigkeit zu sehen, eben im Licht des gerechten Friedens (vgl. Die Deutschen Bischöfe, Nr. 66, Gerechter Friede, vom 27.9.2000).



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