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Von Uniformen, Selfies, Regen und Rollstühlen

Seit es die Bundeswehr gibt, haben über 100.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten an der Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes teilgenommen. Eine kurze Geschichte über den Soldaten Philip Adams und seine Erlebnisse bei der Wallfahrt.

Philip Adams und seine Kameraden laden in ihr Zugabteil ein und machen Platz. Sie haben sich für eine lange Fahrt eingerichtet und verstauen noch schnell die Seesäcke. Stabsunteroffizier Adams lächelt, wirkt ruhig, doch nicht schüchtern und hellwach, wie einer, der seine Mitmenschen mag. Unvoreingenommen hat er sich schon im letzten Jahr auf diese Pilgerreise eingelassen, obwohl er sich nicht als religiösen Menschen bezeichnen würde. „Man kommt hier den Leuten näher, obwohl man sie gar nicht kennt“, wird er drei Tage später sagen.

Im Mai 2019 fährt er zum zweiten Mal mit anderen Kameraden aus Husum und dem dortigen Militärpfarrer zur Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes, zu der die Katholische Militärseelsorge jedes Jahr einlädt. „Die Zugfahrt hat mir gefallen“, sagt er über seine erste Reise. Dort stellte sich das „Grundausbildungsgefühl“, so eine wachsende Kameradschaft, ein. „Man lernt halt hier andere Leute kennen“, sagt er. Auch seine Kameraden im Abteil freuen sich auf die Soldatenwallfahrt. 

Zugfahrten und innere Wege

In einem von zwei Sonderzügen machen sie sich von Hamburg über 2.000 Kilometer in die Kleinstadt Lourdes in Südfrankreich auf den Weg. Insgesamt sind 800 Teilnehmern von verschiedenen Bundeswehr-Standorten aus Deutschland zu dem Marienwallfahrtsort am Rand der Pyrenäen unterwegs. Die vorüberziehenden Landschaften vom Rheintal bis zum Mittelmeer und bis zu den Pyrenäen bringen die Soldatinnen und Soldaten auch auf einen inneren Weg der Begegnung mit anderen Menschen, mit kranken Soldatinnen und Soldaten, die auch zur Wallfahrt kommen, mit sich selbst und dem eigenen täglichen Dienst.

Die lange Anreise ist eine Vorbereitung auf die Ereignisse in Lourdes. Dort treffen sich an diesem Mai-Wochenende insgesamt 12.000 Soldatinnen und Soldaten aus über 40 Ländern der Erde. Auf den Straßen der Kleinstadt ist es jetzt noch bunter als sonst: Soldaten in grünen, blauen, sandfarbenen Flecktarnanzügen, mit Paradeuniformen und Dienstanzügen, mit Hüten und Helmen, Federschmuck und Handschuhen. Auch die Schweizer Gardisten sind da und lassen geduldig Selfies mit sich machen. 

Der Soldat Philip Adams hat nicht nur seine eigene Uniform dabei, sondern auch eine dunkelblaue Schirmmütze der Luftwaffe, die er selbst vor der Wallfahrt erworben hat, und weitere Patches und Abzeichen für die Uniform. Er will sie mit anderen Pilgern tauschen, wie das bei der Soldatenwallfahrt üblich ist. An seiner Uniform trägt er schon zwei Patches der kroatischen und italienischen Armee. Klar ist: er wird viel mehr mitnehmen als Patches oder Mützen.

Zelte und Hotels

Da ist zum Beispiel das internationale Zeltlager auf dem Mont des Béatitudes. Auf dieser Anhöhe oberhalb der heiligen Stätten übernachten die Soldatinnen und Soldaten der europäischen Länder in Zelten. Wie kleine Häuschen in einer Stadt stehen sie grün-braun an den Wegen nebeneinander aufgereiht unter den Bäumen des Berghangs. Ein Vorauskommando der Bundeswehr hat sie zwei Wochen vor der Wallfahrt aufgebaut. 

Stabsunteroffizier Adams und seine Kameraden wollten lieber im Zeltlager statt im Hotel übernachten, um mehr Leute zu treffen, wie sie sagen. Dauerregen hat die Kameradschaft in diesem Jahr auf die Probe gestellt. Nachdem sie ihre Jacken und Feldblusen auf den Leinen im Zelt zum Trocknen aufgehängt haben, wirken die Kameraden aus Husum dennoch erholt und gut gelaunt. Der Regen kann der Wallfahrt nichts anhaben.

Wachsoldaten am Eingang schützen das Zeltlager als einen privaten Bereich der Soldatinnen und Soldaten. Es ist ein Rückzugsort in der Natur, etwa 20 Minuten dauert der Fußweg hinunter in die Stadt und in den Heiligen Bezirk. 

Dort sind die Straßen voll mit Touristen und Pilgern. In den engen Lädchen im Erdgeschoss der Hotels kaufen sie Kerzen, Marienfiguren, Rosenkränze, Kreuze oder Kanister für das Wasser aus der Quelle. Lourdes ist ein Marienwallfahrtsort. Auf weniger als 14.000 Einwohner (Zahl aus dem Jahr 2016) kommen jährlich schätzungsweise sechs Millionen Touristen. Die meisten sind Pilger zur Grotte Massabielle.

Wasser und Wunder

Unter den Steinfelsen der Grotte am Fluss Gave de Pau, die Mitte des 19. Jahrhunderts als Müllhalde dienten, soll im Jahr 1858 dem Mädchen Bernadette Soubirous die Gottesmutter Maria erschienen sein und den Auftrag gegeben haben, dort eine Kirche zu bauen. Dem Wasser der Quelle, die in der Grotte sprudelt, wird Heilkraft zugesprochen. Tatsächlich zählt ein internationales Ärztekommitee bisher 70 medizinisch unerklärbare Heilungen von Krankheiten an diesem Ort. 

Seitdem ist Lourdes ein Wallfahrtsort der Kranken. In Rollstühlen werden sie von Ehrenamtlichen zu den Gottesdiensten, an die Grotte und wieder zurück in die Krankenhäuser gebracht. Kranke und ihre Helfer haben in Lourdes Vorfahrt, bei Veranstaltungen sind ihnen stets die vordersten Plätze reserviert. 

Das hat auch Stabsunteroffizier Adams wahrgenommen, er wollte sich schon im letzten Jahr für die Kranken engagieren. In diesem Jahr hat es geklappt und so begleitete er zusammen mit einem Kameraden eine kranke Bundeswehr-Angehörige in ihrem Rollstuhl zur internationalen Eröffnungsfeier und wieder zurück. „Einmal Kranke schieben gehört irgendwie dazu“, findet eine Soldatin im Zeltlager. Und tatsächlich erklären sich einige Bundeswehr-Soldaten bereit, bei verschiedenen Veranstaltungen während der Wallfahrt diesen Dienst zu übernehmen. 

Dabei glaubt Stabsunteroffizier Adams nicht an Wunder. Im letzten Jahr hat er eine Wasserprobe aus Lourdes mitgenommen und analysiert. Denn er wollte wissen, ob im Lourdes-Wasser „irgendwas drin ist, womit man die Wunder erklären kann“.

Als gelernter Anlagenmechaniker ist er bei der Bundeswehr für Wasseraufbereitung zuständig. An seinem Heimatstandort in Husum kümmert er sich um Wartung und Instandsetzung von Wasseraufbereitungsanlagen, die in den Einsatzgebieten der Bundeswehr gebraucht werden. Stabsunteroffizier Adams weiß also, was im Wasser drin sein sollte und was nicht. Die Probe wies jedoch keinerlei chemische Besonderheiten auf. Aus der Quelle an der Grotte Massabielle sprudelt ganz normales Trinkwasser.

Enttäuscht hat ihn das nicht, er ist wieder nach Lourdes gekommen. Es scheint ihm etwas anderes an diesem Ort wichtig zu sein. 

Leben und Glück

Während der Soldatenwallfahrt war er mit einem seiner Kameraden in einem spanischsprachigen Gottesdienst, weil er wissen wollte, wie die spanischen Soldaten Gottesdienst feiern. In der Nähe bemerkte er eine Familie mit einem Kind im Kinderwagen. Das Kind hatte „einen Schlauch am Hals, doch es spielte mit seinen Spielsachen und war glücklich“, erzählt er. „Da habe ich nachgefragt, was das Kind hat, habe es auf Englisch versucht. Und die Eltern haben geantwortet, dass das Mädchen schwer krank ist und nur noch wenige Jahre zu leben hat.“ Seine Erzählung klingt vorsichtig und achtsam, mitfühlend, doch ohne Berührungsangst. „Aber das Kind war glücklich, es war nicht traurig“, betont er nochmals. Es macht ihn froh, dass es so ist. 

Warum ist er nach Lourdes gefahren? – „Ich bin zu dem Gottesdienst auch hingegangen, weil er für die Kranken war. Die haben in ihrem Leben vieles erlebt. Deshalb bin ich aus Respekt hingegangen. Das stärkt vielleicht ihre Hoffnung, gesund zu werden“. Adams glaubt nicht an Wunder, doch er weiß: „die Leute tanken hier Kraft."

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