Direkt zur Hauptnavigation springen Direkt zum Inhalt springen Jump to sub navigation

Verantwortlich für sein Gewissen

Hans und Sophie Scholl mussten sich fragen, ob es ethisch gerechtfertigt sei, zum Widerstand aufzurufen. Sie und die anderen Mitglieder der „Weißen Rose“, der anderen Widerstandsgruppen gegen das Nazi-Regime fochten diesen inneren Kampf mit sich aus. Wirkt dieses Verhalten, ihre Begründung auch heute noch?

Von Norbert Stäblein


München, 15. Juli 2019. Die plötzliche Stille nach dem Finale Furioso der Kammeroper „Weiße Rose“ ist kaum auszuhalten. Wie gelähmt sitzen die Zuschauer auf ihren Plätzen und warten auf eine erlösende Geste des Dirigenten, der Musiker oder der Sänger. Sekunden werden zu einer gefühlten Ewigkeit. In der ersten Reihe sitzt Militärbischof Franz-Josef Overbeck und fühlt mit. Und dann traut sich jemand, beginnt langsam in die Hände zu klatschen. Als wäre es das Signal gewesen kommen immer mehr dazu und dann ist es ein tosender Applaus. Dirigent, Musiker und Sänger lösen sich aus der Starre. So geschehen in der Aula der Hochschule für Philosophie in München. Die Kammeroper war Abschluss der Podiumsdiskussion „Weiße Rose: Ethik des Widerstands gestern und heute“, organisiert vom Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) mit Kooperationspartnern.


Widerstand damals wirkt noch heute

Kurz vor dem 75. Jahrestag des Widerstands gegen das Nazi-Regime ging es unter anderem um die Frage, wie die Haltung der Angehörigen des Widerstandes von 1944 die Einstellung der Bürger heute beeinflussen könnte. Bischof Overbeck hatte die Zuschauer schon mit seiner Einführung aufgerüttelt. Ethik des Widerstandes beinhalte die Fragen: „Ist es richtig, den Gewaltherrscher, der auf unmenschlichste Weise regiert, zu töten, dabei aber gegen das sogenannte Tötungsverbot zu verstoßen? … Nicht handeln und damit das eigene Gewissen stumm schalten?“. Overbeck gab dazu Impulse, nach welchen Werten und mit welchen Kriterien diese Fragen von jedem Einzelnen zu bedenken seien. Er nahm dabei immer wieder Bezug zu allen Widerstandsgruppen, militärisch, zivil, kirchlich.


Soldaten hinterfragen dauernd ihr Gewissen

Für die zuhörenden Soldatinnen und Soldaten wurde es besonders ernst, als ihr Militärbischof mahnte: „Die prominente Stellung , die man dem Gewissen der Soldatinnen und Soldaten einräumt, geht allerdings einher mit der (lebenslangen) Pflicht zur Gewissensbildung: Man muss sich nicht nur vor seinem Gewissen verantworten, sondern ist auch verantwortlich für sein Gewissen“. Die Militärseelsorge liefert hierzu ethisches Rüstzeug für den Lebenskundlichen Unterricht, dessen Besuch jedem Soldaten zusteht.


Ethische Standpunkte auf dem Podium

Da es eine Gemeinschaftsveranstaltung war, trafen auf dem Podium Ethiker unterschiedlicher Richtung zusammen. Die rund 200 Gäste folgten ihnen aufmerksam, als sie ihre Sicht zur ethischen Verantwortung offenlegten. Ulrich Schlie von der Universität aus Budapest eröffnete mit einem Gegenwartsbezug: „Bei der Entstehung des Traditionserlasses der Bundeswehr war es schwer, den 20. Juli 1944 in einem Satz mit einzubeziehen“, zeigte er die Wechselwirkung Geschichte und Gegenwart auf. Markus Vogt von der Ludwig-Maximilians-Universität sinnierte, dass „Widerstand die Verpflichtung des Gewissens unter Inkaufnahme von persönlichen Nachteilen“ sei. Kritisch äußerte sich Barbara Schellhammer von der Hochschule für Philosophie. Sie gab zu bedenken, dass „Ethik kennen nicht heißt, in konkreter Situation auch ethisch zu handeln“.


Militärbischof und das Menschliche der Ethik

Bildung, Denken, Herz fänden ihre Schnittmenge im Gewissen, stellte der Militärbischof als eine Möglichkeit, Ethik zu erfassen, vor. „Die Universität sollte den Raum bieten, Denken und Herz zusammenzubringen“, richtete er das Wort an die akademischen Vertreter und Institutionen. Vogt erweiterte diese Anregung: „Wie geht die Kirche mit Widerstandsbildung um?“, fragte er, um gleich zu ergänzen: „Die ‚Weiße Rose‘ wäre eine schöne Gelegenheit für eine ökumenische Erinnerungskultur; die ‚Weiße Rose‘ war interkonfessionell“, begründete er dies und erhielt prompt Applaus. Angesichts derartig unterschiedlicher Aspekte war die Podiumszeit schnell vergangen. 

Viele Fragen blieben offen

In der Umbaupause rissen die Unterhaltungen zwischen den Gästen und mit den Vortragenden nicht ab. Auch Kritik kam auf. „Auf dem Podium ist jeder zu sehr in seinem eigenen Fachgebiet verblieben“, bedauerte ein junger Offizier. „Niemand hat sich auf das Fach des anderen gewagt“. Das machte klar, dass das Thema und die Komplexität sensibilisiert hatten. Auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte wurde in der Pause angesprochen. Im Dienstalltag ist sie allgegenwärtig, und deshalb „ist die Auseinandersetzung mit dem Widerstand positiv. Allerdings waren hier nur geladene Gäste; wo bleiben die Multiplikatoren? Warum wurde nur theoretisiert, warum wurde nicht angesprochen, was von den Thesen umgesetzt werden kann?“, fragte sich Stabsarzt Lukas Somfleth. Er kann sich vorstellen, dass junge Offiziere verstärkt interkulturell fortgebildet werden. Für ihn ist im Sanitätsdienst der Bundeswehr der Wille erkennbar, so wie es auch der Militärbischof schon angesprochen hatte, die Deutungshoheit über den Widerstand nicht den Rechten zu überlassen. Ein Standpunkt, der eindrucksvoll die Wirkung des Themas Ethik des Widerstandes zeigte.

Die Veranstalter von „Weiße Rose: Ethik des Widerstands gestern und heute“: Katholische Militärseelsorge mit dem Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis), Hochschule für Philosophie München (HfPh), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw), Weiße Rose Stiftung e.V. und Stiftung Kulturelle Erneuerung.

Auf dem Podium:
Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Prof. Dr. Johannes Wallacher, Präsident HfPh, Prof. Dr. Markus Vogt, LMU, Prof. Ulrich Schlie, Andrassy-Universität Budapest, PD Dr. Barbara Schellhammer, HfPh, Bertold Goerdeler, Stiftung Ethos und Logos München.

 

   

Eröffnungsvortrag von Militärbischof Franz-Josef Overbeck

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Keine Kommentare

"Mein Finger an der Waffe krümmt sich als letztes"

05.07.2019. Am Jahrestag des militärischen Widerstands, am 20. Juli, legen traditionell hunderte Rekrutinnen und Rekruten ihr Gelöbnis ab. Was Gewissen und Gelöbnis auch heute miteinander zu tun haben, haben wir den Katholischen Militärpfarrer Jörg Plümper aus Bad Reichenhall gefragt.

Was ist das Gewissen?

17.07.2019. Jeder Mensch hat es. Die Soldaten des militärischen Widerstands haben sich darauf berufen. Ein paar Tipps, um dem eigenen Gewissen auf die Spur zu kommen. Von Militärdekan Michael Kühn.

Buchtipps zum militärischen Widerstand

11.07.2019. Sie wollten das unsägliche Blutvergießen und das Unrecht des Naziregimes beenden. Als Soldaten waren sie dem Wohl ihres Landes verpflichtet und hatten Pläne für ein neues Deutschland. Doch sie wurden selbst Opfer der Nazis - und Vorbilder für die Freiheit des Gewissens. Unsere Buchtipps zum 75. Jahrestag des 20. Juli 1944.

Was bedeutet eigentlich Gewissen?