Militärseelsorge und die Kirche von morgen

Berlin, 26.04.2021. Franz-Josef Overbeck ist seit zehn Jahren Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr. Am 6. Mai 2011 wurde er in Berlin in sein Amt eingeführt und ist seitdem verantwortlich für die katholische Seelsorge in der Bundeswehr. Doch der Bedarf an Seelsorge hat sich verändert.

Die Fragen stellten Barbara Dreiling und Friederike Frücht.

Was haben Sie in der Katholischen Militärseelsorge gelernt?

Die katholische Militärseelsorge ist bei den Soldatinnen wie Soldaten und ihren Familien und den Menschen, mit denen sie leben, auf vielen Ebenen präsent. Das betrifft die Begleitung in den Einsätzen, wie auch den konkreten Alltag in Deutschland. Das zeigt sich beim Lebenskundlichen Unterricht und in den vielen Seelsorgegesprächen, wie auch bei Begleitungen in Lebens- und Glaubensfragen. Hinzu kommen die Familienseelsorge und die vielfachen Bezüge zu den alltäglichen Lebenssituationen und Herausforderungen aller in der Bundeswehr.

Besonders deutlich werden die Überzeugungen und Haltungen der Soldatinnen und Soldaten, wenn es darum geht, in ihrem Engagement für die Werte des Grundgesetzes und ihre soldatischen Verpflichtungen einzustehen, d. h. immer konkret lokal und global zu denken und zu handeln, wie es an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und im alltäglichen Dienst an den Standorten in Deutschland abzulesen ist. 

Die Militärseelsorge ist im besten Sinne ein besonderer Bereich der Seelsorge, in dem wir als katholische Kirche in einer hochkomplexen und vernetzten Welt mit unseren Glaubensüberzeugungen und Haltungen präsent sind und vielfache Unterstützung anbieten.

Warum ist Militärseelsorge ein „Brennglas“ für zivile Seelsorge? Was meinen Sie mit dem Begriff?

In der Militärseelsorge haben wir es, anders als in den Zeiten der Gründung der Bundeswehr, heute bei ca. 50 % der Soldatinnen und Soldaten mit Getauften zu tun. Bei diesen sind sehr unterschiedliche Kirchenbindungen festzustellen. Das hat Folgen für die Seelsorge, gerade auch im Blick auf die andere Hälfte der Soldatinnen und Soldaten, die zu einem kleinen Teil anderen Glaubens sind und unterschiedlichen Religionsgemeinschaften angehören, sich aber in ihrer großen Mehrheit öffentlich zu keiner Religion und keiner Glaubensgemeinschaft bekennen.

Für die Seelsorge bedeutet dies, einen wachen Blick auf die Situation der Glaubenden zu werfen, die sich in einer fragenden und sie befragenden Welt zu bewähren haben. Deutlich wird, dass darin die Beziehungsfähigkeit der Priester wie Pastoralreferenten und –referentinnen in der Seelsorge eine ganz große Rolle spielt. In den Auslandseinsätzen wird dies besonders klar. Im Alltag sehen wir zudem, dass es schwieriger wird und oft gar nicht mehr möglich ist, regelmäßig miteinander die Hl. Messe zu feiern und Gottesdienste zu halten. Das Interesse daran ist eher gering, gerade bei einer Berufsarmee unter heutigen Bedingungen, in der alles i. d. R. während der Woche stattfinden muss. In den Auslandseinsätzen spielt der Gottesdienst jedoch eine viel größere Rolle und führt, ähnlich wie die Soldatenwallfahrt nach Lourdes, auch hin und wieder zu der Bitte um Taufe und Firmung. 

Als Bischof von Essen sehe ich ähnliche Entwicklungen im kirchlichen Leben unserer Diözese. Die Suche nach Begegnung und Begleitung ist groß, nach glaubwürdigen Menschen, die kompetent in wichtigen Lebensfragen Perspektiven des Glaubens eröffnen, Antworten geben und ihre eigene Überzeugung glaubwürdig darstellen. Die Beteiligung an den Gottesdiensten wird hier ebenso geringer. Die Verbindung zwischen dem persönlichen gläubigen Leben mit den normalen Alltagsvollzügen braucht Kraft und eigene persönliche Überzeugung, um gestaltet zu werden - und das mitten in einer oft sehr säkularen Welt.

Schließlich sind gerade die Auslandseinsätze der Soldatinnen und Soldaten eine große Belastung, weil sie wesentliche existenzielle Fragen des Lebens bis hin zur Möglichkeit von Verwundung oder Tod stellen. Hier zeigt sich, was auch im normalen Alltag, wenn öfter auch verdeckt, Menschen immer wieder zutiefst bewegt, nämlich die großen Fragen des Lebens. Genau auf diese Weise ist die Militärseelsorge ein Brennglas für die Seelsorge im normalen Alltag unserer Gemeinden, Pfarreien und der Kirche vor Ort. Sie zeigt im Kleinen, was im Großen ebenso relevant ist und geschieht: Es geht um Glauben im Leben!

Welchen Stellenwert haben Sakramente in der Militärseelsorge? 

Für das Ethos eines Menschen und die ethische Gestaltung seines Alltags braucht es ein Fundament. Wir in der Katholischen Militärseelsorge stehen für ein Fundament, das uns aus unserem Glauben und aus dem Leben mit der Kirche erwächst. Hier zeigt sich die Bedeutung der Kirche für den Glauben im Alltag und der Sakramente als Zeichen der Nähe Gottes und der Stärkung in oft schwierigen Lebenssituationen. Die Seelsorge lebt dabei vom Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten. In diesem Vertrauen kann erfahren werden, was Gott selber für uns will, wenn er sich uns in den Sakramenten, im Gottesdienst und in vielen Alltagssituationen zeigt und schenkt. Hinweis darauf ist die Entscheidung einiger, sich taufen zu lassen und so ein Bekenntnis öffentlich zu machen, worauf zu setzen sich lohnt und was im Leben wie im Sterben, am Lebensanfang und am Lebensende zählt. Schließlich denke ich dabei an so manche Trauerfeier für Gefallene oder im Dienst gestorbene Soldatinnen und Soldaten, aber auch an wichtige Formen von Begleitungen, die zu einem Segen für diejenigen werden, die sie erfahren. Hier wird in kleinen Ansätzen deutlich, dass Glaube, um sich auf Dauer zu bewähren, den erwachsenen Menschen braucht. In der Bundeswehr sind es eben Erwachsene, die nach dem Glauben fragen, nach Gott suchen und das Vertrauen anderer auf Gott erfahren wie erleben – und sich so als Befragte erleben.

In der Militärseelsorge muss viel improvisiert werden, besonders in den Einsatzgebieten. Brauchen wir noch Kirchengebäude, liturgische Gegenstände? Was ist notwendig für die Seelsorge?

Wo immer die Kirche lebt, tut sie dies wesentlich auch durch Gottesdienst und Gebet. Dieses Beten kann improvisiert und frei gestaltet sein. Aber Gebet stärkt wesentlich durch eine klare Struktur, durch eine damit verbundene Kultur und so durch die Verbindung mit den Anfängen und der Geschichte unseres Glaubens durch die Jahrhunderte. So zeigen auch Kirchengebäude, wie wichtig es ist, dass Menschen sich sammeln können, Gemeinschaft erfahren und Orte des Rückzugs, der Einkehr und der Stille erleben, also einen festen Anlaufpunkt als Mittelpunkt einer Gemeinde und Gemeinschaft von Glaubenden kennenlernen.

Gleiches gilt auch für die Gottesdienste mit ihren Zeichen und Symbolen, die deutlich machen, dass es um Gott geht, weil hinter allen diesen Zeichen etc. ein hoher geistlicher, also spiritueller Wert steckt. Vor allem sind diese Zeichen wichtig als Erkennungszeichen und Wiedererkennungsmerkmale für alle Glaubenden und zur Gemeinschaft der Kirche Gehörenden. Seelsorge lebt u. a. von diesen zeichenhaften Akten und von Symbolen, wie z. B. dem Kreuz oder dem Rosenkranz als Zeichen von Trost, der weitergegeben und weitergeschenkt werden soll.

Können Sie sich noch erinnern, was Sie über die Militärseelsorge gedacht und gewusst haben, bevor Sie Militärbischof wurden? Wie haben sich Ihre Erwartungen erfüllt? Was möchten Sie nicht missen, das es in der Militärseelsorge gibt?

Durch den Kontakt mit verschiedenen Soldatinnen und Soldaten wusste ich natürlich von der Katholischen Militärseelsorge, ebenso auch durch meine Bekanntschaft mit Priestern und Pastoralreferenten, die in der Militärseelsorge tätig waren. Schließlich wusste ich natürlich über die Deutsche Bischofskonferenz, dass es einen Katholischen Militärbischof gibt.

Ich selber tue diesen Dienst ausgesprochen gerne, weil ich hier erkennen kann, dass es einen tiefen Sinn hat, Menschen in einem herausforderungsvollen Beruf im Namen von Glauben und Kirche zu stärken und zu stützen, der ihre ganze Persönlichkeit und Person in Anspruch nimmt und somit auch ihre Familien und die Menschen, mit denen sie leben. Hinzu kommt die Bedeutung der Ethik auf einem christlichen Fundament, für das einzustehen Aufgabe der Kirche ist. Hier kann vieles gesagt und in Auseinandersetzungen geklärt werden sowie in Gesprächen seine Kontur finden, was für das Leben von Bedeutung und gerade auch für den Glauben sehr wichtig ist.

Darum gehört es zur Militärseelsorge, dass sie einerseits einen weiten Blick auf die ganze Welt hat, zum anderen aber die gesamte Kirche in Deutschland selber wegen der so weiten Einsatzfelder immer besser kennenlernt und weiß, dass wir nur ein kleiner Teil der gesamten Weltgemeinschaft sind. 

Was macht Militärseelsorge einmalig? 

Die Militärseelsorge weiß und bezeugt, dass der Friede als Werk der Gerechtigkeit (vgl. Jes 32,17) eine große Gabe ist. Dieses Ziel lokal und global gleichzeitig zu erinnern und die Verantwortung der Soldatinnen und Soldaten für dessen Verwirklichung zu stärken, das gehört zu den besonderen Möglichkeiten der Militärseelsorge und ihrer Nähe zu den Menschen.

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