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Militärseelsorge in Afghanistan

Der Katholische Militärpfarrer Roman Fries SAC begleitete von Juli bis November 2019 die Soldatinnen und Soldaten in Masar-i Scharif im Einsatz RS (Resolute Support). Er bot nicht nur Gottesdienste an, sondern war Ansprechparner für alle Soldat:innen und hat den Alltag im Camp Marmal mit ihnen geteilt. Im Interview berichtet er auch, welche Bedeutung das Haus Benedikt als interreligiöse Gebetsstätte für die Soldat:innen hatte.

Die Fragen stellte Barbara Dreiling.

Was waren Ihre Aufgaben als Militärseelsorger in Afghanistan?

Roman Fries: Im Grunde geht es in erster Linie darum, Ansprechpartner in religiösen Fragen für die Soldatinnen und Soldaten zu sein. Es geht nicht darum, zu missionieren, sondern denen ein Angebot im Einsatzland zu machen, die sich zur katholischen Religion zugehörig fühlen, dass sie dort auch ihren Glauben leben können. Und das andere kommt noch hinzu, dass ich natürlich auch für alle Ansprechpartner bin, wenn sie eine Not spüren.

Können Sie uns einen Einblick geben, mit welchen Anliegen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auf die Militärseelsorge zukommen?

Roman Fries: Also es war schon irgendwie der Wunsch nach Gemeinschaft. Ein Soldat sagte mal, dass er in den 10-Uhr-Gottesdienst gehe, weil der eine Abwechslung und Entspannung ist. Es gab auch einen Bedarf nach Ritualen. Wir hatten jede Woche eine Chorprobe, also hat man gemeinsam gesungen, aber nicht nur, weil es einem selber Spaß gemacht hat, sondern auch für die anderen. Und natürlich gab es auch Gebete für die Verletzten, für die Verstorbenen und Gefallenen der anderen Nationen.

Worüber kamen Soldatinnen und Soldaten mit Ihnen ins Gespräch?

Roman Fries: Wir hatten als Militärseelsorge eine Dienststelle. Das waren nicht nur einfach Büros, sondern da war auch vorne ein Thekenbereich zum Aufhalten. Da sind viele einfach so mal hingekommen, um einen Kaffee zu trinken. Man kam oft über alltägliche Dinge ins Gespräch, viele haben mich kennengelernt, indem man mal einen Kaffee trank oder etwas anderes. Und das hat im Grunde eine Brücke geschlagen. Bei vielen Soldaten hatte ich den Eindruck, dass sie sich dann auch mit anderen Problemen mir gegenüber öffnen. Da konnte ich dann raushören, dass der Soldat Probleme hatte in der Beziehung, oder jetzt mit der Trennung, also zwischen Einsatzland und Heimatland.

Sie waren wie die Soldatinnen und Soldaten etwa vier Monate im Camp Marmal. Es gibt dort nicht viel Ablenkung. Wie ging es Ihnen damit?

Roman Fries: Es ist mir insofern nicht schwergefallen, weil ich ja auch in der geistlichen Gemeinschaft der Pallottiner bin. So konnte ich bisher immer relativ gut damit umgehen, mich mit Dingen zu arrangieren, die man nicht ändern kann. Und gleichzeitig weiß man aber auch, dass dieses Lager Sicherheit gibt. Also wenn ich mich innerhalb dieser Grenze bewege, habe ich eine relative Sicherheit, weil das Lager geschützt ist. Und ich habe sogar innerhalb dieses Lagers all die Dinge des täglichen Bedarfs.

Wie ging es den Soldatinnen und Soldaten damit?

Roman Fries: Eine Möglichkeit des Ausgleichs im Camp Marmal war der Sport. Die Soldaten müssen ja fit bleiben. Da waren mehrere, ich glaube zwei oder drei Fitnesshallen. Also, dass man einen gewissen körperlichen Ausgleich hat, wenn man arbeitet. Und das andere ist: Ich würde „Freizeit“ in Anführungszeichen setzen, denn dadurch, dass man ja ständig in Uniform herumlief – also Uniform für die Soldaten und wir haben ja unseren Schutzanzug –, waren die Soldaten trotzdem immer irgendwie im Dienst.
 

Gab es Orte, an denen man mal „abschalten“ konnten?

Roman Fries: Man hatte während seiner Dienstzeit gewisse Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Oder man hat sich irgendwo zurückgezogen. Wobei das – glaube ich – für die meisten schwierig war, weil die wenigsten natürlich eine Einzelstube hatten, sondern sie sich zu zweit oder zu dritt teilten. Und wo habe ich da Räume mit Privatsphäre? In diesem Zusammenhang kann man vielleicht schon sagen, dass natürlich das Haus Benedikt ein Raum der Privatsphäre war, weil es Tag und Nacht geöffnet war. 

Als Militärseelsorge haben wir in dieser Zeit auch Räume angeboten: Man konnte sich auch mal alleine oder zu zweit in unsere Räumlichkeiten zurückziehen. Es gab ein Musikzimmer für die, die gerne Musik machten. Oder wenn mal jemand einen Film gucken wollte. Oder wenn einfach mal jemand nur alleine sein wollte, eine Karte schreiben oder so.

Wie haben Sie sich als Militärpfarrer auf die Einsatzbegleitung vorbereitet? Was wird einem da beigebracht oder nahegelegt?

Roman Fries: Es ging natürlich unter anderem darum, dass man eine kleine Geländekunde macht. Wo sind die anderen Orte, wie zum Beispiel Kabul, oder wo waren die Amerikaner, wie weit ist das eigentlich voneinander alles entfernt? Ich war natürlich auch bei den Soldaten dabei, wenn es darum ging, gewisse Dinge einzuüben. Wie man sich verhält, wenn man vielleicht auch mal durch entsprechendes Gelände gehen muss, wie man geht, worauf man zu achten hat und so.

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Da habe ich schon den Eindruck gehabt, die wissen, dass ein Militärpfarrer in dieser Hinsicht wenig Ahnung hat. Die hatten zum Beispiel an einem Tag mal einen Parcours mit Sprengfallen aufgebaut: Wie erkenne ich eine Sprengfalle, wenn ich in einem Gelände unterwegs bin, das jetzt nicht unbedingt Camp ist, sondern weil ich vielleicht irgendwo, wenn es mal eine Autopanne gibt, aussteigen muss? Wie bewege ich mich dann?

Was hat Ihr Umfeld dazu gesagt, dass Sie als Militärpfarrer nach Afghanistan gehen?

Roman Fries: Die waren natürlich nicht begeistert, können Sie sich denken. Also sagen wir mal, die in der Gemeinschaft der Pallottiner hatten schon einen gewissen Respekt. Manche haben gesagt, sie hätten mir das nicht zugetraut, dass ich das mache. Meine Mutter hat natürlich gesagt: „Musst du das? Wollen die das von dir? Kannst du da nicht nein sagen?“ Klar. Wie halt Mütter so sind.

Wie sind Sie mit der Bedrohung im Einsatzland umgegangen? 

Roman Fries: Für alle, die neu ins Camp kommen, gibt es spätestens am ersten oder zweiten Tag ein Briefing. Und solche Gefahrenlagen wurden natürlich auch besprochen. Also was mache ich, wenn die Sirene ertönt, wo gehe ich hin? Wo muss ich mich melden. Als Militärpfarrer trage ich keine Waffe. Dann gab’s Sammelplätze, dann gab es Telefonnummern, wo man sich zu melden hatte. Es war auch wichtig, sich so einen Rundumblick anzugewöhnen. Also was ist rechts, links, über mir, unter mir? Auch wenn man im Lager relativ sicher war, musste man trotzdem immer damit rechnen, dass irgendetwas sein könnte.

Haben Sie sich mal verlaufen im Camp Marmal? 

Roman Fries: Ja, am Anfang. Aber hinterher habe ich drüber gelacht. Ich meine, das waren so zweieinhalb mal anderthalb Kilometer, da kann man sich jetzt nicht so weit verlaufen. Und man stößt immer irgendwann an die Mauer. Und dann gab es als Orientierungspunkte den großen Sendemast und den Überwachungszeppelin.

Wenn Sie an die Einsatzbegleitung in Afghanistan zurückdenken: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? 

Roman Fries: Ja, was heißt besonders? Ich würde sagen, wichtig. Also wichtig war für mich, dass man bestimmte Orte braucht, wo man sein kann. Das sind ja immer so Orte: Wo schlafe ich? Und selbst wenn ich mit mehreren eine Stube teile: wie richte ich mir das ein? 

Und da war es für mich – ich kann ja jetzt nur als Militärpfarrer sprechen – natürlich ein Glücksfall, dass es so einen Ort wie die Kapelle, das Haus Benedikt gab, in einem interreligiösen Sinn. Das war ja nicht eine katholische Kirche oder so, sondern da konnte jeder mit seiner Religion reingehen. Also dass es einfach so einen Ort gab, wo man vielleicht Gott ein bisschen näher war, wo man eine Kerze anzünden konnte. Da wird auch gebetet und gesungen, da findet Gottesdienst statt, auch wenn er international ist. Und auch dieses Wissen darum, dass da immer irgendwelche Leute sind, die beten füreinander, miteinander. Also das war für mich wichtig, zu wissen.

Welche Rolle spielten Gottesdienste?

Roman Fries: Ich bin ja auch an andere Orte im Camp gegangen, wo wir Messen und Andachten gefeiert haben. Und dann eben auch verschiedene Formen von Gottesdienst. Weil ich einfach gemerkt habe, dass die Soldaten aus Teilen von Deutschland kamen, die nicht unbedingt katholisch sozialisiert sind. Deswegen habe ich sonntags immer einen ökumenischen Gottesdienst angeboten und samstagabends eine Vorabendmesse in englischer Sprache. Man muss wirklich gucken, was wird gebraucht. Und da geht es auch erst mal nicht um mich, was ich brauche, sondern was brauchen die anderen?

Wie war das für Sie, als Sie erfahren haben, dass das Haus Benedikt zum Teil nach Deutschland zurückgeführt wird?

Roman Fries: Also ich finde es gut, weil ich glaube, dass es wichtig ist, Orte der Erinnerung zu haben. Für viele Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen waren es wichtige Orte im Einsatzland. Ich meine, wir haben alle zu Hause Erinnerungsstücke, womit wir Geschichten verbinden. Und so ist das, glaube ich, mit dem Haus Benedikt auch.

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