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Mali: Ziviler Einsatz für den Frieden

„Eine andere Hilfe als die militärische Unterstützung ist unabdingbar notwendig“, sagt Jonas Dembélé. Er ist Bischof von Kayes in Mali und bekannt für den interreligiösen Dialog in seinem Bistum. Wir sprachen mit ihm über zivile Friedensprojekte und ob die internationalen militärischen Truppen etwas bewirken können. 

Die Fragen stellte Barbara Dreiling, Ende Juli 2021

Wie ist nach dem Militärputsch die Stimmung in Ihrem Land?

Die Menschen gehen ganz normal ihrer Beschäftigung nach, als wenn nichts passiert wäre. Man bekommt den Eindruck, dass sie der Situation gleichgültig gegenüberstehen, abgestoßen von der instabilen Lage im Land und den Versprechen der Regierung, die nie eingehalten wurden. Die Menschen haben sicher das Gefühl, dass sie lange Zeit instrumentalisiert worden sind; sie vertrauen den Regierenden nicht mehr.

Etwa zwanzig Parteien haben am 27. Juli zu einem geordneten Übergang aufgerufen. Diese Parteien fordern die Einhaltung des für die Wahlen festgelegten Datums und die Veröffentlichung eines detaillierten Zeitplans der Aufgaben bis zu den Wahlen.

Welche Sorgen haben die Menschen, mit denen Sie sich unterhalten? Was ist das Wichtigste, das sich ändern muss?

Der Durchschnittsbürger macht sich Sorgen über die Ernährungssicherheit, die hohen Lebenshaltungskosten und die wachsende Unsicherheit. Das Wichtigste, was sich ändern muss, ist die Einstellung der malischen Bevölkerung zum Gemeinwohl, zur Regierungsführung, zur Friedenssicherung und zur Staatsbürgerschaft.

Was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache der Gewalt? Welche Rolle spielt dabei die Religion?

Am Ursprung der Gewalt stehen Armut, die Unwissenheit der Bevölkerung, schlechte Regierungsführung, Korruption, Straflosigkeit, Radikalisierung und religiöse Intoleranz, Waffen- und Drogenhandel, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch sowohl interne als auch externe, sowohl private als auch staatliche Akteure, die Schwächung des malischen Staates …

Welche Rolle spielt dabei die Religion? „Die Priester fragten nicht: Wo ist der Herr?“ (Jeremia 2,8). Und der Prophet Hosea sagt: „Mein Volk kommt um aus Mangel an Erkenntnis“ (Hosea 4,6). Die wichtigste Rolle der Religion ist es, eine Verbindung zwischen Mensch und Gott sowie zwischen den Menschen herzustellen. Leider wird sie oft instrumentalisiert: Für die einen ist sie ein Geschäft und für die anderen ein Mittel zum sozialen Aufstieg. Sie ist in vielerlei Hinsicht und für einen großen Teil der Praktizierenden zu einer bloßen religiösen Hülle ohne Inhalt verkommen.

Wird die Religion als Mittel zur Machtergreifung genutzt?

In einer Demokratie, in der ein großer Teil der Bevölkerung unwissend ist, bedeutet das Prinzip der Mehrheit, dass die Religion instrumentalisiert wird, um an die Macht zu kommen. Die Welle fundamentalistischer islamistischer Bewegungen, die die Sahelzone erschüttern, ist ein klares Zeichen für eine Entwicklung hin zum Islam als Staatsreligion.

Sie sprechen von Friedensprojekten in ihrer Diözese. Was genau wird unternommen?

Zu den Friedensprojekten der Diözese gehören katholische Privatschulen, private katholische Gesundheitszentren, die Projekte der Caritas in der Diözese von Kayes, die ohne Unterscheidung allen offenstehen.
Die Schulung pastoraler Mitarbeiter (Priester, Nonnen, Katecheten, Lehrer, engagierte Laien) im islamisch-christlichen Dialog.
Der Dialog des Lebens zwischen den Menschen: Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen, Tätigkeiten von gemeinschaftlichem Interesse. 
Veranstaltungen zur Sensibilisierung für eine Kultur des Friedens und des Zusammenlebens.
Das Motto für das Pastoraljahr 2020–2021: „Leben wir mit dem heiligen Josef in enger Brüderlichkeit mit unseren Brüdern und Schwestern anderer Religionen, indem wir füreinander beten und allen gegenüber offen sind.“

Können Sie uns konkrete Beispiele nennen?

Organisation von Fußballturnieren zwischen muslimischen und christlichen Jugendlichen in den Gemeinden von Guéné-Goré, Kassama und Sagabari, im Mai und Juni 2021.
Organisation von islamisch-christlichen Jugendtagen: Muslime, Katholiken und Protestanten von Kéniéba, 5.–6. Juni 2021.
Dialog des Lebens: Teilnahme von Christen an den sozialen Ereignissen der Muslime (Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen). Die muslimische Bevölkerung tut das Gleiche.
Organisation eines ökumenischen Gebetstags in Kayes und Kéniéba.
Treffen des Leiters der Organisation AN KA BEN (Lasst uns Frieden schaffen ...) mit Monsignore Jonas Dembélé am 11. Juli 2021.
Treffen der jungen Menschen der Organisation AN KA BEN (Muslime und Christen).
Die religiösen Feste der Christen und Muslime werden in Kakoulou gemeinsam gefeiert.

Frieden – Kompass 09/2021

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Welche Faktoren fördern den Dialog, das friedliche Zusammenleben? Welche Faktoren stehen dem entgegen?

Was den Dialog fördert: Respekt und Wertschätzung für andere Menschen sowie ein nuanciertes Denken, Vorsicht und Klarheit im rein theologischen Austausch. Gegenseitiger Respekt, gegenseitiges Kennenlernen, das Anerkennen und das Akzeptieren der Unterschiede. Die gemeinsame Suche nach der Wahrheit.

Was den Dialog schwächt: Unwissenheit, Hegemonie, der Anspruch auf eine Vormachtstellung, mangelnder Respekt. Der fortschreitende Verlust der traditionellen und spirituellen Werte, die von Gottesfurcht, Toleranz und Empathie bestimmt sind. Staatsfeindliche Aktivitäten, die das Zusammenleben gefährden. Die Verschlechterung der Sicherheitslage im ganzen Land.

Was gibt Ihnen Hoffnung? Was macht Ihre Hoffnung zunichte?

Was mir Hoffnung gibt: „Gott lässt sein Volk niemals im Stich.“ Alles, was begonnen hat, wird auch zu einem Ende kommen. Zu den Waffen des Gläubigen zählt auch das Gebet. „Wenn der Herr das Haus nicht baut, arbeiten seine Erbauer vergebens daran. Wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, wacht der Wächter vergebens“ (Psalm 127,1).
Ein stetig wachsendes Bewusstsein in einigen jungen Menschen für die Notwendigkeit des Wandels. 
Die Gründung der Organisation AN KA BEN, die vom Sohn des einflussreichen Imams Haïdara, dem aktuellen Vorsitzenden des Hohen Islamischen Rats, geleitet wird.

Meine Sorge: Eine beunruhigende Zunahme der religiösen Intoleranz. Ritualismus und Fundamentalismus. Die Instrumentalisierung der Religion.

Sollten die ausländischen Streitkräfte bleiben oder eher Ihr Land verlassen? Welchen Einfluss haben sie auf den Friedensprozess?

Meiner bescheidenen Meinung nach sollten die ausländischen Streitkräfte in unserem Land bleiben. Denn sie sind nicht aus eigenem Antrieb gekommen. Sie kamen auf Anfrage der malischen Regierung, die der Situation nicht Herr werden konnte. Die Probleme, aufgrund derer sie hier sind, wurden noch nicht gelöst. Sie sollten jedoch ein robustes Mandat haben.

Sie haben Einfluss auf den Friedensprozess: Sie beteiligen sich an Entwicklungsprojekten, an Projekten im sozialen Bereich und am Schutz der Zivilbevölkerung, auch wenn das nicht einfach ist, sowie an der Neutralisierung bestimmter dschihadistischer Führer und bewaffneter Krimineller.

Bräuchten Sie in Mali andere Hilfe als die militärische Unterstützung?

Eine andere Hilfe als die militärische Unterstützung ist unabdingbar notwendig, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Es geht um die Unterstützung bei der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse: Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, Kampf gegen die Jugend-Arbeitslosigkeit, Kampf gegen den Klimawandel, die Ausbildung der jungen Menschen durch hochqualitative Bildung, die an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst ist. Die Erziehung ehrlicher Staatsbürger ...

Was wünschen Sie sich von den Deutschen und Europäern?

Die Förderung einer echten Partnerschaft, die auf dem Völkerrecht beruht, und eine offene Zusammenarbeit. Der Respekt vor dem Recht der Völker, über ihre eigenen natürlichen Ressourcen vor Ort für ihre eigene Entwicklung zu verfügen; die Einstellung der Ausbeutung oder Plünderung der natürlichen Ressourcen; das Ende der ungerechten Abkommen, die der Entwicklung der Staaten schaden; das Ende des Verkaufs von Waffen, der Konflikte schürt, Staaten destabilisiert und zu Angriffen aufwiegelt, die Verzweiflung unter den Bevölkerungsgruppen verbreiten.

Stellen Sie sich Mali im Jahr 2026 vor: Wie wird dann die Situation im Land sein? Was würden Sie gerne erreicht haben?

Ich kann unmöglich voraussagen, wie Mali im Jahr 2026 sein wird. Aber ich träume von einem Mali, das sich auf dem Weg der Besserung befindet, dank des verantwortlichen Handelns der Führungsschicht, der aktiven Teilnahme des Großteils der Gesellschaft und der Unterstützung der internationalen Partner.
Ich träume von einem Mali, das gegen Korruption und Straflosigkeit angeht und für eine gute Regierungsführung kämpft.
Ich träume von einem Mali, in der die Agenda der Parteien einer drastischen Reduzierung der politischen Parteien zustimmt.
Ich träume von einem Mali, in dem der überkonfessionelle Charakter des Staates die Vorstellung der Trennung zwischen Staat und Religion prägt.
Ich träume von einem Mali, in dem die Religion ihre wichtigste Aufgabe wahrnimmt: eine Verbindung zwischen Mensch und Gott sowie zwischen den Menschen herzustellen.
Ich träume von einem Mali, in dem die Justiz dem Frieden dient.

Ich verpflichte mich, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass das Töten und die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen so schnell wie möglich beendet und ihre Ursachen beseitigt werden, dass die betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht sich selbst überlassen werden und dass auf eine wirksame Konfliktverhütung, einen dauerhaften Frieden und ein dauerhaftes Zusammenleben hingearbeitet wird, insbesondere durch Dialog, Gerechtigkeit und Versöhnung.

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