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Der Helle Berg ruft

17 Bundeswehrsoldaten haben im August 2017 an der Internationalen Soldatenwallfahrt nach Tschenstochau teilgenommen.

Von Barbara Dreiling

Der Nebel liegt über den Feldern, ein kalter Morgen im August. Es ist sechs Uhr fünfzehn. Auf der Dorfstraße stehen hunderte Soldaten in Marschrichtung. Einige rauchen abseits eine Zigarette, wie in sich gekehrt, einsilbige Gespräche. Erst mal warm werden nach der kühlen, kurzen Nacht im Feldlager. Mütze und Rollkragen-Pullover sind angesagt. Viele haben noch nicht gefrühstückt, denn die Schlange vor der Essensausgabe war einfach zu lang.

Doch jetzt geht es los. Die Fahrzeuge mit dem Blaulicht fahren in Schrittgeschwindigkeit, die Fahnenabordnung marschiert hinterher und die Truppe schließt sich an. Nur einer der Männer redet unüberhörbar für alle, drei tragbare Lautsprecher – vorne, in der Mitte, am Ende des Zuges – verstärken seine Ansagen: Die nächste Etappe betrage etwa zehn Kilometer, insgesamt seien es heute 28 Kilometer. Am nächsten Haltepunkt, in der Ortschaft Garnek, werde es eine gemeinsame Eucharistiefeier geben, sagt der polnische katholische Militärpfarrer.

Fotos der Soldatenwallfahrt nach Tschenstochau

17 deutsche Soldaten haben nur Bahnhof verstanden, macht aber nichts. Irgendwann wird der Stabsfeldwebel in der Nähe sein und die Ansagen übersetzen. Bis dahin können alle getrost mitlaufen. Nichts scheint in diesen Tagen besser organisiert zu sein als die 26. Internationale Soldatenwallfahrt nach Czestochowa in Polen. Auf Deutsch heißt der Ort Tschenstochau und ist weltweit wegen der Ikone der Schwarzen Madonna bekannt, zu der jedes Jahr mehrere Millionen Menschen pilgern. Jetzt, vor dem Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August, scheint ganz Polen auf den Beinen zu sein – nach Angaben des Wallfahrtsbüros rund 100.000 Menschen. Gruppen von etwa 30 bis weit über 100 Personen sind zu Fuß auf den Landstraßen unterwegs. Ordner mit Warnweste und Winkerkelle gehen am Ende einer jeden Gruppe und zeigen den Autofahrern an, wann sie den ganzen Zug überholen können. Die Pilger ziehen aus allen Landesteilen bis zu 500 Kilometer zu Fuß zum Hellen Berg (Jasna Góra) in der südpolnischen Stadt, bis etwa 38 Kilometer täglich.

10 Tage, 300 Kilometer

Die polnische Armee mit ihren ausländischen Gästen pilgert in einer eigenen Wallfahrtsgruppe zum Hellen Berg. Nach Angaben des Militärordinariats waren in diesem Jahr 700 Soldaten mit ihren Familienangehörigen und Mitarbeiter der Streitkräfte dabei. Die 17 Bundeswehrsoldaten aus der Gebirgsjägerbrigade Bad Reichenhall wussten, worauf sie sich einlassen. Mit dem Start am 5. August in Warschau lagen insgesamt 300 Kilometer in 10 Tagen vor ihnen. „Ich hatte Lust darauf zu marschieren und wollte mal eine richtige Wallfahrt machen“, sagt Oberleutnant Simon B. über seinen Entschluss, sich zu dem Pilgermarsch zu melden. Auf die Frage, wie es ihm nach zehn Tagen so geht, antwortet er nüchtern, dass man es „als Gebirgsjäger gewohnt ist, dass die Füße wehtun“. Er schätzt, dass man allein im normalen Gefechtsdienst 20 bis 30 Kilometer bei etlichen hundert Höhenmetern in der Woche zu Fuß zurücklegt. Dennoch ist auch er einer der abendlichen Patienten auf der Liege der Sanitäter. Oberfeldwebel Max F. und Unteroffizier Sina O. versorgen die Füße der deutschen und der amerikanischen Pilger, damit sie am nächsten Tag trotz vieler Blasen und Wunden noch gehen können.

Das Problem auf der Wallfahrt nach Tschenstochau sei jedoch „die konstante Beschallung. Es ist schwer, für sich zu sein“, sagt Oberleutnant Simon und spricht damit auch für die anderen Bundeswehrsoldaten. Unterwegs wird gebetet und gesungen, der Vorbeter stimmt an und die Pilger setzen ein. Manchmal gibt es auch organisatorische Ansagen oder Tipps, wo man sich sozial engagieren kann. Aber niemals ist es still. 

Gerade betet einer der Priester ein Wechselgebet vor. Oberleutnant Simon murmelt mit. Zwar kann er kein Polnisch, aber nach 9 Tagen Pilgermarsch kennt er viele Antworten. Mitbeten ist eine der Möglichkeiten, die andauernden Gebete und Gesänge für sich zu nutzen und die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Wenn man müde ist, kann man sich von der Stimmung mitziehen lassen, wenn die Gruppe klatschend und tanzend den amerikanischen Gospel „Glory, glory, halleluja“ singt. Ansonsten bleibt „auf Durchzug schalten. 

Für andere beten

Das kann man als Soldat gut“, sagt Simon. Wenn ein Vorgesetzter schlechte Laune hat, könne man schließlich auch nicht weg. Dann nimmt er seinen Rosenkranz in die Hand, den der deutsche katholische Militärpfarrer Sebastian Gräßer zu Beginn der Wallfahrt ausgeteilt hat. Er lässt die Perlen durch die Finger gleiten. „Das ist einfach entspannend. Ich werde ihn auch weiter dabei haben“, sagt er. Und dann betet er still für sich, immer das gleiche Gebet von einer Perle zur nächsten. „Ich habe viel gebetet in der letzten Woche, für einen Kameraden, dessen Vater an einem Tumor gestorben ist“, und auch für die vier Kameraden, die bei dem Marsch in Munster zusammengebrochen waren, erzählt er. Dass man auch füreinander beten kann, habe er von seinem Heimatpfarrer, besonders aber von seinem Großonkel gelernt.

Dass er und seine Kameraden an der Wallfahrt teilnehmen können, verdankt er einer Einladung des polnischen katholischen Militärbischofs Dr. Józef Guzdek. Dieser hat neben den Deutschen auch noch slowakische, lettische, litauische, US-amerikanische und kroatische Soldaten eingeladen. Es ist ihm „ungeheuer wichtig, dass wir Zeit miteinander verbringen und uns kennenlernen können“, sagt er im Interview. Unkenntnis dagegen führe zu Verdächtigungen und Unterstellungen, so der Bischof. Er forderte die Pilger auf: „Lernen wir einander kennen, dann werden wir entdecken, dass wir gemeinsam am Frieden bauen und in Nachbarschaft und Frieden miteinander eben können.“

Gemeinschaft und Vorbehalte

Viele deutsche Soldaten sind zum ersten Mal in Polen und versuchen, auf Englisch mit den polnischen Soldaten ins Gespräch zu kommen. Neben dem gegenseitigen „Wie geht es deinen Füßen?“ und der großen Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft spielt auch europäische Politik eine Rolle. Manche Polen fürchten, dass die Offenheit Deutschlands gegenüber Flüchtlingen Nachteile für sie bringt. Die deutschen Soldaten haben von den neuerlichen Reparationsforderungen einiger polnischer Politiker gehört.

Zum Heiligtum der Schwarzen Madonna führt eine kilometerlange Allee durch die Innenstadt von Tschenstochau. Am Straßenrand winken Menschen. Die Pilger winken zurück. Der Zug der Soldaten wird angeführt von der polnischen Militärkapelle. Die Stimmung ist euphorisch, die Militärmusik putscht die Pilger und die Zuschauer auf. Fast geschafft. Dann sind sie auf dem Berg angekommen, senken vor der Ikone der Schwarzen Madonna die Fahnen. Der polnische Militärbischof spricht ein Gebet und dann müssen sie schon weitergehen, denn die nächste Pilgergruppe will auch zur Madonna. Ende der Wallfahrt. 

Pilger am Ziel

Oberleutnant Simon ist nicht mehr zu sehen. Minuten später kommt er aus der Basilika, die an die Gnadenkapelle angrenzt. Sein Gesicht ist rot, aber nicht von physischer Anstrengung. Gerührt und ein bisschen benommen erzählt er, dass er in der Kirche eine kleine Nische gefunden habe, um zu beten. „Der erste ruhige Ort der ganzen Wallfahrt“, sagt er und strahlt, genauso wie seine 16 Kameraden. Sie sind angekommen, nach 300 Kilometern und mit schmerzenden Füßen. Angekommen, angekommen, angekommen.

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