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„Das Vertrauen untereinander über diesen offenen Gedankenaustausch wächst“

Oberstleutnant Bernd Gerhardt ist Stellvertretender Kommandeur der Luftwaffenunterstützungsgruppe in Kalkar und nimmt mit den ihm anvertrauten Soldatinnen und Soldaten am Lebenskundlichen Unterricht teil. Als konfessionsloser Soldat schätzt er den LKU als Ethikunterricht.


Die Fragen stellte Barbara Dreiling.

Warum gehen Sie zum Lebenskundlichen Unterricht?

Gerhardt: Grundsätzlich, wie der Name schon sagt, weil ich mich gerne kundig mache über die Dinge des Lebens. Und das bezogen hier auf die Gemeinschaft mit Menschen, die Gemeinschaft der Bundeswehr, in der ich tätig bin.

Was sind das für Themen, mit denen Sie sich dort auseinandersetzen?

Gerhardt: Es gibt ja einen Rahmen für den Lebenskundlichen Unterricht, eine gewisse Vorgabe. Es geht um den soldatischen Dienst, moralische und psychische Herausforderungen. Der Militärseelsorger macht Themenvorschläge und fragt, ob wir auch eigene Themen haben, die uns aktuell bewegen. Das besprechen wir offen im Kameradenkreis oder in den jeweiligen Teileinheiten: Wie sieht es aus, habt ihr in puncto Auslandseinsätze, Leben, Tod, Verwundung, Kameradschaft oder Werte in der Gesellschaft – habt ihr Themenvorschläge? So hatten wir überraschend, aber wirklich klasse, wie ich finde, das Thema „Dressur oder Erziehung“; Dressur beim Militär gleichbedeutend mit Drill, man könnte auch sagen „Drill oder Erziehung“. Dieses Thema kam aus dem Kameradenkreis.

Wie ist das aber konkret an den Standorten? Sie machen ein Seminar zum Thema Drill oder militärischer Gehorsam. Aber wenn ein Vorgesetzter kein Gespür dafür hat, dann interessiert ihn nicht, ob Sie sich Gedanken über Führungskultur machen. Was nimmt ein Soldat also von so einem Seminar mit?

Gerhardt: Erstmal bin ich als stellvertretender Kommandeur auch Vorgesetzter. Das Thema hieß „Dressur oder Erziehung“, das heißt, dass beide Aspekte betrachtet werden. Speziell bei diesem Thema geht es ja darum, den Unterschied zwischen Drill als einer militärischen Notwendigkeit im Verteidigungsfall, im Kampf, gegenüber der Erziehung aufzuzeigen. Der Drill ist ja nichts Schlechtes, sondern er dient einem guten Zweck, nämlich womöglich, dem eigenen Überleben. 

Sie besuchen die Lebenskundlichen Seminare zusammen mit den Ihnen anvertrauten Soldaten. Was bringt das für Ihre Gruppe?

Gerhardt: Ich stelle fest, dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit über das Seminar hinausgeht. Wir machen das Seminar in ziviler Kleidung und ohne Dienstgradabzeichen, da merke ich schon, dass das Vertrauen untereinander über diesen offenen Gedankenaustausch wächst. Das Ziel ist ja auch dieser offene Gedankenaustausch und ein Sich-kennenlernen. Manche Leute, die man schon seit Jahren zu kennen glaubt, kennt man mit vielen ihrer Ansichten dann doch nicht so genau, wie man feststellen muss.

Trauen sich die Soldaten, ihre eigene Meinung einzubringen, auch, wenn sie wissen, dass sie mit ihrem Vorgesetzten dort sind?

Gerhardt: Erstens wissen sie, sie sind mit ihrem Vorgesetzten da. Doch zweitens will ich das offene Sprechen gar nicht auf das Seminar beschränken. Sondern ich verspreche mir viel mehr davon. Deshalb bin ich dabei. Nämlich, dass aus dem Seminar heraus in unserem dienstlichen Alltag die Berührungsangst, gerade in einem hierarchischen System wie bei uns, ein Stück weit schwindet. Und ich nehme das – im Grunde müssten Sie dazu meine Leute befragen – in Form von Feedback und Verhaltensänderungen auch wahr. 

Ist die Hierarchie nicht eigentlich sehr wichtig bei der Bundeswehr?

Gerhardt: Eine Hemmschwelle bei uns beim Militär ist, dass wir aufgrund unseres erkennbaren Dienstgrades eigentlich eine Mauer aufgebaut haben. Das ist aber fatal im Umgang miteinander. Aus meiner Sicht müssen die Schranken so weit wie möglich fallen. Und ich merke vom Gefreiten bis zum Offizier, je länger wir miteinander arbeiten, dass diese Schranken auch fallen. Und somit kann man sich aufeinander verlassen und auch vertrauen. 

Gibt es unter den Soldaten Vorurteile, wenn ein Militärseelsorger Lebenskundlichen Unterricht hält?

Gerhardt: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Vom Grundsatz her hat ja der Vorgesetzte bei uns zwei Aufträge: Einen Ausbildungsauftrag und einen Erziehungsauftrag. Den Ausbildungsauftrag können wir beim Lebenskundlichen Unterricht etwas beiseiteschieben, dann sind wir beim Erziehungsauftrag. Und es gibt in der Bundeswehr kaum einen besseren Baustein, der den Erziehungsauftrag ergänzt als die Militärseelsorger – egal ob katholisch oder evangelisch – mit ihrer Ausbildung als Unterstützung für die Vorgesetzten in den Streitkräften. 

Wie ist das für Sie als konfessionsloser Soldat?

Gerhardt: Als Konfessionsloser habe ich in meinem Leben wenig Berührung mit Kirche, aber die Militärseelsorger im LKU haben mich vollauf überzeugt. Und dieses Mittel der Militärseelsorge, den Lebenskundlichen Unterricht, wollen und sollten wir weiter nutzen. 

Am Anfang hat man die Seminare schwerlich füllen können. Doch mittlerweile gibt es hier und da sogar Wartelisten, weil nicht alle teilnehmen können. 

Was steht denn so als nächstes bei Ihnen an?

Gerhardt: Im Mai haben wir das nächste Seminar geplant. Das Thema ist noch nicht gefunden, es wird zurzeit in den Teileinheiten bezüglich der Themenfindung diskutiert.

Was ist eigentlich Lebenskundlicher Unterricht?

Der Lebenskundliche Unterricht (LKU) ist ein seit 2009 verpflichtender Ethikunterricht für Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr. Das Curriculum ist in der Zentralen Dienstvorschrift  ZDv A-2620/3 vorgeschrieben und beinhaltet ethische Themen, die das Leben des Einzelnen, der Gesellschaft und den militärischen Dienst berühren, z. B. Menschenrechte, Gewissen, Gehorsam, Entscheidungen, moralisches Handeln, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Tod und Verwundung. 

Die Rechtsstellung der Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger erlaubt es, dass sie den freien Diskurs unter Soldatinnen und Soldaten ermöglichen können. Auf diese Weise unterstützen sie die Persönlichkeitsbildung der Soldatinnen und Soldaten und deren Fähigkeit, freie Entscheidungen in eigener Verantwortung und bis hin zu Gewissensentscheidungen zu treffen. 

Existenzielle Fragen

Spätestens bei Eid und Gelöbnis müssten sich Soldatinnen und Soldaten mit existentiellen Fragen auseinandersetzen, sagt Franz Eisend, Wissenschaftlicher Referent im Katholischen Militärbischofsamt: „Warum soll ich mein Leben für andere einsetzen? Wie kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, im äußersten Fall Menschen töten zu müssen? Wie stehe ich selbst zu Tod und Sterben? Solche Fragen führen Menschen an die Grenzen, oft reichen sie in die religiöse Dimension des Menschseins hinein.“ 

Auch das Thema Gewissen kommt im LKU zur Sprache. Sich damit auseinanderzusetzen bedeutet für Franz Eisend „das Zentrum menschlicher Personalität“ zu beachten, in dem „der Mensch sich selbst begegnet“ und Rückgrat bilden kann. 

Beitrag zur Inneren Führung der Bundeswehr

Der Lebenskundliche Unterricht trägt dazu bei, das Konzept des Staatsbürgers in Uniform und damit einen Bestandteil der Inneren Führung der Bundeswehr zu verwirklichen. Im „freien Gespräch unter Kameradinnen und Kameraden wird ethisches Wertebewusstsein gebildet, persönliches Gewissen geschärft und moralische Urteilskraft gestärkt. Auf diese Weise bilden Soldatinnen und Soldaten Verantwortungsbewusstsein, reflektieren die innere moralische Haltung und leisten so gemäß der ZDv A-2600/1 „Innere Führung“ einen entscheidenden Beitrag zur eigenen Persönlichkeitsbildung“, schreibt Franz Eisend in der Zeitschrift Kompass. Soldat in Welt und Kirche (Ausgabe 11 / 2018). 

Teilnehmende am LKU berichteten, dass auch das gegenseitige Vertrauen und Verständnis der Kameraden füreinander gefördert worden sei. Dies geschieht vor allem in mehrtägigen lebenskundlichen Seminaren, die außerhalb der Dienststelle stattfinden können. „Soldatinnen und Soldaten schätzen es, dass das Seminar oft in Zivil und ohne sichtbare Dienstgrade stattfindet“, sagt Pastoralreferent Constantin Rhode. Er erteilt lebenskundliche Seminare im Bereich des Katholischen Militärpfarramtes Wesel. Für ihn steht dabei der Mensch als Soldat, nicht der Soldat als Mensch, im Mittelpunkt. 

Derzeit wird der Lebenskundliche Unterricht von katholischen und evangelischen Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern erteilt. Mit Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung Anfang April 2019 wird es in Kürze auch eine jüdische Militärseelsorge geben, die ebenfalls die Erteilung des LKU zur Aufgabe bekommen könnte. Militärseelsorger haben ein philosophisch-theologisches Studium absolviert, das sie befähigt, ethische Themen zu erkennen und zu diskutieren.