Silvester im Einsatz
Derzeit sind über 2.300 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz. Weitere befinden sich in sogenannten Anerkannten Missionen wie EFP in Litauen oder in der Ägäis. Sie alle verbringen Weihnachten und Silvester fern von ihren Familien.
Für sie hat der katholische Militärpfarrer Norbert Sauer diese Radioansprache verfasst. Auf Radio Andernach gibt er den Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten sein „Wort zum Jahreswechsel“ mit in die Silvesternacht.
Liebe Soldatinnen und Soldaten in Mali und in den anderen Einsatzgebieten!
Der Jahreswechsel steht vor der Tür! Heute um Mitternacht schließt sich die Tür des Jahres 2021 und sozusagen im gleichen Augenblick öffnet sich die Tür zum neuen Jahr, zum Jahr 2022.
In den Medien ist die Zeit des Jahreswechsels die Zeit des Rückblicks auf dieses zu Ende gehende Jahr. Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen und viele andere schauen zurück auf das, was sich in diesem Jahr an Besonderem, an Außergewöhnlichem und an Spektakulärem in unserem Land und in der Welt ereignet hat.
So interessant ein solcher Rückblick in den Medien auch sein mag, eines ist unbestritten: Das, was sich in diesem Jahr in meinem Leben und in meinem Zusammenleben mit anderen ereignet hat, davon berichten die Medien nichts. Doch gerade das hat sich in mir eingegraben, das hat mich geprägt und in mir weitaus tiefere Spuren hinterlassen als noch so spektakuläre Ereignisse in unserem Land und in der Welt.
„Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen“ – diese Worte hat mir vor vielen Jahren mein geistlicher Begleiter auf meinen Lebensweg mitgegeben. Und sie bedeuten: Leben, wirklich leben kann ich nur im Heute, in der Gegenwart auf das Morgen, auf die Zukunft hin – geprägt von dem, was sich im Gestern, in der Vergangenheit in meinem Leben ereignet hat und was ich erlebt und erfahren habe.
Das Gestern lässt sich nicht einfach abhaken
Viele fassen sich zum Jahreswechsel gute Vorsätze und merken bereits nach wenigen Tagen oder Wochen, dass sie mit ihren Vorsätzen scheitern oder dass diese im Sande verlaufen. Der Grund dafür ist oft, dass die Vorsätze sich zwar auf das Morgen beziehen, aber zu wenig oder gar nicht das Gestern berücksichtigen und einbeziehen. Deshalb mache ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung einen anderen Vorschlag: Schauen Sie, bevor Sie sich manches für das neue Jahr vornehmen und damit in das neue Jahr hineingehen, erst einmal zurück, zurück auf das zu Ende gehende Jahr. Denn das, was ich in diesem Jahr erlebt und erfahren habe, kann ich nicht einfach abhaken und zurücklassen wie die Jahreszahl 2021, die sich ab Neujahr für mich erübrigt hat. Ich nehme es mit in das neue Jahr und es begleitet mich auf meinem Weg.
Die Frage ist jedoch: In welcher inneren Haltung schaue ich auf dieses Jahr zurück? Sehen Sie, allein die Tatsache, dass ich dieses Jahr als ganzes erleben durfte, ist schon ein großes Geschenk, wofür es sich lohnt, dankbar zu sein. Dass ich die Zeit des Einsatzes bis heute gut bestanden habe, dass meine Lieben zuhause zu mir und hinter mir stehen, dass sie mir für meinen Dienst im Einsatz den Rücken frei halten, dass sie täglich an mich denken und ich mich auf sie verlassen kann, auch und gerade das ist Grund genug, dankbar zu sein.
Wer zurückdenkt, kann dankbar sein
Oder die gelebte Kameradschaft, die ich im Einsatz täglich erlebe und erfahre, die mir viel Kraft gibt, und vieles mehr lässt mich dankbar zurückschauen. Sicherlich entdecke ich auch manches Belastende und manches Schwere. Vielleicht ist es die Trennung von lieben Menschen zuhause, die ich gerade jetzt besonders belastend empfinde. Doch wenn ich auf dieses Jahr bewusst zurückschaue, auf dieses Jahr meines Lebens, dann überwiegt bei weitem das Positive. Davon bin ich überzeugt! Und das lässt mich dann dankbar zurückblicken auf dieses Jahr.
Sehen Sie, danken und denken – diese beiden Worte hängen ganz eng zusammen, sie haben den gleichen Wortstamm. Sie unterscheiden sich nur durch einen Vokal. Und das bedeutet: Nur wenn ich denke, nachdenke, wenn ich nicht alles als selbstverständlich hinnehme, was mir im Leben von anderen Menschen und auch von Gott geschenkt wird, nur dann finde ich immer wieder auch Gründe, dankbar zu sein. Und wenn ich dankbar zurückschaue, dann kann ich auch loslassen – nicht widerwillig oder gar missmutig über die eine oder andere verpasste Chance in diesem Jahr, die ich nicht genutzt habe, sondern dankbar loslassen.
... und mutig vorwärtsgehen
Dieses dankbare Loslassen ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass ich im Heute, in der Gegenwart, meine Gedanken, meinen Blick und mein Herz nach vorne richten kann, und zwar mutig nach vorne in das Morgen. Wenn ich mutig vorwärtsschaue, dann stecke ich mir im Heute, in der Gegenwart Pläne und Ziele, die ich im Morgen, im neuen Jahr verwirklichen oder erreichen will, beispielsweise, dass ich meinen Einsatz gut zu Ende bringen und gesund nach Hause kommen will. Und dafür motiviere ich mich, dafür setze ich meine Kraft ein. Wenn ich mutig vorwärtsschaue, dann gehe ich Herausforderungen in meinem Leben aktiv an und setze meine Kraft dafür ein, sie gut zu meistern. Wenn ich mutig vorwärtsschaue, dann lasse ich mich von Schwierigkeiten nicht entmutigen, sondern ich suche nach Möglichkeiten und Wege, sie zu überwinden.
Sicherlich – niemand von uns weiß im Heute, was alles im Morgen, im neuen Jahr auf ihn zukommen wird, ob er beispielsweise all das, was er sich vornimmt, auch erreichen wird. Vieles wird sicherlich gelingen, anderes Stückwerk bleiben und wieder anderes scheitern. Entscheidend ist meine innere Haltung, meine innere Einstellung, in der ich in das neue Jahr hineingehe. Auf die kommt es an! Deshalb ist es wichtig, dass ich mutig vorwärtsschaue und mutig vorwärtsgehe. Der Grund dafür liegt nicht in einem billigen Zweckoptimismus – in dem Sinne: es bleibt mir ja nichts anderes übrig!
Gott geht an meiner Seite
Nein – der entscheidende Grund für dieses „Mutig vorwärts!“ liegt für Christen in ihrem Vertrauen auf Gott. Deshalb ist es gut, wenn ich dieses Vertrauen auf Gott in mir habe, wenn ich „gläubig aufwärts!“ schaue.
Sehen Sie, wir begehen den Jahreswechsel in der Festwoche von Weihnachten. Und Weihnachten sagt mir: Gott steht an und auf meiner Seite! Denn er ist auch für mich Mensch geworden, und er geht in Jesus Christus an meiner Seite mit mir ins neue Jahr. In dieser Gewissheit kann und darf ich mutig in das neue Jahr gehen.
Liebe Soldatinnen und Soldaten!
Auf die innere Haltung kommt es an, in der ich den Jahreswechsel begehe, in der ich dieses Jahr verabschiede und hinter mir lasse und in der ich in das neue Jahr vorausschaue und gehe. Tun wir es: „Dankbar rückwärts!“, „Mutig vorwärts!“ „Gläubig aufwärts!“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen im Einsatz und Ihren Familien zuhause einen guten Beschluss des alten Jahres und einen guten Start in das neue Jahr.
Ihr Katholischer Militärpfarrer Norbert Sauer im Camp Castor in Gao in Mali
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