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Heimat ist, wo man glücklich ist

Viele Menschen haben eine Migrationsgeschichte. Oft kann man sie nicht an äußeren Merkmalen wie Aussehen oder Akzent erkennen. Hauptfeldwebel Lydia Foken erzählt im Interview die Geschichte ihrer Familie und was Heimat für sie bedeutet.
    

Gibt es eine Migrationsgeschichte in Ihrer Familie oder leben Sie heute auch dort, wo Ihre Vorfahren bereits gelebt haben?

Lydia Foken: Deutschland ist die Heimat meiner Vorfahren. Unsere Geschichte begann bereits 1763, als die Regierung Russlands (Zarin Katharina die Große) die deutschen Bauern zum Leben nach Russland an die Wolga aufgerufen bzw. eingeladen hatte: das sogenannte Einladungsmanifest. Sie versprach den deutschen Bauern Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Selbstverwaltung mit Deutsch als Sprache, finanzielle Starthilfe und 30 Jahre Steuerfreiheit. Tausende Hessen  folgten diesem Aufruf. Es entstanden über 100 Siedlungen. 1941 wurden die Wolgadeutschen der Spionage für  Hitler verdächtigt und daraufhin deportierte Stalin viele der Wolgadeutschen u. a. nach Kasachstan. 1964 wurden die Wolgadeutschen von diesem Vorwurf freigesprochen und viele kehrten langsam nach Deutschland zurück. Meine Familie kam 1995 nach Deutschland. Ich war damals 10 Jahre alt und konnte kein Wort Deutsch.

Was bedeutet für Sie Herkunft, Zuhause und Heimat? Welche Rolle spielen dabei Nationalitäten? Woran machen Sie Identität fest?

Lydia Foken: Mein Vater ist Deutscher und meine Mutter ist Ukrainerin. Ich bin in Kasachstan geboren. Daher ist für mich persönlich die Herkunft die Abstammung meiner Eltern und Vorfahren. Ich habe zehn Jahre in Kasachstan gelebt und dort meine Kindheit verbracht. Damals war es mein Zuhause und meine Heimat. Nun lebe ich seit 26 Jahren in Deutschland und bin hier angekommen.

Zuhause und Heimat ist der Ort, wo man glücklich ist, sich wohlfühlt und die wichtigen Menschen / Familienangehörigen um sich hat. Hierbei spielt die Nationalität keine Rolle. Identität ist in erster Linie der Name und das Aussehen eines Menschen. Ein Wiedererkennungsmerkmal der Menschen. Am Aussehen kann man bereits eine mögliche Herkunft erkennen, jedoch nicht die Nationalität. Mein Mädchenname ist Koch und ich sehe nicht deutsch aus, habe dunkle Haare und mandelförmige Augen. Oft werde ich gefragt, ob ich südländischer Herkunft bin. Ich bin Lydia, bin Mutter, lebe in Deutschland und das ist meine Heimat.

Was verstehen Sie unter Migration?

Lydia Foken: Darunter verstehe ich, dass Menschen ihre Heimat/ihr Geburtsland aus bestimmten Gründen verlassen, ihren Lebensmittelpunkt räumlich in ein anderes Land verlegen. Auswanderer aus Kriegsgebieten, Verfolgung aufgrund der Religion, Gebiete mit schlechten klimatischen Bedingungen, fehlende Bildungschancen, hohe Arbeitslosigkeit, politische und soziale Konflikte.

Wie viele Menschen kennen Sie, die eine solche Migrationsgeschichte haben?

Lydia Foken: Es sind sehr viele Menschen. Nach meiner Ankunft in Deutschland bin ich in Kiel, Stadtteil Mettenhof, aufgewachsen. In diesem Stadtteil leben viele Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Darunter sind viele Deutschrussen aus Kasachstan.

Kennen Sie aus Ihrer Familiengeschichte oder Ihrem Umfeld Formen von Auswanderung; Flucht oder Arbeitsmigration?

Lydia Foken: Im Kindergarten meiner Tochter habe ich einen Kinderbetreuer aus Afghanistan kennengelernt. Er ist mit seiner Familie geflüchtet. Die Familie und insbesondere die Kinder haben ein besseres Leben in Deutschland. Ich habe mich einmal mit ihm über das Thema unterhalten und er war so dankbar dafür, ein sicheres Leben in Deutschland zu haben. Ein neues und sicheres Leben für seine Familie.

Welche Rolle spielt Sprache?

Lydia Foken: Die Sprache ist ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Die Verständigung mit anderen Menschen ist eingeschränkt, wenn man die Sprache nicht beherrscht. Insbesondere während der Ausbildung und im Berufsleben ist es meiner Meinung nach schon wichtig. Kinder haben dabei weniger Probleme. Sie lernen schnell. Älteren Jugendlichen oder älteren Menschen fällt es aber schwer, eine neue Sprache zu lernen. Daher ist auch die Integration ein sehr wichtiger Punkt.

Erleben Sie Diskriminierung durch Kamerad:innen? In welcher Weise?

Lydia Foken: Mir wurde von einem Kameraden berichtet, dass er aufgrund seiner Herkunft gemobbt wurde. Für mich unverständlich. Er war noch sehr klein, als er nach Deutschland kam, spricht perfekt Deutsch, aber dennoch wurde er aufgrund seines Aussehens nicht wirklich im Kameradenkreis aufgenommen. Es ist sehr schade und traurig. Das ist aber auch der einzige Fall, der mir bekannt ist. Ansonsten habe ich im Kameradenkreis keine Diskriminierung erlebt.

Wie gehen Sie damit um?

Lydia Foken: In diesem Fall habe ich erst mal zugehört und dann versucht, den Kameraden aufzubauen. Habe ihm nahegelegt, zum Disziplinarvorgesetzten, Kompaniefeldwebel oder zur Vertrauensperson zu gehen. Im Notfall zum Sozialdienst, sollte sich die Situation verschlimmern. Ich habe für ihn den zuständigen Bearbeiter beim Sozialdienst rausgesucht. Ich kann grundsätzlich so ein Handeln nicht nachvollziehen. Es ist doch egal, in welchem Land jemand geboren oder aufgewachsen ist. Ebenso ist die Nationalität und sexuelle Orientierung unwichtig. Wir sollten nicht danach urteilen. 

Was muss in der Bundeswehr geändert werden?

Lydia Foken: Ich würde Tauschprojekte mit anderen Nationen bevorzugen. In meinem ehemaligen Verband habe ich solche Projekte teilweise mitbekommen. Offiziere aus Frankreich waren für mehrere Monate für schulische Zwecke in Deutschland eingesetzt. Was spricht dagegen, diese Tauschprojekte „wochenweise“ auch für Soldat:innen der Bundeswehr in den Laufbahngruppen Unteroffiziere und Mannschaften anzubieten? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Interesse in der Truppe sowie den Kommandobehörden groß ist. Ein anderer Vorschlag wäre, im Rahmen der politischen Bildung das Thema Migration mehr einzubauen.

Können Sie sich vorstellen, aus Ihrem jetzigen Land / Ort auszuwandern? Was müsste passieren?

Lydia Foken: Im Rahmen der integrierten Verwendung kann ich es mir sehr gut vorstellen, wobei es keine dauerhafte Auswanderung wäre. Ich habe mich im Jahr 2020 bereits verändert. Ich bin mit meiner Tochter von Hannover nach Köln umgezogen. Sie soll nun nächstes Jahr eingeschult werden und später ist es auf jeden Fall eine Option. Sollte ich in den nächsten Jahren nicht in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten übernommen werden, wäre es eventuell ein Gedanke, nach Österreich auszuwandern. Warum Österreich? Meine Freunde sind 2019 dorthin ausgewandert. Ich war bereits mehrmals zu Besuch und finde es dort einfach schön. Ich kann mich in den Bergen erholen und genieße die Zeit dort sehr. Dort erlebt man auch noch den richtigen Winter, so wie ich ihn aus Kasachstan kenne.

Welche Chancen sehen Sie, wenn Menschen über Grenzen hinweg migrieren?

Lydia Foken: Die wenigsten Migrant:innen sind Flüchtlinge, die aus Not ihr Land verlassen haben. 26 Prozent  der Bevölkerung in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Sie sind nicht nur jung und motiviert, sondern oft auch qualifiziert. Viele der Auswanderer bringen ein Bildungsniveau mit und das wiederum erleichtert die Integration im Berufsleben. Viele sind Fachkräfte, die somit für Deutschland eine Bereicherung sind. Ohne Zuwanderung wird es in den nächsten Jahren weniger Arbeitskräfte geben.

Deutsch, kasachisch, russisch, … sein – ist das für Sie von Bedeutung? Was hat es für eine Bedeutung?

Lydia Foken: Ich habe mehrmals beim Übersetzen geholfen. Das ist die einzige Bedeutung, die ich in meinem Fall erkenne. Die Sprache! Ich beherrsche die russische Sprache auf Grundschulniveau und für die Kommunikation reicht es völlig aus. Wenn ich helfen kann, mache ich es sehr gern und das ist von Bedeutung.

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