"Wenn du die Granatwerfer hörst, hast du zehn Sekunden Zeit"

Militärdekan Lubomir Javorsky feiert einen Feldgottesdienst mit ukrainischen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Militärdekan Lubomir Javorsky feiert einen Feldgottesdienst mit ukrainischen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Feldgottesdienst mit ukrainischen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Feldgottesdienst mit ukrainischen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Militärdekan Javorsky segnet einen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Militärdekan Javorsky segnet einen Soldaten. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Gottesdienst in einem alten Kino. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche
Gottesdienst in einem alten Kino. © Abteilung Militärseelsorge der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche

Wie Militärseelsorger den ukrainischen Soldaten beistehen.
von Georg Pulling.

Im Ukraine-Konflikt stellt die griechisch-katholische Kirche rund 110 Militärgeistliche ab. Sie begleiten die Soldaten zur Front, versorgen Verwundete und betreuen die Angehörigen zu Hause.

Kiew/Lviv (KNA). In der Garnisonkirche der westukrainischen Stadt Lviv (Lemberg) stehen in einem Seitenschiff Staffagen, auf denen zum Gedenken die Bilder der im Krieg im Osten getöteten Soldaten der Stadt zu sehen sind. Es sind weit mehr als 100 Porträts: fast ausschließlich junge Männer. Davor schimmert eine Kerze, gestaltet in den Nationalfarben der Ukraine: blau und gelb.

Viele dieser jungen Männer hat Taras Myhaltshyk begraben. Er ist Militärpfarrer der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Er begleitet die Soldaten an die Front, kümmert sich um Verwundete und beerdigt die Toten.

Rund 110 Militärseelsorger stellt die ukrainische griechisch-katholische Kirche. In einem Rotationsprinzip ist jeweils rund ein Drittel von ihnen für 30 bis 45 Tage an der Front. Die Geistlichen feiern mit den Soldaten und den verbliebenen Zivilisten Gottesdienste und stehen für alle seelsorglichen Belange zur Verfügung. Neben der griechisch-katholischen Kirche stellt auch die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats rund 30 Militärgeistliche bereit.

Es handelt sich um Freiwillige, die sich der Gefahr voll bewusst sind. Myhaltshyk: "Wenn du die Granatwerfer hörst, hast du zehn Sekunden Zeit, Deckung zu suchen. Danach ist es zu spät." Getötet wurde bislang noch kein Militärpfarrer; viele überstanden brenzlige Situationen aber nur mit Glück. Drei von ihnen wurden verletzt.

Zwischen 2.000 und 3.000 Soldaten habe der Krieg bislang das Leben gekostet, berichtet Myhaltshyk; so genau wisse das niemand. Es gebe auch viele Vermisste. Freilich: Die Zivilbevölkerung habe noch viel mehr Todesopfer zu beklagen. Weit mehr als 8.000 Menschen fielen den Kämpfen im Osten zum Opfer. Seit Anfang September hält die Waffenruhe zwischen der Ukraine und den Separatisten in den östlichen Regionen von Donezk und Luhansk weitgehend. Doch noch will niemand in der Ukraine dem Frieden so richtig trauen.

Als der Krieg 2014 ausbrach, sei das Militär in einem miserablen Zustand gewesen, so der Militärpfarrer. Inzwischen sei die Armee weit besser organisiert, ausgerüstet und trainiert. Auch das Militärkrankenhaus in Lviv wurde seither massiv ausgebaut. "Die Ärzte mussten Tag und Nacht die Verletzten operieren."

Militärdekan Lubomir Javorsky war bereits 20 mal im Frontgebiet. Das Motto der Militärseelsorge sei eindeutig: "Wir sind immer mit dabei bei den Soldaten." Waffen tragen die Geistlichen freilich keine. Dieses Jahr zu Ostern habe er den Gottesdienst direkt an der Front gefeiert, "so intensiv wie nie zuvor", berichtet Javorsky. Während des Gottesdienstes sei von der Seite der Separatisten geschossen worden. Trotzdem habe man weitergefeiert, "und - Gott sei Dank - wurde niemand verwundet oder getötet".

Die Ukrainer seien ein gläubiges Volk, meint Javorsky. "Fast jeder Soldat trägt einen Rosenkranz." Auch auf dem Majdan in Kiew sei die "Revolution der Würde" stets von Gebeten und Gottesdiensten begleitet worden.

Noch schwieriger als der Dienst an der Front ist für den Militärpfarrer der Einsatz in den Krankenhäusern, "wenn du das große Leid der Soldaten und ihrer Familienangehörigen erlebst". Allein im Nationalen Militärkrankenhaus in Kiew, wo Javorsky unter anderem tätig ist, wurden zuletzt rund 1.000 Soldaten behandelt. Mehr als 10.000 Menschen waren es nach Angaben des stellvertretenden Leiters Henadii Pierov seit Ausbruch des Konflikts; neben Kriegsversehrten auch Zivilisten wie Minenopfer.

In der Garnisonkirche sind nicht nur die Porträts der getöteten Soldaten ausgestellt. Gleich daneben sind Hunderte Zeichnungen von Kindern aus Lviv zu sehen, mit denen sie den Soldaten an der Front Mut machen wollen. Sie zeigen Soldaten im Kampf - und Soldaten mit Kindern, mit bunten Blumen, roten Herzen und ukrainischen Flaggen. "Die ukrainische Armee - unsere Beschützer" steht auf einem Bild.

Jeder Geistliche, der an die Front geht, nimmt solche Bilder mit, sagt Militärkaplan Myhaltshyk. Die Soldaten hängten sie in ihren Unterkünften auf. "Das gibt ihnen viel Mut und Hoffnung."

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