Theologenbrief: Mut zur Wahrheit

Heinrich Missalla © Bistum Essen / Martin Engelbrecht
Heinrich Missalla © Bistum Essen / Martin Engelbrecht

Heinrich Missalla (+2018) forderte tiefere Aufarbeitung der Rolle der Kirche im Zweiten Weltkrieg

Für eine vertiefte Aufarbeitung des Verhaltens der katholischen Kirche in Deutschland im Zweiten Weltkrieg hat sich der Theologe Missalla anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsausbruchs ausgesprochen. Das Bistum Essen veröffentliche Ende voriger Woche seinen Brief an die Bischöfe.

"Haben Sie (...) endlich den Mut zur Ehrlichkeit und zum Aussprechen der Wahrheit", appelliert Heinrich Missalla (1926-2018) in dem kurz vor seinem Tod am 3. Oktober 2018 verfassten Schreiben an die Bischöfe. Nach 1945 habe die Deutsche Bischofskonferenz aus gegebenen Anlässen eine Reihe von Erklärungen veröffentlicht, in denen jedoch die "beschämende Rolle der katholischen Kirche im Krieg mit keinem Wort erwähnt" werde. Nach 80 Jahren sei es, trotz nachvollziehbarer Bedenken, "hoch an der Zeit, auch zur Unterstützung des Hitler-Kriegs durch unsere damalige Kirchenleitung Stellung zu nehmen".

Brief von Heinrich Missalla an die deutschen katholischen Bischöfe

Eine Woche vor dem deutschen Überfall auf Polen (1. September 1939) hätten die Mitglieder der damaligen Fuldaer Bischofskonferenz auch darüber beraten, wie sie sich zum bevorstehenden Krieg äußern sollten, erinnert der 92-jährige Missalla, 1943 als Luftwaffenhelfer und 1944 als Soldat eingezogen. Der Episkopat habe keinen gemeinsamen Hirtenbrief verfasst.

Bischöfe übernahmen Propaganda

Aufschlussreich sind für Missalla jedoch Notizen des damaligen Speyerer Bischofs Ludwig Sebastian über den Verlauf der Beratungen, in denen er unter anderem festhielt, die katholischen Soldaten sollten "in Treue und Gehorsam gegenüber Führer und Obrigkeit opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht erfüllen gemäß den Mahnungen der Heiligen Schrift". Ähnliche Formulierungen fänden sich in vielen damaligen Hirtenbriefen. Missalla: "Sie hätten zum Krieg ebenso schweigen können wie der Berliner Bischof und spätere Kardinal Konrad von Preysing (1880-1950/1935-1950) oder wie sie zum Schicksal der Juden geschwiegen haben. Doch gemäß einer langen Tradition folgten sie den Weisungen der staatlichen Obrigkeit und übernahmen nicht nur deren Kriegspropaganda, sondern überhöhten sie zum Teil auch pseudoreligiös."

Selbst der später für seine Proteste gegen das Hitler-Regime gerühmte Münsteraner Bischof Clemens Graf von Galen habe die offizielle Version vom Angriff feindlicher Mächte auf das friedliebende Deutschland übernommen und geäußert, die deutschen Soldaten kämpften für "einen Frieden der Freiheit und Gerechtigkeit", so Missalla. Der Hildesheimer Bischof Joseph Machens habe die Ansicht vertreten, der Krieg werde "gegen das Recht des deutschen Volkes auf seine Freiheit" geführt. Der Osnabrücker Bischof Hermann Berning habe die Gläubigen dafür beten lassen, "dass Gott uns den Sieg verleihe". Beide erhielten 1956 beziehungsweise 1950 den persönlichen Titel Erzbischof.

Gläubige folgten "geistlicher Autorität"

Wenige Tage nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion (Juni 1941) hätten sich Bischöfe zu der Deutung verstiegen, dass die deutschen Soldaten "auch dem heiligen Willen Gottes folgten"; von Galen habe von einem "neuen Kreuzzug" gesprochen, in dem der "Soldatentod des gläubigen Christen in Wert und Würde ganz nahe dem Martertod um des Glaubens willen" stehe, führt Missalla an. Für den Paderborner Erzbischof Lorenz Jäger, 1965 zum Kardinal erhoben, habe der Krieg der "Bewahrung des Christentums in unserem Vaterland und für die Errettung der Kirche aus der Bedrohung durch den antichristlichen Bolschewismus" gedient.

Es stehe "uns Heutigen nicht zu, über die damals Verantwortlichen ein moralisches Urteil zu fällen, weil sie uns nichts mehr über die zweifellos schwierigen Umstände, Voraussetzungen und Bedingungen ihrer damaligen Entscheidungen Auskunft geben können", räumt Missalla in seinem fünfseitigen Schreiben ein. Es sei aber festzustellen, dass sie die Gläubigen "unter Inanspruchnahme ihrer geistlichen Autorität verpflichtet haben, in einem ungerechten Krieg ihre angebliche Pflicht zu erfüllen". Die damaligen Machthaber hätten mit solch kräftiger Unterstützung zufrieden sein können.

Umfassende Untersuchung gefordert

Nach seinem Wissen, so Missalla, habe sich kein Bischof nach dem Krieg zu seinen Äußerungen bekannt und um Entschuldigung gebeten. In ihrem Schreiben "Gerechter Friede" (2000) betonten die heutigen Bischöfe die Bedeutung der Erinnerung bei Tätern und Opfern. Doch trotz vieler Studien und Dokumentationen gebe es "bisher keine umfassende Untersuchung zum Verhalten der deutschen Kirche im Krieg". Die Christen, die Opfer wie auch die noch Lebenden, die damals guten Gewissens den bischöflichen Weisungen gefolgt seien, "haben ein Recht darauf", endet Missallas Brief.

In seiner Antwort zeigt sich Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die Missallas Mahn-Schreiben Anfang Februar 2019 erhielt, überzeugt, dass die Veröffentlichung zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns Anstoß geben werde, von Neuem über die Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus und das Verhalten der damaligen Bischöfe nachzudenken. Missalla, langjähriges Mitglied der deutschen Pax-Christi-Sektion, davon viele Jahre im Präsidium (1955-1996), werbe zu Recht für eine umfassende Untersuchung, erklärte auch der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer. Er teile dessen Auffassung, dass der ehrliche Blick auf die Geschichte zeige, "wozu Menschen fähig sind und welche furchtbaren Entwicklungen deshalb möglich sein können".

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