Vom 22. bis 23. Januar 2025 besuchte eine Delegation des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und der Katholischen Militärseelsorge das NATO-Kommando und den US-Flughafen Ramstein. Der Sachbereich 2 des ZdK „Politische und ethische Grundfragen“ hatte dazu eingeladen, sich ein Bild von den Planungen der NATO-Luftstreitkräfte in Europa und dem amerikanischen Standort zu machen. Die neue sicherheitspolitische Lage seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war bereits auf dem letzten Katholikentag 2024 in Erfurt ein intensiv diskutiertes Thema gewesen. Fragen der Landes- und Bündnisverteidigung sind wieder Teil einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Dieser kann sich auch das ZdK nicht entziehen, zumal mit der angestrebten Verteidigungsfähigkeit auch die Frage verknüpft ist, welche Folgen das für die gesamte Gesellschaft hat. Im Kontext von zwei Fachtagungen zur Friedensethik, die der Sachbereich 2 zuvor zusammen mit dem Sachbereich 6 des ZdK „Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung“ durchgeführt hatte, wurde deutlich, wie begrenzt innerhalb des ZdK das Wissen über militärische Zusammenhänge, aktuelle Bedrohungsanalysen und potenzielle Verteidigungskonzepte ist. So war es das Anliegen der Exkursion, erstens diesbezügliche Kenntnisse zu erweitern, zweitens für die komplexen Verflechtungen nationaler Anliegen mit NATO-Bündnisplanungen zu sensibilisieren und drittens auszuloten, inwiefern die neuen politischen und militärtechnischen Entwicklungen eine neue Ethik erfordern. Dass sich in besonderer Weise die Luftwaffenbasis Ramstein für einen derartigen Austausch anbietet, betonte die Historikerin und Sprecherin des Sachbereichs, Prof. Dr. Birgit Aschmann:
„Nirgendwo sonst wird die militärpolitische Verschränkung von USA, NATO, Europa und Deutschland so spürbar wie hier.“
Neben den Vorträgen zum Standort durch die deutsche Delegation vor Ort und dem Vortrag zu den Planungen des NATO Kommandos (AIRCOM) konnten der Tower des Flughafens und ein US-Transportflugzeug C-130 Herkules besichtigt werden, das gerade für medizinische Evakuierungsoperationen vorbereitet wurde. „Ramstein ist der zentrale Platz für alle Material- und Personaltransporte in Europa“, so der begleitende amerikanische Offizier. Der Flugplatz wird daher 365 Tage/24 h für den Flugbetrieb offengehalten. Zugleich befindet sich dort das zentrale Krankenhaus für die US-Streitkräfte in Europa und Afrika. Die Delegation bekam schließlich einen Einblick in die Struktur und Prozesse der amerikanischen Operationszentrale für Luftoperationen. Für alle Besucher wurde damit bewusst, wie amerikanische und NATO-Planungen ineinandergreifen können.
Als besonders informativ bewerteten die Teilnehmenden der Exkursion das Gespräch mit Oberst i. G. Michael Trautermann. In seinem „Mission Briefing“ im NATO-Hauptquartier gab er Einblicke in das gegenwärtige Bedrohungsszenario, die Planungen der NATO-Luftstreitkräfte und das Zusammenwirken der Bündnispartner in der Allianz. Oberst i. G. Trautermann verdeutlichte die Prioritäten des aktuellen NATO-Kommandeurs, General James Hecker, und wies auf die notwendige Konkretisierung für die NATO, aber auch für die Nationen hin. Der Luftverteidigung – ob der eigenen Verteidigungsfähigkeit oder der Zerstörung der gegnerischen Aufstellung in diesem Bereich – komme eine wichtige Rolle zu. Abgeleitet vom Potenzial des Gegners seien Quantität und Qualität in allen Dimensionen der Kriegführung deutlich zu erhöhen, um Erpressbarkeit zu vermeiden. Aus der Delegation wurden Fragen bezüglich möglicher Folgen der neuen US-Präsidentschaft für die so zentrale Kohäsion innerhalb der NATO-Staaten gestellt. Schließlich wurden ethische Aspekte der Technisierung und verantwortungsvollen automatisierten Operationsführung diskutiert. Zuletzt mahnte Oberst i. G. Trautermann an, dass die weitreichenden Konsequenzen einer nüchternen Bedrohungsanalyse besser bzw. klarer in die Breite der Bevölkerung hinein vermittelt werden müssten.
Man müsse sich in Deutschland entschiedener der für die US-Amerikaner so selbstverständlichen Frage des „So what?“ stellen.
Zum Abschied bedankten sich der Vizepräsident des ZdK, der Theologe Prof. Dr. Thomas Söding, und der Stellvertreter des Generalvikars der Katholischen Militärseelsorge, Monsignore Wolfgang Schilk, für die Gelegenheit, einen solch umfassenden Einblick und so reichhaltige Anregungen erhalten zu haben.
Als Bilanz des Besuchs bleibt zweierlei festzuhalten: Erstens haben die Mitglieder der Exkursion so viele Informationen aus erster Hand und genug „Anschauungsmaterial“ erhalten, um die Komplexität militärischer Operationsplanung im NATO-Bündnis besser beurteilen zu können. Und zweitens bieten die erhaltenen Anregungen eine wichtige Grundlage für die weitere Beschäftigung mit der Thematik.
Entsprechend versicherte Prof. Dr. Birgit Aschmann abschließend, dass in ihrem Sachbereich das Thema „Sicherheit und Friedensethik“ weiterhin eine zentrale Rolle spielen werde. Schließlich ist eindrücklich deutlich geworden, dass eine Verdrängung der Gefährdungslage keine ethisch zu verantwortende Lösung wäre. So ist es womöglich der wichtigste Ertrag der Exkursion, dass die Teilnehmenden allesamt mit einer neuen „realität-geprägten Nachdenklichkeit“ die Heimreise antraten.
Prof. Dr. Birgit Aschmann und Generalleutnant a. D. Dr. Ansgar Rieks