Militärbischof: Bundeswehr muss zu ihrer Vergangenheit stehen

Militärbischof Overbeck bei einem Treffen mit dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels im Jahr 2016 © KS / Doreen Bierdel
Militärbischof Overbeck bei einem Treffen mit dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels im Jahr 2016 © KS / Doreen Bierdel

Ingolstadt (KNA), 22.02.2018. Mangelhafte Ausrüstung der Soldaten, Exzesse bei der Ausbildung, Fragen zum Umgang mit der militärischen Vergangenheit: Die Bundeswehr präsentiert sich derzeit nach Ansicht vieler Beobachter als "Baustelle". Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck erläutert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Ingolstadt seine Sicht auf einige der Themen, die in diesen Tagen für Schlagzeilen sorgen.

 

Bischof Overbeck über Traditionserlass, Ausrüstung und Muslime
Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)


Ingolstadt (KNA), 22.02.2018.
Mangelhafte Ausrüstung der Soldaten, Exzesse bei der Ausbildung, Fragen zum Umgang mit der militärischen Vergangenheit: Die Bundeswehr präsentiert sich derzeit nach Ansicht vieler Beobachter als "Baustelle". Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck erläutert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Ingolstadt seine Sicht auf einige der Themen, die in diesen Tagen für Schlagzeilen sorgen.

KNA: Herr Militärbischof, der jüngste Bericht des Wehrbeauftragten hat für einigen Wirbel gesorgt, weil er eklatante Mängel in der materiellen Ausrüstung der Soldaten beklagt. Wie haben Sie diesen Bericht aufgenommen?


Overbeck: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass der Wehrbeauftragte die wichtige Rolle der katholischen und der evangelischen Militärseelsorge gewürdigt hat. Dazu zählt auch die Seelsorge für die Familien und Partner der Soldatinnen und Soldaten. Das unterstreicht, dass wir als Kirche mitten in die Gesellschaft gehören, und das gilt auch für eine Berufsgruppe mit so besonderen Aufgaben, wie sie den Soldaten gestellt sind.

Politischer Handlungsbedarf

Was den Stand der Ausrüstung betrifft, haben mich die Berichte sehr nachdenklich gemacht. Als Militärbischof weiß ich aus Gesprächen, dass das den beruflichen Alltag vieler in der Bundeswehr oftmals bestimmt. Denn die Auswirkungen auf die Frage, wie die Bundeswehr unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen zum Beispiel ihre vielfältigen Auslandseinsätze bewältigen kann, sind groß. Da sehe ich politischen Handlungs- und Nachholbedarf höchsten Grades. Ich hoffe, dass die künftige Regierung das rasch anpackt. Vor allem auch deshalb, weil die friedensstiftenden Aufgaben der Bundeswehr künftig in einer zunehmend instabilen Welt absehbar zunehmen werden.

KNA: Derzeit wird viel über das Traditionsverständnis der Truppe debattiert. Ein neuer Traditionserlass wird bald kommen. Ist die Bundeswehr da auf dem richtigen Weg?

Overbeck: Die Bundeswehr weiß, dass sie in einer Tradition steht, die in vielfacher Weise hochbelastet ist. Zu dieser Tradition gehören aber auch jene in der Deutschen Wehrmacht, die aufgrund ihres Gewissens klare Entscheidungen getroffen und sich am Widerstand gegen das NS-Gewaltregime beteiligt haben. Keiner kann ohne Vergangenheit leben. So muss auch jeder zu den Brüchen dieser Vergangenheit stehen, um aus ihnen zu lernen.

"Menschen mit großem Sachverstand und hohen Idealen"

KNA: Im vergangenen Jahr war viel von einem "Generalverdacht" gegen die Bundeswehr die Rede. In manchen Berichten schien es, als mangele es der Truppe an staatsbürgerlicher Haltung und an politischer Reife. Was sagen Sie dazu?

Overbeck: Niemand sollte eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen, solche Generalisierungen führen zu nichts. Ich kann aus meiner Anschauung nur sagen, dass in der Bundeswehr ganz viele Menschen mit großem Sachverstand und hohen Idealen arbeiten, alle bereit, sich für das Gemeinwohl, die Sicherheit und den Frieden einzusetzen. Das gilt es zu fördern.

KNA: Vom Nato-Partner USA wird seit einiger Zeit verstärkt angemahnt, Deutschland müsse endlich die vereinbarte Quote von zwei Prozent des Bruttosozialprodukts in die Verteidigung stecken. Ist Deutschland da wirklich in einer Bringschuld?

Overbeck: Das muss die Politik entscheiden und dann gegebenenfalls auch finanziell umsetzen. Aber bekanntlich gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie dieses Zwei-Prozent-Ziel erreicht werden kann. Dazu zählen ja auch andere friedensstiftende Maßnahmen wie die Entwicklungshilfe oder die Wirtschafts- und Bildungsförderung. Dessen ungeachtet ist es unerlässlich, die Bundeswehr so auszurüsten, dass sie ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen kann.

Muslimische Militärseelsorge

KNA: In der Bundeswehr gibt es eine wachsende Zahl von Muslimen. Wie sieht es mit der muslimischen Soldatenseelsorge aus?

Overbeck: Hier müssen die Politik und Bundeswehr ihre Aufgaben erledigen, wobei der Verhandlungspartner auf muslimischer Seite nicht so klar verfasst ist, wie die christlichen Kirchen. Ein weiteres Problem ist die Zahl von vermutlich circa 1.500 Muslimen bei der Bundeswehr, die dann auch noch auf viele Standorte verteilt sind. Es ist nämlich zu entscheiden, wie überhaupt dann "muslimische Seelsorge" geht. Hinter der Seelsorge verbirgt sich bisher ein klar christliches Konzept. Welche Formen der religiösen Begleitung da gefunden werden können, müssen unter anderen die muslimischen Vertreter mit den staatlichen Verantwortungsträgern klären.

Katholische und evangelische Seelsorger sind jedenfalls bereit, allen Menschen, die mit Fragen oder Problemen zu ihnen kommen, zu helfen, ganz unabhängig von ihrem Glauben. Und wenn es gewünscht wird, vermitteln wir auch muslimischen Soldaten und Soldatinnen den Kontakt zu einem Geistlichen ihrer Religion. Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, das zu schützen ist. Das gilt für alle Religionen.

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Tradition und Bundeswehr. Kompass-Ausgabe 02 / 2018 (32 Seiten, 2,9 MB)

Gewissen, Vertrauen, Tradition. Wort des Bischofs 2017 (12 Seiten, 111 KB)

Muslime in den Streitkräften. Kompass-Ausgabe 09 / 2016 (28 Seiten, 2,6 MB)


 

 

Hintergrund:

Ende März soll neuer Bundeswehr-Traditionserlass in Kraft treten - "Schwieriges Terrain"

Von Joachim Heinz (KNA)

Die Arbeiten zum neuen Traditionserlass für die Bundeswehr gehen in die finale Runde. Derweil sorgt die Truppe wegen ihrer schlechten Verfassung für Schlagzeilen. Der Umgang mit der Vergangenheit bleibt aber wichtig.

Berlin (KNA), 23.02.2018. Es fehlt noch die "zustimmende Zurkenntnisnahme" der Mitglieder des Verteidigungsausschusses im Bundestag und unter anderem des "Gesamtvertrauenspersonenausschusses" des Verteidigungsministeriums: Dann kann der neue Traditionserlass, der die Traditionspflege innerhalb der Bundeswehr und ihren Umgang mit der Vergangenheit regeln soll, in Kraft treten und die bisherige Fassung aus dem Jahr 1982 ersetzen. Voraussichtlich Ende März soll das laut Verteidigungsministerium der Fall sein. Öffentlich zugänglich ist der Entwurf bislang noch nicht. Aber anhand der zahlreicher werdenden Wortmeldungen aus den vergangenen Wochen lassen sich zumindest einige Knackpunkte herausdestillieren.

Der Berliner Politologe Herfried Münkler fasste in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch) die grundsätzlichen Herausforderungen mit den Worten zusammen, es gebe kaum ein "schwierigeres Terrain" als das der deutschen Militärgeschichte. "Und das nicht nur wegen der Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, sondern auch darum, weil es ein deutsches Heer eigentlich erst seit 1919 mit Gründung der Reichswehr gibt."

Mit anderen Worten: An was konkret sollen die Soldaten der Bundeswehr anknüpfen? Immer wieder fallen in diesem Zusammenhang die Namen der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944, einzelne Personen also, die sich auf ihr Gewissen beriefen. Der Traditionserlass wird sich Experten zufolge unter anderem daran messen lassen müssen, welche Bedeutung er dieser Episode aus der dunkelsten Phase der jüngeren deutschen Geschichte beimisst.

Fallstricke lauerten offenbar auch bei der Einordnung der DDR-Armee. Im vergangenen November kritisierte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, die entsprechende Passage eines früheren Entwurfs als "ein bisschen unglücklich", weil darin NVA und Wehrmacht nebeneinander gestellt würden. In seinem am Dienstag vorgestellten Jahresbericht bedauerte der SPD-Politiker zugleich, die Traditionsdebatte sei leider "öffentlich fast unbemerkt" in erster Linie von Experten auf Einladung des Verteidigungsministeriums oder nachgeordneter Stellen geführt worden.

Das steht in krassem Gegensatz zu jenen Vorfällen, die im vergangenen Jahr die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) überhaupt erst dazu veranlassten, einen neuen Erlass auf den Weg zu bringen. Stahlhelme vor einer Kantine, Hakenkreuz-Kritzeleien und Landser-Souvenirs an Kasernenwänden sowie Entgleisungen bei der Ausbildung von Rekruten beherrschten immer wieder die Schlagzeilen. Der Eindruck drängte sich auf, dass es bei manchen "Staatsbürgern in Uniform" an staatsbürgerlicher Haltung und an politischer Reife mangele.

"Niemand sollte eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen, solche Generalisierungen führen zu nichts", betonte der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Zugleich müsse es unter den Soldaten ein Bewusstsein für die Vergangenheit geben - und auch für die ihr innewohnenden Brüche. Das sei gerade mit Blick auf den Wandel der Bundeswehr und die Ausweitung internationaler Einsätze unverzichtbar, heißt es in der jüngsten Ausgabe des "Kompass", der Zeitschrift der katholischen Militärseelsorge.

Am Ende seien zwei Aspekte "für die Güte der Traditionspflege in der Bundeswehr entscheidend", schreibt der Wehrbeauftragte Bartels in seinem Jahresbericht. "Erstens: Für die eigene Tradition der Bundeswehr nicht nur die Köpfe, sondern insbesondere die Herzen der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten zu erreichen." Und Zweitens: "Ein kluger und unverfänglicher Umgang mit ausgewählten Aspekten des militärischen Erbes vergangener Zeiten und eine unmissverständliche Grenzlinie zum braunen Erbe." Mit der Herausgabe des Erlasses allein wird es nach Ansicht von Beobachtern und Soldaten wohl nicht getan sein.

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