"Keinesfalls Gehorsam um jeden Preis" - Interview zum Tag der Befreiung

Oberstleutnant Thomas Aßmuth. © KS / Doreen Bierdel
Oberstleutnant Thomas Aßmuth. © KS / Doreen Bierdel

Heute vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, unterzeichnete Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel in Berlin die deutsche Kapitulationsurkunde und erklärte damit offiziell den Zweiten Weltkrieg, der von Deutschland ausgegangen war, als beendet. Vierzig Jahre später hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstmals von einem Tag der Befreiung gesprochen, der die unterdrückten Staaten und vor allem auch das Deutsche Volk von der Nazidiktatur befreit hat. Hitler nutzte die Wehrmacht nicht zur Verteidigung, sondern stellte sie ganz in seinen Dienst zur Eroberung und Unterdrückung anderer Völker. Welche Konsequenzen die heutige Bundeswehr daraus gezogen hat, erklärt Oberstleutnant Thomas Aßmuth, Vorsitzender des Katholikenrats beim Katholischen Militärbischof, im Interview.

Der verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker nannte den 8. Mai 1945 einen Tag der Befreiung vom nationalsozialistischen Regime, für das Wehrmachtssoldaten in den Krieg geschickt wurden. Was hat die Bundeswehr aus der Geschichte mit der Wehrmacht gelernt?

Thomas Aßmuth: Sicherlich muss man an dieser Stelle auf das Konzept des Staatsbürgers in Uniform und die Verankerung der Prinzipien der Inneren Führung in die Streitkräfte als Antwort eines jungen demokratischen Staates auf die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hinweisen. Sie sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Bundeswehr geworden. Die Soldatinnen und Soldaten haben neben der parlamentarischen Kontrolle Instrumente wie den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, eine funktionierende Wehrbeschwerdeordnung, aber auch eine unabhängige Militärseelsorge, auf die sie sich verlassen können. Ich persönlich finde darüber hinaus, dass der Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ deutlich macht, dass wir als Soldaten in der heutigen Zeit uns bewusst und beherrscht in den Dienst für unsere Demokratie und unser Land stellen, diese Dienstbereitschaft aber keinesfalls eine Art Unterwürfigkeit und Gehorsam um jeden Preis beinhaltet.

Für viele junge Menschen haben Themen wie Nationalsozialismus, Rassismus und Totalitarismus keinen hohen Stellenwert. Wie geht die Bundeswehr heute mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in ihren eigenen Reihen um?

Thomas Aßmuth: Für viele junge Menschen in unseren Streitkräften gilt dies sicherlich ebenfalls, denn wir bilden keine Sondergruppe in unserer Gesellschaft. Darüber hinaus gilt für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Bundeswehr ein absolutes No-go! In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen und Berichte der Soldaten die gemeinsam mit anderen deutschen Offizieren und Offizieranwärtern mit und ohne Migrationshintergrund 2011 die Initiative Deutscher.Soldat. e. V. ins Leben gerufen haben, von besonderer Bedeutung. Kameradschaft und ein gemeinsames Verständnis von Werten bilden ein kräftiges Fundament, das diesen Dingen keinen Raum bietet. Es zählt die Leistung und nicht die Herkunft. Trotzdem gilt es für uns, aufmerksam zu bleiben und immer wieder deutlich zu machen, dass Vielfalt als Normalität und Chance für unsere Gesellschaft gesehen wird.

Weltweite Konflikte und Kriege bedrohen auch die Sicherheit der europäischen Staaten. Die Idee, eine europäische Armee zu gründen, stößt bei Politikern auf Interesse. Sind Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bereit, auch die Freiheit und das Recht der europäischen Nachbarländer zu verteidigen?

Thomas Aßmuth: Faktisch hat der Gesetzgeber aufgrund der eingegangenen Bündnisverpflichtungen im Rahmen einer kollektiven Sicherheitsverantwortung der Bundeswehr diesen Auftrag erteilt. Auslandseinsätze in ausschließlich nationaler Verantwortung sind heute bereits die Ausnahme. So gesehen wird kollektive Sicherheitsverantwortung in der täglichen Praxis bereits erfolgreich durchgeführt. Ein logischer nächster Schritt wäre der Weg in eine europäische Armee, um den gemeinsamen großen Herausforderungen, denen sich Europa unausweichlich stellen muss, zu begegnen.

Aus dem Erbe des Zweiten Weltkriegs haben sich in Deutschland christliche Friedensbewegungen entwickelt. Für sie sind Wehrdienst und Auftrag zum Frieden nicht miteinander vereinbar. Frieden muss möglich sein, ohne zu töten, sagen sie.

Thomas Aßmuth: Für alle Christen gilt es auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Die Realität lehrt uns aber, dass es notwendig sein kann, töten zu können, um nicht töten zu müssen. Die Realität zeigt auch, dass Krieg immer mit Unrecht und Schuld verbunden ist und nur in Ausnahmefällen hingenommen werden kann, wenn es darum geht, schlimmeres Unrecht zu verhindern. Unsere Verantwortung als Christen kann von uns auch verlangen, handeln zu müssen, um den Schutz für Menschen in extremen Situationen zu übernehmen. Diese Schutzverantwortung im Sinne von „Responsibility to Protect“ begrenzt die als zu verhindernden extremen Situationen gemäß UN auf Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Im Gegensatz zum Wehrmachtssoldaten wird von Bundeswehrsoldaten politische Bildung und Mitsprache erwartet. Einige der Soldaten, die aus Afghanistan zurückgekehrt sind, stellen den Sinn dieses Einsatzes in Frage und fühlen sich damit als „Staatsbürger in Uniform“ nicht ernst genommen. Worin besteht das Problem?

Thomas Aßmuth: Nach meiner Wahrnehmung hat das Problem mehrere Dimensionen. Auf der einen Seite erfahren die Rückkehrer, dass das Interesse an den Vorgängen im Einsatz Zuhause eher gering ist. Trotz Globalisierung gehört der Auslandseinsatz aus unterschiedlichen Gründen in Gesellschaft und Politik nicht zum Schwerpunkt. Darüber hinaus sind es Soldaten gewohnt, einen Auftrag zu übernehmen, durchzuführen und abzuschließen. Angestrebte Ziele in einem vorher festgelegten Zeitrahmen, ob in Afghanistan oder auch in anderen Einsatzgebieten, sind nicht immer realistisch. Das frustriert manchmal. Vielleicht müssen wir als Soldaten lernen, auch mit zunächst unbefriedigenden Ergebnissen zufrieden zu sein. Vielleicht zeigt sich die Wirkung des Einsatzes vor Ort erst in einigen Jahren. Schließlich müssen auch viele andere Organisationen, z. B. NGOs und GOs mit deutlich mehr Erfahrung in Auslandseinsätzen auch damit umgehen, dass ihre gute Aufbau- und  Entwicklungsarbeit in vielen Fällen (z. B. Haiti) nur sehr, sehr langsam Früchte trägt und von vielen Rückschlägen begleitet wird.

Die Fragen stellte Barbara Dreiling.

Pressemitteilung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum 8. Mai (PDF-Datei)

mehr zum Thema in der Zeitschrift "Kompass. Soldat in Welt und Kirche"  Mai 2015

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