„Kein Ende der Gewalt?! – Friedensethik in einer globalisierten Welt“

Eberhard Schockenhoff © KS / Doreen Bierdel
Eberhard Schockenhoff © KS / Doreen Bierdel

Der zweite Tag der 63. Gesamtkonferenz der Katholischen Militärseelsorge startete mit einem Vortrag von Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff.

Der Moraltheologe ging in seinen friedensethischen Überlegungen in einem Dreischritt vor. Zunächst skizzierte er einen kurzen Rückblick auf epochale Umbrüche in Friedensethik und Völkerrecht. Als eine Epochenschwelle sei das Ende des Kalten Krieges zumindest in Europa empfunden worden. So sei z. B. nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung die endgültige Überwindung kriegerischer Gewalt zum Greifen nahe gewesen. Gerade für die Bundeswehr habe das Ende des Kalten Krieges und die damit veränderte Bedrohungslage zu tiefgreifenden Konsequenzen geführt, die zum Teil erst heute sichtbar seien.

Aktuelle Herausforderungen der Friedensethik 

In einem zweiten Schritt zeigte Schockenhoff aktuelle Herausforderungen der Friedensethik auf. Dabei griff er exemplarisch zwei Themenfelder auf: zum einen die Beschaffung von Drohnen, die in der Militärplanung der Bundeswehr vorgesehen sei. Hier differenzierte Schockenhoff zwischen autonomen Flugsystemen zu Beobachtungszwecken und dem Einsatz unbemannter Waffensysteme. Bei zuerst genanntem System läge der entscheidende ethisch wie völkerrechtlich unbestreitbare Vorzug darin, dass es seinen Beobachtungsauftrag ohne Gefahr für Leib und Leben der eigenen Soldaten ausführen könne. Dies sei sowohl ein Sicherheitsgewinn als auch eine Risikominimierung. Ganz anders stelle sich der Einsatz von unbemannten Waffensystemen dar. Die ethische und völkerrechtliche Konsequenz ihres Einsatzes wäre, dass es niemanden gäbe, der für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden könnte. Zum anderen beschrieb Schockenhoff die Zukunft der nuklearen Abrüstungsvereinbarungen. Trotz der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrags, auch Atomwaffensperrvertrag genannt, vor 50 Jahren, waren die bisherigen Nuklearmächte nicht bereit, den Weg der Abrüstung konsequent zu Ende zu gehen. Eine atomwaffenfreie Welt sei zwar vorerst unerreichbare Vision, bleibe aber das große Ziel. 

Kleine Schritte auf dem Weg zu einem stabilen und gerechten Frieden 

Der Moraltheologe schloss seinen Vortrag mit einem Ausblick. Für Pessimismus bestehe kein Anlass. „Schon immer erforderte die Arbeit für den Frieden Mut und visionäre Kraft, vor allem aber Geduld, langen Atem, Ausdauer und Bereitschaft, trotz mancher Rückschläge auf dem Weg der kleinen Schritte voranzugehen,“ fasste Eberhard Schockenhoff zusammen.

Anschließend gab es sowohl Gelegenheit für Rückfragen als auch Workshops, in denen verschiedene Aspekte des Vortrags ausführlicher diskutiert werden konnten.

Vortragstext "Kein Ende der Gewalt?" (PDF, 18 S., Es gilt das gesprochene Wort!) 

 

 

Atomare Gefahr für Weltfrieden massiv unterschätzt 

Freiburg (KNA). Der Freiburger Theologe Eberhard Schockenhoff sieht in Atomwaffen eine große Bedrohung des Weltfriedens. "Die reale Bedrohung durch Nuklearwaffen wird massiv unterschätzt und daher öffentlich kaum diskutiert", sagte Schockenhoff am Dienstag bei der Jahrestagung der katholischen Militärseelsorger in Freiburg. Dabei sei es offenkundig, dass sich die nach dem Ende des Kalten Krieges gewachsene Hoffnung auf ein "Zeitalter der weltweiten Denuklearisierung" nicht erfüllt habe. Die Vision für eine atomwaffenfreie Welt sei derzeit unrealistisch. Dies müsse offen thematisiert werden. 

Schockenhoff verwies zur Begründung beispielsweise auf die Rolle Russlands. Unter Präsident Wladimir Putin sei Russland heute kein Partner mehr "in der Suche nach einer gemeinsamen Friedensordnung". Dies mache das russische Vorgehen auf der Krim, in der Ostukraine und im Syrienkrieg deutlich. Auch die "kleineren Nuklearstaaten" wie Frankreich, Großbritannien und Israel seien unter keinen Umständen bereit, ihre Atomwaffen abzugeben. Die USA schließlich sei auf dem Weg, selbst eingegangene internationale Verpflichtungen in Frage zu stellen. Diese Entwicklung habe schon vor der Amtsübernahme von Präsident Donald Trump begonnen. Schockenhoff betonte, Friedenspolitik müsse daher in der Kunst des Möglichen bestehen und trotz Rückschlägen auf dem Weg der kleinen Schritte vorangehen. 

Zugleich verwies Schockenhoff, der aktuell eine umfassende Studie für eine christliche Friedensethik veröffentlicht hat, auf ein grundsätzliches Problem von Denuklearisierung: "Selbst wenn alle der heute vorhandenen rund 15.000 atomaren Sprengköpfe einzeln verschrottet würden, bliebe das Wissen um die technologischen Fähigkeiten zurück, in Zeiten wachsender Spannungen in kürzester Zeit erneut derartige Waffen herstellen zu können." Experten gingen von einer Produktionszeit von nur zwei Wochen aus. 

Vor den rund 200 Teilnehmern der Militärseelsorger-Tagung sprach sich das langjährige Ethikratsmitglied auch gegen autonome Waffensysteme aus. Algorithmen oder Computer dürften niemals einen Menschen töten. Diese Entscheidung könnten im Kriegsfall nur Menschen treffen, "die ihr Handeln nach ethischen und völkerrechtlichen Maßstäben rechtfertigen müssen und dafür zur Verantwortung gezogen werden können". Zugleich sagte Schockenhoff, zahlreiche Staaten arbeiteten weiter an solchen Waffensystemen. Was derzeit noch Planspiel oder Science-Fiction sei, könne schon bald Realität werden. 

Das Vernetzungs- und Fortbildungstreffen der katholischen Militärseelsorger steht unter dem Leitwort "Frieden in einer globalisierten Welt". Bundesweit sind rund 80 hauptamtliche katholische Militärseelsorger aktiv. Sie bieten beispielsweise seelsorgliche Gespräche, Gottesdienste oder Wallfahrten an. Schwerpunkte liegen in der Begleitung von Soldaten im Auslandseinsatz sowie in der Betreuung von Familien und Angehörigen.  (KNA)

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