Die seelische Achterbahn im Auslandseinsatz

Die Autorin des Textes mit dem Leitenden Militärdekan Simon und Militärpfarrer Tschullik
Die Autorin des Textes mit dem Leitenden Militärdekan Simon und Militärpfarrer Tschullik (© Bundeswehr)
Blick von Camp Qasaba über Kabul
Blick von Camp Qasaba über Kabul (© Silvia Ochlast)
Stabsfeldwebel Stefan G. in Kabul
Stabsfeldwebel Stefan G. in Kabul (© Bundeswehr)
Auf einem Dach im Camp: Militärpfarrer Tschullik mit Msgr. Simon
Auf einem Dach im Camp: Militärpfarrer Tschullik mit Msgr. Simon (© Bundeswehr)
Pfarrer Bernhard Tschullik am Popcorn-Automaten
Pfarrer Bernhard Tschullik am Popcorn-Automaten (© Silvia Ochlast)

„Das seelische Befinden hier in Afghanistan ist immer wie eine Achterbahn. Wenn man draußen ist, müssen der Geist, die Seele und der Körper zusammenpassen.“
Das sagt Stefan G., Stabsfeldwebel und „Spieß“ der Unterstützungskompanie in Kabul. Er kennt das Leben im und um das Camp Qasaba und vor allem die Herausforderungen, denen sich die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan stellen. Die Seele des Menschen wird hier im Einsatz deutlich mehr belastet als zu Hause.
Für Stefan G. sind das zum Beispiel das einbeinige kleine Kind an der Straßenecke, die Verhältnisse vor Ort und damit auch die bittere Armut, auf die man trifft. Diese Eindrücke müssen verarbeitet werden und jeder geht damit unterschiedlich um. Aber ein Prinzip bleibt für ihn gleich: Die Seele funktioniert ähnlich wie eine Schubladensystem – wenn es voll ist, muss es geleert werden oder es kippt. Das ist das Hauptproblem für Menschen, die solche Ereignisse nicht verarbeiten können.

Seelsorge in jeder Lage

Hier kommt die Seelsorge ins Spiel, ein Bereich, der nicht sofort offensichtlich und greifbar ist. Aber die Soldaten merken sie. Der Militärseelsorger ist für viele ein wichtiger Partner der Truppe. Es muss nicht das schlimme Ereignis sein, das der Einzelne verarbeitet. Diese Dramen werden in vielen Medien immer hervorgeholt und dabei wird schnell vergessen, dass es auch die kleinen Dinge sind: der Alltag in Kabul, die Enge im Camp, die eingeschränkte Privatsphäre, das Klima und die Entfernung von den Lieben zu Hause, die den Soldaten beschäftigen.

Militärseelsorger Bernhard Tschullik begleitet die Soldaten im Camp Qasaba. Für die Soldaten ist er ein guter Kamerad – er ist kein Außenseiter und spielt auch keine zentrale Rolle, sondern er ist einfach ein fester Bestandteil der Gruppe. Die Meinung über die Rolle des Seelsorgers ist bei vielen ähnlich: Er ist da und das zu wissen, ist wichtig. Dabei ist nicht immer das Gespräch im Zimmer des Pfarrers entscheidend, im Gegenteil, es ist das Gespräch auf dem Gang, beim Essen oder wenn man sich im Hof trifft. Das einfache Gefühl, zwischendurch mit jemandem sprechen zu können, bei dem der Dienstgrad keine Rolle spielt.

Seelsorge für die Seelsorger

Das ist eine ganz wichtige Position des Seelsorgers im Einsatz, sagt der Katholische Leitende Militärdekan Msgr. Joachim Simon. Er ist dafür zuständig, die Seelsorger und Seelsorgerinnen im Auslandseinsatz der Bundeswehr zu begleiten. Er arbeitet nicht nur in Berlin bzw. Potsdam, sondern besucht sie vor Ort. Dekan Simon war selbst als Militärpfarrer im Ausland und kennt die Herausforderungen, denen sich der Geistliche im Einsatz stellt, und die Rolle, die der Pfarrer einnimmt. Denn obwohl der Militärpfarrer die „Uniform“ – einen Schutzanzug – trägt, ist er kein Soldat, er ist Zivilist. Er untersteht nicht dem System aus Befehl und Gehorsam und das macht ihn wertvoll für die Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan.

Ein Soldat sagte: „Allein die Präsenz des Pfarrers erinnert uns daran, dass es noch mehr zwischen Himmel und Erde gibt als militärischen Alltag, Befehl und Gehorsam“, und dafür steht der Pfarrer. Für Militärdekan Simon erinnert er – wie der Kirchturm im Dorf – die Soldaten daran, mal an etwas anderes zu denken als nur an Auftragserfüllung und Pflicht. Der Seelsorger ist genau deshalb eine Bereicherung, weil er zu vielen Fragen eine andere Perspektive hat und damit den Soldaten die Möglichkeit bietet, einfach nur Mensch zu sein.

Aber auch das „offene Ohr“ der Truppe – der Militärseelsorger – braucht jemanden, mit dem er sich austauschen kann – und dafür ist dann der Einsatzdekan zu Besuch. Seelsorge für den Seelsorger und das Wissen, ich werde nicht allein gelassen. Es geht ums Zuhören, denn der Militärpfarrer nimmt viel auf und braucht deshalb auch jemanden, mit dem er offen sprechen kann.

Zuhören und den Alltag unterbrechen

Ende April wurde Pfarrer Tschullik von Dekan Simon in Kabul besucht und neben den Gesprächen gab es auch einen kleinen praktischen Nutzen: Monsignore Simon brachte einen neuen Beamer ins Camp, denn der alte hatte den Geist aufgegeben. Das ist eine simple Freude, die für die Seelsorge auch Bedeutung hat. Militärpfarrer Tschullik organisiert einmal in der Woche einen kleinen Filmabend im Camp. Liebevoll vorbereitet mit Popcorn und etwas zu trinken, ist es für einige ein wöchentliches Ritual.

Denn Vergleichbares gibt es im engen Camp nicht. Nicht rausgehen zu können, keine Freunde zu treffen und damit die Arbeit nie hinter sich zu lassen, ist im Einsatz der Alltag. Ein gemeinsamer Abend schafft dann zumindest für ein paar Stunden Ablenkung. Es ist ein Gefühl von Kameradschaft und pflegt die Gemeinschaft untereinander, was gerade in einem kleinen Camp wie Qasaba einen hohen Stellenwert hat. An diesem Abend spielen die Dienstgrade keine Rolle und es kommt ein gemischtes Publikum zusammen, das schon direkt nach dem Kinoabend fragt, welcher Film als nächster dran ist. Es sind die freudigen Blicke, der dankbare Händedruck und eine entspannte Atmosphäre, die dem Seelsorger zeigen, dass es wieder ein schöner Abend war.

Gottesdienste und Andachten gehören ebenfalls zu den Ritualen, die den Alltag unterbrechen. Von einigen werden sie besucht und sind sehr wichtig, je nachdem aus welchem Umfeld die Soldaten und Soldatinnen kommen. Im Camp in Afghanistan kann sich die Einstellung zur Religion auch wandeln. Manchmal kommen Kameraden zu Militärpfarrer Tschullik, die längere Zeit der Kirche fern waren und stellen Fragen zu den Feiertagen und den Gottesdiensten. Oder sie tauschen Erinnerungen aus, weil sie sich wieder an die Kindheit erinnern.

Pfarrer Tschullik ist jemand, der sich nicht in den Vordergrund stellt. Auch darin sind sich die Soldaten einig: Er weiß, wo er da sein muss und wann er helfen kann. Dekan Simon beschreibt den Militärpfarrer im Einsatz ganz einfach: „Man erkennt den guten Seelsorger daran, dass er zuhört – nicht daran, dass er redet.“ Und das passt: In leichten Tagen ist er der Freund, der den wöchentlichen Kinoabend gestaltet, und in schweren Tagen trägt er die Sorgen der Soldaten mit: Bernhard Tschullik, Militärseelsorger in Afghanistan.

Silvia Ochlast

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