„Deutsche Politik kann hier Vorbildliches leisten.“

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck © Bistum Essen
Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck © Bistum Essen

Militärbischof Overbeck zur Kündigung des INF-Vertrags (Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme)

Kompass: Welche Konsequenzen befürchten Sie nach dem Scheitern des INF-Vertrags?

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Wenn eine Vereinbarung zur Rüstungsbegrenzung, die seit 30 Jahren zwischen den beiden größten Atommächten besteht, heute infrage gestellt und aufgekündigt wird, ist das ein begründeter Anlass zu großer Sorge. Die Befürchtung vieler Menschen, dass in der Folge ein neues atomares Wettrüsten droht, teile auch ich. Sollte es im Bereich der nuklearen Mittelstreckenraketen tatsächlich zu einer Aufrüstungsspirale kommen, würden die meisten dieser Systeme wahrscheinlich in Europa stationiert werden. Darüber hinaus wären andere Rüstungskontrollabkommen gefährdet. Papst Franziskus hat erst im vergangenen Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass die Vision einer Welt ohne Nuklearwaffen gegenwärtig wohl leider nicht mehr politisch aktiv und mit Nachdruck verfolgt wird. Im Interesse aller Menschen ist es aber dringend geboten, politische Perspektiven für eine globale und verbindliche Abrüstungsstrategie zu erarbeiten, die sich diesem Ziel verpflichtet wissen.


Kompass: Was müssen Deutschland und die EU jetzt tun, um ein atomares Schreckensszenario zu verhindern und wieder für mehr Stabilität in der internationalen Sicherheitspolitik zu sorgen?

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Sicherheitspolitik sind multilaterale Bündnisse, die eine globale Abrüstungspolitik forcieren, weil schlussendlich alle davon profitieren würden. Insbesondere die Europäische Union kann als ein solches Bündnis aber nur dann glaubwürdig auftreten, wenn nationale Eigeninteressen nicht die abrüstungspolitische Agenda bestimmen. Deutsche Politik kann hier Vorbildliches leisten. In der Koalitionsvereinbarung der gegenwärtigen Bundesregierung sind Abrüstung und Rüstungskontrolle als Kernziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik genannt. Ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten soll auf unserem Kontinent unbedingt vermieden werden. Explizit genannt werden „Neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung“: Diese müssen Politik und Zivilgesellschaft auf den Weg bringen und dann gemeinsam mit den europäischen Partnern in die Tat umsetzen.


Kompass: Was können bzw. sollten die Kirche und die Christen tun, um Druck auf die Politik aufzubauen? Wie könnte eine neue christliche Friedensbewegung aussehen?

Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck: Als Kirche in Deutschland haben wir unser Selbstverständnis vom Frieden, der immer nur ein „gerechter Friede“ sein kann, im Jahr 2000 zur Grundlage unseres Handelns erklärt. Diese friedensethische Sicht dient auch als Orientierungsgrundlage für die Bewertung politischer Initiativen. Natürlich gilt auch für die Kirche als am gesellschaftlichen und politischen Diskurs Beteiligte, dass wir mit nichts anderem als dem „Zwang“ eines guten Arguments überzeugen können. Deshalb halte ich viel davon, im konstruktiven und sachlichen Dialog unsere Sicht der Dinge einzubringen. Die Verantwortung für die Entscheidungen jedoch liegt am Ende bei der Politik. Viele Christinnen und Christen setzten sich heute tagtäglich durch ihr zivilgesellschaftliches Engagement auf den unterschiedlichsten Ebenen für den Frieden ein. Das gilt es, in seiner Vielfältigkeit zu würdigen und vor allem auch sichtbar zu machen. Hinzu kommen die nationalen Kommissionen von Justitia et Pax, die den Blick für die jeweiligen unterschiedlichen Friedenssituationen schärfen. 

Die Fragen stellte Josef König.

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