„Das wird eine enorme Herausforderung“

Leitender Militärdekan Joachim Simon © KS / Doreen Bierdel
Leitender Militärdekan Joachim Simon © KS / Doreen Bierdel

Militärdekan zieht Bilanz des Einsatzes in Afghanistan

Berlin (KNA). Joachim Simon war der erste katholische Militärgeistliche, der 2002 - vier Monate nach dem 11. September - mit einem evangelischen Kollegen nach Afghanistan ging. Bereits in den ersten zwei Monaten musste er miterleben, wie zwei deutsche und drei dänische Soldaten bei der Entschärfung einer Rakete ums Leben kamen. Seither besuchte er häufig das Land am Hindukusch als zuständiger Dekan für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zog er am Donnerstag in Berlin eine vorläufige Bilanz. 

Von Christoph Scholz (KNA)

KNA: Was war das Besondere am Afghanistan-Einsatz?

Simon: Es war der bislang gefährlichste, verlustreichste und frustrierendste Einsatz. Trotz jahrelanger Bemühungen waren kaum Fortschritte zu erkennen. Im Gegenteil: Die Situation wurde immer gefährlicher und feindlicher. Es wuchs das Gefühl von Ernüchterung und Enttäuschung.

KNA: Wann wurden die Militärseelsorger abgezogen?

Simon: Der letzte katholische Militärpfarrer verließ Masar-i-Sharif am 18. März und der nachfolgende evangelische dann am 4. Juni. Kabul musste der katholische Militärpfarrer auf Anordnung des zuständigen Generals bereits am 30. April aus Sicherheitsgründen verlassen.

KNA: Hatte die Militärseelsorge auch Ortskräfte, die ihr halfen?

Simon: Nicht im engeren Sinne. Unter dem großen Dach der Militärseelsorge liefen aber die sogenannten Oasen: Orte der Entspannung mit Gastronomiebetrieb und Unterhaltungsangeboten. Hier gab es beim Servicepersonal Ortskräfte, aber auch bei der Raumpflege.

KNA: Wie sah es beim Aufbau von Kirchen aus?

Simon: Einfache Arbeiter eines Subunternehmers halfen bei der Auskleidung des Hauses Benedikt mit Fliesen und Wandverkleidung in Masar-i-Sharif. Es ist aber schwer, eine genaue Zahl an Ortskräften über die Jahre hinweg zu benennen.

KNA: Wie gefährdet sind diese Menschen?

Simon: Auch das ist schwer abzuschätzen. Manche Personen sagen von sich, dass sie gefährdet seien. Aber wie können sie das beweisen?

KNA: Auch weil sie für Christen gearbeitet haben?

Simon: Ich habe gehört, dass die Taliban Christen als gläubige Menschen respektieren, solange sie nicht missionieren oder ihren Glauben öffentlich bekennen. Problematisch ist eher, wenn sie dem ausländischen Militär gedient haben.

KNA: Rechnen Sie mit systematischen Übergriffen, wenn die Luftbrücke beendet wird?

Simon: Das ist nicht auszuschließen. Es kann sicher zu Racheakten kommen. Dennoch: Caritas International etwa will weiter in Afghanistan tätig sein. Ich kann mir vorstellen, dass die Taliban sehr pragmatisch die Vorteile sehen - und auch, wie sehr sie auf äußere Hilfe angewiesen sind.

KNA: Wie steht es um die Betreuung der Heimkehrer und ehemaligen Einsatzkräfte?

Simon: Das wird eine enorme Herausforderung. Ich sprach schon von der Frustration. Jetzt höre ich immer wieder die Klage: Es war alles umsonst. Das schlägt sich auch schon nieder in der Frage nach dem Einsatz in Mali. Solche Einsätze müssen die Bundestagsmitglieder begründen, die sie mandatieren.

Als Seelsorger sind wir vor allem gefordert, die Trauer und Enttäuschung der Menschen zu begleiten. Viele Soldaten sind traumatisiert und haben Schwierigkeiten, bedrängende Eindrücke zu verarbeiten. Ein weiteres Thema ist die Entfremdung in Beziehungen oder das Scheitern von Beziehungen durch die lange Trennung.

KNA: Hat Sie die jüngste Entwicklung überrascht?

Simon: Nur die Geschwindigkeit. Viele haben die allgemeine Entwicklung schon länger erwartet. Wer nah dran war, wusste, dass von der afghanischen Truppe keine Kampfmoral zu erwarten war.

KNA: Der Große Zapfenstreich für die Soldaten aus dem Afghanistaneinsatz wurde verschoben. Es gibt aber auch grundsätzliche Kritik. Wie bewerten Sie das?

Simon: Die Verschiebung ist verständlich. Jetzt geht es um die Evakuierung und Aufarbeitung. Aber eine Würdigung und Ehrung für den Einsatz, der ja im Auftrag des Parlaments geschah und viele Opfer gefordert hat, halte ich für angemessen. Ich finde es auch gut, dass Beteiligte aus vielen Einsatzkontingenten teilnehmen sollen.

KNA: Auch die Militärseelsorge?

Simon: Wir durften drei Teilnehmer melden.

KNA: Was sagen Sie dem Soldaten, der sagt, nun war alles umsonst?

Simon: Dass vieles überhaupt nicht umsonst war, im Gegenteil. Das gilt nicht nur beim Kampf gegen den Terror. Seit 2002 wurde viel Gutes in dem Land bewegt. Eine ganze Generation konnte durch den internationalen Schutz die Schule besuchen und eine akademische Ausbildung machen. Den Fortschritt werden vermutlich auch die Taliban anerkennen. Sie sind auch darauf angewiesen. Denken Sie etwa an das Gesundheitswesen. Die Frauen werden sich weiter zu Wort melden. Derzeit herrscht noch Chaos. Aber in einem Jahr kann es schon anders aussehen.

KNA: Was hat die Militärseelsorge aus dem Einsatz mitgenommen?

Simon: Stärker noch als in anderen Einsätzen haben wir den Wert der Seelsorge erfahren. Viele, die die Militärseelsorge erlebt haben, wollen sie nicht mehr missen - ganz unabhängig von Glaubens- oder Kirchenzugehörigkeit. Sie sagen: Bitte nehmt uns nicht den Pfarrer, er hat im Mikrokosmos des Feldlagers eine ganz wichtige Funktion. Wir haben auch gelernt, wie wichtig Ökumene ist. Unsere Angebote - vom Bibelfrühstück bis zum Filmabend - werden gerne angenommen. Wir erleben hier keine Berührungsängste oder Vorbehalte wie in zivilen Gemeinden. Die Menschen hier sind offen für die Seelsorge.

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